Israel muss zwischen Frieden und einem rassistischen Staat wählen

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Der Slogan, der Benjamin Netanyahu an die Macht brachte, war „einen sicheren Frieden machen.“ Das ist kein Zufall. „Frieden“ hat die rechte Regierung in einem viel größeren Ausmaß aufrecht erhalten, als die rechte Regierung den Frieden aufrecht erhielt…

Sefi Rachlevsky

Der Grund dafür ist einfach. Wenn „Frieden“ zur Debatte steht, dann wird die innenpolitische Debatte auf das Image des „anderen“umgelenkt, mit dem Frieden gemacht oder nicht gemacht werden soll. Von da ist in Israel der Weg kurz zu regierungsamtlich vorgetragener Verachtung für die Schwäche des palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas und für Behauptungen wie die von Netanyahu, dass die Hamas eine Fortsetzung der Nazis sei.

Aber der periodische israelische Kalender, der sich zwischen Holocaust- und Unabhängigkeitstag bewegt, erinnert uns an das, was selbstverständlich sein sollte: Es gibt da eine Frage, die der Frage nach „Frieden“ vorausgehen müsste – eine Frage, die das Wesen der Unabhängigkeit ausmacht und die Basis für die zionistische Revolution bildet: Was will Israel?

Nicht ohne Grund wird diese Frage von der Regierung ignoriert. Denn wenn man fragt, was Israel will, ist die korrekte Antwort eigentlich klar: einen Staat innerhalb der Grenzen, in denen er seine Unabhängigkeit erlangt hat und die heute als die Grenzen von 1967 bekannt sind; einen demokratischen Staat, in dem alle gleich sind, so wie es in der Unabhängigkeitserklärung beschrieben wird.

Diese Antwort ist für die Rechten gefährlich, weil die meisten Israelis dies noch unterstützen und weil diese Position auch international unterstützt wird. Außerdem besitzt sie in jeder Situation Stärke, sogar dann, wenn man nur von innen nach außen, auf die Beziehungen zwischen Fatah und Hamas schaut. Wenn Verteidigungsminister Ehud Barak Recht hat, dass die Hamas vor der Fatah kapitulierte, dann ist der Weg frei für eine erfolgreiche Umsetzung einer Zwei-Staaten-Lösung, die sich auf die Grenzen von 1967 gründet. Und wenn das Gegenteil wahr ist, dann hat Israel, wenn es sich für einen demokratischen Staat in den Grenzen von 1967 entscheidet, eine Menge realistischer Optionen, für die es mit weitreichender internationaler Unterstützung rechnen kann.

Aber die Frage was Israel will, hat eine zweite mögliche Antwort: Israel strebt nach einem rassistischen, messianischen Staat, in dem Juden Bürger sind und Nicht-Juden Untertanen. Diese zweite Antwort ist keine Phantasie. Im Grunde ist dies bereits seit 44 Jahren die israelische Wirklichkeit. In den (besetzten) Gebieten und in Jerusalem sind Juden Bürger und Nicht-Juden sind es nicht. Erst in dieser Woche vergab der Wissenschaftsminister (!) anlässlich einer Feier einen Preis an den Rabbiner Shmuel Eliyahu, bei der dieser sich erneut dafür aussprach, Safed von Arabern zu säubern.

Barak, ein Anhänger der Methode verbaler Irreführung, um Operationen durch Sondereinheiten zu ermöglichen, zog „den dritten Weg“ aus dem Hut, der als Argumentationsbasis für seine Atzmaut-Partei dienen soll. Aber Barak weiß besser als jeder andere, dass es keinen dritten Weg gibt. Bei Einsätzen von Spezialeinheiten, bei Geschäften oder auch in der Politik ist die Entscheidung einfach und klar: ja oder nein. Entweder will Israel einen Staat, der sich auf die Versprechen die Unabhängigkeitserklärung gründet – oder nicht.

