Extreme Rechte in der Offensive

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Der Front National punktet bei den französischen Bezirksparlamentswahlen; und liegt nur noch rund zwei Prozentpunkte hinter der konservativ-wirtschaftsliberalen Regierungspartei UMP. Letztere weigert sich, in Stichwahlen zwischen Sozialdemokratie und Rechtsdemokraten zu einer Wahlentscheidung aufzurufen. Unterdessen konnte die französische extreme Rechte in den letzten Wochen von ein paar neuen Tabubrüchen profitieren – und buhlt um Juden, um frühere Linke, um Gewerkschafter…

Von Bernard Schmid, Paris

Der erste Durchgang der französischen Bezirksparlamentswahlen vom Sonntag, den 20. März 11 bestätigt eindrücklich das aktuelle politische „Hoch“ für die extreme Rechte des Landes.

Die – aufgrund des Namens der zugrundeliegenden Wahlkreise – als „Kantonalwahlen“ bezeichneten Stimmgänge für die Bezirksparlamente in den insgesamt 100 französischen Départements sind ungefähr mit deutschen Kreistagswahlen zu vergleichen. Wichtige Unterschiede liegen jedoch darin, dass (erstens) die französischen Bezirksparlamente sehr viel bedeutendere politische Funktionen und Vollmachten haben als die deutschen Kreistage: Das Département ist, seit der Französischen Revolution – welche die historischen „Provinzen“, die an Feudalstrukturen geknüpft waren, zerschlug und die Verwaltungsbezirke an ihre Stelle setzte – fast zwei Jahrhunderte lang die einzige Verwaltungsebene zwischen Zentralstaat und Kommunen gewesen. Zwar existieren seit nunmehr über dreißig Jahren auch die insgesamt 22 „Regionen“, die im Aufbau oder in der Fläche sehr vergröbert mit den deutschen Bundesländern vergleichbar sind. Doch weisen die französischen Regionen, die z.Bsp. keinerlei Gesetzgebungsbefugnis besitzen, sehr viel geringere Vollmachten auf als die deutschen „Länder“; und der Verwaltungsbezirk bleibt ein wichtiges Glied in der Kette, die vom Zentralstaat bis zur Kommune reicht. Zum Zweiten finden die Bezirksparlamentswahlen in größeren Teilen Frankreichs am selben Tag statt, was ihrer Wahl zusätzliche politische Bedeutung verleiht.

Am 20. und 27. März werden insgesamt 2.026 Sitze in den französischen Bezirksparlamenten neu besetzt, d.h. insgesamt die Hälfte der Mandatsträger/innen wird neu gewählt. (Es handelt sich jeweils um eine Teil-Erneuerung, es wird oft nicht in allen „Kantonen“ eines Verwaltungsbezirks gleichzeitig gewählt.) Dabei handelt es sich ferner um die einzige stattfindende Wahl von Bedeutung im ganzen Jahr 2011, also um eine Art letzter „Generalprobe“ vor den Präsidentschafts- und kurz darauf folgenden Parlamentswahlen im Frühjahr 2012. Das „Superwahljahr“, das in nunmehr dreizehn Monaten anfängt, wirft also seine Schatten voraus.

Der rechtsextreme Front National tat natürlich Alles, um den „Marine-Effekt“ zu bestätigen, d.h. von dem gewaltigen Auftrieb zu profitieren, den seine neue Chefin und Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen derzeit in den Umfragen profitiert. In Befragungen, die zwischen dem 05. und dem 08. März dieses Jahres stattfanden, landete Marine Le Pen zwar respektive auf dem ersten und dem dritten Platz unter den „gewichtigen“ Präsidentschaftskandidat/inn/en für 2012 – doch ihr eigenes, prognostiziertes Ergebnis variierte dabei nicht sehr stark. Es schwankte dabei zwischen 21 und 24 Prozent der Stimmen. Was sich von Umfrag zu Umfrage verändert, waren die zu erwartenden Stimmenanteile ihrer Konkurrenten unter den Präsidentschaftsbewerber/inne/n, besonders auf der sozialdemokratischen Seite.

