Kreuzweg der Kulturen

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Rund um die „Tachana“ (hebräisch: Station), den um 1892 zwischen dem ältesten Tel-Aviver Viertel Neve Tsedek und dem Mittelmeer eröffneten Bahnhof von Jaffa, ist während der Jahrzehnte eine Myriade von Bauwerken unterschiedlicher Stilrichtung entstanden. So unterschiedlich wie die Menschen aus verschiedenen Nationalitäten, die sich im Laufe der Zeit auf diesem zunächst dünn besiedelten, später hart umkämpften Flecken Wüste niederließen…

Dr. Anna Zanco-Prestel, Pro Arte

Es waren zunächst Araber, ab dem 19. Jahrhundert in Folge der Juden-Progrome in Russland und Polen zunehmend Siedler aus Osteuropa, ab 1933 Flüchtlinge aus dem deutschsprachigen Raum und schließlich aus ganz Westeuropa, die Neve Tsedeks Entwicklung als kulturellen Schnittpunkt zwischen Orient und Okzident prägten.

Wie ein Kaleidoskop der Kulturen, die sich in die architektonische Vielfalt der nun liebevoll restaurierten Gebäuden widerspiegeln, wirken die Zeichnungen des Künstlers/Architekten brasilianischer Herkunft Sergio Lerman, der bereits vor zwei Jahren hier im FORUM IV seine Skizzen von Bauhausbauten präsentierte. Entstanden sind diese mit dem Ziel, eine Bestandaufnahme aller zwischen den 20er und 40er Jahre architektonisch relevanten Bauten im „International Style“ in Tel Aviv – wie das Bauhaus in Israel genannt wird – zu ermöglichen. Ein Vorgehen, das auch dank seines persönlichen Einsatzes als langjähriger „City Architekt“ der Mittelmeermetropole ihr die Anerkennung der Unesco als „Weltkulturerbe“ einbrachte.

Der Rettung früherer bemerkenswerter Bauten dienten die kleinen Zeichnungen, die in dieser Werkschau zu sehen sind. Um einen intermittierenden Dialog mit einer so breiten Palette architektonischer Stilrichtungen führen zu können, hat sich Lerman ebenso vieler unterschiedlicher Techniken bedient. Im Falle der Bauten der Deutschen Templer, die etwa ab 1900 auf dem „Tachana“-Gelände eine herausragende Rolle spielten, macht er von Wasserfarben Gebrauch. Diese Technik sei in seinen Augen die einzige, die ihm erlaubt, die „Atmosphäre der Vergangenheit und gleichzeitig der Gegenwart“ wieder ins Leben zu rufen. Die Struktur der sandsteinigen Wände, das Grau-Grün der Fensterläden, das Grün der aus Indien importierten Fikus-Pflanze und – allem voran – das Marineblau des nahöstlichen Himmels hätten ausdrücklich – wie er sagt – nach dem Aquarell verlangt. Im Entstehungsprozess der Miniaturzeichnungen machte sich ein „Bedürfnis nach Beobachtung und Kontemplation“ bemerkbar, das nun auf den Betrachter hinüber springt. Diesen führen sie in eine magische Zeit ohne Zeit ein, in einen zeitlosen Raum, der voller Stille und wundersamer Präsenzen vor ihm liegt. Arabische, französische, britische und deutsche Bauten leben als Zeugnis längst vergangener Epochen friedlich nebeneinander in diesen sensiblen Kleinoden: Sie offenbaren sich als ein künstlerisches Spiegelbild der Baudenkweise rund um die „Tachana“ in dessen heutigem Zustand als verkehrsberuhigtes multikulturelles Kulturviertel.


Das Wieland Haus, © Sergio Lerman

Den Bezug zur „Tachana“, wie der Bahnhof sich vor etwa 20 Jahren zeigte, stellen wiederum die großformatigen Aufnahmen des Kunstfotografen Honi Hameagel her, die uns einen Abstecher in die industrielle Archäologie des Ortes ermöglichen. Für Honi Hameagel, der als einziger unter den drei Künstlern in dieser Gegend, nämlich im benachbarten alten Viertel Neve Shalom, hineingeboren wurde, kamen sie gleich einer Reise in die Vergangenheit nach. Mit seiner Linse, die mit großer Sorge um das Detail heruntergekommene, ihres ursprünglichen ästhetischen Reizes beraubte Bauten, verkrustet- verwitterte Säulen und Mauergebilde oder verrostete Gebrauchsgegenstände schonungslos festhält, zeigt er uns eine Welt, die inmitten eines Verfall- und Auflösungsprozesses begriffen ist. Die Atmosphäre, die er meisterhaft heraufbeschwört, ist reell und surreal zugleich. Die seltene menschliche Präsenz – der in die Weite, in Richtung Jaffa, blickende Junge auf dem Dach oder die junge Reisende, die mit Koffer und Schal auf einen Zug wartet, der nie eintreffen wird, – lässt fast eine Inszenierung vermuten, in der das Künstlerische mit dem wirklichen Leben zusammentrifft. Der Ansatz dieses international bekannten Künstlers, der sich auch auf dem Gebiet der Performance und des Films erfolgreich betätigt und dennoch wie ein echter Bohémien am Strand lebt, ist gesellschaftskritisch. Sein Werk wirkt wie ein Aufschrei gegen den zunehmenden Verlust an Schönheit, unter dem wir alle bitter leiden…

