Fortschritt von der Erinnerung zum Engagement

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Redemanuskript Dr. Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland – Gedenktag an die Reichspogromnacht in der Paulskirche, 9.11.2011…

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,
Verehrte Ehrengäste,
Sehr geehrte Damen und Herren,

November-Geschichten 1938: In Innsbruck werden Vorstandsmitglieder der Jüdischen Gemeinde direkt vor den Augen ihrer Frauen und Kinder erstochen und dann in den Fluss geworfen.

In Leipzig werden Juden im Zoo ausgestellt wie Tiere. Passanten lachen sie aus und spucken sie an.

In Nürnberg werden jüdische Mütter und Väter, die ihre Kinder beschützen wollen, einfach aus dem Fenster geworfen.

In Fürth werden Mitglieder der Jüdischen Gemeinde um zwei Uhr nachts auf einem Platz zusammen getrieben, darunter auch Kinder des Waisenhauses. Fünf Stunden werden sie zur Schau gestellt, viele Männer werden schwer misshandelt.

In Düsseldorf beteiligen sich sogar offizielle Amtsträger am Pogrom. Der dortige Rabbiner, Rabbiner Klein, wird fast zu Tode gequält.

Im weltberühmten mondänen Kurort Baden-Baden werden in den frühen Morgenstunden viele Juden abgeführt und als bewachte Kolonne zur Synagoge geleitet. Augenzeugen berichten von brutalen Übergriffen durch Baden-Badener Bürger. Juden werden mit Steinen beworfen, verprügelt, ausgepeitscht oder bewusstlos geschlagen. Die Synagoge wird restlos niedergebrannt – und nie wieder aufgebaut. Bis heute nicht.

Esther Gever in Wien versucht Ihren Vater zu retten, als er abgeholt wird. Das kleine Mädchen klammert sich an ihren Vater und fragt flehend: „Warum nehmen Sie mir meinen Papa weg? Was hat er denn getan?“. Die Männer antworten kalt: „Weil er ein schmutziger Saujude ist“. Er wird deportiert.

In Ulm wird der Rabbiner zusammen mit weiteren 100 Juden in Schlafanzügen barfuß aus den Wohnungen gezerrt und durch die Straße getrieben. Die Juden werden bespuckt, verprügelt, verhöhnt. Der Viehhändler Julius Barth stirbt noch in der Nacht an seinen Verletzungen.

Geschichten wie diese, und noch so viel schlimmere, finden wir haufenweise in den Berichten zu jenen Tagen. Natürlich auch zu Frankfurt am Main, zu unserer Stadt. Denn auch hier, mitten unter uns, hatte damals die Menschlichkeit eine lange und kalte Auszeit.

Soll man denn solche Geschichten heute überhaupt noch erzählen? Nutzen sie sich denn vielleicht ab? Es ist eine alte, ewig junge Diskussion – und sie muss wohl doch immer wieder aufs Neue geführt werden.

Denn:

Wiederkehrende Gedenkveranstaltungen, wie zum Beispiel auch diese hier, werden nicht selten mit dem Einwand konfrontiert, hier handle es sich womöglich doch nur um nur leere Erinnerungs-Rituale, deren Sinn und Sinnhaftigkeit man, wie man es heute doch so gerne tut, „kritisch zu hinterfragen“ habe.

Das mag man ruhig tun. Meine Meinung dazu ist jedoch: Was ist denn eigentlich gegen Rituale einzuwenden? Doch nur wenn sie wirklich seelenlos „abgehalten“ werden und in der Tat sinnlos zelebriert werden, muss man sich die Frage der Relevanz von Ritualen stellen. Dass Rituale aber in so vielen Bereichen ausgesprochen langlebig sind und lebendig bleiben, hat einen ganz bestimmten Grund: Sie wirken. Und wie sie wirken können!

Denn die Vergangenheit ist keineswegs bloß und lediglich „vergangen“, sie arbeitet, sie lebt in uns.

Was war, ist Teil dessen, was wir sind.

Das Wissen von der Vergangenheit verstärkt die Verantwortung für die Zukunft.

Es geht uns gerade nicht darum, dass etwa wir mit dem Finger auf andere von heute zeigen wollen. Ganz im Gegenteil: Wir alle zeigen auf uns selbst und fragen: Was können wir selbst heute anders und besser machen?

Die Erinnerung müssen wir, auch mit modernen und zeitgemäßen Mitteln, lebendig und frisch zu gestalten versuchen.

