Palästinensisches Volk ja, jüdisches Volk nein?

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Wie viele Leser habe ich die feine Ironie, den geschliffenen Humor und die weisen arabischen Fabeln in Salman Masalhas Kommentar („Ein jüdisches und demokratisches Restaurant, Haaretz vom 9. August) genossen. Aber all das kann das fundamentale Missverständnis nicht wettmachen, das seinem Schlusssatz zugrundeliegt: „Es gibt keinen jüdischen und demokratischen Staat, so wie es keinen muslimischen und demokratischen Staat gibt.“…

Von Shlomo Avineri, Haaretz, 13.08.10

Hier liegt der Hund begraben, wenn es erlaubt ist, mit Tierfabeln fortzufahren. Am Grund dieses Satzes liegt ein tiefes – und tragisches – Missverständnis, das viele arabische Positionen hinsichtlich der Identität Israels charakterisiert. Laut dem gängigen arabischen Standpunkt sind „Juden“ so etwas wie „Christen“ oder „Muslime“. Anders gesagt: Sie sind eine religiöse Gemeinschaft, kein Volk. Nicht nur Araber denken so, und es besteht kein Zweifel, dass die jüdische Identität, in den Augen von Juden und Nichtjuden gleichermaßen in erster Linie als religiöse Identität begriffen wurde.

Aber die Essenz der zionistischen Revolution liegt in der Auffassung, dass die Juden ein Volk sind, und als solches haben sie ein Recht auf nationale Selbstbestimmung in staatlichem Rahmen. Dieses Grundprinzip wurde von der UN-Vollversammlung am 29. November 1947 in der Resolution zur Teilung des Lands Israel in zwei Staaten – einen jüdischen und einen arabischen (und eben nicht einen jüdischen und muslimisch-christlichen) – bestätigt.

Israel betrachtet sich selbst als den jüdischen Nationalstaat, so wie sich Polen als polnischen Nationalstaat und Griechenland als griechischen Nationalstaat betrachtet oder der palästinensische Staat – wenn er entsteht – sich als palästinensischer Nationalstaat betrachten wird.

Kein Zweifel: Die jüdische Identität besitzt eine religiöse Komponente, sowohl in der historischen Realität als auch heutzutage, so wie es eine religiöse Dimension in der polnischen Nationalidentität oder eine muslimische Dimension in der arabischen Nationalidentität gibt (Mohammed gilt nicht nur als Prophet des Islams: Auch christliche Araber betrachten ihn als arabischen Nationalhelden).

Eines der Probleme, die die Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts erschweren, liegt genau in diesem Punkt – der Schwierigkeit, die die arabische Seite damit hat, anzuerkennen, dass die Juden im Staat Israel sich als Volk betrachten. Identität ist eine Frage der Selbstdefinition, nicht der Definition von außen. So wie die Juden nicht bestimmen werden, ob es ein palästinensisches Volk gibt oder nicht (es gibt viele unter uns, die die Existenz eines palästinensischen Volkes noch nicht verdaut haben), so wird auch Salman Masalha nicht bestimmen, ob die Juden ein Volk sind oder nicht: Das ist eine Frage der Selbstdefinition.

Wer den Juden das Recht abspricht, sich selbst als Volk zu definieren, spricht ihnen ein fundamentales Menschenrecht ab. Die arabische Weigerung, Israel als jüdischen Staat zu akzeptieren, zeugt von etwas Tieferem: der Nichtbereitschaft, das Recht auf Selbstdefinition des jüdischen Volkes zu akzeptieren.

Da von nationaler und nicht von religiöser Identität die Rede ist, kann es einen jüdischen und demokratischen Staat geben, genau so wie einen arabischen und demokratischen Staat. Das ist im Übrigen das, was in der libanesischen Verfassung geschrieben steht, einem arabischen Staat, der trotz aller Probleme auf Wahlen und demokratischen Grundsätzen basiert.

