Die vergessenen Juden vom niederbayerischen Hausstein

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Auch der dritte Versuch ist gescheitert: Sooft bisher über die Historie des Sanatoriums am Hausstein im niederbayerischen Landkreis Deggendorf geschrieben wurde, gelang nie eine umfassende Darstellung, auch wenn der dritte Schreiber seine jüngst erschienene Arbeit als solche preist. Dass zur Geschichte auch Juden gehören, blieb stets unerwähnt. Und der einzige jüdische Arzt dort, ein wahrer Menschenfreund, wurde in keiner der Arbeiten namentlich genannt…

Von S. Michael Westerholz/Deggenau 

Als der Schauflinger Student Rudolf Janik aus einer lokalen Lehrersfamilie 1935  seine von ihm selbst „Ferienarbeit“ genannte, immerhin die erste „Geschichte von Schaufling und Umgebung“  veröffentlichte, war an die Erwähnung einstiger jüdischer Patienten und gar eines Mediziners als zeitweilig sogar Leitender Arzt im Sanatorium am Hausstein seitwärts der alten Gemeinde  nicht zu denken. Die letztlich totale Ausschaltung der jüdischen Deutschen war in vollem Schwung, und wer Adolf Hitlers „Mein Kampf“ gelesen hatte, musste selbst bei geringer Fantasie eine Ahnung davon haben, was das wichtigste Ziel des „Führers“ noch vor seinen Großmacht- und Kriegsplänen war: Die Vernichtung des europäischen Judentums!

Wiewohl  der Trägerverein des Sanatoriums die Herausgabe der Schrift finanzierte, legte Rudolf Janik auf nur zwei von insgesamt 87 Seiten keine auch nur annähernd umfassende Geschichte Haussteins vor. Wohl aber enthüllte er, dass die NSDAP bei sieben  Reichstagswahlen seit dem 20. Mai 1924   in der seinerzeitigen Gemeinde Urlading mit Hausstein auf 27 bis 33 Prozent der abgegebenen Stimmen kam. Sie lag damit deutlich unter dem deutschen und dem bayerischen Durchschnitt.  Unter den Patienten im Sanatorium aber fand die Partei bis zu 100 Prozent Zustimmung. Die beruflich-soziologische Struktur der Patienten,  durchweg Angestellte aus dem seit der Inflation von 1919 bis 1924 und in der Weltwirtschaftskrise ab 1929 massiv gebeutelten Mittelstand, zeigt sich hier überdeutlich: Diese Menschen, seit dem Sturz der deutschen Monarchien politisch entwurzelt, in der Demokratie nie angekommen, wollten Hitlers Wirtschafts-Heils-Versprechungen einfach glauben, so erkennbar unseriös diese auch waren.

Auch Sanatoriums-Mitarbeiterin Frieda Gabriel und ich konnten in dem 1989 von uns vorgelegten Buch „Hausstein – Geschichte und Geschichten um einen Berg, Wald und…“, dem zweiten Versuch einer umfassenden Darstellung,  nur Teilaspekte veröffentlichen. Zu eng war der uns vom damaligen Unternehmer der nunmehr neuen „Klinik Bavaria – Orthopädisch-Neurologisches Rehabilitationszentrum“, Rudolf Presl, gesetzte Rahmen sowohl für die Dauer der Texterarbeitung, als auch bei der Auswertung der sehr rudimentären historischen Archivunterlagen über das „Sanatorium am Hausstein für Lungenkranke aus dem Mittelstande in Bayern“.  

Immerhin schrieben wir über die dramatischen Ereignisse des Jahres 1933, die Adolf Hitler an die Macht brachten, unbehindert durch seine „willigen Vollstrecker“ (Daniel Goldhagen in „Hitlers willige Vollstrecker“): „Die Nazis hatten die Umwandlung (Anmerkung: des Sanatoriums-Vereins in eine Stiftung in der Verwaltung der Stadt München) stark befürwortet, obwohl der Verein 1933 die `nationale Bewegung´ lauthals begrüßt, `auf dringliche Bitten´ sofort einen SA/SS-Freiplatz zur Verfügung gestellt, Juden unverzüglich ausgeschlossen hatte und (diese) auch nicht mehr als Patienten aufnahm.“

Doch auch Andreas Schröck, Verwaltungsleiter der Verwaltungsgemeinschaft Lalling im Bayerischen Wald, zu der auch die Gemeinde Schaufling (mit Hausstein!) gehört, hat es nicht geschafft. Seine einleitende Aussage im nunmehr dritten Anlauf: „Eine umfassende Geschichte der Heilstätte Hausstein ist bisher noch nicht erschienen“, muss leider auch an das Ende seines Beitrags gesetzt werden: Fast 110 von 263 Seiten der „Deggendorfer Geschichtsblätter“ Nr. 31, 2009 (die allerdings erst im Spätsommer 2010 erschienen sind!) haben nicht gereicht, der jüdischen Patienten zu gedenken, die seit der Eröffnung des Hauses im Jahre 1908 bis 1932 regelmäßig dort nach Heilung suchten. Schröck wertete allerdings  Schauflinger Standesamts-Unterlagen vom August und September 1945 aus, in denen jüdische Patienten genannt werden. Jedoch der untadelige Arzt Dr. Manfred Moses Haas (1885 in Mühlhausen/Mittelfranken, 1944 in Auschwitz ermordet) wird  in keiner der drei Arbeiten gewürdigt.

Jüngst  ausgewertete Rechenschaftsberichte des privaten Sanatoriumsvereins für die Jahre 1909, 1910 mit 1916, 1923,1925, 1928, 1932 und 1933 zeigen aber auf, wieviele jüdische Patienten hier Heilung suchten. Und in ihnen findet sich auch ein Hinweis auf Dr. Haas. Seine Vita und die seiner Familie haben der einzigartig engagierte Johann Fleischmann in Mühlhausen, sein „Arbeitskreis Jüdische Landgemeinden  an Aisch, Aurach, Ebrach und Seebach“ , sowie 68 private Zeitzeugen und Informanten und etwa fünfzehn Archive, Bibliotheken, Finanzinstitutionen, Museen, Tageszeitungsredaktionen und Israelitische Kultusgemeinden in vier Staaten  zusammengetragen.

