Reflexhaft: Israels Ablehnung des Fatah-Hamas-Abkommens

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Völlig überraschend einigten sich Fatah und Hamas am 27. April in Kairo darauf, ihren seit vier Jahren andauernden blutigen Konflikt zu beenden und eine aus Experten bestehende gemeinsame Regierung zu bilden. Deren Aufgabe solle darin bestehen, so Mahmud Abbas, den Gazastreifen wieder aufzubauen und innerhalb eines Jahres gemeinsame Wahlen vorzubereiten…

Perspektiven der FES Israel, Ralf Hexel, Mai 2011
Dr. Ralf Hexel leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Herzliya, Israel.

Für den Verhandlungsprozess mit Israel, so Abbas weiter, werde die neue Regierung nicht zuständig sein, sondern er selbst und die PLO. Er werde es nicht zulassen, dass es zur Anwendung von Gewalt komme. Parallel dazu erklärte Mahmud Zahar, Führer der Hamas in Gaza, dass die Hamas weiterhin nicht bereit sei, Israel anzuerkennen oder auf die Anwendung militärischer Mittel zu verzichten.

Es ist völlig offen, ob und wie lange dieses Abkommen halten wird. Unklar ist auch, wie das Zusammenwirken zwischen der neuen Einheitsregierung, der PLO bzw. der Fatah und der Hamas aussehen wird. Aber es weist den Weg in Richtung eines politischen Prozesses, der neue Perspektiven für den Stillstand im Friedensprozess eröffnet und alle beteiligten Akteure, besonders jedoch Israel, mit einer ganz neuen Situation konfrontiert. Mit diesem Abkommen setzt Abbas seine politische Offensive fort und erhält jene politische Legitimität, die ihm seit dem formalen Ende seiner Präsidentschaft im Januar 2010 fehlt. Nun kann er im September als der legitime Vertreter aller Palästinenser in der Westbank und Gaza vor der UN auftreten und dort die Anerkennung eines palästinensischen Staates fordern.

Die israelische Regierung wurde von der Ankündigung des Fatah-Hamas Abkommens überrascht. Trotzdem brauchte Pemier Netanyahu nur zwei Stunden, um das von Ägypten vermittelte Abkommen abzulehnen. „Es kann nicht zugleich Frieden mit der Hamas und mit Israel geben“ war seine Botschaft an die palästinensische Seite, besonders jedoch an Mahmud Abbas. Dabei scheint es keine Rolle zu spielen, dass diese Aussage in völligem Widerspruch zu dem von Netanyahu bisher stets vorgetragenen Argument steht, dass die Spaltung zwischen Fatah und Hamas und das Fehlen eines Gesprächspartners, der für alle Palästinenser spricht, eines der zentralen Hindernisse für Fortschritte im Friedensprozess sei.

Das siebenköpfige israelische Sicherheitskabinett fasste umgehend den Beschluss, dass Israel mit der neuen palästinensischen Einheitsregierung keine Friedensgespräche führen werde, denn Teil dieser Regierung sei Hamas, eine terroristische Organisation, die Israel zerstören wolle. Erst wenn die Hamas die drei Kriterien des Nahost-Quartetts – Gewaltverzicht, Anerkennung Israels und Akzeptanz der bestehenden Abkommen – annehme, könne es Gespräche zwischen beiden Seiten geben. Finanzminister Steinitz gab bekannt, dass Israel palästinensische Steuereinnahmen, die ca. 2/3 des Budgets der PA ausmachen, vorerst nicht an die palästinensische Seite weiterleiten werde. Außenminister Lieberman, der über eine kontinuierlich steigende öffentliche Unterstützung verfügt, bezeichnete das Abkommen als ersten Schritt eines Prozesses, an dessen Ende die Hamas die Macht in der PA und damit auch in der Westbank übernehmen werde, womit er ganz gezielt auf die in Israel weit verbreiteten Ängste anspielt, dass das Land zukünftig nicht nur vom Gazastreifen sondern auch von der Westbank aus mit Raketen und Granaten beschossen wird. Die Reaktion der Hamas-Führung auf den Tod Osama Bin Ladens, der als „heiliger arabischer Krieger“ bezeichnet wurde, wird viele Israelis in ihrer Haltung gegenüber der Hamas bestätigen.

Während Regierungsvertreter und die politische Rechte das Abkommen vehement ablehnen, sagte der frühere Verteidigungsminister Shaul Mofaz (Kadima), dass Israel mit jeder palästinensischen Regierung sprechen müsse, die sich zu den Kriterien des Quartetts bekenne, selbst, wenn ihr die Hamas angehöre. Eindeutig positive Stimmen zum Abkommen gab es nur vereinzelt. Der frühere Meretz-Vorsitzende Yossi Beilin sieht in der Einigung eine Stärkung der Legitimität von Mahmud Abbas und eine neue Chance, den Friedensprozess wieder in Gang zu bringen. Shlomo Ben-Ami, unter Yitzchak Rabin israelischer Außenminister, sagte, das Abkommen sei für jeden, der wirklich Frieden wolle, eine gute Nachricht, und für jeden Friedensgegner eine exzellente Ausrede.

