Kurzmeldungen aus Frankreich

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Vier aktuelle Meldungen zu den Themen Nazis, extreme Rechte (etablierte und aktivistische) und Antifaschismus in Frankreich…

Von Bernard Schmid, Paris

Neonazi-Combo zu Haftstrafen verurteilt

Wir berichteten vor knapp zwei Jahren über eine Neonazi-Splittergruppe im südlichen Pariser Umland, die unter dem Namen ,Nomad-88’ („88“ als szeneübliches Kürzel für „Heil Hitler“, unter Rückgriff auf den achten Buchstaben des Alphabets) auftrat. Ihre Mitglieder wurden Anfang Juni 2008 verhaftet, nachdem zwei respektive drei ihrer Aktivisten an einer „durchgeknallten“ Aktion teilgenommen und aus einem fahrenden Auto heraus in einem Pariser Vorort herumgeballert hatten. (Vgl. https://www.hagalil.com/2008/06/neonazis.htm )

Vom 15. bis 18. März dieses Jahres hat nun in der Bezirkshauptstadt Evry der Prozess gegen die Combo, den Berichten zufolge eher eine Mischung aus – wenngleich mit Arbeitsplätzen ausgestatteten – gesellschaftlichen Loosern und Alkoholikern denn eine „intelligent“ organisierte Kaderbewegung, stattgefunden. Die Staatsanwaltschaft hatte im Vorfeld nicht Anklage wegen Mord- oder Totschlagsversuchs erhoben – dies hätte vor ein Geschworengericht und dadurch zu starker Aufmerksamkeit der Medien geführt -, sondern aufgrund illegalen Waffenbesitzes. Deswegen landete die Strafsache vor einem TGI (ungefähr: kreisweites Amts- oder Landgericht). Dem Vernehmen nach erfolgte diese Entscheidung, „um der Gruppe und ihrem Prozess keine überragende Publizität zukommen zu lassen“. Die Aufmerksamkeit in den Medien (vor allem im Fernsehen) war anfänglich auch sehr gering. Die linksliberale Pariser Tageszeitung ,Libération’ widmete dem Prozess dann am Osterwochenende doch noch ausführliche vier Seiten in ihrer Wochenendbeilage (vgl. http://www.liberation.fr/societe/0101628219-la-nuit-des-seconds-couteaux ).

Die Urteile, die inzwischen fielen, lauten auf sechs Monate (mit Bewährung) bis zu zweieinhalb Jahren ohne Bewährung. Alle Angeklagten zeigten sich vor Gericht zwar nicht unbedingt intelligent und aufgeschlossen, aber „geläutert“ und schworen ihren früheren Ideen ab. ,Nomad-88’ existiert seit längerem nicht mehr.

Hingegen bildet die extrem antisemitische Neonazigruppierung ,Droite Socialiste’ (Sozialistische Rechte), für welche die bierseligen Hohlköpfe von ,Nomad-88’ vor 2008 zeitweilig den Ordnerdienst spielten, heute eine Neonazi-Kleinstpartei unter dem Namen ,Parti Solidaire Français’ (PSF, „Französische Solidarpartei“). Im Sommer 2009 hatte sie in Paris noch Plakate unter der martialisch-lautsprecherisch wirkenden Aufschrift ,Contre la vermine capitaliste’ (Gegen das kapitalistische Ungeziefer) verklebt. Letztere scheint allerdings nur noch in geringem Ausmaß aktiv zu sein, so wurden die Homepages ihrer Bezirksorganisationen im Raum Paris seit Ende November/Anfang Dezember 09 nicht mehr aktualisiert. Auf zentraler Ebene machte ihr Chef Thomas Werlet hingegen noch in jüngerer Zeit auf sich aufmerksam. Am 28. Januar 2010 fand in Paris ein Prozess statt, den er gegen vier Mitglieder einer jüdischen Ethno-Extremistengruppe, nämlich der (gleichfalls rechtsradikalen) „Jüdischen Verteidigungsliga“ LDJ – Ableger einer in Israel und den USA inzwischen verbotenen rechtsterroristischen Gruppe, der „Kach-Bewegung“ –, angestrengt hatte. Ein Resultat ist bislang nicht bekannt. Am 13. April 10 nahm PSF-Chef Thomas Werlet an einer Veranstaltung der nationalrevolutionären und antisemitischen, 14tägig erscheinenden Zeitung ,Flash’ in Paris mit dem iranischen Botschafter – Seyed Mehdi Miraboutalebi – teil. Auf ihr wurde auch die Präsenz des Chefideologen der früher so bezeichneten „Neuen Rechten“, Alain de Benoist, verzeichnet: Er saß direkt neben dem Botschafter des iranischen Folterregimes. (Vgl. Artikel und Foto unter: http://droites-extremes.blog.lemonde.fr/2010/04/14/lambassadeur-diran-a-la-rencontre-de-lextreme-droite-radicale/ )

