Gefahr im Verzug

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Die politischen Umwälzungen in Nahost verleihen dem Islamismus neuen Aufwind. Das bedroht nicht nur die ganze Region, sondern auch Europa…

Von Stephan J. Kramer

Eine erfolgreiche Revolution hat eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Märchen. In beiden Fällen erheben sich die Ausgebeuteten, die Betrogenen und die Erniedrigten und bereiten der Tyrannei ein Ende. Und so wie der Leser eines Märchens Erleichterung darüber verspürt, wenn die böse Hexe ins Verderben stürzt, so sind auch wir, Bewohner der real existierenden Welt, instinktiv erleichtert, oft auch schadenfroh, wenn ein autoritärer Herrscher von seinen Bürgern verjagt oder doch zumindest in arge Bedrängnis gebracht wird. Deshalb ist es schwer, sich nicht mit den Freiheitsbestrebungen der Massen zu identifizieren, die in Ägypten auf die Straße gehen und die in Tunesien einen korrupten Präsidenten in die Flucht getrieben haben.

Es gibt allerdings einen wesentlichen Unterschied zwischen Märchen und Realität. Während Märchenbuchautoren ihre Erzählungen wohlweislich mit dem Happy End ausklingen lassen, geht die Wirklichkeit nach der politischen Umwälzung weiter. Und zwar nicht immer märchenhaft. Das droht auch in Ägypten der Fall zu sein. So wahrscheinlich es nämlich ist, dass das Präsident Hosni Mubarak die Unruhen politisch nicht überlebt, so unwahrscheinlich ist es leider, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im westlichen Sinne am Nil Einzug halten werden. Mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit kommt es zu einer anderen Form autoritärer Herrschaft, wobei der islamistische Fundamentalismus hervorragende Chancen hat, die Macht an sich zu reißen. Dass sie das wollen, haben die Islamisten bereits klargestellt, nicht zuletzt durch die Aufforderung an den Präsidenten, die Regierungsgewalt „friedlich zu übergeben“. An wen, versteht sich aus ihrer Sicht von allein: sie selbst. Nicht umsonst haben die Moslembrüder zugleich klargestellt, dass der Oppositionspolitiker Mohammed al Baradei – der Hoffnungsträger liberaler Schichten und vieler westlicher Politiker – nicht in ihrem Namen spricht.

Ob eine islamische Regierung über Wahlen, Subversion oder eine Anschlussrevolution an die Macht kommt, wird für das Endresultat keine größere Bedeutung haben. Die Folgen einer islamistischen Machtübernahme oder einer als Vorstufe denkbaren Mitregentschaft wären katastrophal, zuerst einmal für Ägypten selbst. Direkt bedroht wäre auch Israel. Mit einem islamistischen Regime in Kairo würde ein Militärangriff der von den USA bestens ausgerüsteten ägyptischen Armee auf den jüdischen Staat plötzlich eine durchaus reelle Möglichkeit. Geradezu automatisch wäre auch eine ägyptische Allianz mit der in Gasa regierenden Hamas. Ein Dominoeffekt, bei dem Islamisten die Macht in Algerien, Tunesien, Jordanien und dem Jemen übernähmen, wäre ebenso wenig auszuschließen.

Das freilich wäre nur ein Teil des islamistischen Anspruchs auf eine Unterwerfung des Nahen Ostens. Eine andere Offensive geht jetzt schon vom Iran aus, und zwar mit großem Erfolg. Durch die nur wenige Tage vor Ausbruch der ägyptischenUnruhen erzwungene Ernennung eines von der schiitischen Hisbollah auserkorenen und von ihr abhängigen sunnitischen Ministerpräsidenten in Beirut ist der Libanon nun unverhohlen eine Provinz des iranischen Machtbereichs. Die in die iranische Kriegsmaschinerie weitgehend integrierte Hisbollah ist die stärkste Militärmacht im Lande und projiziert jetzt schon iranische Macht unmittelbar an der israelischen Nordgrenze, aber auch nur einen kurzen Raketenflug von Europa entfernt. Berichten zufolge plant Teheran auch die Errichtung eines Marinestützpunktes an der libanesischen Küste. Unter diesen Umständen wird ein verheerender Mehrfrontenkrieg in Nahost mit Zehntausenden von Toten in hohem Maße wahrscheinlich. Das gilt auch für die Schaffung eines islamistischen Machtbereichs, der praktisch den gesamten Nahen Osten umfasst, einen Großteil der weltweiten Energieressourcen kontrolliert und zumindest eine Atommacht – den Iran – vorweisen kann.

Nun hat sich der Iran auch öffentlich in die ägyptische Krise eingemischt. Sein Außenminister, Ali Akbar Salehi, forderte ein Ende der „diktatorischen Regime“ in Nordafrika. Aus dem Munde eines Spitzenvertreters der Mullah-Diktatur eine groteske Forderung, doch lässt sich Teheran davon nicht abschrecken, zumal es die eigene Regierungsform für die einzig legitime hält. Umso besorgniserregender ist es, dass sich der Westen dem Machtanspruch der Fundamentalisten widerstandslos zu fügen scheint. In diesem Zusammenhang sind die westlichen Ermahnungen an Mubarak bezeichnend, die Menschenrechte einzuhalten. Bis vor einer Woche war der ägyptische Staatschef ein angesehener Partner. Der plötzliche Drang, sich von ihm zu distanzieren, ist daher kaum mehr als ein Versuch, die künftigen Machthaber Ägyptens nicht zu ärgern. Solchen vorauseilenden Fatalismus nehmen die Islamisten als ein weiteres Zeichen westlicher Schwäche und damit als Ermunterung wahr. Danken werden sie es den Demokratien allerdings nicht. Wenn eine zunehmende Bedrohung des freien Westens durch den nahöstlichen Islamismus verhindert werden soll – so gut das jetzt noch geht – müssen die demokratischen Regierungen den Kopf aus dem Sand ziehen und der gar nicht märchenhaften Wirklichkeit jenseits des Mittelmeers ins Auge sehen.

