Behinderte Reise nach Israel

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Unter dem Motto „Roller und Latscher miteinander auf dem Weg“ reisten zehn deutsche Rollstuhlfahrer nach Israel. Mit den Begleitern waren es 23 Personen. „Wir mussten vorher die Türen der Badezimmer ausmessen lassen, damit Rolf oder Bärbel das Klo benutzen könnten“, sagt Rudi Pahnke vom Berliner Institut Neue Impulse. Zusammen mit der Bildungsstätte Dialog in Nachscholim hat er diese Reise „bis zum letzten Zentimeter“ vorbereitet…

Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 1. April 2010

Bildungsreisen nach Israel werden von deutschen Behörden großzügig subventioniert, aber für die zehn Rollstuhlfahrer in Elektro- und Faltrollstühlen gab es keinerlei Zuschuß. „Das stimmt nachdenklich“, sagte Pahnke. „Vor zwei Jahren hatte ein MdB versprochen, 50,00 € für eine solche Reise zu spenden – das war‘s dann aber auch schon.“ Die Flughäfen in Berlin Schönefeld und in Tel Aviv, die Sicherheit, die Hilfsorganisationen und die Fluggesellschaft EL Al standen Kopf. Am Airport Schönefeld bewältigten die Sicherheit und die Helfergruppe der „Rollmöpse“ ihre Aufgaben umsichtig, sensibel und komplikationsfrei. „In Tel Aviv hat die Crew uns zwei Flaschen Jordanwein geschenkt, damit wir die Ankunft in Israel richtig feiern könnten“, erzählt Pahnke.

Die Gruppe besuchte Akko, Haifa, das Tote Meer, die Wüste Juda, den See Genezareth und Jerusalem. Entscheidend waren Begegnungen, mit Hannah von Dialog und mit dem Zeitzeugen Schlomo Wolkowicz. Der überlebte die Schoah in Ostpolen – heute Ukraine. Einige Rollis äußerten scharfe Kritik an dem eindrücklichen Denkmal für 1,5 Millionen im Holocaust ermordete jüdische Kinder in der Gedenkstätte Lochamei Haghettaot im Norden Israels. Allein der jüdischen Opfer sei gedacht worden. Die Mordherrschaft der Nazis an Behinderten, Schwulen, politischen Gegnern, Sinti und Roma sei völlig ignoriert worden. Uwe und Silke, beide gelernte Historiker – der eine im Rollstuhl, die andere Mitarbeiterin des Hauses der Wannseekonferenz, erklärten: „So wird jungen Israelis ein falsches Bild über die Nazidiktatur vermittelt.“ Andere argumentierten jedoch, dass die ganze Wahrheit über die menschenverachtende Nazidiktatur an anderen Stellen gezeigt werde. Das Kinderdenkmal sei halt den Kindern gewidmet.

Bei der Behindertenorganisation Achwa (Geschwisterlichkeit) in Haifa wurden Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Umgang mit Behinderten und ihres Rechtsstatus in Deutschland und Israel deutlich. Die deutschen Behinderten beobachteten mit Erstaunen, wie viele Busse und andere Fahrzeuge in Israel behindertengerecht ausgestattet sind, und wie die Arbeit von Behindertenorganisationen gesponsert wird. „Behinderte sind in erster Linie Menschen mit besonderen Bedürfnissen.“ Dieser israelische Grundsatz sprang wie ein Funke auf die deutsche Gruppe über. Eine Partnergruppe israelischer Behinderter äußerte den Wunsch nach einem Gegenbesuch in Deutschland. Die Organisation und Finanzierung wäre vielleicht möglich, aber die bürokratischen Hürden wären kaum zu überwinden, wurde ihnen beschieden.

Mordechai Virshubksi, ehemaliger Behindertenbeauftragter der Stadt Tel Aviv und selber behindert benannte in aller Offenheit Probleme und Situationen Behinderter in Israel. In Tel Aviv und in anderen Städten Israels führen Behinderte einen zähen Kampf um die Absenkung der Bordsteine – wie in Berlin.

Die Kriegs- oder Terrorversehrten haben allesamt einen besseren Status als „normale Behinderte“. Auch in Israel gibt es ein Assistenz-Programm, von den Versicherungen finanziert, damit Behinderte selbstbestimmt leben können. Günther Gottschalk in Migdal erzählte, wie sich die Wahrnehmung der Rechte von 750.000 behinderten Menschen in Israel entwickelte, immerhin einem Zehntel der Bevölkerung. 1948 hatte man zunächst andere Sorgen, verstand aber bald, dass zur humanen Gestaltung einer Gesellschaft auch ein gleiches Lebensrecht für Behinderte gehöre und Rücksicht auf ihre besonderen Bedürfnisse.