Hausstein und seine jüdischen Patienten

Die seit der Antike, aber auch zum Beispiel von Alexandre Dumas d. J. 1848  in „Die Kameliendame“  beschriebene, auf keine Gesellschafts- und Sozialgruppe beschränkte  Volkskrankheit Tuberkulose, im Volksmund als „Schwindsucht“ ebenso drastisch wie treffend benannt, wurde erstmals Erfolg versprechend von dem Arzt Dr. Hermann Brehmer (1826 – 1889) und hernach mit steigenden Erfolgen in einer Art Heilstättentherapie bekämpft. Dies war der Hintergrund der Bildung  des „Vereins zur Gründung eines Sanatoriums für Lungenkranke in Bayern“  im Februar 1898. Unter den Vereinsmitgliedern befanden sich einige jüdische Bayern, meist aus dem Bankensektor: Waren doch Bayerische Vereins- und Bayerische Hypotheken- und Wechselbank jüdische Gründungen und die Gründerfamilien teils bekannte, überwiegend aber ebenso großzügige wie klammheimlich-bescheidene Mäzene unter anderem im Sozialbereich.

Schon 1908 wurde das Sanatorium eröffnet. Auch heute noch bietet sich aus weiten Teilen des  niederbayerischen Gäubodens und Vorwaldes ein schier umwerfender Blick auf den Südhang des Hausstein, der mit 917 Metern  eine beachtliche Höhe aufweist: Inmitten der bis heute gepflegten Wälder  wirkt der inzwischen architektonisch überaus geschickt erweiterte Bau wie ein leuchtendes Schloss in der  von hell- bis sattgrünen Bayerwaldlandschaft.

Schon der erste Rechenschaftsbericht für die Zeit vom 14. Juni 1908 bis zum 31. Dezember 1909, der dem Protektor des Vereins und bayerischen Prinzregenten Luitpold von Bayern vorgelegt wurde – Luitpold vertrat nach dem Ertrinkungstod des „Märchenkönigs“  Ludwig II. den wegen Geistesschwachheit dienstunfähigen König Otto und war so faktisch Bayerns oberster Herrscher – informierte die 4680 Mitglieder über 4319, 70 Mark Spenden, knapp die Hälfte davon von jüdischen Mitgliedern wie Kommerzienrat Max Ph. Tuchmann, Nürnberg, Fabrikdirektor G. Kalbfuß, Selb, Direktor Bausenwein hergeschenkt.

Ein königlicher Augenarzt, Dr. med. Prinz Ferdinand von Bayern, hatte das auf 750 Metern Seehöhe inmitten von Nadelholzwäldern stehende Sanatorium mit seinen damals 50 Krankenzimmern und insgesamt 77 Betten eröffnet. Es gab eine riesige Sonnenterrasse und eine Waldliegehalle, eigene Quellen    (die erst 2010 durch einen Wasseranschluss an die öffentliche Trinkwasserversorgung endgültig abgelöst wurden!), landwirtschaftliche Getreide-, Gemüse- und Milchviehwirtschaft, die eigene Bäckerei.

Unter 463 Patienten der ersten 18 Monate Betriebsdauer waren die Bayern in der Mehrheit, befanden sich aber auch Preußen, Württemberger, Badenser, „Deutsch-Österreicher“ und „Deutsch-Russen“ – sowie fünf Sachsen:  Dieser sächsische Anteil, der über all die Jahre bis 1933 fast gleich blieb, ist deshalb für diese Arbeit von Bedeutung, weil einige der Patienten offenbar mit dem zeitweiligen Assistenz- und dann Leitendem Arzt Dr. Haas Kontakt hielten und ihn vermutlich nach Leipzig lotsten. Ferner waren „8 Israeliten“ unter den Patienten des Eröffnungs- und des folgenden Jahres.

Danach pendelte sich die Zahl der jüdischen Patienten ein:

1910 waren es elf von insgesamt 286,
1912 zwei von 2660,
1913 sieben von 305,
1914 sieben von 276,
1915 vier von 251,
1916 eine von 256 Patientinnen und Patienten. Bis zum Jahr 1922 fehlen die Berichte.

1923 waren sechs jüdische Patienten unter den insgesamt 314 aus Bayern, anderen deutschen Staaten, Österreich, der eben unabhängig gewordenen  Tschechoslowakei, der Türkei, Griechenland, Holland (Niederlande!) und Bulgarien.

In der sich seit 1916/17 zunächst durch private, aber amtlich sanktionierte „Notkriegsscheine“ abzeichnenden schrecklichsten Inflation, die das Deutsche Reich bis zur Ausgabe der „Rentenmark“ im Jahre 1924 in ihren Klauen hielt, gingen alle Kriegsanleihe-, Renten-, Spar-  und Barwerte verloren. Die Bilanz in Einnahmen und Ausgaben des Geschäftsjahres 1923: 6.578.640.001.141.824 Mark = eine nur Mathematikern bekannte Zahl von nahezu sieben Trillionen. Als allein das bayerische Ministerium des Inneren 4.000.000.000.000.000 Mark spendete, waren das fiktive Werte. Für die 20.000.000 Mark eines Franz Müller aus München zum Beispiel, waren auf dem Höhepunkt nicht einmal ein Brot oder einige Kilogramm Kartoffel zu bekommen.

1925 waren sieben jüdische unter 404 Patienten.

In Archiven finden sich erst wieder ab 1928 Jahresberichte. Sie nennen keine Religionszugehörigkeit mehr – was eigentlich von der Eröffnung an zu erwarten gewesen wäre. Lautete doch ein Absatz im ersten Werbeflyer für das Sanatorium, der um 1919/20 erschienen sein dürfte: „Unsere Vereinsziele verfolgen wir ohne Rücksicht auf Parteizugehörigkeit und Konfession , lediglich getragen von dem Gedanken werktätiger Nächstenliebe und praktischer Wiederaufbauarbeit am deutschen Vaterlande.“  

Die durchschnittliche Beherbergung von fünf jüdischen Kranken pro Jahr und dem Patientendurchschnitt von 260 ergibt  einen Anteil unter zwei Prozent. Er liegt unter dem jüdischen Anteil an der bayerischen Bevölkerung.