Erinnerung soll eben nicht zu Denkmälern erstarrt und versteinert sein.

Eventuell tragen feste Gedenktermine auch dazu bei, dass Schulen, Lehrer und Schüler sich dem Thema regelmäßig widmen: Also eine pädagogische Tradition und Inspiration durch Gedenktermine – wäre das denn so schlecht?

Aber Erinnerung ist gewiss kein Selbstzweck. Sie kann jedoch den Zweck haben, unser besseres Selbst zu wecken und zu stärken.

Gedenken soll auch etwas zu tun haben mit Denken, mit Nachdenken. Es soll einen Impuls zum Innehalten auslösen können.

Dabei geht es in keiner Weise darum, den Menschen, die heute in Deutschland leben, etwa auch nur den Anschein von Schuld zusprechen zu wollen. Wie unsinnig wäre das doch – und wie schrecklich ungerecht!

Immer geht es vielmehr um die Verantwortung, wissen zu wollen – gerade, um es künftig selbst besser machen zu können.

Wir wollen aber auch erinnern an die Opfer. An unsere Märtyrer.

Das bleibt uns immer absolute Herzenssache. Wenn wir sie vergessen, töten wir sie aufs Neue. Das aber darf und wird aber niemals geschehen.

Und ich denke dazu so oft:

Diese Menschen, wenn sie nun, sozusagen weit von oben, auf uns hinabschauen, würden sich wahrscheinlich so sehr wünschen, dass wir sie eben gerade nicht nur immer als bloße Opfer in Erinnerung behalten mögen – sondern auch als die Menschen, die sie waren.

Wir sollten sie daher auch nicht immer nur auf die reine Opfer-Identität reduzieren. Sie waren zwar am viel zu frühen Ende Ihres Lebens dann tatsächlich die Opfer dieser schrecklichen Mordmaschinerie. Aber sie waren doch in Wirklichkeit so viel mehr.

Sie hatten ein Leben, sie hatten eine Familie, einen Beruf, sie hatten Hoffnungen und Leidenschaften und Wünsche und Sehnsüchte, sie hatten Träume.

Sie waren Menschen aus Fleisch und Blut, sie waren Mütter und Väter, Brüder und Schwestern, Töchter und Söhne, sie waren Großeltern und Enkelkinder.

Wenn wir an sie erinnern, so sollten wir deshalb nicht nur daran erinnern, wie ihr Licht erlosch, sondern auch an das Licht ihres Lebens, wie es war, wie es hätte sein können, wie es hätte sein sollen – auf dass es weiterleuchten möge.

Wir dürfen daher wirklich niemals vergessen, dass diese Menschen doch überhaupt erst von den Nazis zu Opfern gemacht wurden. Und dass sie verzweifelt und vergeblich danach hungerten, so viel mehr sein zu dürfen.

David Berger aus Wilna schrieb 1941 in seinem letzten Brief, wohl wissend, dass es sein letzter Brief sein würde: „Mir würde es so gefallen, wenn jemand sich einmal daran erinnern würde, dass ein Mensch namens David Berger überhaupt je gelebt hat“. Erinnern wir also daran, dass diese Menschen gelebt haben, dass sie leben wollten – und erinnern wir nicht nur an ihren Tod, sondern erinnern wir künftig noch mehr auch an sie selbst.

Einen Schlussstrich unter die Geschichte wird und kann es niemals geben.

Wer das erhofft, wird vergebens hoffen.

Wer denn meint, unsere eigenen Gefühle würden mit der Zeit zu diesem Thema ermatten, erkalten, sich erschöpfen – der irrt, wie man nur irgend irren kann.

Lassen Sie mich dazu heute etwas ganz Persönliches berichten:

Ich selbst war im Januar 2011, gemeinsam mit dem Bundespräsidenten in Auschwitz, zum Holocaust-Gedenktag, am 27. Januar. Der Bundespräsident war gleich am allerersten Holocaust-Gedenktag seiner Amtszeit in Auschwitz. Er war zum ersten Mal dort. Und als erster Bundespräsident überhaupt hat er dort auch gesprochen.

Ich selbst war auch das allererste Mal dort. Ich wollte eigentlich niemals im Leben an diesen Ort gehen, der mit meiner eigenen, ganz persönlichen Familiengeschichte eng, düster und dramatisch verbunden ist.

