„Islamdebatte“ in Frankreich, die (ungefähr) 923.te

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Ein Knöllchen-Streit wird zur Staatsangelegenheit und Überlebensprobe für das Abendland. Oder: Eine äußerst passend kommende „Affäre“…

Von Bernard Schmid, Paris

Um die – vor allem aus Afghanistan und Pakistan bekannte, jedoch auf französischem Boden ausgesprochen seltene – Burqa oder Vollverschleierung hat es in Frankreich schon seit mehreren Monaten eine Verbotsdebatte in den etablierten Parteien gegeben. Im Zuge des Wahlkampfs, vor den französischen Regionalparlamentswahlen von Mitte/Ende März 2010, war die Polemik jedoch vorläufig abgeklungen. Doch Premierminister François Fillon hatte drei Tage vor der Wahl das – zwischenzeitlich für einige Wochen in vorübergehende Vergessenheit geratene – Vorhaben eines gesetzlichen Burqa-Verbots aus den Schubladen gezogen. Auf der Abschlussveranstaltung des Wahlkampfs der UMP in Nantes rief er vor Kameras und Mikrophonen aus, die Burqa sei in Frankreich „nicht willkommen“: „In einer Demokratie läuft man nicht maskiert herum!“

Inzwischen hat, am 30. März 10, der französische Conseil d’Etat – der oberste Verwaltungsgerichtshof – in einer Stellungnahme erklärt, ein generelles Verbot würde als rechtswidrig beanstandet werden; nur aus konkreten Gründen, etwa aufgrund der Notwendigkeit einer Identifizierung an einem Serviceschalter, könne eine solche Kleidungs(verbots)vorschrift erlassen werden. Doch prompt kündigte die Regierungspartei UMP mittlerweile an, dass sie sich darüber hinwegsetzen möchte, um zu versuchen, trotz juristischer Bedenken noch „vor dem Sommer 2010“ ein Totalverbot auf Biegen und Brechen durchzusetzen.

Am 21. April 10 erklärte nunmehr Staatspräsident Nicolas Sarkozy, er haben einen Beschluss zugunsten eines gesetzlichen Totalverbots gefällt – während Premierminister François Fillon ungefähr zeitgleich erklärte: „Wir sind bereit, juristische Risiken einzugehen.“ Am 19. o5. 2010 soll der Gesetzesentwurf dazu nun vom Ministerrat (Kabinett) verabschiedet werden, bevor er ins Parlament eingebracht wird. Dort soll er Anfang Juli 10 in einer Sondersitzung – während die Abgeordneten normalerweise Urlaub haben – beschlossen werden, um im September dieses Jahres in Kraft zu treten. Einige Details sind noch innerhalb des rechten Regierungslagers umstritten, etwa die Frage, ob auf ein parlamentarisches Eilverfahren – das normalerweise nur in Notfallsituationen benutzt wird – zurückgegriffen wird oder nicht. Laut dem bisherigen Stand des Entwurfs, dessen vorläufiger Text durch ,Le Figaro’ enthüllt wurde, soll auf das Tragen einer Burqa als „Ordnungswidrigkeit“ künftig eine Geldbuße ab 150 Euro stehen. Ursprünglich angekündigt war auch schon mal eine Mindeststrafe in Höhe von 750 Euro gewesen. Darauf hat das Regierungslager jedoch (zugunsten einer geringeren Summe) verzichtet; um das Hauptaugenmerk auf die Idee, bestimmte moslemische Männer übten Zwang auf die Frauen zum Anlegen der Burqa aus, zu legen. Auf einen solchen Zwang von Seiten eines Mannes soll künftig eine Strafandrohung bis zu einem Jahr und 15.000 Euro Geldstrafe stehen.