Auffällig ist, dass die Mitgliederzahl des Vereins, die bis 1932 ohnedies auf weniger als ein Drittel des Bestandes von vor dem Ersten Weltkrieg abgesunken war, innerhalb des Jahres 1933 um rund 60 auf knapp über 1000 Mitglieder abstürzte. 30 davon waren Verstorbene, die übrigen 30 mit größter Wahrscheinlichkeit Juden, die nun, unmittelbar nach der „Machtergreifung“ Hitlers am 30. Januar 1933,  nicht mehr erwünscht waren. Die  opportunistische Anbiederung der Vereinsspitze an den neuen „Führer“-Staat, dessen oberster Repräsentant Hitler  seine wahren Ziel einer Diktatur rücksichtlos verfolgte und schon 1934 unumkehrbar erreicht hatte, nützte freilich nichts: Das Sanatorium wurde unter die Verwaltung der „Hauptstadt der Bewegung“, die Landeshauptstadt München   gestellt und blieb dort auch nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Zahl der  Mitglieder jüdischen Glaubens unter der Gesamtmitgliederzahl im Verein hatte mit knapp drei Prozent jedoch über dem mit 23.000 minimalen prozentualen jüdischen Anteil an der bayerischen Bevölkerung von über sechs Millionen Einwohneren gelegen. Er war sicher ein Ergebnis des praktischen Nächstenliebegebots in der Thora!

Der jüdische Arzt Dr. Manfred Moses Haas

Mit Dr. Manfred Moses Haas  (1885 in Mühlhausen, 1944 in Auschwitz ermordet) aus einer seit Jahrhunderten in Franken ansässigen Familie und seinem Eintritt als Arzt in Hausstein verbinden sich Zufälle und Umstände, die in keinem der genannten Werke über HAUSSTEIN erwähnt wurden. Sie kommen nicht einmal in „MESUSA“ (Nr. 6, 2008) zur Sprache und  sollen darum hier in Erinnerung gebracht werden.

Haas´ Vater war der Weberssohn Jakob Haas, der im deutschen Revolutionsjahr 1848 geboren worden war. Die 1849 durch das energische, teils terroristische Eingreifen der anfangs schwer geschockten  deutschen Könige und Kleinstherrscher  gescheiterte Revolution hatte  sich als überaus schädlich für die deutschen Juden erwiesen. Dabei hatte sich deren Leben in der Zeit zwischen der napoleonischen Herrschaft über das spätere Deutschland und dem Jahr 1848 leicht entspannt. Jetzt, nach dem Scheitern der Revolution, der brutalen Verurteilung vieler  und der Flucht weniger Führungspersönlichkeiten wurde die Volkswut auf die Juden gelenkt. Eine angebliche Befreiung der Juden erwies sich als Mogelpackung – ihre Niederlassung wurde auch in Bayern massiv erschwert.  Vor allem deshalb wunderten ab  jenen Jahren so viele Juden aus, vorzugsweise in die USA.

Die Mutter Babette („Peppi“), eine geborene Metzger aus Fellheim, war zwei Jahre älter als ihr Mann Jakob Haas. Der wurde 1871 Lehrer an der „Israelitischen Elementarschule“ in Mühlhausen, 1876 nach Cronheim,  1878 nach Wannbach, 1880 zurück nach Mühlhausen versetzt. Dort blieb er bis zu seinem Tod im Jahre 1906 im Amt.

Mühlhausen scheint ein eher tolerantes Miteinander der christlichen und jüdischen Bevölkerung erlebt zu haben. Jedenfalls gab der eifrige Heimatforscher und evangelische Pfarrer Richard Matthes dem jungen Haas Lateinunterricht. Manfred absolvierte anschließend ein Humanistisches Gymnasium in Erlangen, wo er dank des Privatunterrichts in die 2. Klasse aufgenommen wurde. Deutsch, Hebräisch, Latein und Griechisch standen auf seinen Stundenplänen. Aber schon im Zeugnis der 3. Klasse musste er erkennen, welchen Vorurteilen sich Lehrer hingaben:  „Er ist ein Jude von der liebenswürdigen Seite“, hieß es da, am Ende der 5. Klasse war er der „Typus eines Israeliten, der ….wenn die Gelegenheit günstig scheint, durch Betrug seine Lage zu verbessern sucht.“

Mit dem Zeugnis der Hochschulreife in der Tasche wechselte Manfred Moses Haas ab dem Wintersemester 1903/04 mit Unterbrechungen bis 1911/12 zum medizinischen Studium an die Julius-Maximilian-Universität Würzburg.  Dort bestand er 1913 sein Staatsexamen. Im dortigen Bibliotheksarchiv  findet  sich unter „Würzburg 1928, 5935“ auch seine Doktorarbeit: „Über eine praktisch wichtige Varietät am menschlichen Becken“. Sie hat er 1928 trotz voller Praxis und familiärer Pflichten in Leipzig erarbeitet.

Als der seit 1913 approbierte Mediziner Haas sich 1926 in Leipzig als Facharzt für Urologie, Haut- und Geschlechtskrankheiten selbstständig niederließ, machte er kürzest gefasste Angaben über seine Ausbildung und bisherige Tätigkeit: Hausstein kam darin nicht vor. Dabei hatte es interessante Auf- und Zufälligkeiten gegeben:  In dem Jahr 1895, in dem  Haas auf das Erlanger Gymnasium wechselte, hatte Wilhelm Conrad Röntgen soeben die X-, später nach ihm benannten Röntgenstrahlen entdeckt. Die spielten im Berufsleben des Arztes Haas eine bedeutende Rolle – auch im Sanatorium Hausstein.