Pro-NRW-Gast Robert Spieler als Herausgeber von Fan-Artikeln über „Faschismus 1943 bis 45“

„Pro Köln“ und „Pro NRW“ legen gern Wert darauf, als angebliche „Rechtsdemokraten“ nicht mit der NPD und offenen Hitler-Anhängern in einen Topf geworfen zu werden. Nicht derart viel Wert auf Reputation zu legen, oder mitunter mit offenerem Visier zu spielen, scheint unterdessen ihr mehrfach in NRW aufgetretener Gast aus Frankreich: Robert Spieler. Er berichtete noch jüngst für einen Teil der französischen extremen Rechten vom Pro-NRW-Spektakel „gegen Moscheen“ in Gelsenkirchen und Duisburg, Ende Mârz 10, an dem er teilgenommen hat.

Robert Spieler führte knapp zwanzig Jahre lang die elsässisch-regionalistische rechtsextreme Bewegung ,Alsace d’abord’ (Elsass zuerst) an, die sich 1989 vom Front National abspaltete. 2008 verließ Spieler die Regionalbewegung – welch letztere inzwischen mit dem ,Bloc identitaire’ eng verknüpft und in dessen Führungsinstanzen vertreten ist; vgl. http://droites-extremes.blog.lemonde.fr/2010/03/30/alsace-dabord-pas-dextreme-droite  -, um Sprecher der neu gegründeten Sammlungsbewegung ,Nouvelle Droite Populaire’ (NDP, ungefähr „Neue Rechte der kleinen Leute“) zu werden. Letztere ist bislang aber ziemlich erfolglos; abgesehen vielleicht von ihrem Teilbeitrag zu den Listen „Nein zu Minaretten“ bei den jüngsten Regionalparlamentswahlen in Lothringen und im französischen Jura, die aber mit 3 % bzw. 2,5 % auch relativ geringe Stimmenanteilen erhielten.

Wie seit den letzten Märztagen 2010 aus einem Bericht beim fraktionsübergreifenden rechten Rundfunksender ,Radio Courtoisie’, aber auch Robert Spielers Homepage und anderen Quellen in der extremen Rechten zu entnehmen war, ist Spieler als Unternehmer mit einem DVD-Versand namens „SEMIS Diffusion“ unterwegs. (Ungefähr so, wie Jean-Marie Le Pen dereinst zu Anfang der siebziger Jahren seinen Plattenversand SERP betrieb, der u.a. deutsche Nazilieder vertickte.)

Zu den ersten Produktionen, die Robert Spieler am 1. April dieses Jahres in der rechtsextremen Pariser Buchhandlung ‚Primatice’ vorstellte – es handelte sich freilich nicht um einen Aprilscherz -, zählt die DVD unter dem Titel „Bilder des Faschismus, 1943 bis 45“ über die italienische „Republik von Salo“, also Adolf Hitlers Marionettenstaat am Gardasee. Die DVD ist offenkundig eher für Fans denn für Antifaschisten konzipiert… Ein zweiter Artikel aus Spielers Produktion ist eine DVD zum Leben von Pierre Vial, dem französischen Rassenideologen, der früher an der Universität Lyon-III Arierkunde – pardon, „Indoeuropäerforschung“ – betrieb, bevor das einschlägig bekannte „Institut für indoeuropäische Studien“ (IEIE) im Herbst 1998 dichtgemacht wurde. Vial, der ab 2008 zeitweilig frankreichweit bei der NDP aktiv war, leitet vor allem seinen eigenen, völkisch-rassistischen Zirkel: „Erde und Volk“ (Terre & peuple). Dessen Ideologe wird durch die eigenen Leute als „rassialistisch“ (racialiste) bezeichnet.