Eine passend kommende Affäre

Absolut passend wie gerufen dazu kam eine „Affäre“ im westfranzösischen Nantes, die am 23./24. April ausbrach, also kaum 48 Stunden nach Sarkozys grundsätzlicher Weichenstellung. Dort war eine Autofahrerin, die – neben einem Kopftuch – auch einen Gesichtsschleier trug und trägt, am 2. April kontrolliert und wegen „Fahrzeugführung mit beeinträchtigten Sichtmöglichkeiten“ zu einer Geldstrafe von 22 Euro verdonnert worden. So weit, so relativ banal, auch wenn der Aufzug der Dame als ungewöhnlich gelten darf. (Die Betreffende bestreitet freilich, dass bei ihr ein Sichthindernis vorliege, und beruft sich darauf, sie fahre seit Jahren auf diese Weise Auto. Es sei das erste Mal, dass die Polizei sie nunmehr deswegen aufhielt.)

Doch die Angelegenheit wurde schnell zur politischen Affäre hochgekocht – und zwar sowohl durch die Dame selbst (und wohl auch ihre Umgebung) als auch durch die Regierung. Erstere, indem sie, statt die 22 Euro für die Ordnungswidrigkeit mit oder ohne Zähneknirschen zu zahlen, am 23. April eine Pressekonferenz einberief, nachdem sie am 22. April ihre Zahlungsaufforderung für das Knöllchen erhalten hatte. Die 31jährige, die in Rezé (einem Vorort von Nantes) wohnhaft ist, suchte sichtlich die optische und politische Provokation. Eine Pressekonferenz mit „Vollverschleierung“: Das hat von der Geste her ungefähr dieselbe Symbolik, welche in der Vergangenheit auch manche zu „Staatsfeinden“ aufgebauschten Vermummten auszustrahlen versuchten. (Etwa jene korsischen Nationalisten auf ihrer legendären Pressekonferenz in Tralonca im Januar 1996 – 600 Kapuzenträger im korsischen Unterholz -, in ihrem Falle freilich bewaffnet.) Also eine auf Bildern beruhende vermeintliche „Herausforderung“ an ein – staatliches oder anders – Gegenüber, auch wenn das Ganze mit harmlosen, uninteressanten oder langweiligen Inhalten einhergehen mochte. Der Protzeffekt ist dabei stärker als die inhaltliche Radikalität. Aber wen juckt’s? Auch für die Regierung war die Sache ihrerseits ein äußerst gefundenes Fressen: Die Gefahr für die, wahlweise, Sicherheit oder die nationale Identität – da hockt sie vor aller Augen!

Innenminister Brice Hortefeux (welch selbiger übrigens am 16. April 10 wegen rassistischer Aussprüche vor ein Pariser Gericht zitiert worden war, das Urteil fällt Anfang Juni) posaunte in allen Medien hinaus, er habe Einwanderungs- und Identitäts-Minister Eric Besson in einem Brief aufgefordert, dem Ehemann der 31jährigen seine französische Staatsbürgerschaft zu entziehen. Sein Ministerkollege Besson erklärte daraufhin, dies tatsächlich prüfen zu wollen. Grundlage des „Denunzierungsschreibens“ vom Innenminister an seinen Kabinettskollegen ist eine polizeiliche Untersuchung zur rechtlichen Situation des Ehepaars – infolge einer kleineren Ordnungswidrigkeit (die 22 Euro kostet), und sei sie von einer Pressekonferenz der Übeltäterin gefolgt, eher ungewöhnlich.

Es habe sich nämlich herausgestellt, so begründete Hortefeux seine „Denunzierung“, dass der Ehemann in Polygamie lebe (welche strikt verboten ist) und ferner „Sozialleistungen erschlichen“ habe, da nämlich „jede seiner vier Ehefrauen Kindergeld als Alleinerziehende“ für seine angeblich zwölf Kinder beantragt habe. Einer der Clous an der Sache ist jedoch, dass dies – also das Beziehen von Kindergeld als alleinerziehende Elternteile -, (sofern die Darstellung der Sache zutrifft) überhaupt nur möglich war, weil mindestens drei der Frauen eben nicht mit dem Mann verheiratet waren.