Ich wusste doch, es würde schlimm für mich sein.

Ich hatte Unrecht. Es war noch schlimmer.

Es ist vor allem Birkenau, das einen augenblicklich verschlingt und nahezu erschlägt, obwohl dort kaum noch etwas steht.

Aber was sofort schon alleine dort überwältigt, ist die schiere Größe. Die düstere und dämonische, diabolische Dimension. Die kargen Reste der riesigen Tötungs-Fabriken.

Ein gigantischer, ein gespenstischer, ein grabsteinloser, ein vor allem: jüdischer Friedhof – soweit das Auge überhaupt nur reicht. Der größte jüdische Friedhof der Welt. Der Friedhof der Unmenschlichkeit. Die brutale Aura des Orts ist für jeden sofort spürbar.

Hier herrschte die schiere Hoffnungslosigkeit, hier flossen Meere von Tränen, hier ertönten die gellenden Hilferufe, die niemand hören mochte. Verloren und vereinsamt und verzweifelt wurden hier so viele Fragen in die Welt hinaus geschrien, die für immer ohne Antwort bleiben werden. Die harte, unerbittliche, atemberaubende Aura von Authentizität und Intensität überflutet dort rasch die Sinne.

Man bekommt ein schauriges Gefühl davon, wie viel an Mühe und Kraft hier investiert wurden, nur um des reinen Mordens willen. Der Judenmord als Selbst-Zweck, als Kernanliegen, als „Raison d’etre“ des Nazi- Regimes. Der Judenmord, der am Ende doch die eigentliche politische Religion des Nationalsozialismus war.

Hier in der so endlos scheinenden Weite von Birkenau, wo auch das Böse an sich von grenzenlosem Ausmaß war, spürt man, wie wichtig, wie buchstäblich lebenswichtig dieses Morden den Nazis war – wichtiger am Ende wohl noch als alles andere sonst.

Und dann: Die Gleise, die hier urplötzlich und abrupt enden. Der berüchtigte Ort der Selektionen. Für so viele Menschen bedeutete das: Bei Ankunft – Tod.

Der Blick auf die riesigen Felder, blutgetränkt, getränkt mit vor allem jüdischem Blut, buchstäblich: „Killing Fields“.

Als später dann bei der offiziellen Feier am Denkmal, in klirrender und eisiger Kälte über die unendliche Weite der schneebedeckten Felder von Birkenau, deren fassungslose Dimension mich verwirrt, verblüfft und fast zerreißt, als über diese düsteren „Killing Fields“ hinweg das Schofar, das jüdische Widderhorn, ertönt, die jüdischen Totengebete gesprochen und gesungen werden – da muss ich doch heftig schlucken, meine Kehle zieht und schnürt sich ganz fest zusammen.

Und ich fühle mich so nahe und innig in diesem Augenblick den vielen Ermordeten verbunden, unseren Märtyrern, deren Gräber doch nur in unseren Gedanken und in unseren Gefühlen sind. Andere Gräber werden sie niemals haben. Es waren schließlich so viele, aber denn doch wiederum so viele einzelne Menschen, ein jeder mit seinen ganz eigenen Hoffnungen und Wünschen und Träumen. Niemals dürfen wir sie vergessen.

Dennoch und trotzdem fühle ich aber auch: Es ist eine stille, wenngleich unendlich traurige Genugtuung, wenn nun ausgerechnet hier, an diesem mit Tränen und Verzweiflung getränkten Ort, am Tatort des Mordrausches, gerade jüdische Gebete gesprochen werden. Das berührt mich und lässt mich noch mehr frieren, so wie in diesen ganz besonderen Minuten auch meine Seele friert und fröstelt und zittert. Es sind Minuten, in denen für mich die Zeit träge, festgezurrt und eingemauert stillsteht.

Gefühle pur, ein emotionsgeladener Moment für die Ewigkeit in meinem Leben.

Ein Moment, der mich nie wieder loslassen wird.

Ein atemberaubender Augenblick, in dem die Gefühle schier überlaufen wollen, festgefroren in meiner Seele, eingemeißelt in meinem Herzen,

Wo, wenn nicht hier? Wann, wenn denn nicht für immer?

Soweit zu jenen, die denken, dass unsere Gefühle zu diesem Thema vielleicht nachlassen könnten.

