Wir erinnern – kleine Israel-Chronik

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Im Juni 2010 jährte sich eine Reihe wichtiger Ereignisse, die nicht dem allgemeinen Vergessen anheim fallen sollten…

Von Robert Schlickewitz

Vor 110 Jahren

10.6.1900. In der westpreußischen Stadt Konitz muss nach gewalttätigen Ausschreitungen des christlichen Pöbels gegen die dortigen Juden das Standrecht verhängt werden. Hintergrund ist die Unfähigkeit der Behörden den Mörder des am 13. März des Jahres ermordeten Gymnasiasten (>>Märzchronik) zu ermitteln und ein damit verbundenes Wiederaufleben des Ritualmordvorwurfs.

1900. Sigmund Freud (1856-1939) veröffentlicht seine psychoanalytische Abhandlung „Die Traumdeutung“.

 

Vor 105 Jahren

10.6.1905. Während einer Sitzung des „Allgemeinen Jüdischen Arbeiterbundes in Litauen, Polen und Russland“, die in Wilna abgehalten wird, kommt es zu Verhaftungen von elf Mitgliedern. Man wirft ihnen vor Beratungen über den Umsturz der bestehenden Staatsordnung geführt zu haben. Tatsächliches Ziel des jüdischen Bundes ist jedoch die Emanzipation des jüdischen Proletariates in Russland.

12.6.1905. In der russischen Festungsstadt Brest-Litowsk töten Antisemiten 28 Juden und verletzen 34 weitere.

17.6.1905. Weil ein Verfassungsentwurf des Innenministeriums sie beim Wahlrecht nicht berücksichtigt hat, kommt es in Warschauer Synagogen an diesem Sabbat zu Protestkundgebungen.

Vor 100 Jahren

27.6.1910. Die Poalei-Zion Zeitung „Ha-Achdut“ erscheint erstmals.

Juni 1910. Der Oberrabbiner der Türkei, Chaim Nachum aus Istanbul trifft zu Schlichtungsverhandlungen in Palästina ein; es gelingt ihm bei einem Konflikt innerhalb der sephardischen Gemeinschaft zu vermitteln und eine einvernehmliche Lösung zu finden. Während seines Besuches kommt es zu einem Zwischenfall, der das hohe Ausmaß der Uneinigkeit unter den verschiedenen jüdischen Fraktionen und Gruppen deutlich macht.

In Bayern, dem nur wenige Jahre später Geburtsland des Nationalsozialismus erklärt der Kultusminister Anton Ritter von Wehner: „Für uns in Bayern besteht kein Bedürfnis nach einer Trennung von Staat und Kirche.“ Katholische Offiziere in Bayern, die nicht an „Fronleichnamsprozessionen“ teilnehmen, müssen sich für ihr nichtkonformes Verhalten rechtfertigen. Der Einfluss der katholischen Kirche ist nirgends in Deutschland so groß wie in Bayern.

Vor 95 Jahren

Juni 1915. Erster Weltkrieg. – Deutsche Juden kämpfen gemeinsam mit ihren christlichen Landsleuten für Kaiser und Vaterland; überdurchschnittlich viele Juden erhalten Auszeichnungen für besondere Tapferkeit – dennoch – im deutschen Militär macht sich auf allen Ebenen deutscher Antisemitismus offen und laut bemerkbar. Von rechten deutschen Politikern war zuvor im Rahmen einer Kampagne Juden „Drückebergerei“ vorgeworfen worden.

Vor 90 Jahren

13.-15.6.1920. In Kinneret tagen die Spitzen der Partei Achdut Owedet. Sie beschließen die Verantwortung für die Sicherheit der jüdischen Bevölkerung auf die neu zu bildende „Haganna“ zu übertragen; bisher war der Verband der „Schomer“ hierfür zuständig gewesen.

30.6.1920. Der erste zivile Hochkommissar für Palästina, Herbert Samuel, wird in Jaffa mit militärischen Ehren empfangen.

Erzbischof Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., erhält seine Ernennung zum ersten Apostolischen Nuntius  bei der deutschen Reichsregierung in Berlin. Pacellis lange Jahre in Bayern und Deutschland (1917-1929) sind später ein Grund dafür, dass er den inoffiziellen Beinamen „deutschester aller Päpste“ erhält.

