Die Haltung der Araber in der Shoa

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Eine der zentralen Behauptungen der Palästinenser besagt, dass eine fundamentale Ungerechtigkeit darin besteht, dass sie diejenigen sind, die dem Anschein nach den Preis für die Verbrechen der Europäer in der Shoa zu zahlen haben…

Von Shlomo Avineri, Haaretz v. 11.04.10

Selbstverständlich stimmt es, dass Nazideutschland und seine Verbündeten schuld an der Shoa sind und nicht die Palästinenser. Dennoch sieht jede Behauptung, die die Gründung des Staates Israel ausschließlich an die Shoa koppelt, von der Tatsache ab, dass der moderne Zionismus der Shoa voranging, wenngleich es klar ist, dass die Shoa die Forderung nach jüdischer Souveränität bestärkt hat.

Aber auch die arabische Behauptung, die alle Verantwortung Europa zuweist, ist nicht völlig korrekt. Das Programm des arabischen Aufstands, der 1936 gegen die britische Herrschaft ausbrach, war es, die britische Haltung zu ändern, die seit der Balfour-Erklärung das Recht der Juden auf Einwanderung ins Land Israel unterstützte. Der Aufstand zielte auch darauf ab, die jüdische Gemeinschaft zu schädigen und Juden davor abzuschrecken, ins Land einzuwandern. Die Briten schlugen den Aufstand nach bester kolonialer Tradition mit großer Brutalität nieder, und die jüdische Gemeinschaft half ihnen und erfuhr von ihnen Hilfe.

Im Winter 1938/39 vollzog sich jedoch eine Wende innerhalb der britischen Politik, die von der Erkenntnis der Regierung Chamberlain herrührte, dass die Appeasement-Politik gegenüber Hitler gescheitert war. Großbritannien begann sich auf einen Krieg gegen die Nazis vorzubereiten und änderte in diesem Rahmen seine Nahostpolitik. Vor dem Hintergrund seines Willens, die entscheidende imperiale Verbindung nach Indien über den Suez-Kanal aufrechtzuerhalten, befürchtete Großbritannien, eine Fortsetzung der gewaltsamen Unterdrückung des arabischen Aufstands würde die Araber in der Region insgesamt dem nationalsozialistischen Deutschland und dem faschistischen Italien näher bringen. Die Folgerung daraus war, dass man die Araber an sich ziehen und sich von den Juden und dem Zionismus distanzieren müsse. Wie Kolonialminister Malcom MacDonald der zionistischen Führung erklärte, rührte die Wende nicht daher, dass die Briten von der Richtigkeit der arabischen Behauptungen überzeugt waren, sondern beruhte auf realpolitischen Erwägungen: es gebe mehr Araber als Juden; die Juden würden sowieso die gegen die Nazis kämpfenden Briten unterstützen; die Araber hingegen könnten sich mit den Nazis verbünden.

Das brutale Paradox bestand darin, dass just als man sich zum Abrücken von der Appeasement-Politik gegenüber Hitler entschied, das Appeasement gegenüber den Arabern begann. Das war der Grund für die Politik des „Weißbuchs“ von 1939 – die drastische Einschränkung des Rechts der Juden, im Großteil des Landes Israels Boden zu erwerben, und die endgültige Festlegung einer Obergrenze für die jüdische Einwanderung (75 000).

Diese Politik erreichte ihr Ziel nicht völlig: Der Mufti von Jerusalem, Haj Amin al-Husseini, fand seinen Weg nach Berlin; im Irak brach ein antibritischer und pronazistischer Aufstand unter der Führung von Rashid Ali al-Kaylani aus. Dennoch setzten die Briten die Weißbuch-Politik weiter beharrlich um: Die Zugänge ins Land wurden geschlossen, die britische Marine kämpfte gegen die illegale Einwanderung, und Schiffe, die Juden vor der Nazi-Besetzung retten wollten (wie die Struma u. a.), wurden an ihren Herkunftsort zurückgeführt; ihre Passagiere fanden den Tod, die einen am Meeresgrund, die anderen in den Krematorien.

Die Schuldigen an der Shoa sind Nazideutschland und seine Verbündeten. Aber der Grund dafür, dass eine unbekannte Zahl von Juden, vielleicht Hunderttausende – und unter ihnen auch mein Großvater und meine Großmutter aus Makow Podhalanski in Polen – nicht gerettet wurden und das Land Israel nicht erreichten, hängt mit der Haltung der Araber zusammen, denen es gelang, in der schwersten Stunde des jüdischen Volkes die Tore zum Land zu versperren. Wer die Aussöhnung zwischen uns und den Palästinensern fördern will, muss darauf bestehen, dass beide Seiten aufmerksam gegenüber dem Leiden des anderen sind, und das gilt für die Palästinenser genauso wie für uns.

Shlomo Avineri ist Emeritus für politische Wissenschaften an der Hebräischen Universität Jerusalem.

3 Kommentare

  1. http://www.welt.de/kultur/article7258687/Per-Radio-hetzte-Hitler-die-Araber-gegen-Juden-auf.html

    Per Radio hetzte Hitler die Araber gegen Juden auf

    Seit langem ist bekannt, dass die Nationalsozialisten den arabischen Nationalismus befeuert und für die eigene antisemitische Ideologie nutzbar zu machen suchten. Vor wenigen Jahren entdeckten Historiker, dass im Sommer 1942 bereits ein Vorauskommando für eine „Einsatzgruppe Afrika“ aufgestellt worden war, das dann aber wegen der schweren deutschen Niederlage vor El Alamein im November „nur“ tunesische Juden drangsalieren konnte.

    Welchen Anteil die NS-Rassenhetze auf den Nahost-Konflikt hatte, lässt sich nicht quantifizieren. Eine Botschaft wie die des Jerusalemer Großmufti und Hitler-Anhängers Mohammed Amin al-Husseini vom 4. März 1944 jedenfalls findet bis heute in der Region mörderischen Anklang: „Erhebt Euch wie ein Mann für Eure heiligen Rechte. Tötet die Juden, wo immer ihr sie findet. Das gefällt Gott.“

    @Sieg

    nomen est omen.

  2. so so die muslimische Welt soll sich schämen…

    Gegenfrage: warum schämt sich die jüdische Welt nicht, dass die muslimische Welt, welche die jüdische Welt über 1200 Jahre beschützt und beherbergt niemals zu den Muslimen gestanden ist. Kaum war das osmanische Reich, welches als ein Beispiel nach der Reconquista die iberischen und andere Juden vor Isabella gerettet hat, geschwächt wurde schon von der zionistischen Bewegung der Todesstoss geplant und umgesetzt.

    Es ist mir auch bekannt, dass viele Türken, Juden vor den Nazis gerettet haben. Wie dem auch sei, hat das Judentum unter Muslimen immer geblüht, bis zur Gründung Israels.

    Was hat in all den jahren die jüdische Welt für die muslimische Welt getan ?

  3. Zitat: nicht gerettet wurden und das Land Israel nicht erreichten, hängt mit der Haltung der Araber zusammen, denen es gelang, in der schwersten Stunde des jüdischen Volkes die Tore zum Land zu versperren. -Ende

    Die gesamte muslimische Welt sollte sich für dieses verachtenswürdige Verhalten schämen.
    Ich tue es….verzeiht uns.

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