In Netanyahus reflexhafter Ablehnung des Abkommens artikuliert sich ein ständig wieder kehrendes politisches Handlungsmuster. In der gleichen Weise warnte er angesichts des sich abzeichnenden Sturzes des Mubarak-Regimes davor, dass Ägypten nun auf dem Weg sei, ein zweiter Iran zu werden. Die darin enthaltene politische Strategie besteht offenbar darin, jede Art neuer Entwicklungen auf der arabischen bzw. palästinensischen Seite sofort als Bedrohung Israels zu klassifizieren, um diese dann als Vorwand für die eigene politische Inaktivität zu benutzen. Seit seinem Regierungsantritt im Frühjahr 2009 regiert Netanyahu auf diese Weise. Die Bewahrung des Status-Quo ist das Merkmal seiner Politik gegenüber den Palästinensern, die im Kern in der Fortführung der Siedlungs- und Besatzungspolitik und der Ablehnung einer Teilung Jerusalems besteht. Denn Netanyahu weiß, dass jeder substanzielle Schritt im Friedensprozess sofort zum Auseinanderbrechen seiner rechten Regierungskoalition führen kann. Diese Politik des reinen Machterhalts erinnert fatal an die Jahre des Stillstands und der Stagnation während der Shamir-Regierung in den 80er Jahren.

Netanyahu wird demnächst zu politischen Gesprächen nach Europa und nach Washington reisen. Bisher bestand das Hauptziel dieser Reisen darin zu verhindern, dass Israels westliche Partner die Anerkennung eines palästinensischen Staates durch die UN unterstützen. Jetzt ist ein weiterer Punkt auf die Agenda gekommen: Netanyahu wird seine Gesprächspartner auffordern, sich an Israels Seite zu stellen und die neue palästinensische Einheitsregierung weder anzuerkennen noch mit ihr zusammen zu arbeiten – also eine Fortsetzung jener Boykottpolitik, die sich inzwischen als Sackgasse erwiesen hat.

Die derzeitige israelische Regierung ist offenbar nicht in der Lage, die sich in der Region und nun auch im Verhältnis zwischen Fatah und Hamas vollziehenden tiefgreifenden Veränderungen als Chance zu sehen, mit eigenen politischen Initiativen im Nahostkonflikt Einfluss auf die Entwicklungen zu nehmen. Während sich die Region in einem dramatischen Wandel befindet, hält die israelische Regierung an alten Politikkonzepten fest.

Das früher oft zitierte Diktum, dass die Palästinenser keine Gelegenheit verpassten, eine politische Gelegenheit zu verpassen, hat sich in sein Gegenteil verkehrt und ist inzwischen zu einem Qualitätsmerkmal israelischer Politik geworden. Auch die m~äÉëíáåÉ=m~éÉêë= haben gezeigt, dass selbst weit reichende politische Angebote der anderen Seite umgehend als unzureichend abgelehnt werden, ohne dass ernsthafte eigene politische Vorschläge gemacht werden. Israel isoliert sich mit dieser Politik international nicht nur zunehmend sondern vergibt auch jede Chance, die eigenen Interessen aktiv in den sich neu formierenden Nahen Osten einzubringen.

Natürlich beinhaltet der Beginn eines Verhandlungsprozesses mit einer neu formierten palästinensischen Führung eine Reihe von Unwägbarkeiten und Risiken.

Es ist überhaupt nicht ausgemacht, dass die weiterhin bestehenden Differenzen zwischen Hamas und Fatah nicht wieder offen ausbrechen. Aber die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass es keine echte Alternative zu einer politischen Einbindung der Hamas in den Friedensprozess gibt. Sie haben die Macht im Gazastreifen und repräsentiert die 1,5 Millionen dort lebenden Palästinenser. Ohne sie gibt es weder Frieden mit Israel noch die Zwei-Staaten-Lösung, die vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung und der damit verbundenen Perspektive eines binationalen Staates so sehr im Interesse Israels liegt. Mit dem Versuch, die Hamas durch die Blockade des Gazastreifens zu schwächen bzw. sie international zu isolieren, ist Israel gescheitert. Die Einigung zwischen Hamas und Fatah könnte nun tatsächlich die Chance eröffnen, die Hamas in einen politischen Prozess zu integrieren und mit Unterstützung der USA und Europas schließlich zu einem Ausgleich zu kommen.

Friedrich-Ebert-Stiftung | Referat Naher/Mittlerer Osten und Nordafrika (MONA). Die hier zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung.
www.fes.de/international/nahost

3 Kommentare

  1. Der Herr F. wird bald Israel verlassen, aber die Israelis müssen mit ihren Nachbarn leben. Und mit der islamistischen Terrortruppe Hamas kann man kein Abkommen schliessen. Im übrigen werden ja die mit Hamas kooperierende Vereinigungen vom deutschen Verfassungsschutz beobachtet.
     