Juni 1920. Anlässlich der Reichstagswahlen vom 6. Juni spiegeln sich Klassen- und Rassenhass, einschließlich sämtlicher Spielarten des Antisemitismus, in den Reden von Politikern sowie auf Plakaten wieder. Besonders die Rechtsparteien DVP, DNVP, Bayerische Volkspartei und die Kommunisten glauben ohne diese primitive Form der Wahlpropaganda nicht auskommen zu können.

1920. Die Münchner Universität sagt einen Vortrag Albert Einsteins ab – wegen drohender „judengegnerischer Auftritte“ der Studenten.

Im Deutschen Reich sind 57 439 326 Bürger Christen und 538 909 Juden; in Österreich werden 6 451 400 Christen und 194 584 Juden gezählt und in der Schweiz stehen 3 815 908 Christen 20 979 Juden gegenüber.

Vor 85 Jahren

1.6.1925. Erstmals erscheint die Tageszeitung „Davar“, das Presseorgan der Histadrut. Ihr Chefredakteur ist der aus Weißrussland stammende Berl Katznelson (1887-1944).

12.6.1925. Der deutsche Reichspräsidenten Paul von Hindenburg empfängt Vertreter der beiden christlichen Konfessionen sowie der jüdischen Religion und fordert auf „Sinn für Versöhnlichkeit, gegenseitige Achtung und einträchtige Zusammenarbeit“ zu entwickeln. Vorangegangen waren in verschiedenen Teilen des Reiches, besonders aber in Bayern, sich beängstigend verschlechternde interreligiöse Beziehungen; sowohl christlicher Antijudaismus als auch Rassenantisemitismus waren in Deutschland sozusagen ‚gesellschaftsfähig‘ geworden.

15.-16.6.1925. Die Abgeordnetenversammlung der Juden Palästinas tagt zum dritten Mal. Sie lehnt einen zwischen der Zionistischen Exekutive und den Orthodoxen geschlossenen Kompromiss über das Frauenwahlrecht ab. Als aus Protest Vertreter der Orthodoxen und anderer Gruppen den Saal verlassen, löst man die Abgeordnetenversammlung auf und beschließt Neuwahlen.

22.6.1925. Der international anerkannte, bedeutende Mathematiker („letzter Universalist der Mathematik“) Felix Klein stirbt 76jährig in Göttingen.

Juni 1925. Sowohl die Zahl der Einwanderer als auch die der Baugenehmigungen in Tel Aviv erreichen Höchstziffern. Allein für diesen Monat werden in Palästina 4200 Neueinwanderer registriert.

1925. Nach dem Einzug der NSDAP in den Münchner Stadtrat und in den Bayerischen Landtag werden in erster Linie jüdische Persönlichkeiten aus dem bayerischen Kulturleben zum Ziel propagandistischer und physischer Attacken; so belagern NSDAP-Anhänger lange Zeit das Haus des Schriftstellers Lion Feuchtwanger, wobei sie antisemitische Parolen grölen und Steine werfen.

Sergej Michailowitsch Eisensteins (1898-1948) berühmter Film „Bronenosez Potemkin“ (Panzerkreuzer Potemkin), einer der bedeutendsten sowjetischen Streifen überhaupt, wird uraufgeführt.

Vor 80 Jahren

3.6.1930. Entgegen zahlreicher Proteste beruft der thüringische Bildungs- und Innenminister Wilhelm Frick (NSDAP) den als Autor antisemitischer Werke hervorgetretenen „Rassenforscher“ Hans F. K. Günther an die Universität Jena.

7.6.1930. Als jüdisches Pendant zum Roten Kreuz wird in Palästina die Organisation „Magen David Adom“ (Roter Davidstern) gegründet.

15.-17.6.1930. Die Araber Palästinas treten in einen Generalstreik, um die Begnadigung dreier arabischer Mörder zu erzwingen. Die Hinrichtung der drei zum Tode Verurteilten verschärft die allgemeine Situation.

22.6.1930. Die Landtagswahlen in Sachsen machen die NSDAP zur zweitstärksten Partei nach der SPD.

23.6.1930. Ein Berliner Gericht verurteilt fünf Nationalsozialisten, die Hakenkreuze und „Juda verrecke“ an eine Synagoge geschmiert hatten, zu fünf Monaten Gefängnis.

25.6.1930. Die zweite Auflage von Adolf Hitlers programmatischem Werk „Mein Kampf“ gelangt in 10 000 Exemplaren zur Auslieferung.