Im Gästezelt von Sabha Abu-Ganem in der Beduinenstadt Rahat im Negev schockierte die selbstverständliche Bejahung der pränatalen Diagnostik und der Abtreibung eines Embryo, sowie sich eine Behinderung abzeichnet. Mordechai Virshubski hatte das sogar als gesellschaftlichen Konsens dargestellt. Die deutsche Gruppe war sprachlos. In der Diskussion wurde argumentiert, dass es doch auch Unfälle, Querschnittlähmungen und Krankheiten gebe. Entscheidend sei, wie die Gesellschaft damit umgehe.

Jerusalem entdeckten einige in kleinen Gruppen auf eigene Faust, besuchten das ultraorthodoxe Viertel in Mea Schearim, wurden bestaunt und staunten selber. Andere entdeckten in der Altstadt Wege ohne Stufen. Wieder andere „erklommen“ mit intensiver Hilfe die Via dolorosa.

Große Probleme gab es vor dem Rückflug gab es auf dem Ben Gurion Flughafen: „Wie kann man die Sicherheitskontrollen gewährleisten?“ Die Security war zunächst hilfsbereit. Dann aber mussten die Rollstühle kontrolliert, verladen und die Rollstuhlfahrer ins Flugzeug gebracht werden. Die Handgepäckkontrolle war extrem unangenehm, besonders für die Rollis. Die Kontrolleure waren den Herausforderungen nicht gewachsen. Bärbel hatte als Schwerbehinderte eine Kratzhand dabei, mit der sie manche Dinge tun kann und sich kratzt, wenn es juckt. Die Kratzhand wurde zum „Sicherheitsrisiko“ erklärt. Sie wurde durchleuchtet. „Erst als ich laut wurde, bewegte sich der einzige Verantwortliche unter 10 bis 15 Sicherheitsbeamten und erlaubte Bärbel per Handzeichen, die Sperre zu passieren“, berichtet Pahnke. „Die Israelis hatten vor dem Verladen der Rollstühle nicht gefragt, wie die Batterien abzuklemmen seien. Vom Flugzeug aus beobachteten wir, wie ein Rollstuhl auf den Boden gekippt wurde. Der Totalschaden belief sich auf fast 3000,00 Euro.“

© Ulrich W. Sahm / haGalil.com

2 Kommentare

  1. Ich habe als Polizeiseelsorger in den Jahren 2000 bis 2008 Israelseminare für Polizeibeamte durchgeführt. Im Jahr 2004 nahm an einer Reise ein Angestellter des Landeskriminalamtes teil, der wegen multipler Sklerose seit vielen Jahren Rollstuhlfahrer ist. Während der 8-tägigen Reise hat alles bestens geklappt. Meine Polizisten haben ihn sogar im Rollstuhl über Massada gekarrt.
    Richtig Probleme gab es mit der Flughafen-Security bei der Rückreise am Airport Ben Gurion. Die Security-Leute wollten den Behinderten aus dem Rollstuhl heben und auf einen wackligen Plastestuhl setzen. Da er 120 Kilogramm wiegt, verweigert er dies aus Angst, der Stuhl könne unter ihm zusammenbrechen. Seine offizielle Begleitperson intervenierte ebenfalls und wurde darauf hin von den Security-Leuten in Handschellen abgeführt. Erst nachdem ich vom Handy aus meinen Reiseveranstalter, Amiel-Tours in Tel Aviv, angerufen hatte, entschärfte sich die Situation.
    Ich habe volles Verständnis für das hohe Sicherheitsbedürfnis von El-Al, aber in diesem Falle habe ich mich sehr geärgert über die Umgangsformen mit einem Behinderten, der ja seinen Status mit internationalem Behindertenausweis beweisen konnte