Er mag sie (eventuell von einem passend gefällten Imamspruch abgesegnet, der eine religiös legitimierte „Zeitehe“ – wie manche Varianten des Islam sie anerkennen – oder einen informellen Eheschluss anerkannte) außerhalb jeder rechtlich anerkannten Ehe geschwängert haben. Gut möglich, mag sein. Aber dies ist nun einmal nichts, was in der französischen Gesellschaft derart ungewöhnlich wäre. Frankreichs Starkoch Paul Bocuse war sein Leben lang stolz darauf, erklärtermaßen permanent eine Ehefrau und zwei Geliebte unterhalten zu haben. Ansonsten gilt für den Mann in Nantes, wie die Boulevardzeitung ,Le Parisien’ oder das Internetportal ,Le Post.fr’ richtig feststellten, dass die Vorwürfe betreffend sein angebliches Privatleben „nur schwer zu beweisen sein dürften“. (Auch sonst dürften da so einige Beweisprobleme auftauchen. Die unpolitische bis rechtslastige Boulevardzeitung ,France Soir’ etwa macht am 26. April – an die erforderlichen Instinkte für eine Menschenjagd appellierend – unter dem Titel auf: „Muss man diesen Mann bestrafen?“ Unter dem Foto des Betreffenden. Im Blattinneren erfährt man, er solle „zwischen vier und sieben Frauen“ haben. Nach besonders gesicherten, und juristisch wasserdichten, Erkenntnissen klingt dies nun nicht gerade.)

Inzwischen hat auch der Betreffende selbst reagiert. Inzwischen kennt man auch seinen vollen Namen, nachdem sein Foto ohnehin schon seit Tagen von sämtlichen Zeitungsständern herunter prangte, während von seinem Namen nur seine Initialen „L.H.“ bekannt waren. Nun ist seine Identität bekannt: Liès Hebbadj, geboren 1975 in Algier, aber als Kleinkind nach Frankreich gekommen und dort aufgewachsen; seit 1999 französischer Staatsbürger, aufgrund seiner Heirat mit einer französischen Staatsbürgerin (der heute 31jährigen Autofahrerin „mit eingeschränkten Sichtfähigkeiten“). Er soll dem Tabligh, einer charismatisch-pietistischen Islamistenbewegung – eher ohne umstürzlerischen Anspruch – angehören. Also einer sektenförmigen pietistischen Glaubensrichtung, ihr Name kommt von al-tablighat (Werbung, Reklame, auch: Propaganda), die ihr geographisches Zentrum in Pakistan und Indien aufweist und die sicherlich auch das soziale Alltagsleben ihrer Mitglieder sichtbar prägt.

Liès H. gilt als ziemlich umstrittene Persönlichkeit in der moslemischen Bevölkerung in Nantes, wo er diversen geschäftlichen Aktivitäten – zwischen dem Betreiben eines Internetcafés, einer Halal-Fleischerei und eventuell auch Autohändlertätigkeiten – nachgehen soll. Die Pariser Abendzeitung ,Le Monde’ zeichnet in einem Hintergrundartikel über „die Persönlichkeit von Liès Hebbadj, die sich zwischen Gerüchten und gesicherten Informationen abzuzeichnen beginnt“ das Bild eines Mannes, der freilich nur ziemlich ungefähre Kenntnisse vom Islam aufweise. Er bediene sich einer (tendenziell selbstgebastelten) Berufung auf die islamische Religion, so zitiert das Blatt Kenner der örtlichen Verhältnisse, „um Einfluss auf Frauen auszuüben“. Kurz, eine Art bärtigen Sektengurus aus em Mittelmeerraum, mit einem gewissen Erfolg bei Damen (und, mutmaßlich, vermeintlichem „Exoten“bonus bei frisch Konvertierten).