Dass dieses Sanatorium auf der Südseite des Hausstein errichtet worden war, schrieben spätere Historienschreiber auf das Konto des ersten Pfarrers des für Hausstein zuständigen Pfarrdorfs Schaufling. Dieser begnadete Astronom, Wetterbeobachter und Naturforscher aus niederbayerisch-bäuerlicher Familie, Max Maier, *1862, nutzte seine wissensc haftlichen Erkenntnise unter anderem dazu , den armen Bayerwaldbauern in seiner Pfarrei moderne landwirtschaftliche Anbaumethoden zu empfehlen. Er riet auch dazu, Fischweiher zur Forellenzucht als zweites Standbein anzulegen (wobei er persönlich mit Pickel und Schaufel half!). Und er  widmete sich der Strahlenforschung, die Professor Röntgen selbst kaum mehr weiterverfolgt hatte.

In Schaufling gab es aber noch keinen elektrischen Strom. Und so musste der  Pfarrer aus eigenen Einnahmen finanzierte Akkumulatoren und die zur Forschung unabdingbaren Röntgengeräte auf seinem Buckel vom Bahnhof Deggendorf 16 Kilometer nach Schaufling tragen – für Fuhrwerker fehlte ihm das Geld.  Seine Strahlenforschungen waren die Grundlage für seine Doktorarbeit.

Ein weiterer Zufall:  Zu den Mitgliedern des  Naturwissenschaftlichen Vereins in Deggendorf gehörte der in dieser Stadt geborene Dr. Rudolf Grashey (1876 – 1950). Der war ein Sohn jenes Chefarztes der Kreisirrenanstalt Deggendorf, Dr. Hubert von Grashey, der 1886 das Gutachten über die geistige Erkrankung des Königs Ludwig II. von Bayern erstellt hatte. Dieser Professor war mit Anna von Gudden verheiratet – einer Tochter jenes „Obermedizinalraths Dr. Bernhard von Gudden“, der mit dem König im Starnberger See ertrunken war – entweder von dem tobenden Geisteskranken bei dessen Fluchtversuch mit in den Tod gerissen. Oder bei dem Versuch, seinen kranken König zu retten, gestorben.

Pfarrer Dr. Maier sprach häufig vor den naturwissenschaftlichen Experten und Amateuren des Deggendorfer  Vereins sowohl über seine Röntgenerkenntnisse, als auch über die damals noch total theoretische Atomforschung. Der vielleicht dadurch auf das medizinisch-technische Spezialgebiet gelenkte Grashey begann 1905 mit eigener Strahlenforschung. 1924 war er der erste deutsche Radiologiefacharzt, 1928 der erste deutsche Professor für  Röntgen- und Strahlenheilkunde (an der Uni Köln!).

Es ist nirgends eindeutig archivalisch belegt: Aber Rudolf Janik  schrieb über Pfarrer Dr. Maier, der 1901 als wahrscheinlich erstes Opfer einer ungehemmten, in ihrer Gefährlichkeit nicht erkannten Röntgen-(Dauer-)Bestrahlung gestorben war:  „Er … trug durch seine meteorologischen Messungen viel dazu bei, (neben dem Lehrer Richtsfeld), dass das Sanatorium an den Südabhang des Hausstein gebaut wurde.“ 

In das armselige Dorf des seinerzeit noch unvergessenen Forschers Dr. Maier kam Manfred Moses Haas 1913 zur Ableistung seines praktischen Jahres als Jungmediziner. Ihm war bewusst, wie bedeutsam die technische Möglichkeit war, durch Röntgenuntersuchungen viele Erkrankungen und deren Verlauf nachweisen zu können, auch die Tuberkulose, deren Ausbreitung in den folgenden Jahren durch Krieg und Hunger sich rasch vergrößern würde.

Schon 1904 hatte der junge Franke als Einjährig-Freiwilliger beim 9. (bayerischen) Infanterie-Regiment seiner Wehrpflicht abgeleistet. Seit Kriegsbeginn im Jahre 1914 war er als Arzt an zahlreichen Frontabschnitten eingesetzt, zunächst als Unter-. seit 1916 als Oberarzt. Er erlebte die Stellungskämpfe in Frankreich in Lazaretten in unmittelbarer Nähe zur Front, holte Verwundete und Sterbende aus den Gräben heraus, lief über Schlachtfelder, auf denen er kaum eine Deckung nutzen konnte. Artois,  Somme, Flandern, Arras, Wytschaetebogen, Verdun, Lothringen, Champagne, Reims , Ailette, Montdidier, Noyon – so lauten seine Einsatzorte, in denen das Entsetzliche nach fast einhundert Jahren immer noch sichtbar ist. Nur selten kam er – meist zu Fortbildungen – nach Deutschland heim. Erst im September 1919 wurde er in München aus dem Heeresdienst, erst im Frühjahr 1920 aus dem Militärdienst entlassen.

Auffällig aber: Der zahlreich ausgezeichnete Frontarzt kehrte in den überaus seltenen und durchweg sehr kurzen Urlaubszeiten mit wunderbarer Selbstverständlichkeit nach Hausstein zurück, um hier die mittlerweile meist alleine praktizierenden Ärzte zu entlasten: Im Dezember 1916 bis in den Januar 1917 hinein als Assistenzarzt, im frühen Winter des Jahres 1917 neuerlich, diesmal gar als Vertreter des Leitenden Arztes Dr. Otto Niedermayer aus einer bekannten Passauer Familie, dessen Bruder ein weltbekannter Chirurg war. Der Oberarzt der Reserve Haas nahm die bedrückende Verantwortung für die Patienten des Sanatoriums Hausstein auf sich, obwohl er sich in seiner fränkischen Heimat weitaus besser hätte erholen können. Wie der Arzt mit den grauenhaften Erlebnissen an der Front innerlich fertig wurde, wo zum Beispiel in seinem Abschnitt  zunehmend Giftgas versprüht wurde, ist unbekannt. Sein Front-Chefarzt  aber bescheinigte  Haas, der in geordneten Vermögensverhältnissen lebte und nicht in Ehrenhändel verwickelt sei, „gegen seine Patienten liebvoll“  zu sein.