Trotz aller schaurigen Emotionen ist da aber sogar auch das positive Signal, welches von diesen besonderen Stunden ausgeht: Wenn der erste Mann im Deutschland von heute, der Bundespräsident, dort trauert ganz ausdrücklich gemeinsam mit der wiederum ganz neuen jüdischen Gemeinschaft in Deutschland – was für ein Zeichen!

Kein Triumph, gewiss nicht. Dazu ist den Nazis denn doch leider viel zu viel an Tod und Mord gelungen. Und sie haben uns Juden schließlich nicht nur sechs Millionen Menschen genommen, sondern uns auch obendrein noch beraubt um die Kinder und Kindeskinder, die diese Menschen niemals haben konnten. Leid und Verlust bleiben für immer ohne Ende.

All den Vernichtungsphantasien, und den schrecklichen Vernichtungserfolgen, zum Trotz, ist es den Nazis aber denn doch nicht gelungen, Deutschland für immer judenrein zu machen.

Und gerade darum:

Das energische Zeichen von neuer Hoffnung und erneuerter Kraft setzen wir heute – allen Katastrophen zum Trotz.

Am Ende soll doch das Leben triumphieren über das Böse.

Und: Am Ende wird das jüdische Leben triumphieren über die Bösen.

Es ist gewiss kein trotziges „Jetzt erst recht!“, das uns bewegt. Aber denn doch die feste Entschlossenheit, gerade hier wieder ganz neues jüdisches Leben aufzubauen und ihm von nun an eine neue, frische, nachhaltige und sogar auch positive Perspektive zu geben.

Selbstverständlich ist das neue jüdische Leben hier aber keineswegs. Und auch seine internationale Akzeptanz ist es nicht. Nach dem Krieg verdammten alle jüdischen Organisationen weltweit unisono und kategorisch jüdisches Leben in Deutschland. Auch die allermeisten Juden auf der Welt dachten und fühlten so. Kurioserweise sogar auch jene, die es nach dem Krieg hierher verschlagen hatte, wie die Generation meiner Eltern und ihrer Freunde, die hier lebten immerzu im gedachten und gefühlten Provisorium, stets mit schlechtem Gewissen und mit zerrissenen Herzen.

Die vereinzelten, prominenten jüdischen Persönlichkeiten, die dann doch wieder jüdisches Leben in Deutschland allmählich öffentlich tolerierten, wie etwa Nachum Goldmann oder Martin Buber oder auch wieder Leo Baeck, wollten selbst aber ausdrücklich eben gerade nicht mehr in Deutschland leben, woher sie schließlich stammten. Erst in den letzten zwei Jahrzehnten hat sich hier tiefgreifend etwas verändert. Juden hier haben zu neuem Selbstbewusstsein gefunden und sind in der jüdischen Welt anerkannt.

Das hat bestimmt auch mit dem veränderten Bild Deutschlands in der Welt zu tun. Aber auch damit, dass wir Juden aus Deutschland in der jüdischen Welt – und überall sonst auch – immer wieder für dieses neue Deutschland werben, das sich seiner historischen Verantwortung stellte und stellt, wie kein anderes Land auf der Welt. Nirgendwo war es allerdings auch so nötig gewesen.

Auch in Israel hat man jüdisches Leben in Deutschland inzwischen endlich akzeptiert. Deutliches Zeichen dafür war, dass 2002 erstmals ein israelischer Staatspräsident, der damalige Präsident Moshe Katsav, in Wuppertal bei der Einweihung einer Synagoge in Deutschland anwesend war. Er setzte so ein ganz anderes Zeichen als sein Vorgänger, der nur wenige Jahre zuvor hier noch mitunter etwas barsch und polternd aufgetreten war.

Seit der starken Zuwanderung von jüdischen Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland, in Israel lange mit Misstrauen und Missbilligung beäugt, haben wir jüdisches Leben hier aber auch auf ein ganz neues Niveau katapultieren können – zu unserem ganz großen Glück. Die Akzeptanz für jüdisches Leben hier ist weltweit inzwischen endlich selbstverständlich und der weltweite Respekt für das, was wir hier aufbauen, ist nun tatsächlich groß.

Ob wir so viel Respekt und Bewunderung denn wirklich verdienen?

Wer weiß. Möglicherweise schon.

Und vielleicht sogar doch.

Wir bauen schließlich gerade jetzt wieder eine ganz neue jüdische Gemeinschaft in Deutschland auf. Sie soll blühen – munter und bunter!

