Sex und der freie Wille: Männer sind doch keine Maschinen

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Ob es um das katholische Zölibat oder orgiastische Ausschweifungen im Siedlerkolleg geht, immer wieder kommt die Sprache auf eine archaische Vorstellung, die Männer mit Mechanik gleichsetzt. Die Wiener Juristin und Psychotherapeutin, Dr. Rotraud A. Perner, Univ.-Prof. i. R. meint, dass alle, die glauben, die männliche Physis sei eine triviale Maschine, ähnlich einem Dampfkessel, eigene Entwicklungschancen versäumen…

Enthaltsamkeit und Dampfkessel

ROTRAUD A. PERNER

Als der Hamburger Sexualforscher Gunter Schmidt 1986 in seinem Buch „Das große Der Die Das“ die sogenannte „Dampfkesseltheorie“ zur Sprache brachte, umschrieb er mit dieser Metapher auf ironische Weise den „Alltagsmythos“, demnach man(n) glaube, regelmäßig sexuell Dampf ablassen zu müssen, sonst liefe man(n) Gefahr zu explodieren.

Die Ironie wurde nicht von allen erkannt, aber das Gleichnis wurde freudig aufgenommen und als Entschuldigung für Fehlverhalten genutzt: Man(n) wäre eben so unter Druck gestanden und hätte jemanden gebraucht, um notwendigerweise an ihr oder ihm den Dampf ablassen zu können.

Tatsächlich pflegen Dampfkessel zwar Überdruckluft auszustoßen, indem sie einen Pfeifton von sich geben, und wer kochen kann, weiß, dass man den Kessel in diesem Zustand nicht öffnen darf, sonst spritzt die heiße Suppe überall hin, sondern dass man erst aufmachen sollte, wenn das Ventil wieder in den Normalzustand zurückgekehrt ist. Und das tut es – in der dazu nötigen Zeit, und die kann man beschleunigen, beispielsweise durch Kühlung. Wenn man will.

Und genau um diesen Willensentscheid geht es: Wer daran glaubt, dass die männliche Physis eine „triviale Maschine“ im Sinne des Konstruktivismus ist, d.h. berechenbar und immer gleich funktionierend, versäumt eigene Entwicklungschancen: Er bleibt auf frühkindlichem Stammhirnniveau, ohne Selbstreflexion, ohne Sprachausdruck von Gefühlen (beides auch bedeutsame Wurzeln von Gewalttätigkeit), oder auf der Stufe pubertärer Triebdurchbrüche, auf der man sich und anderen beweisen will, was für ein „ganzer Kerl“ man(n) doch ist. Ganz bedeutet dann: Ungesteuerter Kraftausdruck bei passender wie unpassender Gelegenheit, jedenfalls aber gegenüber Personen, die unterlegen vermutet oder gemacht werden. Die triviale Gleichmäßigkeit besteht dann darin, nur eine Ausdrucksform für Hormonausschüttungen zu kennen – ein Wissensproblem – und zu können – ein Übungsproblem.

Menschen sind aber „nicht triviale Maschinen“ – sie sind funktionsinstabil, daher unberechenbar, reaktionsvielfältig, vor allem aber auch lernfähig.

Und: Männer wurden und werden immer noch nach einem militärischen Muster von Unterwerfung mit Aussicht auf späteres Herrschendürfen erzogen; dazu dienen die medial vermittelten Rollenbilder, dazu dienen aber auch die vielfach sexualisierten Dominanzmythen. Männer kommen halt vom Mars, lautet solch eine triviale Selbstdefinition, der alle zustimmen, die keine andere Umgangsform mit dem „Feuer im Bauch“ (Sam Keen) kennen, als andere damit zu verbrennen: mit mehr oder weniger Drohung und realer Gewalt über sie herzufallen.

Manche Kirchenväter (z.B. Gregor von Nyassa, gestorben 395) vertraten die Ansicht, erst nach dem Sündenfall wären die tierischen Anlagen des Menschen zum Ausdruck und damit zum sexuellen Vollzugsakt gekommen, vorher wären Adam und Eva asexuell wie Engel gewesen, daher gelte es, als Ebenbild Gottes wieder engelgleich zu werden.

Verteufelung von Frauen

Dieser Mythos von der Höherwertigkeit des triebverzichtenden Menschen gleicht der traditionellen straffen militärischen Hierarchie: Einerseits werden mit der Skizzierung eines „himmlischen“ Idealverhaltens, das frei von liebevollen Gefühlen und Bindungen ja auch Freiheit von Leiden und Abhängigkeit verspricht, Unsicherheit, Versagensangst und Scham („Degradierung“) bei Nichterfüllung der Vorgaben produziert, andererseits wird aber durch die Isolation gegenüber menschlicher Nähe und Wärme die Abhängigkeit vom System verstärkt.