In Artikel 2 der Präambel der libanesischen Verfassung heißt es: „Der Libanon ist ein arabischer Staat gemäß seiner Identität und seiner Bindungen.“ Artikel 4 bestimmt: „Das Volk ist die Quelle der Souveränität und Autorität“.“ Mit anderen Worten betrachtet sich der Libanon als arabischer und demokratischer Staat. Auch die Verfassungen Syriens und Ägyptens schreiben fest, dass ihre Identität arabisch und ihre Regierungsform demokratisch seien. Und auch wenn man sagen kann, dass es – zurückhaltend ausgedrückt – Probleme mit dem demokratischen Aspekt der Regierungsform dieser Staaten gibt, ist doch klar, dass die Autoren jener Verfassungen keinen Zweifel daran hegten, dass grundsätzlich kein Widerspruch dazwischen bestehe, sowohl ein demokratischer als auch ein demokratischer Staat zu sein.

Also „arabisch und demokratisch“ ja, aber „jüdisch und demokratisch“ nein? In meinem Wörterbuch haben diese Unterscheidungen einen leicht rassistischen Hauch.

Shlomo Avineri ist em. Professor für Politische Wissenschaften an der Hebräischen Universität Jerusalem.

6 Kommentare

  1. Offensichtlich gibt es dubiöse Spaßvögel .. 😀

    @ snob,
    Könnten Sie mir bitte einmal eine international anerkannte Definition Ihres "Anspruch endgültig verloren" zukommen lassen? Anderenfalls sehen Sie doch ein, dass Israel sofort an den Moabs "Rechtsnachfolger", die heutige Türkei zu übergeben ist <lol>.

    Für "endgültig verloren" .. reichen da 4000 Jahre? .. gehts auch mit weniger wenn ich eine gültige Expertise meines Gottes habe? .. Muss die Religion dmalas schon existiert haben oder reicht es als "Weltreligion" anerkannt zu sein? .. dürfen auch atheistische Staaten Territorien haben?

    Und ich hoffe doch sehr, dass die beiden von Ihnen genannten Universitäten Belege haben – wie sollten sie sonst mit ihren Rechnungsprüfungsausschüsse klar kommen. Aber was hat dies´mit dem Thema zu tun?

    Von daher ist es die einzig richtige Lösung, Rückgabe Nordamerikas an die Indianer. Die Europäer müssen die Amerikaner aufnehmen (soweit nicht afrikanischer oder asiatischer Herkunft).
    Ups – die germanischen Stämme kommen ‚ursprünglissch‘ ja eher aus skandinavien bsw. aus heute polnischem Hoheitsgebiet. Ob die da willkommen sind? Und schlußendlich müssen die Deutschen dann auch noch die Engländer zurücknehmen – schliesslich sind das ja die germanischen Stämme der Angeln und der Sachsen.

    @snob,
    wir beide könnten zum Thema weiterflaxen. Ich galube aber, dass das Thema eigentlich zu ernsthaft ist für unser beider Antworten.

  2. @snob@ soll wohl ein Witz sein, was Sie da von sich geben?
    Die Unterstellung, dass doch „Zionisten“ den Raum vom Tigris bis zum Nil beanspruchen wollen Sie uns doch nicht auftischen?

  3. Ich finde den Anspruch der v.a. terroristisch bzw. moslemisch geprägten Gruppe der sog. Palästinenser dilettantisch, anmaßend, ungerechtfertigt und lächerlich.
    Denn nachdem das Königtum Moab (heutige Türkei) vor. ca. 4000 Jahren den Anspruch auf diese Provinz endgültig verloren hatte, gehörte diese Region zu Israel. Mangelndes Geschichtswissen und allzu plumpe Instrumentalisierung und Manipulation haben nachdem zweiten Weltkrieg im letzten Jahrhundert und den Irrungen und Wirrungen um 1948 dazu geführt, daß irgendwelche dubiose Spaßvögel Ansprüche verlauten lassen, die garnicht, weder historisch, noch politisch, ideell, religös, territorial bestehen.
    Es gibt sowohl Belege der Tel Aviver Universität, als auch deutschen Universität z.B. Hamburg.
    Von daher ist die einzig richtige Lösung, neben der Rückgabe des Sinai, Teile Jordaniens und Libanons auch Palästina an Israel zu geben.
    Aber immerhin wissen einige, die mitdiskutieren wenigstens wie man Bildung und Wahrheit schreibt…

