Leaks: Cablegate made in Palästina

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Ganz nach dem Vorbild der Enthüllungsplattform Wikileaks, veröffentlichte der in Katar ansässige Sender Al-Jazeera, zusammen mit dem britischen Guardian, seit Sonntagabend rund 1600  Geheimdokumente, vertrauliche Papiere, Gesprächsprotokolle, Emails und Aufzeichnungen der Friedensverhandlungen zwischen Israel, der Palästinensischen Autonomiebehörde und den USA …

Kommentar von Oliver Marusczyk und Natascha Müller

Die Leaks selbst stammen aus den Quellen der palästinensischen Verhandlungsdelegation  (NSU) und dokumentieren den gesamten Zeitraum der Friedensverhandlungen seit September 1999, einschließlich der Konferenz von Annapolis im Jahr 2007 und den Verhandlungen von Camp David (2000) – exklusiv aus palästinensischer Sicht. In den meisten Dokumenten kommt dabei der Fatah-Chefunterhändler Saeb Erekat an prominenter Stelle zu Wort. Derselbe Erekat, der Israel während der zweiten Intifada im Zuge einer Militäroperation in Jenin 2002 beschuldigte, 500 Menschen massakriert zu haben, was selbst die UN als völlig haltlos zurückweisen musste. Nicht unbedingt ein Gütesiegel für die Sachlichkeit der Papiere.

Doch neben dem Zuneigungsbekenntnis des palästinensischen Verhandlungsführers Ahmed Qurei, gegenüber der damaligen israelischen Außenministerin Tzipi Livni, die er mit den Worten „ich würde Sie wählen“ umschmeichelte,  enthüllen die „Palästina-Papiere“ (Spiegel)  nichts, was nicht schon früher bekannt war. Nur, dass mal wieder Israel als Sündenbock für den fehlenden Frieden im Nahes Osten herhalten muss.

Dabei wird vor allem ein Zusammentreffen des damaligen Ministerpräsidenten Ehud Olmert mit dem Palästinenser-Führer Mahmoud Abbas im August 2008 als Beweis für Israels imperiale Arroganz angeführt.  Abbas soll den Dokumenten zufolge zu weitreichenden bedingungslosen Zugeständnissen gegenüber Israel bereit gewesen sein.

Tatsächlich schnürte jedoch Olmert ein Paket zusammen, das von beiden Seiten Konzessionen verlangte. So sollten die Palästinenser 6,8 Prozent der West Bank, inklusive der vier Hauptsiedlungsblöcke in Gusch Etzion und jüdisch bewohnter Viertel in Ost-Jerusalem, für 5,5 Prozent israelischen Staatsgebiets in den Grenzen von 1967 austauschen.
Gleichzeitig sollte Jerusalem in einen östlich-arabischen Teil, der dann die Hauptstadt des zukünftigen Palästinenserstaats wäre und einen westlichen Teil als Israels Hauptstadt, gegliedert werden. Offen blieb jedoch die heikle Frage nach der Verwaltung der Altstadt sowie des Tempelbergs, der sowohl die muslimische Al-Aqsa-Moschee als auch die jüdische Klagemauer umfasst.

In einem später aufgezeichneten Protokoll (Oktober 2009) im US-Außenministerium überrascht Erekat dann mit Überlegungen zu einer „kreativen Lösung“ hinsichtlich der Kontrolle des Tempelbergs. So sei eine israelische-palästinensische Führung ebenso denkbar wie eine internationale Verwaltung.

Diese Aussage muss den geneigten Beobachter des Nahost-Konflikt schwer verwundern, wenn man sich kurz in Erinnerung ruft, dass Jassir Arafat in den Camp-David-Gesprächen öffentlich erklärte: „Jerusalem wird nichts anderes als die Hauptstadt des palästinensischen Staates sein, und es gibt nichts unterhalb oder oberhalb des Haram al-Sharif, außer Allah.“ Inoffiziell war Arafat, einem Bericht des Israel/Palestine-Center for Research and Information zufolge,  jedoch durchaus bereit, Jerusalem zu teilen. Auch hier taucht wieder die altbekannte Diskrepanz zwischen öffentlichen Äußerungen und der faktischen Grundlage arabisch-israelischer Verhandlungen auf.