Wie der langjährige Rektor der Ursulinenkirche in Linz, Peter Paul Kaspar, in seinem Buch „Knabenseminar“ aufgezeigt hat, dient dieser Indoktrination die Verteufelung von Frauen, die angeblich Priester nur ihrer Berufung abspenstig machen wollen. Alles, was heiß macht, ist quasi höllisch. Sexualität wird dabei nur als Zeugung wahrgenommen, alles andere ist demnach Unzucht und sollte weder in Gedanken, Worten noch Taten vorhanden sein. Damit kann aber auch keine „Unterscheidung der Geister“ stattfinden. Dazu braucht man nämlich kühle Vernunft als Balancemittel zur Hitze – Hitze des Begehrens, Hitze der Verzweiflung, Hitze der Wut. Selbstvervollkommnung ist angesagt. Aber daran denkt jemand nicht, der an das Märchen vom Mann als Dampfkessel glaubt. Oder glauben will – weil es ja einfacher ist, jedem Impuls gedankenlos nachzugeben, als das eigene Potenzial zu entwickeln: Körper, Seele und Geist sind eine Einheit, aber deswegen noch lange nicht im Gleichgewicht. Dazu muss man Denken und Fühlen, körperliches Empfinden und die Fantasie in Einklang bringen, und das gelingt nur, wenn man all dies liebevoll annimmt. Dann erst habe ich den Überblick, der jedem Handeln vorausgehen sollte: „Und wie will ich mich jetzt verhalten?“

Zwischen dem Feuern der Wahrnehmungsneuronen und dem Feuern der Handlungsneuronen gibt es eine winzige Zeitlücke. Die kann man ausweiten, man muss dazu nur den „langen Atem“ trainieren. Jeder Atemzug hilft, Balance herzustellen. So verstehe ich Keuschheit: als bewusstes Wahrnehmen der Triebimpulse und Triebfantasien und lustvolles Verlangsamen und Erspüren der Kraft, der Schöpfungskraft, die darin frei wird; ob man sie dann von Herz zu Herz oder von Unterleib zu Unterleib austauscht oder wie zwei, die philosophieren, von Hirn zu Hirn, oder „all inclusive“, sollte des Gleichmaßes und Gewaltverzichtes wegen eine gemeinsame Entscheidung unter gleich Wissenden, gleich Starken sein.

Im ersten Kremser Kamingespräch diskutieren Dr. Thomas Müller, Kriminalpsychologe und Univ. Profin. i. R. Maga. Drin. Rotraud A. Perner, Juristin und Psychotherapeutin über „Vernunft oder Leidenschaft“

Westbank: Orthodoxie und sexuelle Verfehlung
Alle Welt spricht von einer trunkenen evangelischen Bischöfin, von pädophilen katholischen Priestern und fundamentalistischen Muslimen, die ihre Frauen schlagen. Aber was ist eigentlich mit jüdischen Geistlichen, mit Rabbinern?…

RaMBaM: Die Willensfreiheit des Menschen und die Allwissenheit Gottes
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Elon & Laor: Gefallene Engel
Sie sind beide charismatische Persönlichkeiten. Beide haben einen großen Kreis von Verehrern, die sich wie ein Schwarm um sie bilden, die ihnen jedes Wort von den Lippen ablesen. Beide sind Meister der Rhetorik, sowohl in Schrift als auch im Redestil. Ansonsten hat der renommierte Dichter Yitzhak Laor wenig mit dem einflußreichen Rabbiner Moti Elon gemeinsam. Bis auf diese Woche: Beiden wird vorgeworfen, ihre Machtposition für sexuelle Belästigung ausgenutzt zu haben. Zwei Sterne sinken…

23 Kommentare

  1. Ja, das ist vielleicht die größte Lebenskunst (hoffentlich klingt das nicht wieder zu sehr neunmalklug, zehnmal schlau und elf Mal pfiffig): die Balance aus Nähe und Distanz (und das reimt sich sogar, obwohl es völlig ungereimt ist).

    Hierarchien sind ja auch (künstliche)Versuche der Abgrenzung (und damit Versuche, diese Balance zu gewährleisten) – weil anders Abgrenzung nicht möglich ist???

    Mit vorzüglicher Zerknirschung

    Herr K.

