Die Meinhardts

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Diese Schrift ist dem Andenken unserer Großeltern Franz Meinhardt und Margarethe Meinhardt, geb. Löwenthal gewidmet, die 1942 im Holocaust umgekommen sind. Sie ist auch unseren Eltern Gerd Meinhardt und Käte Meinhardt, geb. Luft gewidmet, die 1939 Nazi Deutschland verlassen konnten und in Chile Aufnahme und Schutz fanden, um dort ein neues Leben beginnen zu können. Sei ihr Andenken selig. (Z.L.)…

Von Albert Michael Meinhardt und Dr. Yehuda (Franki) Meinhardt

Meine Eltern haben sich im Februar 1938 in Berlin kennengelernt. Meine Mutter, Käte Luft aus Breslau, war zu Besuch bei einer Freundin in Berlin, als ihr mein Vater, Gerd Meinhardt (1903-1975) vorgestellt wurde. Käte Luft war die Tochter von Arthur Luft (1861- 1930) und Elise Laqueur (1873-1939) und ist 1910 in Breslau geboren und dort aufgewachsen. Es hat sofort gefunkt zwischen den beiden und nach einigen Spaziergängen im Tiergarten entschlossen sie sich, so bald wie möglich zu heiraten. Es waren schwere Zeiten für die Juden, die von der Ausgrenzung und immer weiteren Diskriminierungen unter dem NS- Regime litten. Die Nationalsozialisten waren seit 5 Jahren an der Macht und ihre Maßnahmen und Schikanen gegen die Juden wurden von Tag zu Tag verschärft.

Die Hochzeit wurde in Breslau abgehalten, genau am 7. April 1938. Nach der zivilen Trauung im Standesamt wurde eine kleine Zeremonie in der Synagoge abgehalten, die von Rabbiner Dr. Vogelstein geleitet wurde. Nur wenige Verwandte unserer Mutter konnten teilnehmen, wie ihre Mutter Elise, ihre Brüder Franz und Herbert Luft und ihre hochschwangere Zwillingsschwester Trude  mit ihren Ehemann Werner Glaser. (Die Glasers erwarteten ihr erstes Baby einen Monat später). Von Vaters Heimatort Schwedt konnte niemand kommen.

Nach der Hochzeit sind unsere Eltern nach dem kleinen Städtchen Schwedt an der Oder gezogen, wo Vaters Vorfahren seit Generationen ansässig waren. Schwedt liegt ca. 120 km entfernt von Berlin, in der nordöstlichen Ecke von der Provinz Brandenburg in Preußen, in einer Region, die “Uckermark” heißt. Heute markiert die Oder dort die Grenze zu Polen.

In Schwedt wohnten sie im Haus unserer Großeltern Franz Meinhardt (1877- 1942) und Margarethe Meinhardt, geb. Löwenthal (1880- 1942). Sie bezogen die zweite Etage, die Großeltern wohnten in der ersten Etage und im Parterre war das Büro von Großvaters Firma. Die Adresse war Flinkenberg 6.

So wohnte unsere Mutter mit ihrer Schwiegermutter unter einem Dach, aber sie wurde aufs herzlichste von ihr und der ganzen Meinhardt Familie in Schwedt empfangen. Die Meinhardts machten ungefähr die Hälfte der circa 100 Juden aus, die in Schwedt lebten.


Kopien der Hochzeitsbescheinigung des Standesamts und  der Bescheinigung von Rabbiner Dr. Vogelstein in Breslau

Aber zunächst war eine Hochzeitsreise geplant, und zwar nach Palästina. Man hatte auf dem Schiff “Gerusalemme” gebucht, das von Triest nach Haifa regelmäßig fuhr. Nach Triest gelangten sie mit dem Zug über Österreich, (das schon Ostmark war) und Lubljana in Slowenien. Nach gut 4 Tagen gelangte man mit diesem italienischen Schiff nach Haifa in Britisch Palästina. Dort wurden die frisch vermählten streng nach Waffen von der britischen Mandatspolizei durchsucht, denn es waren schwere Unruhen seit 1936 zwischen Arabern und Juden im Lande ausgebrochen.

Die Mandatsregierung versuchte die Sicherheit und Ordnung im Lande aufrecht zu erhalten. Außerdem mussten gerd und Käte Meinhardt eine Kaution von 500 PP (Palestine Pounds) hinterlegen, als Garantie, dass sie das Land nach dem Besuch wieder verlassen würden. Die Einwanderung von Juden nach Palästina wurde von der Mandatsregierung strikt kontrolliert und nur Personen, die das „Zertifikat“ (für Einwanderung) besaßen, konnten ins Land einreisen und dort bleiben.