Rekordergebnis

Bei den Bezirksparlamentswahlen trat der FN in insgesamt 1.440 „Kantonen“ (von 2.026, in denen am vorigen Sonntag gewählt wurde) mit eigenen Kandidaten an. Nicht überall hatte er Bewerber/innen finden können. Dort, wo er antrat, erhielt der Front National dabei im Durchschnitt 19,18 % aller abgegebenen Schnitten. Dies ist, auf überregionaler Ebene, ein Rekordergebnis für ihn. Zwei Drittel seiner Wahlkreisergebnisse liegen über 15 Prozent.

Im nationalen Durchschnittsergebnis (bezogen auf alle 2.026 Kantone, wo am Sonntag gewählt wurde) schnitt der FN dabei – laut Berechnung der Pariser Abendzeitung ,Le Monde’ – mit 15,56 Prozent der Stimmen ab, und liegt damit nur noch zwei Prozentpunkte hinter der Regierungspartei UMP, denn die Partei von Nicolas Sarkozy – unter ihrem neuen Vorsitzenden Jean-François Copé – erhielt 17 Prozent. (Laut den Zählungen der allermeisten Medien und Presseorgane. Allerdings liegt die UMP in den Angaben von ,Le Monde’ bei 19,3 %. Diese Unterschiede erklären sich daraus, dass bei manchmal „unpolitisch“ auftretenden örtlichen Listen mitunter auf den ersten Blick fraglich ist, welchem Lager sie zuzurechnen sind.)

In die Spitzenposition unter den einzelnen Parteien kam die französische Sozialdemokratie mit insgesamt 25 Prozent; die aus der französischen KP und einer Abspaltung von der Sozialdemokratie gebildete „Linksfront“ kam auf rund 8 Prozent.

Allerdings spielt sich derzeit noch eine Polemik zwischen verschiedenen Oppositionsparteien – sowohl dem Parti Socialiste als auch dem Front National – einerseits und Innenminister Claude Guéant auf der anderen Seite statt. Dieser hatte das Ergebnis für die bürgerliche, konservativ-wirtschaftsliberale Rechte seinerseits offiziell mit über 30 Prozent beziffert. Dabei hatte er jedoch mächtig getrickst und diverse zwar bürgerliche, doch von der UMP unabhängige Listen wie die ,Divers droite’ (sehr ungefähr mit den bürgerlichen „Freien Wählerlisten“ in deutschen Kommunalwahlen vergleichbar) einfach mit in das Ergebnis für die Regierungspartei mit einbezogen.

Marine Le Pen und ihr Vater & Vorgänger im Parteivorsitz, Jean-Marie Le Pen, triumphierten am Sonntag Abend und sprachen von einem „historischen Ergebnis“. Tatsächlich hat die rechtsextreme Partei noch nie bei einer Listenwahl – bei Präsidentschaftswahlen profitiert sie von einem gewissen Personenbonus – derart hoch abgeschnitten wie derzeit. Und zieht man ihr Durchschnittsergebnis nur in jenen 1.440 Kantonen, wo Kandidaten des FN antraten (und nicht in allen 2.026 Wahlkreisen vom letzten Sonntag, die also auch jene ohne FN-Kandidatur umfassen) heran, dann erhielt sie am vorigen Sonntag ihr höchstes überregionales Ergebnis überhaupt in ihrer Geschichte.

Ferner gehören die Bezirksparlamentswahlen nicht zu den einfachsten für die rechtsextreme Partei, die sehr viel leichter bei Präsidentschaftswahlen (wo es hauptsächlich auf die Person des/r einzelnen Kandidaten/Kandidatin ankommt) absahnen kann. Denn aus diesem Anlass muss sie zahlreiche, oft relativ unbekannte örtliche Bewerber/innen auftreiben, die nicht dieselbe „Aura des Volkstribunen“ aufweisen wie etwa Le Pen (Vater oder Tochter). Ferner hat der FN oft mit der Tendenz zur schwachen Wahlbeteiligung zu kämpfen, denn seine Wählerschaft – die tendenziell „alle Politiker“ für irgendwie „korrupt“ hält, mit einer Ausnahme natürlich für die Le Pens – interessiert sich oft nicht sonderlich stark für die etablierte Parteipolitik.

