Holocaust und Trauma: Entstehung und Wirkung eines Paradigmas

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Der Zusammenhang von Trauma und Holocaust ist vielfältiger, als gemeinhin angenommen. So hatten in der Psychiatrie der Überlebenden früher kultur- und sozialsensible Perspektiven bedeutend mehr Gewicht als in den letzten Jahrzehnten, in denen das Holocaust-Trauma zu einer deterministisch vereinfachenden, oft formelhaft verallgemeinernden Kategorie des psychischen und transgenerationellen Opferseins mutierte…

Holocaust und Trauma: Kritische Perspektiven zur Entstehung und Wirkung eines Pardigmas

Ein neuer Band des „Tel Aviver Jahrbuchs für deutsche Geschichte“ rekonstruiert die Karriere des Begriffs »Holocaust-Trauma« aus wissenschafts- und sozialgeschichtlicher Perspektive. Die Beiträge dieses Tel Aviver Jahrbuchs erscheinen in deutscher Sprache, dabei veröffentlichen einige Autoren erstmals auf Deutsch.

Der Herausgeber, José Brunner, Dr. phil., geb. 1954, ist Senior Lecturer an der Buchmann Faculty of Law und dem Cohn Institute for the History and Philosophy of Science and Ideas der Universität Tel Aviv und Direktor des Minerva-Instituts für deutsche Geschichte. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zur Geschichte und Politik der Psychoanalyse und der politischen Theorie der Gegenwart.

Das Jahrbuch wendet sich an ein geschichts- und kulturwissenschaftlich interessiertes Publikum. Es vereint in deutscher und englischer Sprache zu Schwerpunktthemen Originalbeiträge von Forschern aus verschiedenen Ländern. Dabei wird Wert darauf gelegt, Arbeiten jüngerer Historiker Platz einzuräumen. Die Themenkreise umfassen Fragen der allgemeinen deutschen Geschichte, der Zeitgeschichte und der deutsch-jüdischen Geschichte. Zu den zentralen Aufgabenstellungen des 1971 gegründeten Minerva Instituts für deutsche Geschichte der Universität Tel Aviv gehören die Forschung und Lehre im Bereich von Geschichte und Kultur des deutschsprachigen Raumes und die Förderung des internationalen wissenschaftlichen Austauschs, insbesondere zwischen Israel und Deutschland.

Eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte des Holocaust-Traumas
ersch. b. Wallstein Verlag

Unter der Schockwirkung des Holocaust musste die damals herrschende psychiatrische Lehrmeinung zu Traumata, die der menschlichen Seele die Kraft zuschrieb, innerhalb eines nicht allzu langen Zeitraums alle traumatischen Erlebnisse verkraften zu können, einer neuen Auffassung weichen. Diese besagte, dass die totale Entrechtung im Rahmen der genozidalen Verfolgung wie auch die ständige Bedrohung der Vernichtung, die unmenschlichen Verhältnisse und die extreme Brutalität, der die Überlebenden der NS-Verfolgung über längere Zeit hilflos ausgesetzt waren, unheilbare Narben in ihren Seelen zurückgelassen hätten. Es wurde sogar von »Seelenmord« gesprochen, dessen Folgen sich auch auf die Kinder der Opfer übertragen könnten… weiter…

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Trauma und Geschichte

Im ersten Teil, »Trauma und Geschichte«, wird in fünf Aufsätzen untersucht, wie es in der Geschichte des Holocaust-Traumas zu theoretischen Umlagerungen kam, aus denen das heute dominante Paradigma entstand, und wie sich auch innerhalb dieses Paradigmas im Lauf der Zeit gewisse Kategorien erheblich wandelten.

Trauma als Traditionsträger

Im zweiten Teil, »Trauma als Traditionsträger«, nehmen drei Autoren ein kontroverses Thema unter die Lupe, dem in den letzten Jahrzehnten besonders viel Fachliteratur gewidmet wurde: die Frage nämlich, wie sich die Weitergabe der Traumata der Überlebenden an die nachgeborene(n) Generation(en) gestaltet und auswirkt, wie also Letztere, quasi als Träger einer Tradition, an den historischen Erfahrungen des Holocaust und deren seelischen Folgen teilhaben.

Trauma und Identität

In den drei Beiträgen des letzten Teils, »Trauma und Identität«, kommt die mangelnde Komplexität des heutigen Diskurses zum Holocaust-Trauma zur Sprache: Es mangele, so die Aussage, an einer systematischen Konzeptualisierung der Verbindung von Innenwelt und Außenwelt wie auch der Beziehung der verschiedenen Lebensweltebenen der Uberlebenden untereinander. Stattdessen werde allgemein anhand eines einfachen Modells, das unter anderem psychische Integration mit seelischer Gesundheit gleichsetze, therapeutisch gedacht und gearbeitet… weiter…

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