Größere Antifa-Demonstration in Lyon, nach mehrfachen schweren faschistischen Übergriffen

Rund 2.000 Personen (Polizei: 1.800, Veranstalter/innen; 2.500) demonstrierten am Samstag, den 10. April in Lyon „gegen die extreme Rechte und gegen den Hass“. Aufgerufen dazu hatten u.a. die linken Parteien NPA, Parti de Gauche, französische KP (PCF) sowie die Jungsozialisten ( MJS); einige Gewerkschaften, unter ihnen SUD/Solidaires, die CGT-Bildungswesen und die anarcho-syndikalistische CNT; Solidaritätsinitiativen für „illegalisierte“ ImmigrantInnen wie RESF und ,Amoureux au ban public’; ATTAC im Département von Lyon oder Antirassismusvereinigungen wie der MRAP. (Vgl. dazu einen Bericht mit Foto: http://www.libelyon.fr/info/2010/04/mobilisation-à-lyon-contre-lextrêmedroite.html ) Am Rande der Demonstration kam es kurzeitig zu handgreiflichen Auseinandersetzungen mit Rechtsradikalen.

Anlass zu der Demonstration waren, neben dem jüngsten aggressiven Wahlkampf des Front National, vor allem sich häufende faschistische Attacken im Raum Lyon. Gruppen von 40 bis 60 Anhängern der außerparlamentarischen extremen Rechten, etwa aus dem ,Bloc identitaire’ und Umfeld, griffen in den letzten Monaten wiederholt linke Zentren und einzelne Aktive aus der Linken an. So wurde in der Nacht vom 12. zum 13. März dieses Jahres das besetzte Zentrum ,Le Grand Lyeu’ von Rechtsradikalen attackiert. Dabei flog auch ein Molotowcocktail gegen das Gebäude, glücklicherweise wurde niemand verletzt. Am 6. März waren Aktive der CNT und der Anarchistischen Koordination CGA angegriffen und verletzt worden. (Vgl. http://juralibertaire.over-blog.com/article-les-fascistes-travaillent-a-lyon-46676091.html und http://sud-arl.org/spip.php?breve362 ) Am 22. Januar dieses Jahres hatten 30 bis 40 faschistische Schläger eine Demonstration gegen die Lyoner „Debatte zur nationalen Identität“, zu der Minister Eric Besson aus Paris anreiste, gewalttätig attackiert. Zudem macht die „identitäre Jugend (Rebeyne)“ öfter mit spektakulären Aktionen von sich reden. Am 6. März d.J. hatte sie etwa mit mehreren Dutzend Anhängern eine Filiale der Fastfoodkette Quick, die „halal“ zubereitetes (d.h. islamischen Speisevorschriften genügendes) Fleisch serviert, lahm gelegt; vgl. dazu folgendes Video mit Aufnahmen von der Aktion: http://tempsreel.nouvelobs.com/actualites/societe/20100308.OBS9141/un_quick_halal_envahi_par_des_jeunes_identitaires.html.  

Erst in jüngster Zeit finden in Frankreich wieder nennenswerte antifaschistische Mobilisierungen statt, nachdem die extreme Rechte seit 2007 – und dem damaligen Einbruch des FN bei Wahlen – fälschlich „halbtot“ gesagt worden war. Am 27. März dieses Jahres fand eine Demonstration von rund 400 Personen in Chauny in der Picardie statt, wo es in jüngerer Zeit häufig zu gewalttätigen Übergriffen durch jugendliche und heranwachsende Rechtsradikale kam (vgl. http://droites-extremes.blog.lemonde.fr/2010/03/26/manif-a-chauny-confrontee-au-retour-dune-extreme-droite-adolescente ). Im Vorfeld hatte die örtliche Presse massiv „Spannungen“ im Zusammenhang mit der Demonstration herbeigeschrieben, es blieb jedoch auch nach Dafürhalten der bürgerlichen Presse ruhig. (Vgl. http://www.lunion.presse.fr/article/faits-divers/manifestation-antifasciste-aujourdhui-la-ville-sous-tension ) Aber die faschistischen Aktivitäten ließen in der Folge dennoch nicht nach: Anfang April wurden Graffities u.a. mit Hakenkreuzen und „White Power“-Sprüchen in den Damentoiletten des örtlichen Rathauses entdeckt. (Vgl. http://www.lunion.presse.fr/article/faits-divers/des-tags-nazis-sur-la-mairie ).

In Chauny ringt die extreme Rechte um eine örtliche Hegemonie im Alltagsleben. Ihre jugendlichen Anhänger scheinen vom außerparlementarischen ,Bloc identitaire’ beeinflusst. Aber auch der FN erlaubte es sich dort, am o4. November 09 Flugblätter vor einer Metallfabrik, Nexans – gegen den drohenden Abbau von 220 Arbeitsplätzen und gegen den „Globalismus“ – zu verteilen. Im Nachhinein veröffentlichte die rechtsextreme Partei dazu ein Kommuniqué vom o5. November, unterzeichnet von ihrem Funktionär Wallerrand de Saint-Just, der ansonsten als Rechtsanwalt Jean-Marie Le Pens auftritt.