In diesem Falle lag die Enthaltung frankreichweit (dort, wo am Sonntag gewählt wurde) bei 55,7 Prozent und damit sehr viel höher als bei den vorausgegangenen „Kantonalwahlen“ – diese fanden in denselben Bezirken wie jetzt im Jahr 2004 statt. Damals betrug die Stimmenthaltung noch 36,09 % und 33,51 % im zweiten Durchgang. Anscheinend konnte der FN, dessen Stimmenanteile an den meisten Orten stark im Steigen begriffen sind, aber dieses Mal von der Wahlenthaltung profitieren: Seine Wählerschaft ist im Augenblick stärker motiviert als die der anderen Parteien, wohl durch die Aussicht beflügelt, „es denen mal richtig zu zeigen“.

Vielerorts zieht die extreme Rechte nun in die Stichwahlen ein. Dafür sind (nach der jüngsten Wahlrechtsänderung) nunmehr 12,5 % der Stimmen der in die Wählerlisten eingetragenen Stimmberechtigten erforderlich – zuvor, ohne die letzte Änderung am Wahlrecht, waren es noch 12,5 % der abgegebenen Stimmen. Das derart erfolgte „Anheben der Hürde“ sollte, aus Sicht der regierenden Konservativen, dem FN den Einzug in die Stichwahl erschweren. Diese Taktik, durch Wahlrechtsmanipulation, ging nicht auf. Zwar lag die Hürde für die rechtsextreme Partei doch ziemlich hoch: Bei einer durchschnittlichen Stimmenthaltung von über der Hälfte der Wahlberechtigten musste ein/e Kandidat/in deswegen im Schnitt über 25 Prozent der abgegebenen Stimmen einfahren, um in die zweite Runde zu kommen.

Vielerorts ist dies dem FN jedoch gelungen. So konnte die rechtsextreme Partei in – je nach Zählung – 402 Kantonen (laut Pariser Abendzeitung ,Le Monde’) respektive 399 Kantonen (laut Wochenmagazin ,Nouvel Observateur’) in die Stichwahl einziehen. Allein in 394 davon befinden rechtsextreme Kandidaten sich nun in einer „Duell“situation, d.h. es treten überhaupt nur noch zwei Bewerber in der Stichwahl gegeneinander an. Dabei steht er in 206 Fällen der französischen Sozialdemokratie gegenüber. Und ferner gelangte der FN in 39 respektive (laut ,Le Monde’) 40 Kantonen im ersten Wahlgang in eine Führungsposition, d.h. sein/e Bewerber/in schnitt unter allen am höchsten ab.

Eine wichtige politische Frage wird nun lauten, wie sich der konservativ-wirtschaftsliberale Bürgerblock bis zum kommenden Sonntag dort positionieren wird, wo FN- und sozialdemokratische Kandidat/inn/en einander gegenüberstehen. Der Parteivorsitzende der UMP, Jean-François Copé, erklärte am Sonntag Abend, seinen Wähler „die Freiheit (der Entscheidung) zu überlassen“. Er erklärte, für die UMP komme dabei „weder eine Allianz mit dem FN noch eine ,republikanische Front’“ in Betracht, d.h. weder ein Stimmaufruf zugunsten rechtsextremer Kandidaten noch ein Bündnis mit den übrigen pro-demokratischen Parteien – und konkret vor allem ein Aufruf dazu, für die sozialdemokratischen Bewerber/innen zu stimmen -, um dem FN den Weg zu versperren.

Diese Positionierung rief schon seit Sonntag Abend und am Montag früh teilweise heftige Kritik hervor, zumal die konservativ-wirtschaftsliberale Rechte dadurch offenkundig keinen qualitativen Unterschied zwischen Sozialdemokratie und Neofaschisten aufzumachen bereit ist. Am Montag Nachmittag bekräftigte Staatspräsident Nicolas Sarkozy die Linie seines Nachfolgers im Parteivorsitz der UMP, Copé. Doch am Abend widersprach der (in seinen Regierungsfunktionen ihm untergebene) Premierminister François Fillon dann Sarkozy wie auch Copé: Er rief für den Fall von Stichwahlen zwischen Sozialdemokratie und FN hörbar zur Wahl der „linken“ Listen auf. Sozialdemokratische Spitzenpolitiker wie ihr früherer Parteivorsitzender François Hollande erklärten ihrerseits, dort, wo UMP- und FN-Kandidaten einander gegenüber stünden, ohne zu zögern zur Wahl der bürgerlichen Rechten aufzurufen. Ähnlich äußerte sich u.a. auch Benoît Hamon, Sprecher der Parteilinken.