Am Montag, 26. April 10 stand Liès Hebbadj nun in der französischen Presse Rede und Antwort zu den Vorwürfen, die an ihn gerichtet waren. Und er antwortete auf durchaus nicht unintelligente Weise: Nein, er sei überhaupt nicht polygam; und er prüfe, ob er nicht Strafanzeige gegen den französischen Innenminister wegen „Diffamierung“ erstatte. Ja, er räume ja ein, dass er „Geliebte“ (des maîtresses) gehabt habe oder habe. Aber dies sei nicht verboten. Oder wolle man „allen Franzosen, die Geliebte haben, ihre Staatsbürgerschaft entziehen“?

Bemerkenswert für einen mutmaßlichen Islamisten: Er positioniert sich auf diese Weise ausdrücklich auf dem nicht-religiösen Terrain, jenem des Pragmatismus (statt zu antworten, Allah und der Qoran erlaubten ihm nun einmal so-und-so-viele Ehefrauen, und er kacke auf das weltliche Gesetz). Und er setzt sich dabei selbst mit x-beliebigen Franzosen, ergo „Ungläubigen“ , gleich respektive stellt sich mit ihnen auf eine Stufe. Es mag ja sein, dass er unter „Seinesgleichen“ anders argumentieren – nämlich mit der göttlichen Autorität des Qoran etcetera um die Ecke kommen – würde. In diesem gesellschaftlichen Kontext jedoch argumentierte er, sozusagen, völlig säkular… – Dies nur als kleine Ironie der Geschichte, am Rande. Ansonsten ist höchst wahrscheinlich, dass der 34- oder 35-jährige französisch-algerische Doppelstaatsbürger gesellschaftlichen und „religiösen“ Vorstellungen – wohl zum Guteil „Marke Eigenbau“ – anhängt, mit denen Unsereins aus gutem Grund herzlich wenig zu tun haben möchte.

Laut einer anderen Version, die ebenfalls in den französischen Medien auftaucht, hatte Liès H. freilich hinzugefügt, dass „die französischen Gesetze UND der Qoran“ es erlaubten, neben der Ehe her noch Geliebte zu haben. Aus diesem Grunde wiederum hat inzwischen wiederum eine moslemische Vereinigung aus dem östlichen Pariser Umland Strafanzeige gegen Liès H. erstattet – wegen öffentlicher Falschbehauptung, die eine „Diffamierung“ gegenüber ihrer Religion darstelle… Die Strafanzeige wurde am 28. April auf einer Polizeistation in Meaux durch Rachida Benamed eingereicht. Dahinter steht sicherlich vor allem auch der Hände ringende vieler Moslems, nur nicht mit diesem Herrn in einen Topf geworfen zu werden, im Sinne einer Kollektivbehandlung aller Moslems durch die „altansässigen/eingesiedelten“ Franzosen. Tatsächlich droht sich die öffentliche Debatte so sehr auf die Sekte rund um den Herrn von Nantes zu fokussieren, dass auch andere Anhänger der moslemischen Religion von nichtmuslimischen Franzosen durch dieses Prisma wahrgenommen werden.

Keine „Ausländerinnen“frage!

Doch was zunächst kaum jemandem auffiel: Am untauglichsten ist dieser „Skandal“ dann, wenn es darum gehen soll, im Kontext der Debatte um den Platz „des Islam“ und um die „nationale Identität“ eine Grenze zwischen „Uns“ und „Ihnen“, zwischen dem „Eigenen“ und den „Fremden“ zu ziehen. Die werte Dame von Nantes – mit Vornamen Anne, und angeheiratetem Familiennamen Hebbadj – ist nämlich, wie ungefähr die Hälfte der (wenigen) Burqaträgerinnen, eine im Erwachsenenalter zum Islam konvertierte weiße „Herkunftsfranzösin“. Ihr Mann hingegen ist ein im Kindesalter nach Frankreich gekommener und dort aufgewachsener Algerier. Jedenfalls der Ehefrau als „Herkunfts-Französin“ – die wohl keine zweite Nationalität zusätzlich besitzt –kann man folglich die Staatsbürgerschaft auch nicht entziehen.