FN – Nachfolge von Jean-Marie Le Pen an der Parteispitze: Die Katze ist aus dem Sack

Der französische rechtsextreme Front National (FN) hört nicht auf, von sich reden zu machen. Anlässlich eines groß aufgemachten (Doppel-) Gesprächs mit Jean-Marie Le Pen, dem alternden Chef des FN, aber auch dessen Tochter Marine Le Pen kündigt das konservative Wochenmagazin ,Figaro-Magazine’ (Ausgabe vom 10./11. April 10) die seit längerem erwartete „Sensation“ an. Also die Nachricht, dass der seit der Parteigründung im Oktober 1972 ununterbrochen amtierende FN-Chef nun seine bisherige Laufbahn beendet. Erstmals erklärt Jean-Marie Le Pen, zur kommenden Präsidentschaftswahl – die programmgemäß im April 2012 stattfinden wird – nun wirklich nicht mehr anzutreten; „es sei denn, dass eine vorgezogene Präsidentschaftswahl stattfindet“. Davon, also von einer vorgezogenen Wahl zum höchsten Staatsamt, die in nur wenigen Wochen vollzogen würde und auf die er als einziger Kandidat vorbereitet wäre, als seiner „historischen Schicksalsstunde“ hatte Le Pen senior seit Jahrzehnten geträumt. Von keiner anderen Wahl konnte Jean-Marie Le Pen so wenig ablassen wie von seinen Präsidentschaftskandidaturen. Nunmehr ist jedoch die Katze aus dem Sack: Im Alter von bald 82 Jahren (im kommenden Juni) schickt der alte Chef sich an, nicht mehr anzutreten.

Am Montag, 12. April beschloss das „Politische Büro“ des FN nun den Termin des nächsten FN-Kongresses: Er wird am 15. und 16. Januar 2011 stattfinden. Auf ihm wird Jean-Marie Le Pens Nachfolger/in an der Parteispitze bestimmen werden. Es wird sich aller Voraussicht nach um seine Tochter Marine Le Pen als mit Abstand aussichtsreichste Anwärterin handeln; als einziger Gegenbewerber „von Rang“ wird mutmaßlich der bisherige Partei-Vizechef Bruno Gollnisch antreten.

Gleichzeitig kündigt Jean-Marie Le Pen in dem o.g.G Pressegespräch auch an, künftig noch über die Einhaltung der programmatischen Linie der rechtsextremen Partei zu wachen. Die diesbezügliche Ermahnung richtet sich wiederum vor allem an seine Tochter Marine, da die „alte Garde“ der Parteifunktionäre (der Bruno Gollnisch zugehört und deren Kandidat er zum Gutteil werden dürfte) befüchtet, die bald 42jährige werde zu viele programmatische „Aufweichungen“ bei der Partei im Namen der „Modernisierung“ einführen.

Am 1. März dieses Jahres war – rund zwei Wochen vor dem ersten Durchgang der Regionalparlamentswahlen – publik geworden, dass sie eine künftige Namensänderung der rechtsextremen Partei erwäge. Ein Symbol nur, das jedoch ganz klar etwas Wichtiges signalisieren möchte: nämlich die Vorstellung, nunmehr alle Verbindungslinien zum historischen Faschismus und auch zum klassischen Neofaschismus der Nachkriegsjahrzehnte zu kappen. Soweit jedenfalls der nach außen hin erhobene Anspruch, mit dem Marine Le Pen schon seit dem Beginn ihres innerparteilichen Aufstiegs im Jahr 2003 herumläuft. Der alternde Chef scheint sich seinerseits sogar schon damit abgefunden haben, dass Marine Le Pen eine solche Namensänderung in Zukunft durchdrücken könnte. Jedenfalls äußert er in dem Gespräch mit dem ,Figaro-Magazine’ (wo er ferner ankündigt, nunmehr seine Memoiren verfassen zu wollen): „So lange es eine französische Nation gibt, mit den Gefühlen, welche ein Vaterland hervorruft, wird es einen FN geben. Er wird so oder anders heißen. Er wird groß oder klein sein, mager, stark, mitreißend, aber er wird existieren.“ (Vgl. http://www.lefigaro.fr/lefigaromagazine/2010/04/10/01006-20100410ARTMAG00025–jean-marie-le-pen-je-pars-le-c339ur-tranquille-.php )

Ausführlicheres zum begonnenen Kampf um die Nachfolge „des Alten“, und um die politische Ausrichtung, beim FN berichten wir demnächst.