Anti-NS-Protest in Leipzig: In der Extremismus-Falle

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Der für Samstag geplante Protesttag gegen das NPD-Zentrum in der Odermannstraße wurde von manchen Leipzigern zur Skandalisierung des Protests genutzt. Manche entdecken Bürgermeister Jung sogar „in der Antifa-Falle“. Diese Form der Kritik zeugt von einem fatalen Geschichtsverständnis und ist ein weiterer Beleg für die problematische Wirkung der Extremismus-Formel…

Eine Pressemitteilung des Forums für kritische Rechtsextremismusforschung
Gegen die Skandalisierung der Veranstaltung zum „65. Jahrestag der Befreiung von Krieg und Faschismus am 8. Mai“ auf dem Lindenauer Markt

Will man Gedenken ohne Geschichte, Demokratie ohne politische Auseinandersetzung? Es sind irritierende Forderungen, die sich in der Leipziger Volkszeitung vom 6. Mai finden. Das Beispiel zeigt: der Extremismus-Begriff beschränkt das Demokratieverständnis auf formale Parolen, produziert Geschichtsvergessenheit und lenkt die Aufmerksamkeit vom eigentlichen Thema der Aktion ab.

Es geht, das muss an dieser Stelle offenbar ins Gedächtnis gerufen werden, um Gedenken und Protest. Mit der Aktion wird an das Ende des NS-Regimes erinnert und gegen diejenigen protestiert, die sich heute selbst in den Kontext des historischen Nationalsozialismus stellen. Anstatt einer Würdigung der immer noch viel zu seltenen politischen Unterstützung von zivilgesellschaftlichem Engagement wird dem Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) vorgeworfen, er stecke mit einem Bein in einer „Antifa-Falle“.

Der von einem breiten Kreis an Personen unterstützte Aufruf zur Aktion auf dem Lindenauer Markt wird von der Zeitung als „Unsinn“ abgekanzelt, der „wirre“ Parolen enthalte. Konkret kritisiert wird daran jedoch nur die Bezeichnung des 8. Mai als „Tag der Befreiung für alle vom deutschen Faschismus bedrohten Völker“. Die Stichwortgeber Gunter Weißgerber (Ex-MdB, SPD) und Thomas Feist (MdB, CDU) fallen mit ihrer Ablehnung der Bezeichnung „Tag der Befreiung“ hinter den Stand der Debatte vor 25 Jahren zurück. Damals hatte der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker (CDU) den 8. Mai in einer viel beachteten Rede vor dem Bundestag als „Tag der Befreiung“ vom „menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ gewürdigt. Am meisten Beifall ist für solche Geschichtsvergessenheit von den NutzerInnen des NPD-Zentrums in der Odermannstraße selbst zu erwarten. Diese betrachten den 8. Mai auch nicht als Tag der Befreiung und feiern stattdessen am 20. April.

Darüber hinaus stoßen sich laut LVZ „einige Sozialdemokraten“ daran, dass der Protesttag auch von einzelnen VertreterInnen der DKP und des VVN-BdA unterstützt wird. Ausgerechnet dem Verband der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten e.V. die Beteiligung an einer Aktion anlässlich des Tages der Befreiung vom Nationalsozialismus vorzuwerfen, ist schon ziemlich kühn. Noch fragwürdiger ist es, die Veranstaltung in Lindenau, die explizit den Untertitel „Ein Tag für Frieden, Demokratie und Weltoffenheit“ trägt, mit Verweis auf die Einstufung einzelner Organisationen durch einige Verfassungsschutzämter in Gänze zu diskreditieren.

Die LVZ folgt hier einmal mehr dem in der Wissenschaft äußerst umstrittenen „Äquidistanzgebot“ des Extremismus-Forschers Eckhard Jesse von der TU Chemnitz. Dem Oberbürgermeister und allen anderen BürgerInnen ist zu raten, dieser Empfehlung nicht nachzukommen und sich weiter deutlich gegen Neonazis auszusprechen. Die Kritik am geplanten Aktionstag in Lindenau läuft auf den Versuch hinaus, jegliche Auseinandersetzung mit (Neo-)Nazismus zu diskreditieren, der sich nicht gleichzeitig auch als Anti-Extremismus und Anti-Antifaschismus gibt.