Ein Gutteil der Ganzkörperverhüllung tragenden Frauen im Land sind gleichfalls Konvertitinnen und „Abstammungsfranzösinnen“ – handelt es sich doch eher um ein Sektenphänomen, und es ist allgemein bekannt, dass frisch Konvertierte oft die extremsten oder verrücktesten Anhänger/innen ihres jeweiligen neuen Glaubens abgeben. Als die Polizisten die Dame am Steuer ihres Autos kontrollierten, hielten sie die Fahrerin mit den Worten auf: „Das (ihr Kleidungsstück) ist bei uns nicht willkommen.“ Woraufhin sie – in der Sache durchaus richtig – erwiderte, „bei uns“, das sei auch bei ihr zu Hause.

Inzwischen sind, erneut sehr opportuner Weise, neue (angebliche oder tatsächliche) „Erkenntnisse über Liès H.“ aufgetaucht. So behauptet der Vater von Anné Hebbadj, ihr angetrauter Ehemann Liès misshandele sie, wie er im Februar 10 auch der Polizei signalisiert habe. Auf Grundlager der ihr vorliegenden Informationen schreibt die Pariser Abendzeitung ,Le Monde’ freilich, es liege zwar ein polizeiliches Dossier vor, das aber keinerlei Hinweis auf konkrete Straftaten enthalte. Vor allem gehe es wohl um die Trauer eines nicht weiter wissenden Vaters, der dieser (etwas besonderen) Beziehung – mit einer Art von Sektenhintergrund – wohl von Anfang an skeptisch bis feindlich gegenüber. Inzwischen tauchte im Internet auch der Blog einer sich als frühere Ehefrau von Liès H. bezeichnende Dame auf, die angibt, von ihm für eine Summe (50.000 Euro) nach Dubai verkauft worden zu sein. Ein Polizist in Nantes erklärte jedoch gegenüber ,Le Monde’, Liès H. weise zwar sicherlich manche in der Sache fragwürdige Praktiken auf; aber falls die jetzt auftauchenden Vorwürfe alle zuträfen, „dann müssten wir über einen ellenlange Liste von Straftaten oder Ermittlungen gegen ihn verfügen“. Dies ist real nicht der Fall.

Reaktionen: von der Sozialdemokratie bis zu Le Pen

Die Sache löste eine Polemik aus, nachdem die sozialdemokratische Parlamentsopposition den beiden Ministern – Hortefeux und Besson -vorwarf, einen – zum Teil ungeklärten – Einzelfall aus durchsichtigen politischen Gründen aufgebauscht zu haben. Ferner wirft Jean-Marc Ayrault, Fraktionsvorsitzender der Sozialisten in der französischen Nationalversammlung und zufällig auch Bürgermeister von Nantes, der Regierung vor, „die Behörden hätten seit langen Jahren über die Situation dieses Herrn Bescheid gewusst und nichts getan“. Auffällig sei, dass gerade jetzt fieberhaft gehandelt wird“. Inzwischen versucht die Sozialdemokratie, der durch das Regierungslager aufgestellten Falle („Entweder Ihr stimmt mit uns für unser Gesetzesvorhaben zum Burqaverbot und gebt uns dadurch Recht, oder aber ihr stimmt dagegen und erscheint als Freunde oder Sympathisanten der Fundamentalisten“) zu entgehen, indem sie ihren eigenen Gesetzesvorschlag zum Thema vorlegt. Diesen möchte ihr Fraktionsvorsitzender Ayrault am Dienstag, o4. Mai im Parlament vorlegen. Er wird mutmaßlich „softer“ als jener des Regierungslagers ausfallen und kein allgemeines, sondern ein an bestimmte Örtlichkeiten (Serviceschalter, …) gekoppeltes Verbot der entsprechenden Kleidung beinhalten. Hingegen zeigte sich der, seit Monaten eifrig um Profilierung bemühte, Parteirechte Manuel Valls zunächst „zufrieden“ mit dem Regierungsentwurf. Ihrerseits kündigte die Vorsitzender der KP – Marie-George Buffet – am o2. Mai an, sie werde dem Regierungsentwurf „nicht zustimmen“. Dabei weist die französische KP aber mindestens einen prominenten „Dissidenten“ in ihren Reihen auf: André Gerin, den Bürgermeister von Vénissieux bei Lyon. Er wirkte von Juni 2009 bis Januar 2010 an den Vorarbeiten einer Parlamentskommission für den Gesetzesentwurf mit. Nun steht er natürlich im Rampenlicht der Öffentlichkeit, und wurde etwa am o2. Mai ausführlich im Fernsehen interviewt.