Vor 75 Jahren

3.6.1935. Der britische Hochkommissar für Palästina Wauchope verkündet die Begnadigung von Personen, die wegen ihrer Beteiligung an den militanten Unruhen von 1929 verurteilt worden waren. Begründet wird dieser Akt der Milde mit verbesserter „Stimmung und Sicherheitslage“.

7.6.1935. In Berlin werden Einbürgerungen einer Anzahl von Juden, die vor 1933 erfolgten, rückgängig gemacht. Mit nichtjüdischen, dem Regime nicht genehmen, Personen wie etwa Bert Brecht wird ganz entsprechend verfahren.

20.6.1935. Das Tel Aviver „Habima-Theater“ soll ein eigenes Gebäude erhalten, zu dem nun der Grundstein gelegt wird.  

24.6.1935. Die Oper „Die schweigsame Frau“ von Richard Strauss wird in Dresden uraufgeführt. Nur wenig später ergeht ein Spielverbot, als bekannt wird, dass der Jude Stefan Zweig das Libretto verfasste. Der prominente Münchner Komponist darf, weil er sich dem NS-Regime gegenüber gefügig zeigt und sich sogar in dessen Dienst stellen lässt, weiterarbeiten.

29.6.1935. Der deutsche Propagandaminister Joseph Goebbels greift in einer Rede in Berlin die Juden an: Das Judentum versuche erneut „sich breit zu machen“ – und manche bürgerlichen Intellektuellen wollten ihm dabei behilflich sein.

1935. Im Deutschen Reich wird die Boykottpropaganda gegen Juden verstärkt; in zahlreichen Städten führen pogromartige Hetzkampagnen zu gewaltsamen Ausschreitungen. Mancherorts wird deutschen Juden der Besuch von Kinos, Schwimmbädern, Erholungsanlagen, ja ganzen Kurorten untersagt. Jüdische Presseorgane sind zeitweiligen Verboten unterworfen.

Vor 70 Jahren

5.6.1940. Die deutsche Wehrmacht beginnt ihren Frankreich-Feldzug und verzeichnet rasch eine Reihe militärischer Erfolge.

6.6.1940. Für Polen und Juden wird in den dem Deutschen Reich angegliederten Ostgebieten ein Sonderstrafrecht eingeführt, das für nichtige Vergehen bereits die Todesstrafe vorsieht.

10.6.1940. Der Päpstliche Nuntius in Berlin, Orsenigo, gibt dem deutschen Auswärtigen Amt gegenüber „seiner Freude über die deutschen Siege einen herzlichen Ausdruck“.

11.6.1940. Unter dem Eindruck der Siege und Eroberungen des Deutschen Reiches in Europa bekundet die Jischuw-Führung dem britischen Hochkommissar ihre Loyalität und bietet ihre Unterstützung an.

14.6.1940. Deutsche Truppen ziehen in Paris ein.

Die ersten politischen Gefangenen, 728 Polen aus Tarnòw, werden in das KZ Auschwitz eingeliefert; für Instandsetzungsarbeiten am Konzentrationslager ziehen die Deutschen auch Juden aus der näheren Umgebung heran.

18.6.1940. Die Briten in Palästina entlassen die verhafteten Befehlshaber der jüdischen Untergrundorganisation Etzel.

22.6.1940. Das deutsch-französische Waffenstillstandsabkommen teilt Frankreich in eine besetzte und eine selbstverwaltete Zone (unter Marschall Pétain). In Frankreich lebende Emigranten aus Deutschland und Österreich, vor allem Juden, stehen Verhaftung, Auslieferung, Internierung, Flucht und, nicht selten, Suizid bevor. Dem deutschen Geheimdienst entgehen nur wenige „Staatsfeinde“. Aber nicht nur auf ausländische Juden haben es die Besatzer abgesehen: Von den einst 350 000 Juden Frankreichs ermorden Deutsche und ihre Schergen bis Kriegsende 77 320.

28.6.1940. Die jüdische Untergrundorganisation in Palästina, Lechi, wird unter Führung von Abraham Stern aufgestellt. Die Lechi ging aus der Etzel hervor und setzt sich aus solchen Juden zusammen, die sich gegen eine Unterstützung der Engländer im Krieg wenden.

30.6.1940. Drei Tage nach Abtretung der bis dahin rumänischen Territorien Bessarabien und Nord-Bukovina an die Sowjetunion verübt ein rumänisches Infanteriebataillon in Dorohoi ein Massaker an 200 Juden.

Juni 1940. Infolge der allgemeinen Kriegslage wird in ganz Palästina Verdunkelung angeordnet.