Der Autor ist Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland

6 Kommentare

  1. Israel sollte alles tun, um den Friedensvertrag mit Ägypten aufrecht zu erhalten. Nichts wäre schlimmer, als eine unsichere Grenze zwischen Ägypten und dem Gaza-Streifen. Nach dem Rücktritt der PLO-Regierung müssen die gemäßigten Kräfte gestärkt werden, um HAMAS zu stoppen. Also bitte schnell direkte Varhandlungen mit den Palästinesern! Und wenn es dort Hilfe braucht, gibt es vermittelnde Helfer, z. B. die EU und die USA. Bewegt Euch, Ihr Freunde in Israel!

  2. Hallo
    Juden hin Muslime dort ist doch Schwachsinn oder sind wir nicht alle Menschen und haben wir nur eine Planet und zwar Blaue einzigartiges, Lebe dort wo du willst aber Töte nicht, gewinne als Freund erst deine Nachbarn mit denen du zusammen lebst und nicht irgend wo die weit weg sind und dich für Ihre Politische Sachen ausnützen, Ich bin Muslim aber ich denke egal wer du bist und woher du kommst wir sind Menschen, gute und Böse gibt überall nach meine Meinung was ich sehe nach dem 2. Weltkrieg wurden Juden nach Palästina aufgenommen, weil keine wollte sie haben und jetzt werden Muslime als Feinde angesehen, warum, wer hat da eine Interesse wieso lasse sich Israelische Stadt sich ausnützen vom angeblichen Freunden die mit Waffen besorgen, Die Juden werden sowie so nicht von denen erwünscht oder und vor allem die 3 Bücher vom Gleiche Religionen sind ja fast alle gleich oder. Ich Denke Juden sollten in Israel bleiben aber im gute Nachbarschaft ohne Tyrannei und Gewalt wie vom außen erwünscht wird dort sind Juden sichere als Europa oder wo anders. Waffen nein aber Gegenseilteige Respekt und Hilfsbreitschaft Ja

  3. @kerry

    wie kommt man auf solche Gedanken das ist Naiv.
    Ich hoffe das sie schon ein paar mal in Israel waren. Denn dann werden sie wissen das die Israelis sehr gerne in ihrem Land leben und ihre Familien haben.
    Es gibt keine andere Alternative für Juden ausser Eretz Israel. Dort ist unsere Kultur unsere Vergangenheit und unsere Zukunft.

    Ausserdem Kelly der Judenhass hat wieder zu genommen in Europa und ist schon desswegen keine Alternative.

    Zu Ruhe kommen wir nur in Israel und wenn die anderen endlich Israel anerkennen als Jüdischen Staat. 

  4. Was Stephan J. Kramer hier beschreibt, ist der „worst case“, die schlechteste Variante – allerdings nicht die wahrscheinlichste Variante. Dass die im Artikel beschriebene Möglichkeit überhaupt eine Variante ist, ist schlimm genug.
    Ja, es ist „Gefahr im Verzug“, allerdings: Israel ist seit Beginn seiner Existenz in Gefahr. Jetzt allerdings die Konsequenzen zu ziehen, die „kerry“ in seinem Kommentar letztlich recht schlüssig aus Stephan J. Kramers Artikel zieht, wäre die finale Variante eines „vorauseilenden Gehorsams“, der doch – völlig zu Recht – scharf kritisiert wird. Es wäre das Ende Israels, der „Traum“ sämtlicher islamischer Fundamentalisten würde Wirklichkeit.
    Keine Frage: die gegenwärtige Entwicklung in der arabischen Welt birgt Risiken. Darüber mit der läppischen Bemerkung, Freiheit sei immer ein Risiko hinwegzusehen, wäre so zynisch wie unverantwortlich. Sich auf den „worst case“ zu fokussieren, macht aber auch politisch handlungsunfähig. Der panische Blick auf die Schlange lähmt das Kaninchen. Das wehmütige Seufzen, wie schön doch alles sein könne, könnten doch nur all die arabischen Despoten bis ans Ende der Geschichte ihre Völker unterjochen, ist Ausdruck genau dieser Hilflosigkeit.
    Zugegeben: guter Rat ist in dieser Situation nicht nur teuer, sondern auch ziemlich kontraproduktiv. Die arabischen Demokratiebewegung werden sich nicht nach Ratschlägen aus dem Westen richten und schon gar nicht jüdische Empfehlungen zu eigen machen. Aber nochmal: der „worst case“, der koordinierte Angriff hochgerüsteter arabischer Streitkräfte auf das nicht minder hochgerüstete Israel ist nicht die wahrscheinlichste Variante. Es ist aus benennbaren Gründen eine sehr unwahrscheinliche Variante.
    Zeit genug für den Westen, Zeit genug für Israel, mit kluger Politik den neuen Herausforderungen aus der arabischen Welt zu begegnen. Ein bisschen klüger als in den letzten Jahrzehnten sollte diese Politik allerdings schon sein. Zu ihrer Entwicklung reicht Stephan J. Kramers Text keineswegs aus.

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