Im bürgerlichen Lager kritisierte das Mitte-Rechts-Spektrum teilweise deutlich die Mehrheitsposition der UMP. So rief der „Zentrumspolitiker“ (und frühere Umweltminister) Jean-Louis Borloo dazu auf, gegen den FN „einen Damm zu bilden“. Die amtierende Hochschulministerin Valérie Pécresse – die selbst der UMP angehört – erklärte in ihrem eigenen Namen, sie persönlich würde im zweiten Wahlgang „für einen Kandidaten der Linken“ stimmen, falls sein Gegenüber dem FN angehöre. (Bei einer örtlichen Wahl in Hénin-Beaumont, der Hochburg von Marine Le Pen im Nord-Pas de Calais, hatte sie vor rund zwei Jahren noch eine gegenläufige Position bezogen.) Im Namen des Bürgerblocks um die UMP erklärte Regierungssprecher François Baroin am Montag früh, die Position seiner Partei bedeute nicht, dass man qualitativ gar keinen Unterschied zwischen Sozialdemokratie und Front National sehe. Aber „der FN ist keine durch die Republik verbotene Partei, (sonder) ein politischer Gegner“. Deshalb müsse man ihn „demokratisch, mit politischen Mitteln“ bekämpfen, ohne sich jedoch mit anderen Kräften „zusammenzuschließen, zu fusionieren“. Die Grünen-Spitzenpolitikerin Cécile Duflot ihrerseits warf am Montag der UMP vor, in einer „totalen Konfusion gegenüber dem FN“ zu stecken.

Ihrerseits rief Marine Le Pen am späten Sonntag Abend dazu auf, sich in einer Stichwahl zwischen Sozialdemokratie und Bürgerlichen der UMP der Stimme zu enthalten. Beide führten „dieselbe globalistische Politik“ und teilten sich „seit 30 Jahren die Macht“, die „Wahl zwischen diesen beiden“ sei jene „zwischen Pest und Syphilis“. Im gleichen Atemzug beglückwünschte sie im Radiosender ‚Europe 1’ den UMP-Parteivorsitzenden Jean-François Copé dazu, seine „weise Entscheidung“ getroffen zu haben, nicht zur Wahl der Sozialdemokratie gegen jene des FN in den Stichwahlen aufzurufen. Seine Wählerschaft „hätte einen solchen Aufruf ohnehin nicht befolgt“, mokierte sie sich, und bezeichnete Copés Position ferner als „ziemlich demokratisch (korrekt)“.

Tabubrüche

In den letzten Wochen konnte die extreme Rechte in Frankreich unterdessen neue „Tabubrüche“ zu ihren Gunsten verzeichnen, neue Grenzüberschreitungen, die noch unter ihrem alten Vorsitzenden Jean-Marie Le Pen in dieser Form kaum denkbar gewesen wäre.

Am vorletzten Sonntag (13. März) sollte Marine Le Pen nunmehr erstmals beim jüdischen Radiosender ,Radio J’ im Studio zu Gast sein. Eine solche Einladung war ihrem Vater, Jean-Marie Le Pen, bisher stets verweigert worden. Manch kundige Beobachter sprachen deswegen sogar von einem „Tabubruch“. ((Vgl. http://droites-extremes.blog.lemonde.fr/2011/03/07/marine-le-pen-sur-radio-j-un-tabou-est-il-tombe/ und http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2011/03/08/97001-20110308FILWWW00605-marine-le-pen-invitee-sur-radio-j.php )) Doch dann kam die Kehrtwende: Am Mittwoch, den 09. März wurde Marine Le Pen dort wieder ausgeladen, nachdem nicht wenige französische Juden sich empört gezeigt hatten. ((Vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2011/03/09/97001-20110309FILWWW00561-radio-j-annule-l-interview-de-le-pen.php und http://www.lepoint.fr/societe/sous-la-colere-des-juifs-de-france-radio-j-renonce-a-inviter-marine-le-pen-09-03-2011-1304437_23.php sowie http://www.lemonde.fr/politique/article/2011/03/09/critiquee-radio-j-annule-l-interview-de-marine-le-pen_1490761_823448.html))