Künstlerisch verwandelt in ihrer Flucht in die Abstraktion sind die Skulpturen des Bildhauers und Designers Arie Berkowitz, der seine langjährige Erfahrung als Bühnenbildner immer wieder in seine Arbeiten einfließen lässt. Gezeigt werden mehrdimensionale, zusammengesteckte oder an einander gereihte „Objets Trouvés“ aus unbehandeltem, hellem Holz, die Berkowitzs theatralischer Einfallsreichtum als Ausschnitte rätselhafter Kulissen gestaltet.

Das raue Holz in den ausgestellten Exponaten lässt sich leicht mit dem zwischen den Bahnschienen eingesetzten Material assoziieren. Andere schmalen Holzstreifen erinnern wiederum an den Dächern des Bahnhofskomplexes, der sich mit seinen niedrigen würfelartigen Formen deutlich von den anderen Bauten in der Umgebung absetzt.

Im Vordergrund – wie immer im Werk dieses aus Rumänien stammenden Künstlers – steht die Darstellung einer urbanen Landschaft, in der die Natur – quasi eine „europäische“ Reminiszenz – die Pflanze, die Blume als winziges Détail auftaucht oder der Himmel bis auf eine fleckenartige Erscheinung zwischen zwei Wolkenkratzern reduziert wird. Umgekehrt in den Acrylgemälden auf dünnem Leinen, die hier zum ersten Mal zu sehen sind. In einer beinah kindisch anmutenden Sprache lässt Berkowitz ausgerechnet diese Détails zur Geltung kommen. Die minimalistisch angedeutete „Tachana“-Silhouette erscheint wie eingetaucht in dem hellen Blauen eines immer strahlenden israelischen Himmels. Poetisch nimmt eine weiße Wolke im Äther Form an, eine schlanke, grüne Palme ragt in ihrem einsamen Höhenflug aus dem Hintergrund heraus. Am Horizont erzählen die Konturen der Altstadt Jaffa von einer alt überlieferten Geschichte. Beinah hört man ein Lied aus ferner Zeit erklingen. Ein neuer Traum mit offenen Augen kann beginnen…

Ausstellung – Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern
forum 4 (4. Stock), Franz-Josef-Strauß-Ring 4, 80539 München
Ausstellungsdauer:
13. Juli – 26. August 2011
Öffnungszeiten:
werktags Mo.-Fr. 8:00 – 18:00 Uhr
Veranstalter: Zentrum für Zeitgenössische Israelische Kunst (ZZIK), Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern, in Zusammenarbeit mit Pro Arte e.V., Kurator: Prof. Dr. Emmanuel Heller (ZZIK)

Künstler:
Sergio Lerman
Künstler-Architekt
1947 in Brasilien geboren, lebt Sergio Lerman seit 1970 in Israel. Er ist sowohl Architekt als Künstler sowie Autor von mehreren illustrierten Werken über historische Orte und Gebäuden wie „Jaffa – Enchanted City(1997), „Tel Aviv –City of Dreams“ (1998) und „Jerusalem – Within the Walls“ (1999). Als Mitglied der „School of Architecture“ der Universität von Tel Aviv ist er mit der Erhaltung vom kulturellen und geschichtlichen Erbe Israels beauftragt.
Seit 1966 rege Ausstellungstätigkeit in Brasilien und Israel.

Honi Hameagel
Fotograf, Regisseur, Performance-Artist
Honi Hameagel wurde im alten Viertel von Tel Aviv Neve Tsedek geboren. Als Kind besuchte er die religiöse Schule „Sha’arel Tora“. Er absolvierte ein Kunststudium am Plastic Arts Institute Bat Yam (Israel) und an der Bezalel Academy of Arts in Jerusalem. Photographie studierte er an der École de Beaux Arts in Paris. Als multidisziplinärer Künstler zeigt Honi Hameagel Filme, Video-Kunst und Performance-Art bei Festivals, Filmmuseen und Museen rund um die Welt.

Arie Berkowitz
Bildhauer, Bühnenbildner, Dozent, Kritiker
Arie Berkowitz ist Maler, Bildhauer, Designer und Bühnenbildner. Geboren 1953 in Rumänien, lebt er in Tel Aviv, wo er seit 2002 Art Director und Kurator des weltweit angesehenen „Artist’s House“ (Kunstverein) ist. Er ist Kritiker und Dozent an der Universität in Holon.

Bilder vor der Tachana vor der Restaurierung
Die Tachana heute: http://www.hatachana.co.il/

Bilder von der Vernissage am 12.7.2011:


Ministerialrat Attila KArpati (Oberste Baubehörde) mit Prof. Emmanuel Heller (ZZIK)


Herlmut Kästl (Ehrenpräsident der Münchener Secession), Land.Architekt Friedrich Taussig und Anna Zanco-Prestel


Richard Grimm, Marian Offman (Stellv.Präsident der IKG-München)

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