Schriften über die Mechanismen des Terrors

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Ernst Federn, von 1938  – 1945 politischer Häftling und Jude  in Dachau und Buchenwald, verfasste bereits drei Monate nach seiner Befreiung durch amerikanische Truppen eine 40-seitige Untersuchung zum Terror. Im Juni 1946 schloss er seine große psychoanalytische Studie „Versuch einer Psychologie des Terrors“ ab, die 1946 in einer kleinen, französischsprachigen belgischen Zeitschrift publiziert wurde. Ansonsten blieb sie – nach Ernst Federns Emigration nach Belgien (1945-1947) und in die USA (1948-1972) sowie seiner Rückkehr nach Wien (1973-2005)- 50 Jahre lang  unbekannt… 

Erst 1998 wurden seine Terrorstudien als Buch veröffentlicht. In Ernst Federns 1998 verfasstem Vorwort zu der Sammlung seiner Studien – welche zugleich auch Erinnerungen an drei Freunde enthält, mit denen er in Buchenwald politisch und persönlich zusammen arbeitete (Bruno Bettelheim, Robert Danneberg, Fritz Grünbaum), wie auch seinen 40 Jahre überdauernden Briefwechsel mit Bruno Bettelheim – schwingt die tiefe Genugtuung über das erstmalige Erscheinen seiner wegweisenden psychoanalytischen Untersuchungen zum Terror mit. Sie erschienen 50 Jahre verspätet – aber doch nicht zu spät.

Ernst Federn (1998): Vorwort 

Die Veröffentlichung meiner Schriften über die Mechanismen des Terrors, von denen manche vor 50 Jahren geschrieben wurden, in der Form eines Buches ist ein erfreuliches Ereignis. Obwohl in Europa selbst die Schreckenstaten von Dikaturen verschwunden sind, mit Ausnahme des Balkans, ist die Welt nach wie vor dauernd bedroht von Massakern und Verletzungen der Menschenrechte. Der Unterschied zu früheren Zeiten liegt nur darin, dass eine immer größer werdende Zahl von Staaten und Bevölkerungsgruppen dagegen protestiert und sogar versucht, gegen sie einzuschreiten. Das gab es bis zum Ende des II. Weltkrieges nicht. Die Verkündigung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen muss als eine der wichtigsten Fortschritte in der Entwicklung der Menschheit angesehen werden, trotz aller Rückschläge und Mangelerscheinungen in ihrer Durchsetzung.

Vom Anbeginn meiner Haft im Konzentrationslager hatte ich die Idee, das aufzuschreiben, was ich beobachten und studieren konnte. Diese Einstellung war für mich sichtlich eine große Hilfe, um zu überleben. Ich war von der Freudschen Erkenntnis überzeugt, dass der Mensch beide Qualitäten, die des bösartigen Verhaltens und die der höchsten geistigen Leistungen, in sich trägt, es daher die Aufgabe sein muss, dass immer die zweite die Oberhand behält. Das ist auch der Grund für die Wahl meines Mottos für meine Arbeit über die Psychologie des Terrors vom Juni 1946.

In jüngster Zeit wurde die Frage aufgeworfen, ob denn ein Unterschied zwischen dem Terrorregime der Nationalsozialisten und dem der Bolschewisten bestehe. Diese Frage zu verneinen ist nur möglich, wenn man nichts von der Geschichte beider Gewaltregime weiß. Wenn die bolschewistische Macht viel mehr Millionen Opfer gefordert hat als der Nationalsozialismus, so ist das selbstverständlich, denn der Bolschewismus regierte beinahe siebzig Jahre, während Hitler zwölf Jahre an der Macht war. Aber die beiden Formen sind schon deshalb nicht zu vergleichen, weil Lenin einen Völkerkrieg in einen Bürgerkrieg umgewandelt hat, während Hitler, den Frieden versprechend, auf einen Weltkrieg und eine Weltherrschaft hingearbeitet hat. Auch kam Lenin durch einen Aufstand an die Macht, während sie Hitler in die Hand gespielt wurde. Allerdings ist die Ausübung des Terrors immer gleich, ganz gleich wo oder von wem oder wofür er benutzt wird. Sein Ziel ist die Vernichtung und Ausrottung des Gegners. Mit Gewalt wurde immer regiert, und die Demokratie ist eine kurze Erscheinung in der Geschichte der Menschheit. In Europa war die Ausrottung des Gegners nicht der Brauch, von Zeiten der Bürgerkriege abgesehen. Der Gegner wurde unterdrückt, verbannt und eingesperrt, aber nicht vernichtet. In religiösen Fragen war das anders, die Vernichtung eines Angehörigen einer anderen Religion können wir in der Geschichte immer wieder beobachten.