Zuvor hatte ihre Partei angekündigt, gegen zwei jüdische Organisationen – den Verband jüdischer Studierender in Frankreich (UEJF) sowie das Büro für Wachsamkeit gegenüber Antisemitismus (BNCVA), welche die Einladung an die rechtsextreme Politikerin kritisiert hatte – Strafanzeige zu erstatten. ((Vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2011/03/09/97001-20110309FILWWW00551-le-pen-sur-radio-j-plaintes-du-fn.php)) Ihnen sei „Verleumdung“ vorzuwerfen, da sie am demokratischen Charakter des FN respektive seiner Bekehrung zu „republikanischen Werten“ öffentlich Zweifel angemeldet hätten. Die Ankündigung der Strafanzeige dürfte zu der Ausladung erheblich beigetragen haben. Auch der französische Zentralrat der jüdische Einrichtungen CRIF, dessen Führung seit gut zehn Jahren deutlich rechts (im konservativen Bereich) und auf einer strikten Pro-israelische-Regierungs-Linie angesiedelt ist, hatte die Einladung kritisiert.

Der für das „Forum“ von Radio J verantwortliche Redakteur Frédéric Haziza rechtfertigte die Annullierung der Einladung mit den Worten, es sei unter den gegebenen Umständen nicht möglich gewesen, das Interview unter guten Bedingungen durchzuführen“. Dennoch erklärte Haziza am Vormittag des 10. März sein „Bedauern“ über die erfolgte Ausladung. ((Vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2011/03/10/97001-20110310FILWWW00442-le-pen-regrets-du-journaliste-de-radio-j.php ))

Unterdessen wird auf einer pro-israelischen Webseite gleichwohl über eine mögliche Israel-Reise der Politikerin Marine Le Pen in naher Zukunft spekuliert. ((Vgl. http://lessakele.over-blog.fr/article-marine-le-pen-c-est-encore-loin-jerusalem-68921858.html)) Bereits im Dezember 2005 hatte Marine Le Pen nach Israel zu reisen versucht, war damals jedoch (infolge von nur kurz zurückliegenden Auslassungen ihres Vaters und damaligen Parteivorsitzenden, Jean-Marie Le Pen) als unerwünschte Person behandelt worden: Es war ihr klargemacht worden, dass sie nicht von Prominenten empfangen würde, sondern alle Politiker ihr dies verweigern würden. ((Vgl. https://www.hagalil.com/2005/12/le-pen.htm)) Der Front National reagierte im Übrigen auf die Ausladung von Marine Le Pen bei dem jüdischen Radiosender, indem er am Donnerstag, den 10. März 11 seinerseits bekannt gab, einen „Nationalen Zirkel der französische Juden“ als Satellitenstruktur der Partei (wieder) zu gründen. ((Vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2011/03/10/97001-20110310FILWWW00535-le-fn-recree-le-cercle-national-des-juifs.php))

Eine Struktur unter diesem Namen hat früher bereits einmal existiert, seit 1986 und in den neunziger Jahren existiert, unter Anleitung des damaligen FN-Politikers Robert Hemmerdinger. Letzterer ist im Jahr 2004 verstorben. Hemmerdinger, Jahrgang 1918, war ein französischer (elsässischer) Jude, der zunächst Gaullist und gegen Nazideutschland kämpfender Militär im Zweiten Weltkrieg war, dann aber – wie so manche frühere Nazigegner aus den Jahren 1940-44 – während der Kolonialkriege und vor allem in der politischen Konstellation des Algerienkriegs auf die extreme Rechte überschwenkte. 1985 war er der Partei Jean-Marie Le Pens beigetreten, und hatte dies damals u.a. mit den Worten begründet: „Der Feind meines Feindes ist mein Feind! Und meine Feinde, das sind die Palästinenser“; Jean-Marie Le Pen, führte er damals im Wochenmagazin L’événement du jeudi aus, sei „der einzige Politiker, der die Schlieβung des Büros der PLO in Paris fordert.“ Nach dem Ableben Hemmerdingers, der zeitweilig (1992/98) auch im Regionalparlament des Pariser Raums gesessen hatte, war es um seine Struktur völlig still geworden. Jetzt aber möchte der FN, aus (u.a. auβen)politischen Gründen und um sich vom Vorwurf des Antisemitismus freizuschwimmen, den „Zirkel“ wiederbeleben. Angeblich soll er zu Hochzeiten 1.000 Mitglieder gehabt haben, doch parteieigene Angaben und Zahlen sind beim FN immer mit hoher Vorsicht zu genieβen.