Umso schlimmer, dass die diktatorische Führung der deutschen Kriegsmaschinerie, Generalfeldmarsschaffl Paul Ludwig Hans Anton von Beneckendorff und von Hindenburg (1847 – 1934) als Chef der Obersten Heeresleitung und sein Stellvertreter, der Erste Generalquartiermeister Erich Friedrich Wilhelm Ludendorff (1865 – 1937) und das Kriegsministerium in Berlin, den unabwendbaren  Untergang vor Augen, ihr Heil in der innenpolitischen Anschuldigung der Juden als angebliche Kriegsgewinnler und Drückeberger  suchten. Dabei bewiesen die durch das Ministerium  selbst ermittelten Zahlen, dass – gemessen an der Zahl der Deutschen – relativ mehr Juden freiwillig in den Krieg gezogen waren als christliche Nachbarn. Ferner, dass sie ein vergleichsweise weitaus zahlreicheres Blutopfer gebracht hatten als ihre christlichen Kameraden.  Dass dem Arzt Haas nach vier Jahren an der Front und  seiner zwischenzeitlichen ehrenamtlichen Tätigkeit für Patienten mit seinerzeit nur geringen Überlebenschancen das Eiserne Kreuz  I. Klasse verweigert wurde, dürfte schon das Ergebnis des sich rasant ausbreitenden Antisemitismusses im Heer und in dessen Bürokratie gewesen sein.

Manfred Moses Haas war seit 1918 verheiratet mit der 1888 in Würzburg geborenen Olga van Wien aus einer ebenfalls uralteingesessenen Familie unter anderem von Tuchhändlern. Diese firmierte seit 1904 als „Königlich bayerische und griechische Hoflieferanten“.  Seine Frau wurde wie ihr Mann 1944 in Auschwitz ermordet. Sie war mit ihrem Mann aus München weggegangen, als der 1926 seine Facharztpraxis in Leipzig eröffnete, die sich erstklassig anließ. Was Haas nach Sachsen gelockt hatte, ist unklar – nicht ausgeschlossen, dass es fortdauernde Verbindungen mit sächsischen Patienten gegeben hatte, die er aus Hausstein kannte.

Als die Eheleute Haas sich nämlich gegen Ende 1942 in Theresienstadt so gut es ging eingerichtet hatten, begann Dr. Haas mit seiner medizinischen Arbeit, die dort natürlich nicht vorgesehen war. Manfred Moses und Olga Haas hatten sich mit einem „Heimeinkaufsvertrag“ in der von den Nazis propagierten „Stadt der Juden“ vermeintlich eine Unterkunft verschafft: Natürlich war auch das ein widerlicher Schwindel gewesen. Aber Dr. Haas hatte einstige Patienten aus Bayern und Sachsen getroffen und half, soweit dies möglich war. Dies bezeugte der jüdische Feuerwehrkommandant in Theresienstadt, Leo Holzer aus Prag, ein untadeliger, glaubwürdiger, Welt weit höchst ausgezeichneter Überlebender  mit einem phänomenalen Gedächtnis.

Dr. Haas hat Holzer von der Lungenheilstätte in Niederbayern und seiner Tätigkeit dort „im Krieg“ (gemeint war der Erste Weltkrieg 1914/18) berichtet, und Holzer erzählte Jahrzehnte später, dass Dr. Haas sehr stolz darauf gewesen sei, dass dankbare Patienten ihm in seine späteren Praxen (München und Leipzig) nachgereist seien. So gut seien nicht alle Ärzte ihren Patienten in Erinnerung geblieben. (Über Leo Holzer, 1900 – 1989, wird in einem späteren Beitrag zu berichten sein).

Allerdings war Dr. Haas  im Herbst 1918 in München erkrankt: Erschöpfungszustände, Herzbeschwerden, ein unübersehbares Zittern deuten auf körperliche und psychische Kriegsfolgen hin, für die das Föhnklima Münchens nicht vorteilhaft war.  Durchaus möglich, dass auch günstigere klimatische Bedingungen ihn nach Leipzig lockten.

Sicher ist, der seit 1928 promovierte Dr. Haas muss in Leipzig stille Helfer in der NS- und GESTAPO-Bürokratie gehabt haben, die hier und da ihre Hände über ihn hielten:  Zwar wurde er zwei Mal verhaftet und dabei einmal schon in das berüchtigte KZ Sachsenhausen verschleppt. Aber sein 1922 geborener Sohn Hans Otto wurde 1939 von einer bis heute unbekannten Privatperson in dessen einmotorigem Flugzeug klammheimlich nach England geflogen und so in Sicherheit gebracht. Es war die letzte legale Landung eines deutschen Flugzeuges auf dem britischen Zielflughafen.

Der Sohn, der sich als britischer Staatsbürger John Hayes nannte, zwei Töchter hatte und 1988 starb, hat von einstigen Leipziger Nachbarn Erinnerungsstücke an seine Eltern und Großeltern erhalten: Diese Nachbarn machten Haas-Hayes-Junior in London ausfindig und besuchten ihn. Sie hatten zum Beispiel eine Goldene Taschenuhr, die einst dem Vater des Dr. Haas zum silbernen Lehrer-Dienstjubiläum verehrt worden war, unter Lebensgefahr aus der versiegelten Wohnung geholt, nachdem die Eheleute Dr. Haas abgeholt worden waren.

 Dr. Haas und seiner Frau war auch der Zusatzname Israel bzw. Sara zwangsweise  eingetragen worden. Aber sie bekamen von einer deutschen Dienststelle entgegen   deren sonstigem Verhalten noch Geld von ihrem Bankkonto, um Schiffskarten für eine Aussiedlung in die USA zu kaufen – leider vergeblich: Die Einreisebewilligungen kamen nicht rechtzeitig an, die Eheleute saßen in der Falle.

Seit 1938 durfte sich der Facharzt nur noch „Krankenbehandler“ nennen. Die Wohnungseinrichtung blieb entweder in einem deutschen Hafen hängen oder schwamm auf irgendeinem Schiff nach Amerika. Niemand weiß, wer sie letztlich in Empfang genommen hat. Aber im Gegensatz zu allen anderen jüdischen Ärzten nannten ihn selbst NSDAP-Dienststellen und GESTAPO-Beamte in Amtsschreiben bis zur Verschleppung nach Theresienstadt  Dr. Manfred Moses „Israel“ Haas und „Arzt“. Drei Jahre bis zum 19. September 1942 vegetierten die einst so gut situierten, jetzt restlos beraubten Eheleute Haas in Obdachlosen- oder sogenannten „Judenwohnungen“. Dann wurden sie nach Theresienstadt, am 9. Oktober 1944 von dort nach Auschwitz verschleppt.

