Familienerinnerungen in Chemnitz

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Seit der Wende 1989 werden jedes Jahr 20 Tage der jüdischen Kultur in Chemnitz gefeiert. In diesem Jahr hatte Ich die Ehre am 5.3.2011 meine Austellung „Mein Weg nach Eretz Israel“ im Jüdischen Zentrum zu eröffnen…

Von Dina (Mannheim) Givon

Ich möchte mich herzlich bedanken bei allen, die dazu beigetragen haben, das zu verwirklichen. Die Kulturabteilung der Chemnitzer Stadtverwaltung, unser Gastgeber, wurde von der Israelichen Botschaft in Berlin unterstützt. Zur Eröffnungsfeier kamen viele Chemitzer Bürger. Es wurden Ansprachen gehalten und der bekannte Pianist Jeffrey Goldberg spielte einige Improvisation. Während er spielte blickte er auf meine an den Wänden hängenden Bilder und aus seiner Musik konnte man das Motiv unserer Nationalhymne Hatikva erkennen. Es war sehr aufregend.

Dr. Jürgen Nitsche, Publizist & Historiker widmete seine Rede hauptsächlich meinem Vater und der Familie. Natürlich betonte er dabei auch die Geschichte der Juden in Chemnitz.

Die Mannheim Familie in Burkhardtsdorf / Chemnitz

Nach Abschluss des Medizinstudiums in Breslau 1924 entschloss sich mein Vater eine Praxis zu eröffnen, um als Landarzt zu praktizieren. Er kaufte ein Haus in Burkhardtsdorf, Ahnerweg 2. Das Haus war sehr vernachlässigt. Man benötigte viel Mühe und Kosten, um es wieder bewohnbar zu machen und eine Praxis einzurichten. Meine Mutter Hildegard Heimann aus Gilgenburg und mein Vater heirateten und haben sich im Dorf niedergelassen. Ich wurde in diesem Haus geboren. Die Familie lebte sehr bescheiden.

Der grosse Traum meines Vaters war die Chirurgie, leider konnte er ihn nicht verwirklichen. Trotzdem hatte er eine Appendix auf dem Küchentisch operiert und den Patient gerettet. Die Gefahr war zu gross bis zum Krankenhaus zu fahren. Den richtigen Entschluss zu fassen und Gefahren zu bewältigen, besonders aber die Verantwortung zu übernehmen waren seine starken Seiten bis zu seinem Lebensende.

Meine Eltern hatten das Vertrauen der Einwohner erweckt, aber nicht für lange Zeit.

Max Mannheim im KZ – Hildegard Mannheim auf der Suche nach Rettung

Im Hinterhof eines verlassenen Schloss‘ wurde 1933 ein Konzentrationlager eingerichtet. Dort wurden die Nazigegner, jüdische Ärzte und Anwälte in Haft genommen. Sehr bald nach der ‚Machtergreifung‘ der Nazis, im März 1933, wurde mein Vater verhaftet und in das KZ Colditz geschickt.

In diesem Jahr wurden in Sachsen allein ca 20 KZ eingerichtet. Die Regimgegner wurden in diese Lager hingebracht. Zwei große Lager, Dachau und Buchenwald, waren schon errichtet. Mein Vater wurde später in das KZ Sachsenburg nahe Chemnitz verschickt.

Meine Mutter Hildegard (1904-1985) wurde in Ostpreussen geboren und war das jüngste von 5 Kindern. Sie wurde sehr streng erzogen. Ihre Eltern besassen ein grosses Textilkaufhaus. Meine Grossmutter, Feilchen, bestand darauf, dass jedes ihrer Kinder diverse Hausarbeiten ausführte und erlernte: „Man kann ja nie wissen, was der Morgen mit sich bringt“.

Als mein Vater im Gefängniss verschwunden blieb, musste meine Mutter mich, ein 6 Monate altes Baby, bei einer ihrer verheirateten Schwestern unterbringen. Als junge Frau und Mutter voller Ängste und Zweifel ging sie los, um Rettung für ihren Ehemann zu finden.