Um vor dieser einfachen Wahrheit zu fliehen, erfand der frühere Ministerpräsident Yitzhak Shamir (Likud) was seine Kollegen bei der Madrider Konferenz 1991 als „Teelöffel“-Politik bezeichneten: endlose Verhandlungssitzungen, bei denen Berge von Zucker in Ozeane von Tee und Kaffee gerührt wurden – bei denen es aber niemals zu einem Abkommen kam. Netanyahu hat diese Methode perfektioniert, was ihm ermöglicht, unablässig Zucker in die Tassen der Unterhändler zu rühren, anstatt die Frage zu beantworten, was Israel will.

Aber die Zeit der Teelöffel ist vorbei. Der September 2011 steht bevor. US-Präsident Barack Obama, der auf den Flügeln der innenpolitischen Opposition gegenüber Rassismus zur Macht kam, hat gerade einen Sieg über Rassismus und Messianismus im Ausland errungen. Ob er nun ein persönlicher Fan des Zionismus ist oder nicht, jedenfalls haben Amerikas Interessen und internationale Entwicklungen ihn in die Lage versetzt dabei zu helfen, daß Israel sich vom Rassismus distanziert und seine Unabhängigkeit wieder herstellt.

Um dies zu tun, ist es nötig, das Hexengebräu von Frieden, Teelöffeln und Vieldeutigkeit zu beenden und Netanyahu zu Hause und im Ausland direkt mit dieser einfachen, scharf umrissenen Frage zu konfrontieren: Wollt Ihr einen demokratischen Staat, der sich auf die Grenzen von 1967 gründet oder nicht? Es gibt keine andere Frage. Aber die erforderliche Antwort ist keine leichte Sache. Es erfordert das Auflösen der Siedlungen außerhalb von Israels Grenzen, ein Platzen der rassistisch-messianischen Seifenblase, die im Begriff ist, Israels Bildungs- und Rechtssystem zu übernehmen, und Rabbiner wie Eliyahu vor Gericht zu bringen, anstatt sie mit Preisen auszuzeichnen.

Jetzt ist die Zeit, diese eine Frage zu beantworten, die eine, die vor 63 Jahren Israel gründete: was will Israel?

Quelle: http://www.haaretz.com, 04/05/2011. Übersetzt von Ellen Rohlfs und herausgegeben von Hergen Matussik, Übersetzernetzwerk Tlaxcala

2 Kommentare

  1. „Der Frieden hat die rechte Regierung Netanyahus am Leben erhalten…“ Teilweise richtig, andersherum aber genauso. Auch ich habe schon bei Bibis erster Amtszeit das schlimmste befürchtet, und bin positiv überrascht, daß es anders gekommen ist. Die bisherigen Regierungsjahre Netanyahus zählen zu den friedlicheren in der (neuzeitlichen) israelischen Geschichte, sehr erfreulich. Ein wesentlicher Faktor:
    Israel trifft vor Ort seine eigenen Entscheidungen, (die Menschen in Israel wissen selber was für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung und für sie am besten ist) und man hält sich nicht an die Weisungen aus den USA. Die katastrophalen Fehleinschätzungen und schwachen Leistungen der USA haben schon einmal Millionen Juden das Leben gekostet, deshalb: Israel triff deine eigenen Entscheidungen!

  2. Amr : zu früh für Gang zu UN

    „Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) hat sich mit ihrem Plan, einen eigenen Staat in den Grenzen von 1967 von den Vereinten Nationen anerkennen zu lassen, überschätzt, sagt Nabil Amr, ehemaliger Minister der PA und Mitglied des Zentralkomitees der PLO.“

    „Die palästinensische Führung gehe ein großes Risiko ein, sagte Amr und empfahl der PA, die Staatsgründung um ein weiteres Jahr zu verschieben. Amr ist der erste hohe Regierungsbeamte, der öffentlich Zweifel an dem unilateralen Schritt der PA äußert, obwohl angenommen wird, dass noch weitere Regierungsbeamte dem Plan kritisch gegenüberstehen.“

    „Ich werde persönlich der Führung dazu raten, den Gang zu den UN um ein weiteres Jahr zu verschieben, damit wir bessere Vorbereitungen treffen können, als es bisher geschehen ist“, sagte Amr gegenüber der in London sitzenden Zeitung Al-Quds Al-Arabi. Er fürchte, dass dieser Schritt die Beziehungen zu den USA und der EU beschädigen könnte, und dass die PA ein Risiko eingehe, wenn sie trotz der Opposition wichtiger Mitgliedsstaaten einen Antrag bei den UN stellte. Die PA schätze die Reaktionen dieser zentralen Mitgliedsstaaten falsch ein, so Amr.“