Die Zahl der Juden in Palästina, die zum Dienst im britischen Heer eingezogen werden, nimmt stark zu. Jüdische Institutionen, die bei der Mobilmachung behilflich sind, verlangen jedoch, dass jüdische Soldaten auch der Infanterie (kämpfende Truppe) zugeführt werden.

Das KZ Neuengamme bei Hamburg wird eingerichtet.

Nachdem Mussolini, geblendet von den deutschen Siegen, Frankreich und England den Krieg erklärt hatte, beginnt der italienische Episkopat von einem „heiligen Krieg“ zu sprechen und die von Jesuiten herausgegebene Hauszeitschrift des Vatikan „Civiltà Cattolica“ ruft die Italiener auf „mit ihrem Blute die treue Pflichterfüllung zu besiegeln“.

Vor 65 Jahren

2.6.1945. Pius XII., der „Schweigepapst“, rühmt die „schmerzvolle Passion der Kirche unter dem nationalsozialistischen Regime, die oft bis zum Tod unerschütterliche Festigkeit unzähliger Katholiken und die glorreiche Rolle, welche bei diesem edlen Sterben der Klerus gespielt hat… Die heldenmütig Geopferten … heben in sühnendem Gebet ihre Hände zu Gott empor.“ Außerdem gesteht der langjährige, glühende Deutschlandverehrer und „treueste Freund“ der Deutschen ein: „Diesen Zusammenbruch (des deutsche Volkes) sahen Wir von weither. Und Wir glauben, daß wenige mit größerer Spannung die Entwicklung und den Absturz in die unvermeidliche Katastrophe verfolgt haben.“ Sechs lange Jahre über hatte dieser größte aller Heuchler zuvor seine Priester und Bischöfe die Deutschen segnen und sie in den Tod bzw. zum Töten hetzen lassen.

3.6.1945. Unter nicht geklärten Umständen stirbt der ehemalige Amtschef der Reichsstelle für Sippenforschung (Reichssippenamt) Kurt Mayer. Der Historiker war zuständig gewesen für die sogenannten „Ariernachweise“. Seine Tätigkeit hatte dazu beigetragen, dass Menschen in Deutschland als „Fremdstämmige“ (Juden, „Zigeuner“) gebrandmarkt, verhaftet und ermordet werden konnten; Mayers Behörde hatte von den Kirchen bereitwillig zur Verfügung gestellte Kirchenbücher systematisch verfilmt und ausgewertet. Ohne die Kollaboration der katholischen und der protestantischen Kirche mit dem NS-Staat wäre die nationalsozialistische „Rassenpolitik“ nicht durchführbar gewesen.

7.6.1945. In Palästina wird die Schifffahrtsgesellschaft Zim  gegründet, als deren Eigner bzw. Betreiber die Jewish Agency und die Histadrut fungieren.

11.6.1945. Der aus Weißrussland stammende Haganna-Befehlshaber Elijahu Golomb stirbt. (Sein Haus in Tel Aviv sollte später das Haganna-Museum beherbergen.)

28.6.1945. Die gewöhnlich gut unterrichtete britische Nachrichtenagentur Reuter meldet, dass Adolf Hitler am 29. April 1945 in La Palice an der französischen Atlantikküste ein deutsches U-Boot bestiegen und den Hafen mit unbekanntem Ziel verlassen habe.

30.6.1945. Es wird bekannt, dass seit  der deutschen Kapitulation etwa 3, 2 Millionen „Displaced Persons“ (DP’s) aus der US-amerikanischen Besatzungszone in ihre Heimatländer zurückgebracht worden sind. Am Tag der deutschen Kapitulation sollen sich insgesamt rund 8, 5 Millionen DP‘s auf deutschem Territorium aufgehalten haben.

Vor 60 Jahren

12.6.1950. Von einem französischen Exekutionskommando werden der ehemalige Kommandant des KZ Ravensbrück, Fritz Suhren und der einstige Arbeitseinsatzleiter Hans Pflaum hingerichtet. Ein französisches Militärgericht hatte die beiden zuvor wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tode verurteilt. Suhren hatte u.a. Vergasungsaktionen zu verantworten.

16.6.1950. Die USA erklären sich bereit weitere 210 000 DP’s („Entwurzelte“), die in verschiedenen europäischen Ländern in Übergangslagern leben, aufzunehmen.

21.6.1950. Ein Schiff aus Aden legt am Hafen von Eilat an; es hat Tora-Rollen und Kultgerät der jemenitischen Juden an Bord.