Im Laufe der nächsten Monate gelang es ihr, die nötigen Finanzen zu sammeln. Damit mobilisierte sie zwei Anwälte, Dr. Günter Weiss und Dr. Setzer . Nach 9 Monaten Haft gelang es den Anwälten meinen Vater freizubekommen. Meine Mutter sprach niemals von dieser furchtbaren Zeit.

Die schrechlicken Erlebnisse der Haftzeit konnte mein Vater bis an sein Lebensende nicht vergessen. Er sprach nie darüber mit uns beiden Töchtern. Er ist nie wieder in Deutschland gewesen.

Soviel ich weiß, suchten meine Eltern nach Kriegsende die Anwälte, die meinem Vater geholfen haben, aber damals war es unmöglich, sie zu kontaktieren, sie lebten in der DDR. Mit Hilfe von Dr. Nitsche fanden wir den Sohn von Dr. G. Weiss. Eine Generation später haben wir uns bedankt.

Mein Vater verliess Deutschland alleine gleich nach der Befreiung. Er kam in Haifa mit dem Schiff „Jerusalem“ an, wo sein Bruder Leo ihn erwartete. Meine Mutter und ich kamen später. Am 1 Mai 1934 erblickten wir Haifa zum ersten Mal.

Eretz Israel – Kiriat Bialik – Die neue Heimat

Meine Eltern gehörten zu den Gründern von Kiriat Bialik. Hier wurde auch meine Schwester Raya 1936 geboren. Wir sind in einer typisch jeckischen Familie aufgewachsen. Zuhause sprachen wir Deutsch. Hebräisch lernten wir im Kindergarten.

Nach unserer Ankunft in Eretz Israel musste mein Vater nochmals eine Prüfung ablegen, um eine britische Lizenz als Arzt zu bekommen. Er hatte eine Privatpraxis eröffnet, nachdem er ein Problem mit der hiesigen Krankenkasse hatte. Es kam zu einem Prozess, den mein Vater gewann. Mit der Entschädigung hatte er sich eine Konkordanz zur Bibel angeschafft.

Max Mannheim war sehr vielseitig und bewandert mit breiter allgemeinen Bildung. Einer seiner vielen Hobbys war die Graphologie, in der er viel nachforschte. Im Verlauf von 40 Jahren entwickelte er eine neue Methode zur Analyse der hebräischen Handschrift. In Haifa verbrachte er viele lehrreiche Stunden in dem Bücherladen „Ringart“. Er fand auch die Zeit für Wohltätigkeit.

Dr. Max Mannheim war einer der Pioniere der homöopatischen Behandlungsmethode in Eretz Israel. Er erfand zudem eine Benhandlungsmethode für Brandwunden, Einklemmungen und nicht blutige Wunden. Ein Artikel darüber wurde 1969 in der Schweizer Zeitschrift Ars Medici veröffentlicht.

Die Eingliederung der Einwanderer, besonders aus Deutschland, war kompliziert und schwierig. Auch unsere Familie erlitt einen „Kulturschock“. Meine Mutter hatte es besonders schwer, sowohl mit dem finanziellen Existenzkampf als auch mit der Sprache, die sie nie richtig erlernte. Die Wäsche wurde noch auf einem Blechwaschbrett gewaschen. Meine Mutter leitete die Praxis und assistierte meinem Vater in Allem. Ihr Einleben hier zu Lande begann erst mit der Geburt ihrer Enkelkinder, von denen sie ein wenig die Sprache lernen musste.