Gleichzeitig lobte der Rechtsextremenführer Jean-Marie Le Pen – jedenfalls dieses Mal – den amtierenden Innenminister Hortefeux, und sprach von einem Skandal in Gestalt von „Burqatragen, Polygamie und Missbrauch unserer französischen Sozialleistungen“. Und er fügte hinzu, falls er selbst „an der Macht wäre, dann würde ich das Bodenrecht (ius soli) abschaffen.“ Unverzüglich. Um der französischen Staatsangehörigkeit solcher Menschen wie eben Liès Hebbadj den Boden unter den Füßen zu entziehen. Nur, das war vollständig „Thema verfehlt“: Monsieur L.H. ist nämlich gar nicht in Frankreich geboren, obwohl dort aufgewachsen, und daher auch gar nicht durch das „Bodenrecht“ Franzose geworden. Vielmehr verdankt er seine Staatsbürgerschaft seiner 1999 geschlossenen Ehe mit einer Französin. Eben der Dame hinter dem Steuer des Autos, und auf der Pressekonferenz – über die man ansonsten sagen kann, was sie möchte (etwa sicherlich, dass sie einer Art Sekte mit teilweise höchst verquasten Vorstellungen angehört), aber wohl kaum, dass sie besonders unterwürfig sei.

Seine Tochter, Marine Le Pen, erklärte inzwischen den Regierungsentwurf als „völlig unzureichend“. Er treffe ferner nur „ein Symptom der Islamisierung“, welch selbige wiederum nur ein Symptom der „Masseneinwanderung“ sei.

Vorläufiges Fazit

Alle Probleme um den, oft auch dezidiert anti-emanzipatorischen, Gehalt von „Glaubensvorschriften“ und –inhalten sind dadurch sicherlich nicht gelöst. Aber fest steht jedenfalls so viel: Die Versuche des rechten Regierungslagers ebenso wie der extremen Rechten, die „Islamfrage“ (festgemacht an einem Kleidungsstück, das ohnehin quasi nur in Sektenkreisen angetroffen wird) zu benutzen, um auf die Frage nach „unserer“ Identität zu antworten – und eine Grenze zwischen „Uns“ und „Ihnen“ zu konstruieren – sind ebenso unsinnig wie politisch gefährlich.

Der französische Widerstandskämpfer, Künstler und Schauspieler Pierre Dac merkte in der Vergangenheit einmal sarkastisch an: An dem Tag, an dem man im Streit jemanden als ,sale con’ (ungefähr: dreckiger Idiot) beschimpft und nicht als ,sale juif’ (dreckiger Jude), sei man einen Schritt vorwärts gekommen. Auf eine völlig ähnlich gelagerte Problematik treffen wir hier: Dass die Ideen oder Haltungen eines Liès H. durchaus reichlich kritikwürdig sein mögen, ist die eine Sache. Ob er nun „Ausländer“ oder „Franzose“ zu sein hat, und ob „die Einwanderer auf betrügerische Weise von unseren Sozialkassen profitieren“ – denn genau so lautet die Message, die über die „Affäre von Nantes“ transportiert wird – hingegen eine völlig andere. Im ersteren Falle handelt es sich um eine echte gesellschaftliche Frage, im letztgenannte Falle schlicht um eine rassistische Botschaft.