„Ihre Seelen seien eingebunden in das Bündel des Lebens!“ Hausstein – ein Zufluchtsort für überlebende Juden

Am Kriegsende 1945 war das Sanatorium am Hausstein voll belegt, wobei die Bettenzahl  um 15 erhöht worden war. Ärzte und Offiziere der US-Army kündigten an, überlebende KZ-Insassen und kranke Zwangsarbeiter einzuweisen. Andreas Schröck erwähnt zwei  Schauflinger Standesamts-Aufstellungen vom August und September 1945 und ärztliche Berichte mit insgesamt 47 namentlich genannten Personen. Von diesen waren 24 aus KZ befreit worden. Einige der Juden unter ihnen waren aus Theresienstadt in die Alte Kaserne in Deggendorf gebracht worden –  jenes Bauwerk, das einst „Kreisirrenanstalt Deggendorf“ gewesen war und nun als DP-Lager diente. Es ist uns schon in Zusammenhang mit Professor Dr. Grashey begegnet, der in diesem Gebäudekomplex geboren worden war.  Ausdrücklich als Juden werden in den Schauflinger Standesamtslisten  genannt:

1. Chil Goldberg, * 1923 in Thomaschow, Pole, am 23. November 1945 gestorben.

Aus seiner Familie waren drei Angehörige aus Theresienstadt nach Deggendorf gebracht worden. Sie hatten vor ihrer Festnahme in Oswiecim gelebt – in Auschwitz, dem  mörderichsten aller KZ!  

2. Bela Gross, *1927 in Schollank, Ungar,
3. Ludwig Lebovits, *1924 in Galoc bei Uzhorod (Uschgorod) in Transkarpatien im Dreiländereck zwischen der Ukraine, Ungarn und  Slowenien. Seine Staatsangehörigkeit blieb ungeklärt. Seine Familie soll in Babi Jar bei Kiew ermordet worden sein.
4. Georgius Levis, * 1914 in Saloniki, Grieche, in Plattling aus dem Nebenlager des KZ Flossenbürg befreit.
5. Samuel Markavies, *1924 in Lipca, Tscheche,
6. Salomon Metzler, *1925 in Großwardein, Rumäne,
7. Halina Reingold, *1928 in Lodz, Polin.
8. Rachel-„Sara“ Reingold geborene Kaplan, * 1902 in Lodz, Polin.

Halina und Rachele Reingold waren Tochter und Mutter. Zusammen mit dem Vater und Ehemann Siegmund Reingold, * 1900 ebenfalls in Lodz und nach der Befreiung im anfänglich chaotischen DP-Lager  Deggendorf untergebracht, ohne eine verlässliche Möglichkeit, Frau und Tochter im fast 20 Kilometer entfernten Sanatorium Hausstein regelmäßig zu besuchen, hatten sie vor ihrer Verschleppung nach Theresienstadt in der unter dem Schutz des  Völkerbundes stehenden „Freien Stadt Danzig“ gelebt. Dass bei Mutter Rachel noch im besetzten Schaufling-Hausstein amtlich ihr von den Nazis aufgezwungener  Name „Sara“ eingetragen wurde und dass Lodz dort immer noch „Litzmannstadt“ hieß, zeigt, wie schwer sich deutsche Gemeindebürokraten taten, auch diese widerlichen Teilaspekte des Nazi-Terrors zu erkennen und sich aus ihnen zu lösen:  Auch sie waren  „willige Vollstrecker“ gewesen und blieben es trotz der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reichs und damit dem Ende des Nazi-Terrors weiterhin.

Sie, die mehrheitlich beteuerten, „von Verbrechen nichts gewusst, von KZ und den Gräueln dort sowie von den Mordverbrechen der SS und der Deutschen Wehrmacht nie etwas gehört“  zu haben, hatten das Ergebnis der „humanen deutschen Kriegsführung“ im massenhaften Sterben in Hausstein und im DP-Lager Deggendorf sowie im eben befreiten KZ-Nebenlager von Flossenbürg in Plattling  vor ihren Augen. Und sie alle, die „immer schon dagegen gewesen“ waren, blieben selbst in den aus ihrer Sicht kleinen Dingen im Jargon. Sie hängten keinem  toten Deutschen das Religionsattribut „Katholik“ oder „Lutheraner“ oder Atheist an – nur die Juden, die nun keinen Stern mehr tragen mussten, wurden dennoch als solche (abwertend?!) gekennzeichnet. 

9. Emanuel  Schönbrunner, *1901 in Uzhorod Boeni, Ukrainer aus jüdisch-tschechischer Familie,
10. Max Spielmann, *1902 in Wien, hatte zuletzt im niederösterreichischen Kirchberg am Wechsel gelebt. Er war Österreicher.

Weitere Juden starben in Schaufling – ihr Zustand ebenso wie der aller befreiten KZ-Häftlinge war verheerend. Sie kamen  zum Beispiel aus Dachau, aus den Flossenbürger Todesmärchen via Cham. Sie kamen  aus einem Güterzug, der mit 4500 Häftlingen in Weimar-Buchenwald nach Dachau abgefahren war, durch Bayern und Böhmen immer wieder umgeleitet wurde, über Zwiesel, Deggendorf und Nammering  – wo 700 Tote in einen Steinbruch  geworfen wurden – nach Dachau geleitet  wurde, wo die wenigen Überlebenden von US-Soldaten befreit wurden. In Zwiesel waren Kranke aus dem Zug ins örtliche Krankenhaus geschafft worden, die alsbald nach Hausstein verlegt wurden,  waren aus dem  Flossenbürger Nebenlager Ganacker befreit worden.