Etwa vor 10 Jahren begann ich nach den Wurzeln meiner Familie zu suchen. Wir, eine Gruppe von Frauen zweiter Generation deutscher und östereichischer Herkunft, haben zusammen ein kleines Museum errichtet, um die Geschichte der fünften Alija nach Eretz Israel für die nächsten Generationen zu dokumentieren. Im Museum haben wir ein auch Schülerprogramm mit Unterstützung der Stadt errichtet.
Außer den hiesigen Schülern, die bei uns lernen, haben wir auch Studenten aus dem Ausland, insbesondere aus Deutschland, die in unserem Archiv viel Material für ihre akademische Recherche finden können.

Eine zionistische Ausstellung in Chemnitz

Als Künstlerin hat mich mein persönliches Interesse am Thema zu meinem Werk „Mein Weg nach Eretz Israel“ geführt, das zur Eröffnung der Jüdischen Kultur Tage Chemnitz ausgestellt wurde.

Die Ausstellung besteht aus zwei Teilen:

Der Kalender basiert auf der Geschichte der Wanderung von Familie Mannheim.
Magen David (David Stern) – 60 Jahre des Staates Israel.

Der erste erzählt die Geschichte meiner Urgrossmutter, Chela Schottland, die Ende des 19 Jahrhundert mit ihrem Sohn, David Mosche Mannheim ( meinem Grossvater), aus Russland nach Deutschland immigrierte. Als Symbol des Zeitverlaufs habe ich einen Kalender benutzt. Ein Dokument in Russisch hat grosses Interesse in der Jüdischen Gemeinde erweckt, da die meisten Mitglieder aus Russland kommen.

Der David Stern verbindet die Auswanderung mit Eretz Israel und der Geschichte des Staates im Laufe seines 60jährigen Bestehens.

Meine Technik ist hauptsächlich Kollage. Inspiration und Rohmaterial hatte ich sehr viel von Kalman Givon (Kleinberger), meinem Ehemann, der in einer grossen Hoch- und Tiefbau-Firma (Solel-Boneh) arbeitet. Durch seine Tätigkeit in den ersten Jahre des jungen Staat Israel fuhr er viel durchs Land. Als Fotograf dokumentierte Kalman alle seine Eindrücke und Erlebnisse, besonders den Aufbau des Landes und die Neueinwanderer (Olim), die Überlebenden des zweiten Weltkrieges. So wurden die Fotos in meinen Werken benutzt und zeigen die Ansiedlungen und Entwicklung des neuen Staates Israel in der zionistischen Ausstellung in Chemnitz.

Unsere Gastgeber sind in der Jüdischen Gemeinde tätig. Die meisten Mitglieder der Jüdische Gemeinde sind aus der ehemalogen Sowjetunion. Wir besuchten drei Schulen. Die Lehrer legten besonders Wert auf mein Treffen mit Schülern, die sehr wenig informiert sind über Israel oder Judentum. Unser Sohn Yair, unsere Tochter Noga und ich wurden sehr herzlich und aufmerksam aufgenommen. Leider konnte mein Mann, Kalman, mich nicht begleiten, unser älterer Sohn, Juval, und sein Vater begleiteten uns im Internet.

Für mich war das ein aussergewöhnliches Ereigniss. Meine Familie flüchtete aus Deutschland während der finstersten Epoche der Menschheit, und als ich zurück kam in meinen Geburtsort mit meiner persönlichen zionistischen Ausstellung war ich voller Stolz und Dankbarkeit, dass mir die Gelegenheit geboten wurde, den Kreis zu schliesssen.

Ein besonderer Dank an unsere Gastgeber:

Ich möchte mich herzlich bedanken bei Familie Lehmann und bei all denen, die mir geholfen haben und mir den Erfolg gönnen. Ein besonderen Dank an Dr. Judith Reifen-Ronen, die mir entlang des Wegs Hilfe und Rat bot. Ebenso Dank an Prof. Rafi Wertheim und seine Frau Hana.

Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, den vielen Besuchern meiner Ausstellung ein wenig von meiner Lebensanschauung und meinem Optimismus zu übertragen.

Dina Givon,
Kiriat Bialik, Israel
Givon-kd(at)zahav.net.il