Sie verbrachten schöne Tage im Land, besuchten Verwandte und auch die Sehenswürdigkeiten Palästinas, wie Jerusalem, Galiläa und den See Genezareth (Kinneret).

Zunächst besuchten sie sofort die Schwester meines Vaters (Anneliese), die schon 1935 Deutschland verlassen hatte, da sie die Benachteiligungen für ihr Leben in Nazi- Deutschland nicht mehr hinnehmen wollte. Sie war inzwischen mit Gerd Brueckmann verheiratet. Sie lebten in Tel- Aviv in einem “Stadtkibbutz” in sehr prekären Verhältnissen. Es war eine Kommune von deutschen Juden, die alle ihre Einnahmen teilten und die Mieten in verschiedenen, sehr bescheidenen Behausungen gemeinsam bestritten. Vater war von den primitiven Verhältnissen, in denen seine Schwester lebte, sehr schockiert. Schon wenige Monate nach Vaters Besuch  ließen sich Anneliese und Gerd  scheiden, sie hatten keine Kinder. Danach lernte sie ihren zweiten Mann kennen, Alfred Neugarten, einen Kämpfer der Internationalen Brigaden in Spanien, der einen kleinen Sohn in die Ehe brachte, der später Dick genannt wurde. 1939 verließen sie Palästina und zogen nach Australien. Sie nahmen spezielle Visa an, die die australische Regierung für Juden in Palästina ausgestellt hatte. In Australien bekamen sie 1940 einen Sohn, Kenneth und 1942, die Zwillinge Frank und Gwendoline (heute Anne). Alle ihre Nachkommen leben heute in Australien.

Der Stadtkibbutz  in Tel- Aviv hielt nicht lange und löste sich nach einigen Jahren auf.  Gerd Brueckmann blieb in Palästina, er fiel 1948 im Befreiungskrieg um Israel. Auch der Lieblingsonkel meiner Mutter, Ludwig Laqueur, wurde in Haifa besucht, der war schon einige Jahre vorher mit seinen beiden Söhnen Wolfgang und Heinz nach Palästina gekommen. Diese Cousins meiner Mutter waren schon verheiratet, aber zu diesem Zeitpunkt noch kinderlos. Auch andere Verwandte meiner Mutter, die schon einige Zeit im Land waren, wurden besucht. Sie gehören alle zur mütterlichen Familie Laqueur. Die Laqueurs stammen von einem Reb Dovid Lazarus Laqueur ab, der um 1800 Rabbiner der kleinen Jüdischen Gemeinde in Staedel in Oberschlesien war. Spätere Generationen übersiedelten in die Schlesischen Städte Brieg, Oels und Festenberg und danach nach Breslau, die Hauptstadt von Schlesien.

Die Verwandten in Palästina rieten ihnen, die Kaution sausen zu lassen und illegal im Lande zu bleiben. Aber das konnte sich mein Vater nicht vorstellen und außerdem wollte er nicht seine Eltern in Schwedt allein lassen. Auch Mutter wollte zu ihrer Familie in Breslau zurück. So kehrten sie nach Deutschland zurück.

Ende Mai 1938 kam in Breslau das Baby von Mutters Zwillingsschwester Trude zur Welt, es war ein Mädchen und bekam den Namen Marianne.

Zurück in Schwedt half Vater, Großvaters Betrieb zu leiten. In diesem Betrieb wurde Tabak angebaut und verarbeitet. Dieses Gebiet wurde von den Preußischen Königen im 17ten und 18ten Jahrhundert mit evangelischen Religionsflüchtlingen aus Frankreich (die Hugenotten), Protestanten aus dem Salzburger Land und verfolgten Juden (wie unsere Vorfahren) besiedelt. Die Hugenotten brachten den Tabakanbau in die Gegend. Es war das nördlichste Tabakanbau-Gebiet der Welt. Fast alle unsere Vorfahren waren in dieser Branche tätig. Großvater Franz Meinhardt besaß einige Felder rund um Schwedt, wo Tabak angepflanzt wurde. Außerdem kaufte er auch die Ernte anderer Bauern auf. In seinem Betrieb wurde dann der geerntete Tabak verarbeitet. Dazu wurde in mühseliger Arbeit Blatt für Blatt eingefädelt und in riesigen Speicherräumen zum Trocknen wochenlang aufgehängt. Dann, wenn er “reif” war, das heißt nicht zu feucht und nicht zu trocken, wurde er zu Ballen gepresst und meistens an die Tabakindustrie in Bremen und Hamburg geliefert.