Laut Schröck wird bei einigen der hier genannten Überlebenden ausdrücklich auf das DP-Lager Deggendorf hingewiesen. Ob die in diesem DP-Lager und in Hausstein vermuteten Eheleute Julius,

* 31. Januar 1886, und Margaretha Hercz, *4. November 1893, beide angeblich Österreicher, jemals hier wie da eintrafen, ist unklar: Sie werden in einer Liste ermordeter sowie  bald nach der Befreiung gestorbener Juden genannt, waren ganz sicher auch in Theresienstadt. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass sie im DP-Lager Deggendorf bereits avisiert waren, jedoch auf dem Transport durch Böhmen kurz vor Böhmisch-Eisenstein  ums Leben gekommen sind, als mindestens eines der US-Fahrzeuge schwer verunglückte. Dass ein Richard Hercz 2008 im Internet nach Patienten suchte, die 1945 mit seinem Vater in Hausstein untergebracht waren und hernach in die USA auswanderten, spricht für das Eintreffen mindestens seines Vaters.

Als Berufe der oben genannten jüdischen Patienten werden Schlosser, Arbeiter, Kohlearbeiter, Möbelpolierer, Schüler, Modistin , Lehrer und Mechaniker angegeben. Den Namenslisten der in Deggendorf untergebrachten Überlebenden ist zu entnehmen, dass die meisten in die USA auswanderten.

Religiöse Bekenntnisse bzw. Zugehörigkeiten werden in der deutschen Bürokratie der Gegenwart nicht mehr erfasst. Personenstands-, Datenschutz-  und Anti-Diskriminierungsgesetze sollen dies verhindern. So verteilen sich rund 1200 Mitglieder Israelitischen Kultusgemeinde Straubing  durchweg unerkannt über Niederbayern, ausgenommen Vorstand, Rabbiner und Gemeindesekretär, die bewusst an die Öffentlichkeit gehen. Bis zur Auslöschung der ersten Gemeinde mit ihrer  1906 geweihten  Synagoge lebten jüdische Niederbayern nur in maximal zehn Gemeinden zwischen Landshut, Straubing, Deggendorf/Plattling, Regen/Viechtach und Passau. Heute leben sie in Städten, Marktgemeinden und Dörfern und nicht wenige suchten seit 1999 in der modernen ASKLEPIOS-Klinik in Hausstein, dem REHA-Zentrum  für Orthopädie, Traumatologie, Geriatrie, Innere Medizin, Neurologie, Neuropsychiatrie, Kardiologie und Angiologie  Heilung oder zumindest Linderung.

QUELLEN

R. Janik:  Geschichte von Schaufling und Umgebung (Gemeinde Nadling und Urlading) Ein Beitrag zur Geschichte der Ostmark, S. 52 f (Hausstein), 42 ff (Pfarrer Dr. Maier) G. Hirth Verlag AG München, 1935
F. Gabriel/Natternberg – S. M. Westerholz/Deggenau: HAUSSTEIN Geschichte und Geschichten um einen Berg, Wald und …, Neue Presse Verlagsgesellschaft Passau, 1989
A. Schröck, 100 Jahre Heilstätte Hausstein Vom Lungensanatorium  zur Asklepios Klinik in DEGGENDORFER GESCHICHTSBLÄTTER  31/2009,  S. 111, 113 f. 126/27 (Pfarrer Dr. Maier, Lehrer Joseph Richtsfeld), 1 86 – 189 (jüdische Patienten 1945), 206 (Asklepios).
S. M. Westerholz: Strahlend im Leben und in den Tod: Der „Röntgenpfarrer“ Dr. Max Maier, Förderkreis Neuburg am Inn, 2002, Erstveröffentlichung DONAUKURIER, Ingolstadt, 2000.
J. Fleischmann, MESUSA 6, Dr. Manfred Moses Haas,  S. 20 (Kindheit), 56 (Gymnasium Erlangen),  82 (Studium), 83 (Praktikum Hausstein), 93 ff. (Krieg), 143 ff. (Leipzig), 338 (Erinnerungen von Leo Holzer).  
Jahresberichte des Vereins  Sanatorium für Lungenkranke aus dem Mittelstande e. V., München, 1908 – 1935 (mit Lücken).

4 Kommentare

  1. Mit Interesse habe ich Herrn Westerholz‘ Kommentar gelesen, sehe mich jedoch gezwungen auf ein Missverständnis aufmerksam zu machen:

    Aus der Ukraine zu kommen, heißt nicht zwingend auch ethnischer Ukrainer zu sein. Ausgesprochen zahlreich waren und sind zum Teil heute noch die Minderheiten in diesem osteuropäischen Land. Tataren, Albaner, Griechen, Türken, Russen, Polen, Slowaken, Rumänen, Deutsche, Roma und Juden sind nur einige dieser Minderheiten. Manche Minderheiten sind zahlenmäßig sogar so stark gewesen, dass sie ‚eigene‘ Sprachinseln bildeten. Aus einer solchen, russischsprachigen, Sprachinsel stammten meine Vorfahren. Deren Vorväter wiederum stammten aus Deutschland, aus Georgien, aus Weißrussland, aus Russland und aus Polen. Außerdem waren sie nicht alle Christen. Wie bereits aus dem Namen meines Großonkels seligen Angedenkens, Hermann August Schulte, hervorgeht, kann er gar kein ethnischer Ukrainer gewesen sein, vielmehr entstammten seine Eltern jüdischen Familien aus Hamburg.

    Als Jude in der Sowjet Union hatte man in seinem sowjetischen Pass, ebenso wie auch die ethnischen Deutschen und andere Nationalitäten, seine Nationalität eingestempelt stehen. Dies führte, wie man sich leicht vorstellen kann, zu Diskriminierungen, nicht nur im Umgang mit den Sowjetbehörden, sondern stets, wenn man gezwungen war sich auszuweisen. Schlimmer noch wäre es Sowjetjuden ergangen, wären sie mit so einem Pass Wehrmachtssoldaten in die Hände gefallen. Zahlreich erhalten geblieben sind bekanntlich einschlägige Befehle mit dem Wortlaut: „Juden und Zigeuner sind beim Aufgreifen sofort zu erschießen.
    Dessen bewusst haben viele Juden, die später in die DP-Lager in Deutschland kamen auf der Flucht nach Westen ihren Sowjetpass ‚verloren‘. Gerieten sie an deutsche Behörden, oder an sich auf dem Rückzug befindliche Wehrmachtsteile, so erklärten sie, der deutschen Sprache waren ja viele mächtig, sie gehörten der Minderheit der Ukrainedeutschen an und bekamen so meist anstandslos neue Papiere, die ihre nicht mehr nachprüfbaren Angaben enthielten. So war dies auch bei meinen Verwandten, die sich als protestantische Deutsche aus der Ukraine ausgaben. Daher ist es auch ganz natürlich, dass Herr Westerholz keine Angaben zu „ukrainischen Ingenieuren“ vorfand.