26.6.1950. Ehemalige Nationalsozialisten und andere deutsche Rechtsextreme beschließen bei einem Treffen in Neuwied die Bildung einer Arbeitsgemeinschaft mit dem Ziel – Zusammenschluss zu einer nationalen Partei.

29.6.1950. Der Staatshaushalt 1950/51 Israels hat einen Wert von 60 Millionen israel. Pfund und liegt damit 30 % über dem des Vorjahres.

1950. Der Roman „Die Familie Muschkat“ von Isaac B. Singer erscheint in New York; er schildert die Geschichte einer jüdischen Familie in Polen zwischen den Weltkriegen.

Vor 55 Jahren

1.6.1955. Zwischen den größeren Städten Israels vermitteln nun mechanische Selbstwähleinrichtungen die Telefongespräche und lösen damit die Telefonistinnen ab.

9.-12.6.1955. Israel startet das Unternehmen „Jarkon“, die bewaffnete Erkundung eines Streifens der (feindlichen) Sinaiwüste.

22.6.1955. Im Zuge der Aufarbeitung der NS-Zeit und ihrer Begleitumstände in den eigenen Reihen erklärt das Bezirksgericht Jerusalem Dr. Israel Kestner der Kollaboration mit den Nationalsozialisten für schuldig. Der Prozess wirft eine Reihe ungeklärter Fragen auf, er erregt die Öffentlichkeit zutiefst, er führt eine Regierungskrise herbei und endet 1957 mit der sich später als übereilt und fragwürdig erweisenden Erschießung von Dr. Kestner.

29.6.1955. Ministerpräsident Moshe Sharett tritt zurück.

Juni 1955. UN-Beobachter bemühen sich die Lage an der ägyptisch-israelischen Grenze zu beruhigen.

1955. Ein Sprecher der Stadt Dachau, jener Stadt im Nordwesten Münchens, die zum Synonym für Konzentrationslager wurde, gibt den Abriss des einstigen Krematoriums des KZ bekannt. Erst ein internationaler Proteststurm veranlasst die bayerische Regierung dazu, sich einzuschalten und die Maßnahme zur Beseitigung baulicher Zeugen einer unrühmlichen Vergangenheit zu untersagen.

Vor 50 Jahren

2.6.1960. Ministerpräsident David Ben-Gurion bricht zu einer Europareise auf, in deren Verlauf er mit Präsident Charles de Gaulle, König Baudouin von Belgien, Königin Juliana der Niederlande und hochrangigen Politikern zusammentrifft.

6.6.1960. Im bayerischen (fränkischen) Bad Windsheim versammeln sich 1300 ehemalige Angehörige der Waffen-SS zu einem Pfingsttreffen; obwohl ganz offen nationalsozialistische Lieder abgesungen werden, greifen die deutschen Behörden nicht ein.

9.6.1960. In scharfer Form protestiert die argentinische Regierung gegen die Entführung Adolf Eichmanns durch den israelischen Geheimdienst. Ministerpräsident Ben-Gurion weist argentinische Forderungen nach einer Auslieferung des deutschen Massenmörders mit der Begründung zurück, Eichmann habe sich freiwillig zu seiner Abreise nach Israel bereit erklärt.

14.6.1960. Die Bonner Bundesregierung verkündet, dass sie an Argentinien ein Gesuch um Auslieferung des ehemaligen Chefarztes des Konzentrationslagers Auschwitz, Josef Mengele, gestellt habe. Mengele, dem die Ermordung von mindestens 200 000 Juden zur Last gelegt wird, gelingt es, sich durch mehrmaligen Wechsel seines Aufenthaltsortes bis an sein Lebensende (1979 in Brasilien) Verhaftung und Verurteilung zu entziehen.

16.6.1960. Der erste israelische Atommeiler in Nachal Sorek wird in Betrieb genommen.  

23.6.1960. Der Sicherheitsrat der UNO verurteilt auf Antrag Argentiniens hin die Entführung Adolf Eichmanns durch den israelischen Geheimdienst als Verletzung der Souveränität des südamerikanischen Landes.

1960. Max Brods Autobiografie „Streitbares Leben“ erscheint in Israel.

Vor 45 Jahren

3.6.1965. Eine Krise entzweit die Mitglieder der Mapai. Levi Eshkol wird als Kandidat der Partei für das Ministerpräsidentenamt gewählt.