Das Logo der Geschäftsbriefe der Firma Franz Meinhardt Rohtabake

Vater und Großvater kämpften nun gegen die Schikanen der Behörden. Im Laufe des Jahres 1938 verloren sie den gesamten Betrieb und die Felder, da alles “arisiert” wurde. Nur den Trocknungsspeicher für Tabak konnten sie an einen Geschäftsfreund aus Bremen verkaufen (der angesehene Senator Rasch) damit er nicht in irgendwelche Hände fallen sollte. Man vereinbarte mündlich ein Rückkaufsrecht, falls sich die Zeiten wieder ändern sollten. Das wenige Geld der Arisierungserlöse wurde auf ein Sperrkonto eingezahlt, von wo mein Großvater nur eine bestimmte Summe monatlich für den Lebensunterhalt abheben konnte. Zunächst waren sie noch eine Zeitlang Angestellte im eigenen Betrieb.


Großvater Franz Meinhardt (i.d. Mitte) am Eingang eines Speichers

Einige Anekdoten zum Leben in der Nazi-Zeit in Schwedt und Breslau

Eine Nacht im Hotel:

1935 traten die „Nürnberger Gesetze“ in Kraft. Jede Liebe zwischen Juden und „Ariern“ war streng verboten. Jede Zuwiderhandlung wurde schwer bestraft.

Vater hatte eine Freundin in Schwedt, G.D. war „arisch“. Sie wollten etwas Privatzeit für sich haben. In Schwedt war dies unmöglich, denn in der kleinen Stadt kannte jeder jeden. Mit Vaters Auto fuhren sie in die nahegelegene Kreisstadt Angermünde. Gisela Meinhardt, eine Cousine vom Vater borgte G.D. ihren Ausweis, sie sah ihr einigermaßen ähnlich. Sie kamen in Angermünde an und parkten das Auto direkt vor dem Hotel. Im Hotel meldeten sich Vater und G.D. als verheiratetes Ehepaar Meinhardt an. Sie blieben über Nacht. Das Hotel lag direkt am Marktplatz.

Am nächsten Morgen wurde auf dem Marktplatz vor dem Hotel eine große Kundgebung der SA abgehalten. Der Platz war voll mit uniformierten SA Leuten die Fahnen trugen. Von Lautsprechern. ertönte laute Militärmusik. Vaters Auto war das einzige Fahrzeug, das nun inmitten der Kundgebung stand. Vater traute sich nicht da runter zu dem Auto zu gehen. G.D. hatte keinen Führerschein und wusste auch nicht mit einem Auto umzugehen. Vater gab ihr die Fahrzeugschlüssel und erklärte ihr wie sie den Motor starten könne, ohne das Auto zu bewegen. G.D. ging herunter zum Auto und zündete den Motor. Sofort erschienen einige SA- Leute und sagten, „Fräulein, bitte entfernen Sie das Auto, es stört hier!“ G.D. sagte zu ihnen, dass sie ihre Handtasche im Hotel vergessen habe  und bat die Männer ihr Auto hinter das Hotel zu fahren, während sie ihre Tasche holen ginge. So taten es die SA- Männer und ließen den Schlüssel im Fahrzeug. Vater und seine Freundin gingen vom Hotel durch den Hinterausgang hinaus, stiegen ins Auto und fuhren davon. Sie lachten darüber, dass sie die Nazis benutzt hatten, um eine unangenehme Situation zu vermeiden.

(Diese Geschichte wurde von Vater erzählt und vor einigen Jahren durch Gisela Meinhardt bestätigt, die in einem Seniorenheim in Florida wohnt; sie geschah so um das Jahr 1937).

Eine Bahnfahrt:

Mutter und zwei Freundinnen machten einen Sonntagsausflug zum „Zobten“ in Mittel-Schlesien. Der „Zobtenberg“ war ein beliebtes Ausflugsziel, wo man sehr schön wandern und spazieren konnte, und lag nicht weit von Breslau. Am späten Nachmittag fuhren die drei Freundinnen mit der Bahn zurück nach Breslau. In einem Zwischenhalt stieg plötzlich ein Haufen SA- Männer in ihren Wagen ein. Sie waren sehr laut, unhöflich und ziemlich betrunken. Sie begannen die Mädchen zu belästigen, sie dachten sie wären „arisch“. Mutter schrie laut auf; „Wir sind jüdisch, lasst uns in Ruhe!“. Sie glaubten das nicht und antworteten, „Das sagen Sie doch nur so!“. Glücklicherweise stiegen die Männer einige Haltestellen später aus. Mutter mit ihren hellen blauen Augen hat scheinbar überhaupt nicht ins Nazi- Klischee über Juden gepasst. Das zeigt doch, wie falsch diese Nazi- Stereotypen waren.

(Dieser Ausflug wurde 1936 od. 1937 unternommen, wie Mutter später erzählte.)

–> Fortsetzung

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