  4. Sebaldius, Sie scheinen ein Ignorant zu sein, der eine Agenda hat.
    1) Israel hat international anerkannte Grenzen mit Ägypten und mit Jordanien.
    2) Im Gegensatz zu Jordanien, das 1948 die Westbank annektierte, hat Israel dies nicht getan. Das Gebiet der Westbank ist ein umstrittenes Gebiet. Immerhin haben zwei israelische Regierungen einen Friedensvorschlag (Camp David und Ehud Olmerts Vorschlag) gemacht und wenn wohl der palästinensische Partner die Courage gefunden hätte, einen solchen Frieden zu unterzeichnen, dass gäbe es schon heute einen palästinensischen Staat.
    3) Die klar umrissenen Rechte im Libanon gelten nicht für diejenigen, die bereits in dritter oder vierter Generation im Libanon geboren sind, und als „palästinensische Flüchtlinge“ diskriminiert werden.
    4) Sebaldius hat noch nie von einem jüdischen Viertel in Ostjerusalem gehört, das von den Jordaniern 1948 dem Boden gleichgemacht wurde. Jetzt existiert dieses Viertel wieder. Und noch etwas es gab und gibt in Ostjerusalem ein christliches und ein armenisches Viertel.
    5) Sebaldius erklären Sie uns doch, wenn Israel dieser fürchterliche Staat ist, warum dann soviele Muslime aus dem Ausland versuchen illegal nach Israel zu gelangen? Zum Beispiel viele Flüchtlinge aus dem Sudan/Darfur, wo Muslime gegen Muslime einen Völkermord durchführen.
    Bevor man zum PC greift Sebaldius sollte man sich mit den Fakten vertraut machen. Auf eine krude Propaganda sind die meisten Leser nicht neugierig.
     

  5. „Also „arabisch und demokratisch“ ja, aber „jüdisch und demokratisch“ nein? In meinem Wörterbuch haben diese Unterscheidungen einen leicht rassistischen Hauch.“
    So ist es!
     
    Q.E.D.

  6. Avineris Vergleich von Israel mit Libanon ist doch vollkommen absurd. Was der emeritierte Professor Avineri offensichtlich nicht weiss (oder nicht wissen will):
    Libanon hat ein klar definiertes staatliches Hoheitsgebiet, Israel dagegen nicht.
    Libanon hat klar definierte international anerkannte Grenzen, Israel dagegen nicht.
    Libanon betreibt keine Politik der Besatzung und Kolonisierung fremder Territorien, Israel dagegen sehr wohl.
    Libanon herrscht nicht über fremde Völker, Israel dagegen sehr wohl.
    Libanon hat eine Verfassung, die allen Bürgern in seinem Herrschaftbereich klar umrissene Rechte einräumt, Israel dagegen nicht.
     
    Aber in Israel weiss man schon, warum man keine Verfassung haben will. Israel beansprucht z.B. Ostjerusalem als integralen Bestandteil seines Staates, will aber den dort seit Jahrhunderten einheimischen Palästinensern keinerlei verfassungskonforme Bürgerrechte zugestehen.
     
    Man vergleiche Ost-Jerusalem mit Ost-Beirut. Ost-Beirut ist christlich, so wie Ost-Jerusalem islamisch ist. Aber die Christen in Ost-Beirut sind libanesische Staatsbürger, mit allen zugehörigen Rechten, die ihnen die libanesische Verfassung einräumt.
    Die Palästinenser in Ost-Jerusalem dagegen befinden sich in einem quasi rechstfreien Raum. Sie sind keine Israelis, aber sie sind dort in ihrer Heimat auch keine Ausländer. Irgendwie gehören sie zum Staat Israel, irgendwie aber auch nicht. Israel bestimmt über ihre Rechte, aber sie selbst haben keinerlei Recht, in freien Wahlen über diejenigen abzustimmen, die staatliche Herrschaft über sie ausüben.
     
    Es ist der Witz des Jahrhunderts, dass Israel sich angesichts solch einer völlig desolaten und irrationalen bürger-, menschen- und völkerrechtlichen Lage der muslimischen Palästinenser in Ost-Jerusalem und den anderen besetzten Gebieten als „Demokratie“ bezeichnet, und dann auch noch als „jüdische Demokratie“, und gar noch als „einzige Demokratie in Nahost.“

    Das ist nichts anderes als eine totale Pervertierung des Begriffes „Demokratie.“
     

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