Krise als Chance

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Nach dem Treffen des Nahost-Quartetts in Washington…

Von Reiner Bernstein

Die Formeln haben ausgedient. Das Washingtoner Arbeitsessen des Nahost-Quartetts am 11. Juli hat von einer weiteren Erklärung ohne operative Substanz abgesehen. Das ist zunächst gut, denn der Verzicht signalisiert, dass die Zeit der Beschwörungen und Verschleppungen zu Ende geht und die Differenzen im Quartett selbst offen zu Tage treten. Die Bestätigung der Rede Barack Obamas vom 19. Mai, wonach die Zweistaatenregelung auf der Basis von 1967 erfolgen solle, ändert daran nichts. Gefragt ist nunmehr „stille Diplomatie“. Dass die israelische Regierung genau am selben Tag in der Knesset ein Gesetz verabschieden ließ, das Aufrufen zum Boykott der Produkte aus den Siedlungen unter Strafe stellen will, belegt einmal mehr, dass der Konflikt auf die Innenpolitik übergegriffen hat.

Der UN-Sicherheitsrat dürfte am 20. August über den palästinensischen Antrag beraten. Auch wenn die USA ein Veto einlegen, wird die Generalversammlung ab dem 13. September ein Votum abgeben. Falls eine Zweidrittelmehrheit die Aufnahme Palästinas bejaht, wird auch ein Rückgriff auf die Resolution 377 des Sicherheitsrates vom 03. November 1950 das Veto nicht heilen. Denn es ist höchst ungewiss, ob das Kriterium jener „United for Peace“-Resolution Zustimmung findet, wonach die Ablehnung eines Staates Palästina den Frieden und die Sicherheit international gefährde. Also fallen die endgültigen Entscheidungen im Sicherheitsrat.

Aufgrund ihres Einflusses werden die dortigen Ergebnisse von den politischen Schwergewichten abhängen. Inhaltlich dürften sie darauf hinauslaufen, dass Machmud Abbas anstelle der Vollmitgliedschaft Palästinas ein Status angeboten wird, der dem des Vatikans gleicht: der eines ständigen Beobachters, dem die Mitwirkung in allen UN-Organisationen offensteht. Die Bundesregierung wäre aufgerufen, die Generaldelegation in Berlin als „Mission“ aufzuwerten und ihrem Leiter den Rang eines Botschafters zuzusprechen. Wer als viertgrößter Beitragszahler in der Weltorganisation einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat beansprucht, muss sich vom Vorwurf der atemberaubenden Ignoranz Washingtons fernhalten.

Ob sich die palästinensische Delegation auf Kompromisse einlässt, wird sich zeigen. Denn die Anerkennung nationaler Souveränität bliebe ihr zunächst versagt. Aber durch die Aufwertung des UN-Status und des diplomatischen Personals wäre „eine Regierung der nationalen Einheit“ in einer besseren Ausgangslage, mit Israel über den Endstatus zu verhandeln. Der internationalen Staatenwelt ihrerseits kann nicht daran gelegen sein, die palästinensische Führung vor der eigenen Bevölkerung bloßzustellen – wozu die Strafe beitragen würde, die Auszahlung der Hilfsgelder auf die Konten Salam Fayyads zu beenden. Eine Konsolidierung des Extremismus mit Umsturzpotentialen wäre die Folge – von härteren Gangarten arabischer Regierungen gegen Israel abgesehen.

So absurd es auf den ersten Blick klingen mag: Die Palästinenser können darauf hoffen, dass die israelische Politik in den besetzten Gebieten nicht stillhalten wird. Nur dann haben sie eine Chance, dass sich die Welt zu angemessenen Konsequenzen bequemt.