Die jüdische Gemeinde in Frankreich ist zum Teil gespalten. Einerseits gibt es zwar nicht wenig Protest aus ihren Reihen gegen die jüngste Charmeoffensive der rechten Politikerin, und Viele erinnern sich auch an die noch nicht gar zu lange zurückliegenden antisemitischen Tiraden ihres Vaters Jean-Marie Le Pen. Im Jahr 1988 gab er etwa das berüchtigte Wortspiel Durafour-crématoire von sich: Durafour war der Namen eines jüdischstämmigen sozialliberalen Minister, und four-crématoire bedeutet auf Französisch „Verbrennungsofen“.- Von ihnen hat Marine Le Pen sich insofern nie distanziert, als sie bei der Übernahme des Parteivorsitzes – am 16. Januar 11 – deutlich unterstrich, sie stehe zu „dem gesamten Erbe des FN“ und verteidige es. Auch wenn sie andererseits sich selbst nie auf das Terrain des Antisemitismus vorgewagt hat, und sich vom Abspulen historischer Repertoires (offener Antisemitismus, Verklärung des geschichtlichen Faschismus oder Nazismus) strategisch überhaupt nichts verspricht, sondern vielmehr auf eine philosemitische Karte setzt. Ähnlich wie viele deutsche Alt-Nazis in der Nachkriegszeit, die das Anknüpfen von politischen Beziehungen zum Staat Israel als Beleg dafür benutzten, dass sie einen Persilschein verdienten, weil man nun kein Problem mit den Juden mehr habe. Hauptsache, man kann ANSONSTEN in Ruhe Rassist bleiben…

Andererseits, und trotz massiven jüdischen Protests, gibt es auch in der jüdischen Bevölkerungsgruppe einige Anschlussmöglichkeiten für Marine Le Pen. So forderte der berüchtigte Rechtszionist und Anwalt Gilles-William Goldnadel, der u.a. in Frankreich als Strafverteidiger die rassistische Brandschrift „Die Wut und der Stolz“ von Oriana Fallaci im Jahr 2002 – gegen Klagen wegen Volksverhetzung – verteidigte, schon zu Anfang des vorigen Jahrzehnts eine gewisse Milde im Umgang mit „der nationalen Rechten“ (wie er sich ausdrückte). Seit einem verstärkten Rechtsruck in der Leitung des jüdischen Zentralrats CRIF vor nunmehr zwei Jahren gehört Goldnadel auch dessen Vorstand an, wo er eine Rechtsauβenposition einnimmt. Er beklagte die Ausladung von Marine Le Pen mit den Worten, es handele sich um „eine Zügelung des Denkens“ (also eine Gedankenpolizei), um den Ausdruck eines „Mangels an Meinungsäuβerungsfreiheit“ und um eine „Verleugnung der Demokratie“. ((Vgl. http://www.lepoint.fr/politique/marine-le-pen-divise-la-communaute-juive-10-03-2011-1304992_20.php)) Der Anwalt wies auf das Interview von Marine Le Pen mit dem konservativen Wochenmagazin Le Point vom 03. Februar 11 hin, in welchem sie – pflichtschuldig – die Shoah als „Gipfel der Barbarei“ bezeichnete. Insgesamt, präzisierte Goldnadel, sei ihm der FN jedoch noch „zu pro-palästinensisch“ (sic); was zwar ein riesiger Unfug ist, aber seiner Position einen doch irgendwie „kritisch“ erscheinenden Sinn verleihen soll.

Am Abend des 14. März fand jedoch eine größere Veranstaltung unter dem Motto „Keine jüdische Stimme für den Front National!“ statt, die durch die jüdische Studierenden-Union UEJF und den Dachverband CRIF gemeinsam organisiert worden war. An ihr nahmen rund 200 Personen in einem Saal des Rathauses des dritten Pariser Bezirks teil. Redner sowohl aus den Reihen der UEJF – unter ihnen ihre Vorsitzende Arielle Schwab – als auch des Dachverbands CRIF, darunter Vorsitzender Richard Prasquier (aber ohne den innerverbandlichen Rechtsaußen Gilles-William Goldnadel), kritisierten die rechtsextreme Partei in deutlichen Worten. Dabei gingen sie sowohl auf den historisch verankerten Antisemitismus des FN als auch auf die Aspekte von dessen Rassismus und Islamophobie ein. ((Vgl. auch http://www.la-croix.com/afp.static/pages/110314202453.ppnhd72g.htm und den Aufruf dazu: http://www.uejf.org/non-classe/«-pas-une-voix-juive-pour-le-fn-»-appel-au-rassemblement-contre-la-strategie-de-seduction-des-juifs-de-france-de-rehabilitation-du-front-national-operee-par-marine-le-pen-927))