Die Dokumente zeigen außerdem, dass Olmert in der Flüchtlingsfrage bereit war, Kompensationen für erlittene Schäden zu leisten. Etwa 5000 Palästinensische Flüchtlinge könnten zudem  über einen Zeitraum von 5 Jahren aus „humanitären“ Gründen nach Israel zurückkehren. Und hier wartet nun eine weitere Überraschung: Entgegen den oft beschworenen heiligen Rechte der Palästinenser auf Land und Boden samt des unumstößlichen Rückkehrrechts aller sogenannten Flüchtlinge, ist die interne Haltung der PLO-Führung scheinbar eine gänzlich Andere. In einem Meeting mit der NSU legte Abbas dann einen erstaunlichen Realismus zutage, als er sich gegen die massenhafte Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge stellte. „Es ist unlogisch Israel nach der Aufnahme einer oder gar fünf Millionen [Flüchtlinge d. Verf. ] zu fragen, das würde das Ende Israels bedeuten.“ Eigentlich ein interessanter Standpunkt,  ist doch das Ende Israels in den arabischen Medien meistens Programm.

Schließlich wurden die Verhandlungen von den politischen Ereignissen überrollt. Ehud Olmert stürzte über eine Korruptionsaffäre und gab sein Amt ab, nachdem die Regierungspartei Kadima von dem Likud unter Benyamin Netanyahu abgelöst wurde. Nach dem Regierungswechsel wurden die Uhren wieder zurückgestellt. Die Palästinenser knüpften eine Wideraufnahme der Friedensgespräche nun erneut an die Bedingungen des Siedlungsabbaus, ungeachtet der vorherigen Übereinkünfte.

Insgesamt bleibt festzuhalten: Im Nahen Osten nichts Neues also. Die ganze Bandbreite an scheinbaren Zugeständnissen und Kompromissen der Fatah, die allein deswegen keine sind, weil sie offiziell aufs heftigste dementiert werden, wurden bereits von Arafat akzeptiert. Es sind auch weniger Zugeständnisse der Palästinenser als vielmehr von beiden Parteien ausgehandelte Kompromisse. Oder gibt es einen historisch vergleichbaren Fall, indem der Sieger eines bewaffneten Konflikts als Bedingung für den Frieden die Maximalforderungen des unterlegenen Gegners diktiert bekommt?

Bereits in den „Clinton-Parametern“, die von dem damaligen US-Präsidenten 2000 als Bedingung für eine Zwei-Staaten-Lösung formuliert wurden, sind alle wesentlichen Aspekte der angeblich neuen Übereinkunft – Siedlungen, Flüchtlingsfrage, Tempelberg, Gebietstausch – zwischen Olmert und Abbas festgelegt. Der israelische Premierminister Ehud Barak stimmte ebenso zu wie der PLO-Führer Arafat (auch wenn dieser erst ein Jahr später sein „Ja“ gab).  Ähnliches wurde auch bei den Camp-David-Verhandlungen im selben Jahr besprochen. Einziger Unterschied war, dass  Ehud Barak 97 Prozent der Westbank angeboten hat, während es bei Olmert „nur“ 93 Prozent waren. Zuletzt wurde auch 2003 annähernd Gleiches bei der Genfer Initiative ausgehandelt.

Wenn etwas aus den „Palileaks“ gefolgert werden kann, dann wohl, dass ein Palästinensischer Staat schon längst Wirklichkeit sein könnte, wäre nicht ein erheblicher Gegensatz zwischen dem, was arabische Führer in der Öffentlichkeit propagieren und der scheinbar pragmatischen Vorgehensweise in den Verhandlungen.

Schaut man sich die empörten Reaktionen in den arabischen Medien an, wird deutlich, warum die Kompromissbereitschaft in öffentliche Kompromisslosigkeit notwendig umschlagen muss. Tage nach der Veröffentlichung äußerte Erekat, dass die „Palästina-Papiere“ nun sein Leben bedrohen würde. Einvernehmliche Annäherungen finden in der Bevölkerung wohl keinen legitimen Zuspruch. Anders lässt sich der Aufschrei  der Empörung nicht erklären. Hier gilt wohl immer noch die unmissverständliche Haltung der berühmt gewordenen arabischen Konferenz  von Khartum: „Nein zum Frieden mit Israel,  nein zur Anerkennung Israels, nein zu Verhandlungen mit Israel“. Ganz davon abgesehen. Solange die Nationalsozialisten der Hamas in Gaza herrschen, sind alle wohlklingenden Vereinbarungen zwischen PLO und Israel von Vornherein zum Scheitern verurteilt.

Same procedure as always? Medial wird weiterhin das Bild des Friedens-Saboteurs und Kriegstreibers Israel vermittelt, das mit aller Gewalt seinen Status als Besatzungsmacht aufrecht erhalten will und die fast schon unterwürfigen Friedensangebote der Palästinenser rundweg ablehnt. Dass eine nüchterne Betrachtung der Fakten dieses Bild niemals aufrechterhalten kann, braucht das anti-zionistische oder „israelkritische“ Ressentiment aber nicht weiter stören.