8.6.1965. In Israel richtet man eine Oberste Rundfunkbehörde ein.

13.6.1965. In Jerusalem stirbt im Alter von 87 Jahren der aus Wien stammende Philosoph, Theologe, zionistische Denker und Führer Martin Buber.

29.6.1965. Es kommt zur Spaltung der Mapai. Ben-Gurion kündigt die Gründung einer neuen Partei an.

1965. In Österreich erinnert die Affäre Borodajkewycz um einen judenfeindlichen Ökonomieprofessor daran, dass der Antisemitismus in der mehrheitlich katholischen Alpenrepublik ein konstanter Faktor bleibt.

Vor 40 Jahren

1.-3.6.1970. Auf Beth-She’an und Kirjat-Schmona werden Raketen abgefeuert; Jordanien beschießt Tiberias; die israelische Luftwaffe bombardiert das jordanische Irbid und Stützpunkte der Freischärler; Israel verliert mehrere Flugzeuge bei den Kämpfen am Suez-Kanal.

Erstmals nimmt Israel an einer Fußballweltmeisterschaft teil.

3.6.1970. Mit Hjalmar Schacht stirbt in München ein Protagonist des Dritten Reiches (Reichsbankpräsident und Reichswirtschaftsminister), dessen Verantwortung und Schuld ungesühnt blieben. Der Wegbereiter des NS (der „finanzielle Architekt“ Hitlers) und Generalbevollmächtigte für die Kriegswirtschaft war im Nürnberger Prozess freigesprochen worden und fungierte in den Nachkriegsjahren als Chef seiner eigenen Bank sowie als Finanzberater u.a. in Ägypten, im Iran, in Libyen und in Syrien.

11.6.1970. Erneut schlagen Raketen in Kirjat Schmona und an anderen Orten ein; an der ägyptischen und an der syrischen Grenze finden heftige Kämpfe statt.   

Vor 35 Jahren

3.6.1975. Nach achtjähriger Sperre öffnen die Ägypter wieder den Suez-Kanal; Präsident Sadat äußert sich zuversichtlich die „geraubten arabischen Rechte“ (die von Israel besetzten Gebiete) zurückzuholen.

15.6.1975. Auf das an der libanesischen Grenze gelegene israelische Dorf Juval wird ein Terroranschlag verübt, worauf die israelische Luftwaffe sowie israelische Artillerie Terroristenstellungen im Libanon unter Feuer nehmen.

17.6.1975. Das israelische Pfund muss (stufenweise) abgewertet werden.

1975. Eine UN-Resolution brandmarkt Zionismus als „Form von Rassismus“; Hintergrund ist die antizionistische Ausrichtung des „Ostblocks“ unter sowjetischer Führung.

Vor 30 Jahren

13.6.1980. Die Staaten der EG verabschieden in Venedig eine israelfeindliche Entschließung, indem sie Israel auffordern die PLO in die Gespräche über die besetzten Gebiete miteinzubeziehen. Von der PLO verlangen sie jedoch zuvor das Ende des Terrors. Israel soll ferner „die Besetzung der Westbank und Gazas beenden“.

Vor 25 Jahren

4.6.1985. Der Fall des 1933 ermordeten Zionistenführers und Mapai-Politikers Chaim Arlozorov, der wieder aufgerollt worden war, sorgt für neue Schlagzeilen: eine Untersuchungskommission kommt zum Schluss, dass die einst von den Engländern als Tatverdächtige festgenommenen Stavsky, Achime’ir und Rosenblatt unbeteiligt waren; jedoch kann auch sie den genauen Tathergang nicht rekonstruieren – wer der Mörder war, bleibt weiterhin offen.

10.6.1985. Der israelische Rückzug aus dem Libanon wird abgeschlossen. Ministerpräsident Peres gibt bekannt, dass sein Land zu Verhandlungen mit einer jordanisch-palästinensischen Delegation bereit sei – unter der Bedingung, die Palästinenser gehörten nicht der PLO an.

20.6.1985. Finanzminister Moda’i legt einen Plan zur Gesundung der Wirtschaft vor; wenig später verteuern sich Nahrungsmittel und Elektrogeräte.

23.6.1985. Über die Rettung des Textilunternehmens „Ata“ bzw. über den drohenden Verlust von Arbeitsplätzen dort wird ein weiteres Mal in der Knesset debattiert.

29.6.1985. Die New Yorker und die Israelischen Philharmoniker spielen unter der musikalischen Leitung von Zubin Mehta im Jarkon-Park.    