Marine Le Pen auf Frontbesuch an der Südfront der Festung Europa

Unterdessen konzentrierte die extreme Rechte sich auf eine Kampagne gegen die angeblich drohende „Überschwemmung“ Frankreichs & Europas mit Einwanderer, besonders aus Nordafrika.

Um die Gefahren der behaupteten bedrohlichen „Invasion“ zu unterstreichen, hielt Marine Le Pen sich am Montag, den 14. März in Italien auf: Zunächst traf sie zu einem Besuch in Rom ein. Am Nachmittag desselben Tages ging es dann aber von dort aus auf die Insel Lampedusa weiter. Also dorthin, wo die Boote aus Nordafrika ankommen. ((Vgl. http://www.lepoint.fr/politique/marine-le-pen-fn-sur-l-ile-de-lampedusa-en-italie-lundi-08-03-2011-1304057_20.php )) Sogar die italienische Regierung, eine Rechts-Rechts-Koalition, hatte zuvor verbal ihre Besorgnis über dieses Besuchsvorhaben ausgedrückt. Innenminister Roberto Maroni, der selbst der rassistischen Regionalpartei Lega Nord angehört – die man zwar als rechtsradikal einstufen kann, die aber einen stärker „salonfähigen“ Ruf hat (und nicht verlieren möchte) als bislang der französischen FN – erklärte, man werde „darüber wachen“, dass „dieser Beruf nicht zu Propagandazwecken ausgenutzt wird“. ((Vgl. http://www.lemonde.fr/europe/article/2011/03/08/rome-inquiet-de-la-visite-de-marine-le-pen-a-lampedusa_1490329_3214.html oder http://www.lefigaro.fr/politique/2011/03/07/01002-20110307ARTFIG00650-marine-le-pen-s-invite-a-rome-et-songe-a-lampedusa.php)) Allerdings wurde dies zusätzlich dadurch pikant, dass Marine Le Pen durch einem Europarlamentarier eben jener Lega Nord begleitet worden ist. ((Vgl. http://droites-extremes.blog.lemonde.fr/2011/03/11/marine-le-pen-ira-a-lampedusa-avec-mario-borghezio-de-la-ligue-du-nord ))

Es handelt sich um Mario Borghezio, einen der gefährlichsten rassistischen Fanatiker und Moslemhasser in den Reihen dieser Rassisten- und Regionalpartei. Borghezio ist in Italien gerichtlich verurteilt worden, weil er in Turin eigenhändig ein Flüchtlingszelt angezündet hatte. ((Vgl. ausführlicher http://www.trend.infopartisan.net/trd0609/t100609.html))  Am 20. September 2008 hatte er in Köln am, aufgrund des Dilettantismus der Veranstalter total gescheiterten und noch dazu mit massiven Gegenprotesten konfrontierten, Anti-Islam-Kongress der so genannten „Bürgerbewegung Pro Köln/Pro NRW“ unter freiem Himmel teilgenommen. ((Vgl. http://www.labournet.de/diskussion/rechten/allg/koeln_schmid.html )) Auch sonst trifft man ihn in Europe des Öfteren dort an, wo Nazipack unter sich weilt. ((Vgl. http://www.labournet.de/internationales/fr/rechtsextreme_11112010.html ))

Marine Le Pen ließ sich durch Kritik jedenfalls nicht abhalten, sondern hielt eisern an ihrem Besuchsprojekt fest – natürlich just in der Absicht, die Situation auf der Insel propagandistisch auszuschlachten. Erklärte Absicht der FN-Politikerin war es, lautstark die Schengen-Abkommen zu kritisieren, aufgrund derer seit den neunziger Jahren sukzessive die Grenzkontrollen innerhalb der EU wegfielen und durch Kontrollen an den Außengrenzen der Union (plus anlassbezogene Kontrollen in einem 30-Kilometer-Streifen entlang ihren inneren Grenzen) ersetzt wurden. Letztere genügen laut Auffassung des FN nicht, und Marine Le Pen zufolge wurde die Europäische Union durch diese Abschaffung der Binnen-Grenzkontrollen „durchlässig wie ein Sieb“.