4 Kommentare

  1. Wer sich ein genaueres Bild machen wollte – anstatt einfach die üblichen Propagandaversionen einzusaugen und weiter zu ventilieren, der hätte sich längst informieren können. Aber den meisten ist Israel dann doch nicht so wichtig. Wichtig ist vielen nur sich richtig zu positionieren und in Szene zu setzen.

    Um so löblicher jene, die unermüdlich mit detaillierten Informationen und Fakten gegen die Vernebelungen angehen.

    http://test.hagalil.com/2001/02/camp-david.gif

    http://www.nahost-politik.de/friedensverhandlungen/beilin-taba.htm

    http://www.nahost-politik.de/friedensverhandlungen/palaestina-delegation.htm

    Palästinensische Erklärung: Niemand hätte Baraks Angebot annehmen können – es war inakzeptabel

    Ahmed Kurajji, Mitglied der palästinensischen Delegation, zum Scheitern von Camp David

    Wir Palästinenser werden uns unser historisches und international anerkanntes Recht auf ein Ende der israelischen Besatzung und unseren eigenen Staat nicht nehmen lassen. Und wir wehren uns gegen den Vorwurf, wir trügen die Schuld am Kollaps des Friedensprozesses.

    Zu den größten Lügen gehört die Legende von Camp David, die besagt, der israelische Premier Ehud Barak habe den Palästinensern alles angeboten, um Frieden zu schließen. Doch der unersättliche Arafat habe abgelehnt. Die Wahrheit ist, dass auf dem Gipfel etwas verhandelt wurde, das kein Palästinenser annehmen konnte.

    Wir sollten einen Staat bekommen, der in mehrere Kantone unterteilt war, ohne jegliche Kontrolle über unsere Außengrenzen, durchsetzt mit israelischen Siedlungen, Militärblöcken und Pufferzonen. Sogar den Luftraum beanspruchten die Israelis. Noch in 200 Jahren würden wir das zurückweisen.

    Das Treffen war zum Scheitern verurteilt. Inständig hatte Präsident Arafat den US-Präsidenten Clinton gebeten, noch zu warten. Wir waren bei Vorgesprächen in Stockholm gut vorangekommen, doch unserer Meinung nach noch längst nicht reif für einen Gipfel. Doch Clinton beharrte. „Machen Sie den Versuch“, drängte er Arafat, „wenn es misslingt, werde ich der Letzte sein, der Sie hinterher beschuldigt.“
    Er tat es dennoch…

    http://www.nahost-politik.de/friedensverhandlungen/barak.htm

    http://www.judentum.net/israel/camp-david.htm

  2. Besonders heikel war hingegen der Status von Jerusalem. In dieser Frage nahm die israelische Delegation eine Haltung ein, die der der extremsten jüdischen Siedler entsprach. Gilad Sher, persönlicher Referent Baraks, bestätigt dies in seinem Buch „Zum Greifen nah – die israelisch-palästinensischen Friedensverhandlungen“, in dem er bestätigt, dass man in Bezug auf Jerusalem am liebsten jedes Mal den „Jesha-Council“ (Siedlerrat) konsultiert hätte. Insbesondere Israels Haltung in Bezug auf den Haram el-Sharif (Terrain der Al-Aqsa-Moschee) erregte das Misstrauen der Palästinenser. Die plötzliche israelische Forderung, dass Juden auf dem Haram el-Sharif beten können sollten, führte zur strikten Zurückweisung durch die Palästinenser. Selbst israelische Rabbiner erhoben nicht solch eine Forderung.
     
    Barak verkündete nach dem Scheitern der Camp David:

    „Ich habe mich aufgemacht, zu versuchen, Jerusalem – unsere Hauptstadt – zu stärken, sie zu vergrößern und sie für kommende Generationen mit einer starken jüdischen Mehrheit zu stützen. Ich habe mich aufgemacht zu versuchen, dafür zu sorgen, dass eine Mehrheit der Siedler in Judäa und Samaria zum ersten Mal unter israelischer Souveränität leben würde.“

    Alles in allem sollte sich die palästinensische „Souveränität“ auf die Teile Ost-Jerusalems beschränken, die nicht Teil von Jerusalem von 1967 waren. Ihre so genannte Hauptstadt „Ost-Jerusalem“ hätte letztendlich aus drei Dörfern bestanden (Abu Dis, Al-Eisaria, Sauwahra), die nicht zu Ost-Jerusalem in den Stadtgrenzen von 1967 gehört hatten. Ein „special regime“ (besonderes Verfahren) sollte für die Altstadt angewandt werden, jedoch erst später; dort sollte auch Arafats „sovereign compound“ (souveränes umzäuntes Gelände) für seine Verwaltung liegen.