Vor 20 Jahren

11.6.1990. Die neue Regierung, an der die Arbeitspartei nicht mehr beteiligt ist, gilt als rechts-religiös ausgerichtet.

12.6.1990. In Israel wird der 50 000. Neueinwanderer des Jahrs 1990 begrüßt.

13.6.1990. US-Außenminister Baker ruft mit seiner israelkritischen Rede in Eretz Zorn und Befremden hervor.

20.6.1990. Das berühmte „Habima“-Theater gastiert erstmals in Ost-Deutschland, wobei es das Stück „Elsa“ von Motti Lerner aufführt.

25.-27.6.1990. Die Präsidentin des deutschen Bundestages Rita Süssmuth und die Präsidentin der Volkskammer der DDR Sabine Bergmann-Pohl halten sich zu einem gemeinsamen offiziellen Besuch in Israel auf.

1990. Im mehrheitlich katholischen Polen werden Wahlen abgehalten, in deren Vorfeld die Anhänger des ehemaligen Arbeiterführers und späteren Staatspräsidenten Lech Wałęsa den politischen Gegner, Tadeusz Mazowiecki, als „Krypto-Juden“ und dessen Regierung als von Juden kontrolliert bezeichnen; auch in der polnischen Publizistik ‚blüht‘ ein hemmungsloser Antisemitismus wieder ‚auf‘.

Vor 15 Jahren

5.-8.6.1995. Der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl trifft sich in Israel mit Ministerpräsident Rabin und König Hussein von Jordanien zu Gesprächen.

15.6.1995. Katjuscha-Raketen verwunden in Galiläa acht Personen und richten Sachschäden an.

18.6.1995. Mit dem Gedanken an die Gründung einer neuen Partei kehrt David Levy dem Likud den Rücken.

Ministerpräsident Rabin erklärt öffentlich, dass keine Absichten bestehen Siedlungen in besetzten Gebieten zu räumen.

22.6.1995. Nach dem Untergang des israelischen Schiffes „Mineral Damfire“ im Chinesischen Meer gelten 27 Personen als vermisst, darunter neun Israelis.

23.6.1995. Ein erneuter Katjuscha-Angriff kostet einen Bürger das Leben und verletzt neun weitere.

Juni 1995. An der Westbank werden Truppen konzentriert, in den besetzten Gebieten Unruhen und Demonstrationen registriert, außerdem wiederholt Raketenangriffe und mehrere Banküberfälle; gleichzeitig aber werden auch ernsthafte Gespräche zwischen Israel und den palästinensischen Behörden geführt.

 

Vor 5 Jahren

2005. Das bayerische Lindau am Bodensee streicht Adolf Hitler aus der Liste der Ehrenbürger der Stadt.

 

Literatur:

W. Bergmann, Geschichte des Antisemitismus, München 2004
H. Dening, Chronik 1930, Gütersloh/München 1989/1995
K. Deschner, Mit Gott und dem Führer, Köln 1988
Encyclopaedia Judaica, Jerusalem 1971
Enzyklopädie des Holocaust, (Hg.) Israel Gutmann, Tel Aviv 1990 (Berlin 1993)
M. Felsmann u. D. Merschhemke, Chronik 1935, Gütersloh/München 1989/1994
N. Fischer und H. Vollmer-Heitmann, Chronik 1920, Dortmund 1989
T. Flemming u.a., Chronik 1945, Dortmund 1988/1991
B. Gehlhoff, Chronik 1950, Dortmund 1989
D. J. Goldhagen, Die katholische Kirche und der Holocaust, Berlin 2002
W. Jung, Chronik 1960, Gütersloh und München, 1990/2000
E. Klee, Das Kulturlexikon zum Dritten Reich, Frankfurt a. M. 2007
E. Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Frankfurt a. M. 2005
A. Meiners, Chronik 1925, Gütersloh/München 1989/1995
Mordecai Naor, Eretz Israel, Tel Aviv 1996 (Köln 1998)
Neues Lexikon des Judentums, (Hg.) Julius H. Schoeps, Gütersloh/München 1998
B. Pollmann, Chronik 1900, Dortmund 1987/1990
B. Pollmann, Chronik 1905, Dortmund 1992
B. Pollmann, Chronik 1910, Dortmund 1990
B. Schindler, Chronik 1940, Dortmund 1989/1990
R. Schlickewitz, Die ehrliche weißblaue Chronik, unveröffentlicht 2006
R. Wistrich, Wer war wer im Dritten Reich, Frankfurt am Main 1987/1992
http://berlin.mfa.gov.il/mfm/web/main/document.asp?SubjectID=2010&MissionID=88&LanguageID=190&StatusID=0&DocumentID=-1