    Es gab demnach nicht die geringsten Zusammenhänge zwischen den „mit den Deutschen verbündeten Ukrainern„, die schon vorher im Deggendorfer Lager waren und meinen Verwandten, die erst später dort anlangten.Im Gegenteil. So ich bin heute nicht nur auf meine Verwandten, die sich nach 1945 in Bayern am Wiederaufbau beteiligten, stolz, sondern auch auf jene, die als Partisanen in den russischen und ukrainischen Wäldern deutsche Mörder und Okkupanten einer gerechten Strafe zuführten. Leider haben nur wenige von letzteren den Krieg überlebt.

    Mein Wissen zu den Aufbauarbeiten meines Großonkels habe ich bereits vor einigen Jahren einem der Deggendorfer Heimathistoriker zugänglich gemacht.

    Für weitere Angaben zu meinem Großonkel steht dessen Sohn Georg Schulte zur Verfügung. Er ist in leitender Funktion an untenstehender Einrichtung tätig:
    Hospital Israelita Albert Einstein

     

    Av. Albert Einstein, 627/701, Morumbi, São Paulo, 05651-901
    Brazil

  2. Der Kommentar von Robert Schlickewitz verdient volle Aufmerksamkeit: Denn sein Hinweis auf die ersten Nachkriegsbewohner der Alten Kaserne in Deggendorf, dem späteren DP-Lager, weist auf bisher übersehene Vorgänge hin: In allen bisherigen Veröffentlichungen und in den entsprechenden Unterlagen zum DP-Lager ist stets die Rede von „Nazi-Deutschland verbündeten Ukrainern“, die aus dem uralten „Irrenanstalts-„, dann Kasernenbau vertrieben wurden, um Ãœberlebende aus Theresienstadt dort unterbringen zu können. Ich selbst habe Bilder zur raschen Anhebung der in die Donau gestürzten Brückenteile gleich nach der Besetzung der Stadt Deggendorf durch die am 27. April 1945 einrückenden US-Soldaten veröffentlicht, doch von ukrainischen Ingenieuren war in den Unterlagen keine Rede. Es wäre gut, würde R. Schlickewitz sein Wissen in einer der örtlichen Zeitungen oder beim Geschichtsverein veröffentlichen. Es wäre eine begrüßenswerte Ergänzung zu demnächst auf haGalil folgenden Themen aus dem DP-Lager.
    Dass ich  Slowenen in die Slowakei „verschoben“ habe, obwohl ich vor wenigen Jahren exakt an diesem Dreiländereck gestanden habe, bedauere ich – es soll nicht wieder vorkommen – versprochen!  

  3. Vielen Dank, sehr geehrter Herr Westerholz, für diesen wirklich lesenswerten, interessanten Beitrag.
     
    Der Anblick von Hausstein aus der Ferne stellt für mich eine meiner ältesten Kindheitserinnerungen dar, ganz in der Nähe verbrachte ich viele Wochenenden und Schulferien. Aber die Geschichte, die Sie oben wiedergeben, hat noch eine weitere tiefe Bedeutung für mich und meine Familie. Auch ein Teil meiner Vorfahren gehörte zu jenen DP’s aus dem Osten, präziser, aus der Ukraine, die über Sachsen kommend schließlich im Raum Deggendorf ‚landeten‘. Sie hatten dank ihrer hervorragenden Qualifikationen als des Deutschen mächtige Stahlhochbauingenieure und Technische Zeichner jedoch das Glück jenes Deggendorfer DP-Lager sehr bald wieder verlassen zu können und sich Privatwohnungen anzumieten. Es war mein Großonkel, Hermann August Schulte, der die noch kurz vor Kriegsende von Deutschen selbst zerstörten Brücken über die Donau mit einem an der Universität Kiew von ihm entwickelten Verfahren in kürzester Zeit und unter Aufwendung von minimalsten Kosten wieder in Stand setzte bzw. wiederaufbaute.
     
    Gestatten Sie mir bitte, sehr geehrter Herr Westerholz, die Korrektur eines kleinen Übertragungsfehlers, der sich in Ihre Ausführungen eingeschlichen hat. Bei der Aufzählung der Juden aus dem Schauflinger Standesamtsregister heißt es bei Ihnen:
    3. Ludwig Lebovits, *1924 in Galoc bei Uzhorod (Uschgorod) in Transkarpatien im Dreiländereck zwischen der Ukraine, Ungarn und  Slowenien…
     
    Es ist verständlicherweise schwer für Nicht-Slowenen, für Nicht-Slowaken und generell für Nichtslawisten mit so ähnlichen Bezeichnungen klarzukommen.
     
    Also, Slowenien (SLOVENIJA) war früher ein Teil des ehemaligen Jugoslawien, ist heute ein eigenständiges Land in der EU und grenzt an Österreich, Ungarn, Italien und Kroatien.
     
    Die Slowakische Republik (SLOVENSKA REP.), die hier gemeint ist, war einst Teil der CSSR bzw. der Tschechoslowakei, sie ist heute ebenfalls ein eigenständiges Land und in der EU. Sie grenzt an Tschechien, Polen, die Ukraine, Ungarn und Österreich.
     
    Ich bin eng mit Slowenen befreundet, die mir mehr als ein mal ihr Leid darüber klagten, von Deutschen ständig mit den Slowaken verwechselt zu werden, daher war es mir ein Bedürfnis diese Richtigstellung vorzunehmen.
     

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