  2. Berliner Initiative: „Bundesregierung soll Israel eindeutig unterstützen!“
    „Persönlichkeiten aus dem Berliner politischen Leben und Vorsitzende israel-solidarischer Organisatioen haben die „Berliner Initiative“ ins Leben gerufen, um eine klare Stellungnahme zur erwarteten Flottille zu geben:

    In dem Aufruf heißt es: „Auch wenn die 2. „Gaza Flottille“ noch nicht unterwegs ist – Sie ist eine vorsätzliche Provokation Israels.

    „Die Deutsche Initiative zum Bruch der Gazablockade unter der Schirmherrschaft von Prof. Dr. Udo Steinbach, gibt hiermit in Zusammenarbeit mit allen Multiplikatoren der Freedom Flottille II bekannt, dass der Zeitraum für den Start der Freedom Flottille II beschlossen wurde. Diese wird somit aller Voraussicht nach in der dritten Juniwoche 2011 in See stechen, um die Blockade des Gazastreifens zu brechen.”

    So heißt es in einer Pressemitteilung der deutschen „Friedensaktivisten“ vom 30.5.2011. Sie ist erstaunlich ehrlich:

    „Es ist nicht von einer „Hilfsflottille“ die Rede, sondern von einer „Initiative zum Bruch der Gazablockade“. Schirmherr der „Deutschen Initiative“ ist Prof. Udo Steinbach, der ungeachtet der neun getöteten Aktivisten bei der ersten „Gaza Flottille“ zu strafbaren Handlungen aufruft. Die Gefahr von Toten und Schwerverletzten nimmt dieser Schirmherr offensichtlich billigend in Kauf.“

    Wir stellen fest:

    1.    Wer für Menschenrechte eintritt, fordert die unverzügliche Freilassung von Gilad Shalit

    2.    Israel hat das „Recht zur Selbstverteidigung“. Die Blockade ist erforderlich, um Waffentransporte vom Meer aus an Terroristen zu unterbinden. Es ist unwahr, dass die Blockade negativen Einfluss auf die Wirtschaft Gazas hat. Es gelangen täglich die lebensnotwendigen Waren auf dem Landweg über Israel oder Ägypten nach Gaza. Die Blockade ist nach internationalem Recht legitim und Israel hat sogar die Pflicht, Blockadebrecher zu stoppen, sonst wird die Blockade unwirksam.

    3.    Schon die Gaza Flottille 2010 war kein Versuch, humanitär zu helfen, sondern eine bewusst inszenierte Provokation israelfeindlicher Extremisten. Selbst die Mitinitiatorin Frau Arraf widerlegt bewusst oder unbewusst die Rhetorik der Macher. Dass Israel inzwischen weit mehr Lieferungen nach Gaza zulasse als damals (2010), sei gleichgültig, sagt sie – denn: „Unsere Mission ist nicht humanitär. Die Palästinenser wollen keine humanitäre Hilfe. Sie wollen die komplette Befreiung.“

    4.    Die deutsche Politik und die deutsche Gesellschaft müssen jetzt entschieden und geschlossen an der Seite Israels stehen. Der britische Minister für den Nahen Osten, Alistair Burt, bezeichnete die Gaza-Flottille als „Provokation Israels“ und „unklug“. Das US-Außenministerium verurteilte die Aktion als „unverantwortlich und provokativ”. Die Einzigartigkeit der deutsch-israelischen Beziehungen verlangt, daß sich die Bundesregierung mindesten ebenso eindeutig an die Seite Israels stellt. Es reicht nicht aus, „nachdrücklich“ zu empfehlen, sich nicht an der Gaza-Flottille zu beteiligen.“

    Zu den Erstunterzeichnern gehören:

    – Jochen Feilcke, Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Arbeitsgemeinschaft Berlin und Potsdam
     
    – Michael Joachim, Vorsitzender der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin

    – Reinhold Robbe, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft

    – Lea Rosh, Vorsitzende des „Förderkreises zur Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas“

    – André Schmitz, Staatssekretär für Kultur des Landes Berlin

    – Lala Süsskind, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin

    – Michael Berger, Vorsitzender Bund jüdischer Soldaten

    Newsletter Israelische Botschaft Berlin

  3. Die wären die ersten die sich vor Angst in die Hosen machen würden und ihre Koffer sofort packen würden, wenn aus Richtung Tulkarem Raketen auf Herzliya abgeschossen werden würden.

    Naiv wie immer was von der SPD kommt und in dem Fall kann es Menschenleben kosten.
    Die Europäer müssen aufhören im Nahen Osten Europäisch zu denken.
    Der Nahen Osten hat seine eigenen Regeln und die Fragen nicht nach dem was die Europäer gerne hätten.

    Interessiert sich Assad oder Gaddafi für das was die europäer gerne wollen?
    Interessiert sich Hezbollah, Hamas oder Iran dafür ?

    Wohl kaum, also fangt an Nah Östlich zu denken dann besteht Hoffnung.

    Schabbat Schalom 

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