5 Kommentare

  1. Und hier Material über Hjalmar Schacht, den vermeintlichen  „Freund der Juden“:
     
    http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,446423,00.html
     
    … Das erlaubt ihm 36 Jahre nach Schachts Tod einige Enthüllungen. Die wohl wichtigste: Kopper weist nach, dass der Mann, der vermeintlich so „viel für die Juden“ tat und sich stets unkorrumpierbar gab, persönlich von der „Arisierung“ profitiert hat, von der Enteignung eines jüdischen Unternehmens. „Diese dunkle Seite des Bankiers Schacht blieb der Öffentlichkeit bisher verborgen“, schreibt Kopper…

  2.  
    Nähere Angaben zur Affäre Borodajkewycz und dem österreichisch-katholischen Antisemitismus, siehe:
    http://www.contextxxi.at/context/content/view/161/93/
     
    … Der Höhepunkt der Demonstrationen war der 31. März 1965. Tausende versammelten sich an jenem Abend in der Wiener Innenstadt, um gegen Borodajkewycz zu demonstrieren. Doch auch einige hundert Borodajkewycz-Anhänger hatten sich zusammengefunden, um die Demonstration zu stören. Auf der einen Seite erblickte man Transparente wie „Österreichs Studenten dulden keine Antisemiten an ihren Hochschulen“ und „Borodajkewycz muss weg“, auf der anderen Seite ertönten Rufe wie „Heil Borodajkewycz“, „Juden raus“ und „Hoch Auschwitz“…

  3. Die Quelle des Adenauer-Zitats gilt es noch nachzutragen:
     
    Rudolf Morsey und Hans-Peter Schwarz (Hg.), Adenauer Briefe 1945 bis 1947, Berlin 1983, S. 172f

  4. Bezüglich oben anklingender Kirchenkritik:

    Das völlige Versagen seiner, der katholischen, Kirche im „Dritten Reich“ räumte u.a.
    1946 der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer, in
    einem Brief an einen Priester ein, als er schrieb:

    „Nach meiner
    Meinung trägt das deutsche Volk und tragen auch die Bischöfe und der Klerus eine große
    Schuld an den Vorgängen in den Konzentrationslagern. Richtig ist, dass nachher vielleicht
    nicht viel mehr zu machen war. Die Schuld liegt früher. Das deutsche Volk, auch Bischöfe
    und Klerus zum großen Teil, sind auf die nationalsozialistische Agitation eingegangen. Es
    hat sich fast widerstandslos, ja zum Teil mit Begeisterung (…) gleichschalten lassen. Darin
    liegt seine Schuld. Im Übrigen hat man aber auch gewusst – wenn auch die Vorgänge in den
    Lagern nicht in ihrem ganzen Ausmaße gekannt hat -, dass die persönliche Freiheit, alle
    Rechtsgrundsätze mit Füßen getreten wurden, dass in den Konzentrationslagern große
    Grausamkeiten verübt wurden, dass die Gestapo, unsere SS und zum Teil auch unsere
    Truppen in Polen und Russland mit beispiellosen Grausamkeiten gegen die Zivilbevölkerung
    vorgingen.
    Die Judenpogrome 1933 und 1938 geschahen in aller Öffentlichkeit (…) Man kann also
    wirklich nicht behaupten, dass die Öffentlichkeit nicht gewusst habe, dass die
    nationalsozialistische Regierung und die Heeresleitung ständig aus Grundsatz gegen das
    Naturrecht, gegen die Haager Konvention und gegen die einfachsten Gebote der
    Menschlichkeit verstießen. Ich glaube, dass, wenn die Bischöfe alle miteinander an einem
    bestimmten Tag öffentlich von den Kanzeln aus dagegen Stellung genommen hätten, sie
    vieles hätten verhüten können. Das ist nicht geschehen und dafür gibt es keine
    Entschuldigung. Wenn die Bischöfe dadurch ins Gefängnis oder in Konzentrationslager
    gekommen wären, so wäre das kein Schade, im Gegenteil. Alles das ist nicht geschehen und
    darum schweigt man am besten.“

    Ja, und schweigen tun sie immer noch, die meisten deutschen und europäischen
    Historiker, die Kirchenoberen, die anerkannten Lexika, der Vatikan und die feige
    deutsche Gesellschaft.

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