Der Aufenthalt auf der Insel dauerte letztendlich jedoch nur zwei Stunden (auf die er von ursprünglich vorgesehenen vier Stunden abgekürzt wurde). Borghezio und Marine Le Pen wurden durch eine antirassistische Solidaritätsdemonstration „empfangen“. Beide rechtsextreme Politiker verschwanden nach ihrem Eintreffen schnell in einem Auto der örtlichen Polizei, das sie zu dem Auffangzentrum fuhr, wo die neu eintreffenden Flüchtlinge oder Auswanderer – besonders aus Tunesien – untergebracht werden. Laut eigenen Angaben traf Marine Le Pen auch mit Sprechern der Flüchtlingen zusammen, denen sie laut eigenen Worten „erklärt hat: Wir können Euch in Europa nicht aufnehmen“. Um hinzuzufügen: „Wenn es nach mir ginge, mein Herz ist weit, und ich würde Euch in mein Boot einladen. Aber mein Boot ist schwach, und es würde untergehen.“

5 Kommentare

  1. „Die französische Politik ist von Deutschland gesteuert.“
    Das ist wirklich eine dumme Behauptung, der Autor macht sich nicht die geringste Mühe, sie zu belegen.
    „Was dabei rauskommt, ist immer das Gleiche. Lug und Trug.“
    Die Franzosen können Lug und Trug auch hausgemacht machen, dazu brauchen sie keine Steuerung aus Deutschland.

  2. Der Artikel ist gut und geeignet, typisch französische, kompliziertere Sachverhalte deutschen Lesern nahezubringen.
     
    Ein grosses Manko in dem Artikel ist, dass die EELV Europe Ecologie Les Verts, also die Verbindung der grünen Partei mit einem breiteren ökologischem Bündnis, unerwähnt bleibt, obwohl sie ein durchaus respektables Ergebnis hatte und in vielen Kantonen zum ersten Mal kandidierte. In einem Artikel dieser Länge hätte das etwas ausgeführt werden müssen.
     
    Zu William Goldhagen möchte ich noch anmerken, dass er nicht nur ein umstrittener Publizist ist, sondern auch Vorsitzender einer der ältesten unabhängigen Vereinigungen des Landes, die sich für die Verteidigung Israels einsetzt: Association France Israel. Mit dem CRIF, dem französchem Gegenstück zum deutschen Zentralrat, gehört diese Organisationen zu den Stimmen, die in Frankreich in jüdischen Fragen und zu Israel sich Gehör verschaffen, wie bei den Feierlichkeiten für die französischstämmige jüdische Familie Fogel oder bei den Protesten gegen die Ausstrahlung einseitig anti-israelischer Spielfilme durch Canal Plus.
     
    Ein Danke Schön für diesen Artikel
    Mit Gruss aus Nantes
     
    Reiner Schleicher-Barbault

  3. Die französische Politik ist von Deutschland gesteuert. Was dabei rauskommt, ist immer das Gleiche. Lug und Trug. Langsam verbreitet sich in ganz Europa wieder die schleichende Heimtücke der ehemaligen „Stürmer“ Charaktäre, ganz Europa nur noch ein verlogener, falscher Haufen. Da werden von den deutschen Medien, für ein mieses Geschäft dann mal ein paar Sodomie, oder Vergewaltigungs Gerüchte für den politischen Stimmenfang generiert. Katzav bekommt sieben Jahre auf Wunsche der deutschen Propaganda. Dabei ist sieben die Zahl der französischen Revolutionäre, welche durch ihre wahrhaftige Ehrlichkeit aus dieser niedrigen Menge herausglänzen. Eines ist letztendlich sicher, mit Falschheit läst sich niemand gewinnen, und die deutsche Propaganda hat die „Basittas“nicht hinter sich, nein, diese wurden von ihnen missbraucht für ihre schmutzigen, verlogenen Kampagnen. Gebt Katzav 8 Jahre oder 13, mit 6 wäre ich auch zufrieden !

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