Ich habe in einer Reihe von Arbeiten versucht zu erklären und zu beschreiben, wie diese Vernichtung organisiert und durchgeführt wurde, vom Standpunkt sowohl der Täter wie der Opfer. Ich meine, dass es wichtig ist, sich darüber klar zu werden, dass die Fähigkeit, ein terroristisches Regime aufzurichten, immer besteht. Nur kann verhindert werden, dass diese Fähigkeit zur Wirklichkeit wird. Das bedeutet eine schwere Aufgabe für den modernen Menschen, der er sich aber nicht entziehen kann, denn die Mittel der Vernichtung sind heute so groß, dass sie den Bestand unserer ganzen Zivilisation gefährden.

Es ist für mich eine große Genugtuung, dieses Buch publiziert zu sehen, und ich möchte dem Herausgeber, seinen Mitarbeitern und seinem Verleger meinen großen Dank aussprechen.

Wien, im Januar 1998                               Ernst Federn

Dieses Vorwort Ernst Federns leitet die von Roland Kaufhold herausgegebenen Studien Ernst Federns zur Psychologie des Terrors ein, die aus seiner siebenjährigen Gefangenschaft in Dachau und Buchenwald erwachsen sind. Mehrere dieser psychoanalytisch inspirierten Studien wurden bereits in den Jahren 1945 und 1946 verfasst. Sie sind in dem Buch: Roland Kaufhold (Hg.): Ernst Federn – Versuche zur Psychologie des Terrors. Material zum Leben und Werk von Ernst Federn, Gießen (Psychosozial-Verlag) erstmals auf deutsch publiziert worden. Wir danken dem Psychosozial-Verlag sowie seinem Inhaber, Herrn Prof. Hans-Jürgen Wirth herzlich für die Nachdruckgenehmigung.

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Roland Kaufhold (Hg.) (1998): Ernst Federn – Versuche zur Psychologie des Terrors. Material zum Leben und Werk von Ernst Federn. Gießen (Psychosozial-Verlag)

Inhaltsverzeichnis:

Inhalt

Vorwort (Ernst Federn)

Teil 1: Versuche zur Psychologie des Terrors

Ernst Federn: Versuch einer Psychologie des Terrors (1946/1989)
Ernst Federn: Einige klinische Bemerkungen zur Psychopathologie des Völkermords (1960/1969)
Ernst Federn: Mechanismen des Terrors (1996)

Teil 2: Ernst Federns Erinnerungen an Mithäftlinge

Ernst Federn: Fritz Grünbaums 60. Geburtstag im Konzentrationslager (1945)
Ernst Federn: Gemeinsam mit Robert Danneberg im KZ (1973)
Ernst Federn: Bruno Bettelheim und das Überleben im Konzentrationslager (1994)

Teil 3: Studien über Ernst Federns Versuche zur Psychologie des Terrors
Bernhard Kuschey: Das Leben Ernst Federns im absoluten Terror des nationalsozialistischen Lagersystems
Wilhelm Rösing/Maritha Barthel-Rösing: Überleben im Terror – Ernst Federns Geschichte.
Zur Entstehung des Filmes mit Ernst Federn und Hilde Federn
Roland Kaufhold: Material zur Geschichte der Psychoanalyse und der Psychoanalytischen Pädagogik: Zum Briefwechsel zwischen Bruno Bettelheim und Ernst Federn

Anhang
Ernst Federn: Der Terror als System: Das Konzentrationslager (1945) (Mit einer Einführung von W. Rösing)
Dokumentation des Briefwechsels Bruno Bettelheim – Ernst Federn

Literatur:

Kaufhold, R. (2001): Bettelheim, Ekstein, Federn: Impulse für die psychoanalytisch-pädagogische Bewegung, Psychosozial-Verlag, Gießen.
Kaufhold, R. (Mthg.) (2003a): “So können sie nicht leben” – Bruno Bettelheim (1903 – 1990). Zeitschrift für Politische Psychologie 1-3/2003.

Marianne Kröger über Ernst Federn Buch: Systeme des Terrors

3 Kommentare

  1. Leider befasst man sich mit Bedrückungen erst, wenn sie sehr bedrücken. Das durchlebte Leid befähigt dazu, sich analytisch zu äussern, wie Ernst Federn.
    Das Leid der Nazizeit hat zwischenzeitlich viele zum Sprechen und Schreiben gebracht. Es ist klar, dass der Mensch die Entscheidung darüber hat, sich für gutes oder böses Handeln zu entscheiden (10Gebote), nimmt es jedoch nicht wahr und lässt sich zur Marionette machen. Das Dritte Reich ist vorbei und nun hat sich der Terror etabliert, dem man ebenfalls zu lange zugeschaut hat und der überall seinen frechen Kopf erhebt. Ist es nicht so, dass der, der das Böse erkennt, es rechtzeitig stoppen muß, damit kein Schaden entsteht? Auch hier ist wieder zu spät gehandelt worden…….. und die es tun (Israel) werden auch noch in den Medien zerrissen. Der Mechanismus des Terrors ist der Hass, das ist hinlänglich bekannt. Wer sich für Hass entscheidet ist sein Gefangener und hat die Freiheit Gutes zu tun verloren.

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