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Anschläge auf moslemische Einrichtungen

Jenseits des teilweise amüsant wirkenden Ablaufs der jüngsten „Affäre“ rund um die Tabligh-Heinis ist – einmal mehr – ein Stigmatisierungseffekt gegenüber Einwanderern und den „Stinknormalen“ unter den Moslems zu verzeichnen, der noch gefährliche Auswirkungen haben könnte. Nachdem das Klima bereits durch die viermonatige „Debatte um die nationale Identität“ von Oktober 2009 bis Februar 2010 und durch die jüngsten neuerlichen Wahlerfolge des rechtsextremen Front National aufgeheizt wurde, waren einige Rassisten wieder einmal nur auf „das Signal“ oder die Gelegenheit zum Zuschlagen. Wieder einmal fühlten sie sich dazu quasi von höchster Stelle autorisiert.

Am 26. April wurde bekannt, dass Unbekannte am Wochenende Schüsse auf eine moslemische Metzgerei in Marseille – im 15. Bezirk der Stadt, also einem der proletarischen Nordbezirke – sowie eine Moschee im südfranzösischen Istres abgegeben hatten. Auf der Fassade der Moschee Ar-Rahma im provençalischen Istres wurden 23 Einschusslöcher verzeichnet. Auf die ,Halal’-Metzgerei in Marseille (die zu dem Zeitpunkt geschlossen war) wurden am Sonntag Abend gegen 22 Uhr rund zwanzig Schüsse abgegeben. Zwar waren bereits während des Winters 2009/10 mehrere Moscheen, u.a. im südwestfranzösischen Castres oder in Crépy-en-Valois nördlich von Paris, mit Hakenkreuzen, ,White Power’-Parolen und rassistischen Sprüchen verschmiert worden. Attacken unter Einsatz von Schusswaffen weisen jedoch eine neue Qualität auf. Auch wenn dabei in diesen Fällen niemand verletzt wurde.

Inzwischen hat in Istres, am 30. April, eine Solidaritätskundgebung von rund 500 Menschen vor der attackierten Moschee stattgefunden. Zu ihr kam auch der sozialdemokratische Regionalpräsident von Marseille, Michel Vauzelle. Laut einer Meldung der französischen Nachrichtenagentur AFP (vom 30. April um 17.08 Uhr) wurde jedoch „die Abwesenheit jeglichen Vertreters der bürgerlichen Rechten oder Ministers“ bei der Kundgebung „bemerkt“.

Debatte in Belgien und der EU

Belgien, ein Land, dessen politische Klasse seit Wochen in archaische Stammeskonflikte verwickelt ist, bekommt zwar aufs staatlicher Ebene sonst nicht mehr viel zustande. Aber so viel klappt noch: Am 29. April stimmten die dortigen Abgeordneten einem allgemeinen Burqa-Verbot zu, das weiter geht als das geplante französische, insofern als hier die auch die weiblichen Trägerinnen ins Zentrum der Strafdrohungen rücken. In Frankreich drohen den Männern, deren Frauen „erzwungenermaßen“ eine Burqa tragen, schärfere Strafen als den betroffenen Frauen. Auch die Abgeordneten der extremen Rechten (in Gestalt besonders des Vlaams Belang) zählen zum breiten Block der Parlamentarier, die dem Entwurf zustimmten. Belgien ist das erste Land der EU, das einen solchen formalrechtlichen Schritt unternimmt.

Die deutsche Europaparlamentsabgeordneten Silvana Koch-Mehrin (FDP) sprach sich am o2. Mai 10 in ,BILD am Sonntag’ für ein Burqa-Verbot in der gesamten Europäischen Union aus. Dort bezeichnete sie die Ganzkörperverhüllung als „mobiles Gefängnis“.

4 Kommentare

  1. Karl Martell,
    man findet in allen heiligen Büchern Ideen und Behauptungen, die nicht gut in das 21. Jahrhundert hineinpassen und man sollte nicht mit den Zeigefinger auf den Koran hinweisen, denn dann weist man mit drei anderen Finger auf das alte und neue Testament.
    Es macht schon Sinn sich mit dem Koran und mit anderen heiligen Büchern kritisch zu beschäftigen, doch nicht in einer verletzenden selektiven Art.
    Und noch etwas, man soll soziale und kulturelle Probleme nicht unbedingt in religiöse umwandeln. Den Islamismus wird man mit Hinweisen auf einen Begriff im Koran nicht zurückdrängen sondern eher bestärken.