Es ist von unserer Seite auch eine machtvolle Vertrauenserklärung für die Menschen im Deutschland von heute und von morgen.

David Grossman sagte in der Frankfurter Paulskirche im Oktober 2010: „Wer immer wieder verfolgt und vertrieben wurde, der schwebt zwischen Existenz und Auslöschung. Wer schon Tausende von Jahren so lebt, kann sich nach einer sicheren Existenz nur sehnen.“

David Grossman sagte das zwar über den jüdischen Staat – aber das gilt ganz genau so auch für uns Juden hier.

Wir sehnen uns wirklich so sehr nach Sicherheit. Ein Fazit unserer langen Geschichte scheint freilich zu sein: Wir können fast sicher sein, niemals ganz sicher sein zu können.

Wer aber nach Sicherheit hungert und einsehen muss, dass sie unerreichbar ist, dem bleibt immer noch die Hoffnung. Und hoffen, das können wir nun wirklich.

Hoffnung ist sozusagen jüdische Paradedisziplin, ist sogar jüdisches Lebenselixier. Hoffnung ist schon fast jüdische Spezialität.

Allen Katastrophen, allen Wahrscheinlichkeiten, allen Erfahrungen zum Trotz.

So besehen: Hoffnung ist die einzige Sicherheit, die wir je erreichen werden.

Mehr wäre schöner. Aber noch weniger wäre unerträglich.

Selbst nach den schlimmsten Stürmen der Vernichtung und der Verzweiflung trägt unsere Hoffnung uns immer wieder aufs Neue aufs Meer der erneuerten Zuversicht, aufs Meer der frischen Sehnsucht hinaus, und immer wieder wünschen wir uns dann so sehr, dass wir dieses Mal den endlich für immer sicheren Hafen erreichen mögen.

Freilich: Auch in der langen, fast 1700 Jahre langen Geschichte der Juden in Deutschland, gibt es keinen Schlusspunkt und keine letzte Gewissheit für die Ewigkeit. Auch hier gibt es kein Ende der Geschichte. Ob unsere Leben hier nun auf Dauer gesichert, anerkannt und zukunftsfähig sein wird? Sozusagen: Bis ans Ende aller Zeiten? Wir werben dafür, wir kämpfen darum, wir machen es ja schon längst.

Wir Juden werden immer auf das Beste hoffen – und uns über Anderes auch nicht übermäßig wundern.

Unterstützung, Solidarität, Allianzen von Vertrauen und von Freundschaft lassen unsere Chancen wachsen. Mehr wäre natürlich besser. Und sogar noch mehr – wäre fast gar nicht mehr auszuhalten.

Das ist für uns der Zipfel an Sicherheit, den wir überhaupt zu erreichen imstande sein werden. Dieses Mal soll es doch anders, diesmal soll es besser, dieses Mal soll es sogar für immer sein. In dieses Ziel setzen wir unsere Wünsche und Hoffnungen:

Wir wollen – allem notwendigen Gedenken, wie etwa an einem solchen Tag wie heute, zum Trotz – eben nicht primär eine trübsinnige Opfergemeinschaft sein, wir wollen eben gerade nicht nur chronisch melancholisch Trauer zelebrieren, wir wollen ein aktives, kreatives, kommunikatives, putzmunteres, kunterbuntes neues Judentum aufbauen, gerade hier in Deutschland, eine neue jüdische Gemeinschaft mit einer ganz frischen Zukunft und einer erneuerten, sogar positiven Perspektive.

Wir wollen den Schritt, ja den Fortschritt schaffen vom Gedenken zu den Gedanken und von der Erinnerung zum Engagement heute.

Wir wollen nicht mehr nur die Stimme für jüdische Themen sein.

Wir wollen künftig viel mehr auch die jüdische Stimme für alle Themen sein, die die Gesellschaft beschäftigen und bewegen.

Wer Verantwortung für die Vergangenheit zu tragen bereit ist, der übernimmt zugleich die Verpflichtung für die Zukunft, für eine bessere Zukunft.

Unsere neue, bessere Zukunft hat schon wieder begonnen.

Unsere Begeisterung ist groß, unsere Zuversicht wächst, unser Elan ist schwer zu bremsen.

Alle können helfen. Viele dürfen mitmachen. Keiner soll dagegen stehen.

Dieses Mal werden wir gemeinsam erfolgreich sein – gerade und ausgerechnet wieder hier in Deutschland.

Es gilt das gesprochene Wort.

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