Forum für kritische Rechtsextremismusforschung, siehe auch auf der Website

7 Kommentare

  1. Die Stadt Leipzig bedient sich schon seit Jahren, genauer gesagt seit 1998, der sog. „Antifa“ als einer Art moderner „SA“, um ihren sog. „Aufstand der Anständigen gegen Rechts“ zu zelebrieren, selbst wenn es überhaupt keine Rechten bzw. Neonazis gibt, die in irgendeiner Weise demonstrieren wollen. So viel Zuwendung bekommen die Glatzen ansonsten nicht mal von ihren Psychotherapeuten bzw. Sozialarbeitern. Außerdem ist das Bündnis zwischen den Stadtoberen und der Linken kein Zufall. Schließlich braucht die SPD die Linke im stadtrat, um entsprechende politische Mehrheiten bilden zu können.

  2. „Wir haben wahrlich keinen Grund uns am heutigen Tag an Siegesfesten zu beteiligen.“ (R. von Weizsäcker am 8. Mai 1985)

    Dem kann man nur vollkommen zustimmen und so sollten es die deutschen Politiker und die deutsche Gesellschaft insgesamt auch heute noch halten. Der 8. Mai – ein Tag des Nachdenkens. Aber kein Tag zur Beteiligung an Siegesfeiern, wie es heutzutage zelebriert wird.

  3. Ansprache des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985

    Wir Deutschen begehen den Tag unter uns, und das ist notwendig. Wir müssen die Maßstäbe allein finden. Schonung unserer Gefühle durch uns selbst oder durch andere hilft nicht weiter. Wir brauchen und wir haben die Kraft, der Wahrheit, so gut wir es können, ins Auge zu sehen, ohne Beschönigung und ohne Einseitigkeit.

    Der 8. Mai ist für uns vor allem ein Tag der Erinnerung an das, was Menschen erleiden mußten. Er ist zugleich ein Tag des Nachdenkens über den Gang unserer Geschichte. Je ehrlicher wir ihn begehen, desto freier sind wir, uns seinen Folgen verantwortlich zu stellen.

    Und dennoch wurde von Tag zu Tag klarer, was es heute für uns alle gemeinsam zu sagen gilt: Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.

    Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte.

    Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen.

    Wir haben wahrlich keinen Grund uns am heutigen Tag an Siegesfesten zu beteiligen. Aber wir haben allen Grund, den 8. Mai 1945 als das Ende eines Irrweges deutscher Geschichte zu erkennen, das den Keim der Hoffnung auf eine bessere Zukunft barg.

    Kein fühlender Mensch erwartet von ihnen, ein Büßerhemd zu tragen, nur weil sie Deutsche sind. Aber die Vorfahren haben ihnen eine schwere Erbschaft hinterlassen.

    Wir alle, ob schuldig oder nicht, ob alt oder jung, müssen die Vergangenheit annehmen. Wir alle sind von ihren Folgen betroffen und für sie in Haftung genommen.

    Das Vergessenwollen verlängert das Exil,
    und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung.

    http://www.hdg.de/lemo/html/dokumente/NeueHerausforderungen_redeVollstaendigRichardVonWeizsaecker8Mai1985/

    „Er spricht für sich und andere Schuld- Kult- Fanatiker, nicht für das deutsche Volk.“

    Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch . Bertolt Brecht

  4. Gunter Weißgerber (Ex-MdB, SPD) und Thomas Feist (MdB, CDU)haben recht, den 8.Mai als „Befreiung“ zu bezeichnen ist eine Verhöhnung der nach dem 8. Mai noch erschossenen, verhungerten und ermordeten 5 Millionen Deutschen.

    Und wenn der Richard von Weizsäcker von einem „Tag der Befreiung“ faselt, so ist das ohne Belang.
    Er spricht für sich und andere Schuld- Kult- Fanatiker, nicht für das deutsche Volk.

  5. Ich denke, daß sich ein Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt schon genauer überlegen sollte, ob er an einer Veranstaltung teilnimmt, die von Organisationen geprägt wird, die von zahlreichen Verfassungsschutzbehörden extremistischer Tendenzen bezichtigt werden. Und zwar vollkommen egal, aus welcher politischen Richtung dies der Fall ist. Vollkommen grundlos sollten die Einschätzungen der Verfassungsschutzbehörden schon nicht sein.

    Zudem sei daran erinnert, daß es in der DDR zwar zahlreiche offizielle Veranstaltungen zur „Befreiung von Krieg und Faschismus“ gab, die allerdings in den meisten Fällen zu keinen demokratischen Zwecken, sondern vielmehr zur Festigung der SED-Diktatur dienten oder – besser gesagt – mißbraucht wurden. Deshalb sollte man da schon etwas genauer hinsehen und sich nicht sofort von schönen Schlagworten blenden lassen.

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