    „Die Amerikaner haben ihre Position immer deutlich gemacht, genau wie ihre Drohung, Sanktionen nicht nur gegen uns, sondern auch gegen die zu verhängen, die für unseren Staatsgründungsplan stimmen“, sagte Amr und fügte hinzu, dass er dies zwar für moralisch verwerflich halte, man aber den Schaden bedenken müsse, der dadurch angerichtet werden würde.“

    „Amr betonte, dass er nicht der einzige sei, der von der Führung der PA verlangt, dass diese den Eigenstaatlichkeitsantrag um ein Jahr verschiebt. Er konnte jedoch nicht ausschließen, dass die 116 Mitglieder des Zentralkomitees der PLO, das am 27. Juli zu dieser Frage eine Sitzung abhalten wird, trotz alldem für einen Gang zur UN stimmen werden.“

    „Ohnehin hat Chefunterhändler Nabil Sha’ath bereits erklärt, dass die PA fest entschlossen sei, ihren Plan umzusetzen. Die PA werde sich weder von palästinensischen Opponenten noch von den USA oder einigen EU-Mitgliedsstaaten von ihrem Weg abbringen lassen, so Sha‘at.“

    „Es ist uns Ernst mit dem Gang zu den UN, und wir werden angesichts des Scheiterns der Friedensverhandlungen (mit Israel) nicht davon absehen“, erklärte Sha’ath bei einem Treffen mit dem französischen Generalkonsul in Jerusalem. Sha’ath drängte die EU, den Eigenstaatlichkeitsantrag zu unterstützen „da die USA aufgrund interner Angelegenheiten derzeit nicht ausreichend Druck auf Israel ausüben.“

    „In Reaktion auf die Mitteilung Amrs sagte ein israelischer Regierungsbeamter, dass „jeder, der mit der Realität vertraut ist, versteht, dass der Gang zu den UN eine Sackgasse ist“ und dass „der einzige Weg zu Frieden und einer palästinensischen Eigenstaatlichkeit direkte israelisch-palästinensische Verhandlungen“ sind.“

    „Der Regierungsbeamte wies darauf hin, dass ähnliche Erklärungen auch von internationalen Regierungschefs abgegeben wurden, nachdem sie Gespräche mit palästinensischen Regierungsbeamten geführt haben.“

    „Gleichzeitig gehe jedoch in Israel niemand davon aus, dass die PA von ihrem Vorhaben ablassen werde, fügte er hinzu. „Da ist niemand optimistisch“, sagte er. Nichtsdestotrotz arbeiteten Israel und die USA intensiv daran, Möglichkeiten zu finden, wie man den Gang zu den UN unnötig machen könne, erklärte der Regierungsbeamte.“

    „Ministerpräsident Binyamin Netanyahu hat am Dienstag dem in Duabi sitzenden und im gesamten arabischen Raum ausgestrahlten Sender Al Arabiya ein halbstündiges Interview gegeben.“

    „In dem Interview erklärte Netanyahu, sein Ziel sei ein Friedensabkommen mit den Palästinensern, und er könne die israelische Öffentlichkeit davon zu überzeugen, diesem zuzustimmen.“

    „Er erklärte, die Palästinenser begingen einen Fehler, wenn sie sich Gesprächen weiter verweigerten. Zwei Jahre seien so bereits verschwendet worden, so der Ministerpräsident.“

    „Das Interview war Teil der Bemühungen von Netanyahu, einer breiten arabischen Öffentlichkeit direkt seine Botschaft zu übermitteln, erklärten Mitarbeiter seines Büros. Der Fernsehsender „Al Jazeera“ habe zwar mehr Zuschauer und sei einflussreicher, doch die Wahl sei auf „Al Arabiya“ gefallen, da dieser Sender „objektiver berichterstattet und weniger Hetze betreibt“, so einer der Mitarbeiter. “

    (Jerusalem Post, 20.07.11)

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