  2. Vielleicht hätte der Verfasser erst mal nach dem Namen Taqiyya googlen sollen?
    Der Koran erlaubt und gebietet ausdrücklich jede Verstellung, wenn sie dem Voranschreiten des Islam dient.
    Dass man sich nicht mal ansatzweise mit dem Koran beschäftigt hat und alles Vorgesetzte nachplappert ist schon traurig genug…

  3. Vielen Dank Herr Schmid, für Ihren Beitrag, den ich wie immer mit großem Gewinn gelesen habe.

    Sie erwähnen in Ihrem letzten Abschnitt Belgien. Würden Sie sich eine Einschätzung der Lage der Juden in diesem Land zutrauen?
    Gibt es fühlbare Unterschiede bei der gesellschaftlichen Akzeptanz der immer zahlreicher werdenden Muslime – zwischen den Wallonen im Süden und den Flamen im Norden?
    Wie ist das Verhältnis der rechtsextremen Vlaams Belang zu Juden?
    In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Brandbombenanschlägen auf jüdischen Besitz in Belgien, Hasstiraden wurden gesprüht und geäußert etc.; wer steht in erster Linie dahinter, wirklich hauptsächlich die Muslime?
    Was ist über den alten katholischen Antisemitismus in Belgien zu sagen, ist er überwunden, nur unterdrückt oder ein Tabu?
    Danke schon im Voraus für ihre Antworten!

  4. Ich finde diesen Artikel etwas einseitig. In Frankreich gibt es einen Widerspruch zwischen der Laizität des Staates, was nicht mit Religionsfeindlichkeit gleichzusetzen ist, und dem Erstarken islamistischer Strömungen.
    Die Mehrheit der französischen Feministinnen unterstützt ein Verbot des Tragens der Burka an öffentlichen Orten. Sihem Habchi, eine französische Frau algerischen Ursprungs, die jetzt Vorsitzende der Gruppe „Ni putes ni soumises“ (keine Huren, keine Unterworfenen) ist, meint: „Die Burka ist ein violentes Symbol der Frauenunterdrückung… die zur Separation der Einwohner beiträgt“. Und Frau Elisabeth Badinter erklärte: „wearing a veil is opposed to the principle of fraternity in theat it symbolizes ‚the refusal to meet the other, the refusal of reciprocity… in the same way as we fight against sects, Nazism and antisemitism, we must fight radical Islamist ideologies.“
    (die beiden Damen wurden dazu im französischen Parlament anghehört)
    Zwei interessante Bücher sind zu empfehlen „Les territoires perdus de la République – Antisémitism, racisme et sexisme en milieu scolaire“. Lehrer berichten über ihre Erfahrungen mit Klassen in denen viele Schüler maghrebinischen Ursprungs sind, im Buch wird auf Antisemitismus, auf sexistischen Druck, den Schwierigkeiten den Holocaust zu lehren und anderen „unzivilisierte“ Erscheinungen hingewiesen. In gewissen Vierteln, in die die Polizei Angst hat zu patrouillieren, regiert Gewalt und es gibt Vergewaltigungsgangs. Auch deswegen steigt die Anzahl der Mädchen, die den Nikab oder die Burka tragen, denn sie werden von den gangs als „seriös“ betrachtet, während die anderen von den Gewalttätern als „leicht“ oder als „Huren“
    qualifiziert werden.
    Ein anderes interessantes Buch ist „L’enfer des tournantes“ von Samira Bellil über die Vergewaltigungsgangs. Sie wurde Opfer solcher Gruppenvergewaltigung im Alter von 13.
    Es gibt also wirkliche Probleme, die man nicht unter den Teppich kehren sollte.
    Und ähnliche Probleme soll es auch in gewissen Bezirken Berlins und anderswo in Deutschland geben.

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