    Jossi Beilin, damals Baraks Justizminister, hat berichtet, dass das israelische Verhandlungsteam auf Anweisung Baraks den Palästinensern niemals Karten oder etwas Schriftliches unterbreitet habe. Für die Palästinenser gab es immer nur die Wahl zwischen Annahme der Vorschläge oder deren Ablehnung.
     
    Danach kam es zu einem politischen Stillstand, bis Ariel Sharon am 28. September 2000 in Begleitung von 1 000 Polizisten und mit Genehmigung Ehud Baraks israelische „Souveränität“ über den Haram el-Sharif demonstrierte. Tags darauf schossen israelische Streitkräfte auf demonstrierende Palästinenser in Jerusalem. Es gab 29 tote und über 100 verletzte Palästinenser.

    http://www.bpb.de/publikationen/UO00N5,2,0,Der_Osloer_Friedensprozessals_ein_Weg_zum_Frieden.html

  3. Erstaunlich, erstaunlich – wenn etwas wirklich ‚kreativ‘ ist, dann ist es dieser Artikel, oder basieren die  aneblichen ‚Fakten‘ direkt auf den Vorgaben der Hasbara?
     
    Arafat hat niemals ‚ganz‘ Jerusalem als Hauptstadt anvisiert und daran war auch gar nichts geheim (unbekannt höchstens für jene, die sich dauernd mit den Infos der israelischen PR-Kreativ-Agenturen füttern), die Streitigkeiten gingen lediglich um die Herrschaft über den Tempelberg und die Altstadt, die eben jenseits der Grünen Linie liegen. Es waren die Israelis, die sich weigerten die Stadt zu teilen, was auch Sharon den Wahlsieg bescherte, weil dieser noch unerbittlicher jeden Anspruch der Palästinenser auf den Tempelberg und Ost-Jerusalem abwehrte. Wie allerdings auch dieser Artikel schon sagt, man hatte den Palästinensern in Camp David tatsächlich einige Vororte angeboten, die sie dann hätten Al-Quds nennen können. Arafats Ausspruch bzgl.Jerusalems bezog sich niemals auf ‚ganz Jerusalem‘ (das war Sharon), sondern darauf, dass man den Anspruch an Jerusalem als Hauptstadt (Ost-Jerusalem, die muslimischen Viertel, den Tempelberg) nicht aufgeben werde.
     
    Weiterhin hat man den Palästinensern eben nicht 97% der West-Bank angeboten. Das war auch eine sehr ‚kreative‘ Buchführung, hatte man diverse Siedlungsblöck ja schon nicht miteingerechnet. Die 97%, die man so vollmundig der Welt verkündeten, bezogen sich daher von vornherein nur auf einen Bruchteil der West-Bank.
     
    Was umfasste Baraks «grosszügiges Angebot» konkret? Der palästinensische Staat sollte im Westjordanland aus drei Landstücken bestehen, die durch Korridore miteinander verbunden gewesen wären; die Kontrolle dieser Korridore und die Aussengrenzkontrollen der drei Landstücke hätten bei Israel gelegen. Die Bevölkerung wäre im Alltag weiter der Willkür der Besatzungsmacht ausgesetzt gewesen. 10 Prozent des Westjordanlands wären von Israel für die Siedlungen annektiert worden. Dafür sollten die Palästinenser mit einem Stück Wüste
    entschädigt werden. Weitere 10 bis 12 Prozent, die den Jordangraben ausmachen, wollte Israel für 100 Jahre pachten.
     
    Das hätte also insgesamt 22% Verlust der West-Bank bedeutet für ein wesentlich kleineres Stück Wüste in einem Flächenverhältnis 10 :1.


    ‚Oder gibt es einen historisch vergleichbaren Fall, indem der Sieger eines bewaffneten Konflikts als Bedingung für den Frieden die Maximalforderungen des unterlegenen Gegners diktiert bekommt?‘
     
    Wenn ich dann diesen Satz lese, dann habe ich schwer den Eindruck, dass die Autoren mental noch in den Zeiten des Raubrittertums hängen geblieben sind.
     
    Der Überfall und die gewaltsame Aneingnung fremden Territoriums ist keine Heldentat die belohnt wird, wenn schon, dann müsste sie eher bestraft werden, jedenfalls dann, wenn man sich von den steinzeitlichen Vorstellungen des Faustrechts verabschiedet hat und für die moderne Vorstellung von Fairness und Rechtsstaatlichkeit eintritt.
     
    Daraus lassen sich überhaupt keine Ansprüche ableiten, im Gegenteil – eher vollständiger Rückzug und Kompensationszahlungen für erlittenes Leid und Zerstörung.

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