  2. Ich gebe zu dass ich eigentlich nicht zu leicht aus d Ruhe gebracht werden kann, doch als diese …. Gelesen habe, war ich sehr aufgebracht! Wie kann man solche Wahnsinnige sein??????? In Israel ist nicht schwer behindertengerechte Hotels und Kibbuzim zu finden, wo alles eben daher Behindertengerecht ablaufen kann! Auch das mit d Transport ist ein Schwachsinn! Es ist kein Problem wenn man angemeldet hat sowohl bei d Abflug wie bei d Ankunft Hilfe zu bekommen!
    Mein Sohn der ebenfalls Rollstuhlfahrer ist, ist viel unterwegs zwischen Israel und Europa. Bis jetzt war noch niemals irgendwelches Problem aufgetreten!
    Oft geht er ganz alleine zum Flughafen und dort dann weiter… und kommt auch alleine heim! Noch nirgendwo war mit ihm so leicht um zu gehen als hier zuhause in Israel… Er oder ich melden ihm am Flughafen an wann er kommt und wann abfliegt bzw. Flugnummer… Dann bestellen wir ein Scherut (Sammeltaxi) und dann fährt er damit zum Flughafen.. Der jeweilige Fahrer – bis jetzt nie Problemen gegeben!! – helfen ihm hinein, setzt sich am erste Sitz, und dann helfen sie dort aus d Bus.. und setzt er sich wieder in d Rolli! Da schiebt d Scherutfahrer seiner Sachen einige Meter zum Kontrolle, der dann d Helfe rufen.. von da an wird er begleitet.. und die Rollifahrer und sonstige Gehbehinderte gehen als erste in d Flugzeug rein da sie dann ungehindert sich setzen können… Auch bei Heimfahrt wird herausgeführt zum Scherut, hineingeholfen und so bevor sie an kommen ruft er oder d Fahrer an dass sie in wenige Minuten da sind, um dann ihm hinein helfen zu können…
    Hier leben in d Tat Rollstuhlfahrer anders! Mein Sohn sagt immer, wie Tag und Nacht! In Deutschland musste er warten bis jemand kommt wo er nicht weiter konnte weil ja irgendwelche Hindernisse waren, bis jemand kam und sich ansprechen lässt.. und nicht d Kopf wenn er beginnt, sofort weg dreht! Hier aber wenn er nur zum kleine Lade gehen will, welche oben auf d Hügel ist, da kommen immer welche die dann ihre Sachen stehen lassen, oder das Auto geschwind abstellen und ihm helfen hoch zu kommen.. obwohl manchmal gerne alleine hoch wolle, da dies seiner Muskulatur stärkt… Wenn hier auch spazieren geht, dann wird oft angehalten ob er gerne nachhause gebracht werden wolle… Hier ist kein Problem wenn man in d Bus steigen will, da ist immer jemand der d Rampe schnell herunterlässt…
    Manchmal ist es sogar auch ein Problem wenn viele helfen wollen… Er ging mit seiner Frau zum Kotel da die sie zum Cohenim gebet wollten… Da ging mein Sohn natürlich bei d Männer, und weil sie ja schon spät waren, da haben zwei Datim ihm mitgenommen zum Gebet… und seiner Frau kam später rein da bei d Frauen länger gedauert hat… Natürlich fand ihm auch nicht… und dauerte mehr als 2 Stunde bis sie sich wieder trafen, da ja um den 10 000 Menschen gegenwärtig waren…
    Was mich extrem aufgeregt hat dass solche aus der Tätervolk kommen nach Israel und klagten uns an dass wir an unsere Kinder aber nicht an Zigeuner (Roma/Sinti, doch damals waren sie ja als Zigeuner genant! ) Homosexuelle, Huren usw, gedacht wird… Also wir trauern nur um unsere Toten.. und nicht an die anderen!!!!! Was für einen Anmaßung so zu denken!!! Wenn sie nur Kollektiv denken, müssten sie wohl wirklich an ihr eigenes Volk denken und das was diese angestellt haben! Sie haben alle Gründe zu gedenken an alle, doch sie haben KEINE Recht irgendwer auch anzuklagen das ihr eigene Familie und nicht die ganze Ermordeten beklagt!
    Bezüglich der Behindertenstatus in Israel ist wohl nicht sehr andres als Anderswo! Wenn jemand durch Unfall zu behinderte wird, der bekommt durch sein Unfallversicherung extra Anwendungen und Monatliche Zahlungen! Auch wenn ein Soldat Behindert wird, da bei d Militär ist man auch Versichert, und bekommt man auch wegen d zugestoßene Leiden extra monatliche Zuschüsse. All dies bekommen die, die als Behinderte geboren sind, keine derartige Gelder, sondern d Sozialhilfe für Behinderte, und wenn sei irgendwo arbeiten dann eben Gehälter… Hinzu kommen mancherlei Hilfen die ja nicht zu unterschätzen sind, d hohe Beteiligung d Krankenkassen oder Sozialversicherung bei d Anschaffung eines Behindertengerechte Auto usw.
    Fas ein Rollstuhl, Gepäck oder sonst was bei verladen von d Band kippen kann, ist klar! Kommt auch oft vor mit andere Fluggesellschaften und andere Orten auch! In Holland ist mein Sohn sein neue Rolli ziemlich zerstört wurde… doch da hat man Versicherungen…
    Er kam wieder heim am 14 März, und in d Flugzeug waren also 6 Rollifahrer und mehrere sonstige Gehbehinderte… Keinen hat Theater gemacht und Extrawurst verlangt… Unsere Behinderten nehmen an das Leben teil, so gehen sie eben auch alleine überall hin, und ist eine Selbstverständlichkeit das ihnen geholfen wird ohne jegliche Aufheben, und erwähnen das sie ja Behindert sind… Sie sind Menschen mit besonderen Umständen, und Bedürfnissen… Sie haben anstatt 2 Beine, 4 Räder!

    Tiqvah Bat Shalom

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