  2. Wie soll denn in der Hierarchie ein GEGENÜBER erfahren werden, gibt es doch dort nach oben hin davon immer weniger. Und sonst nur darüber und oder darunter! Hierarchien suggerieren: Verlasse Dein Gegenüber bis Du an die Spitze kommst.
    Laut Perner darf MAN rauf, wenn MAN diese leidliche Fußvolksdampfkesseltrivialität mit „göttlicher“ Vernunft zu kühlen weiß. Auch hier kein Gegenübern, sondern ein UNTERORDEN.

  3. Chch. – Ausgezeichnet (der letzte Satz)! Aber das ist halt wieder nicht nur witzig (alles hat seine zwei Schattenseiten – oder so ähnlich!): es gibt bestimmt Millionen Leute, die es noch nie erlebt haben, dass da „einfach ein Gegenüber“ ist, das (erst einmal) „einfach nur zuhört“, nur da ist, (erst einmal) ohne Wertung, Kritik, Kontrolle usw. Und so. Die Herrschaften da oben (Artikel von Frau Perner) hatten das eben offensichtlich nicht, obwohl sie selbst ja eigentlich – Achtung, Klischee-Alarm! – Seelentröster usw. sein sollten…

    MfG

    Herr K.

  4. Wenn sie ihn dann noch vor den Hohen Rat zerren würden und vor den Statthalter der Atheisten, wenn sie ihn dann noch geiseln würden und mit Dornen gekrönt an ein Kreuz…
    Dann würde vielleicht deutlich, daß sie den falschen Feind haben, die Atheisten.
    Es wäre ja nicht das erste Mal in der Geschichte, daß ein Papst entthront wird.

    Vielleicht sollte der einfach mal auf die Couch, der Papst?

    Ist schon eine unglaublich freudenspendende Professionelle, die Anna Lyse. Macht mit ungezählten Menschen und jeder hat das Gefühl, sie sei nur und ganz für ihn da!

  5. Hm. – Ich wurde geturtelt… Und das ist nicht Lust, das ist Arbeit. Deucht mich. Und ich bin ja arbeitslos…

    Ich glaube, wenn schon, dann Sublimierung: es ist mit Anna Lyse nichts real, alles „steht für etwas“…

    Heute habe ich gelesen (stand im Internet!), dass so Briten den Papst festnehmen wollen… im Zusammenhang mit dem Thema (siehe oben)… Postmoderne ist erstaunlich fürwahr…

    Mit vorzüglicher Zerknirschung

    Herr K.

  6. Ist mit Anna Lyse turteln eigentlich eher der Enhaltsamkeit, der Sublimation oder der uranfänglichen Lust zuzuordnen?

    Aber ja, etwas tun ist nicht Enthaltsamkeit.
    Und weil wir wissen(!), daß MAN nicht nichts tun kann, kann Enthaltsamkeit nicht möglich sein!
    Niemand kann sich enthalten!
    Der Versuch, hinter ideologischen Mauern sich der Welt zu enthalten, ist demnach schon vor dem Start gescheitert.
    Sorry, Menschen aus den Kirchen und Internierungslagen …ähm, Internaten, die ihr „etwas“ getan habt, das ihr besser nicht getan hättet: eure Jenseitsversuche sind gescheitert, weil ihr das Diesseits nicht begriffen habt.

    Ups, kann MAN das Diesseits begreifen?

    Grüße an Herrn Koske
    tiqqun

  7. Sehr schön, passt schon: zum Thema „Wo ist Richtung, wo Sinn, wo Wahrheit“ habe ich eben allhier an anderer Stelle eine größere Wortgruppe gruppiert…

    Ich weiß nicht, ob das was mit dem kollektivem Unbewussten zu tun hat; ich bin wirklich nur verblüfft und frage mich, warum gerade jetzt…

    Es gibt ja (behaupte ich arroganter Weise) so unbewusste Mechanismen in den Medien; zum Beispiel kommt es mir so vor, als ob sich die Meldungen über Supernovae und neue bewohnbare Planeten usw. immer dann häufen, wenn hienieden wieder einmal besonders viel im Argen liegt usw., aber womöglich habe ich doch zu viel mit Anna Lyse rum gemacht…

    Nee… Enthaltsamkeit ist nicht Sublimierung… Enthaltsamkeit ist ja, etwas nicht tun, während Sublimierung bedeutet, „Energien umzuwandeln“ (und auch jetzt habe ich doch noch mal Tante Wiki gefragt und denke, ich kann das so stehen lassen)…

    Hm.

    MfG

    R. K.

  8. Ja, das Chaos! Postmodern doch irgendwie? Wo ist Richtung, wo Sinn, wo Wahrheit? Wohin SOLL ich sublimieren?

    „warum gerade jetzt diese ganzen Geschichten von Missbrauch in Schulen und Heimen hoch kommen, das muss im Unbewussten auch was zu bedeuten haben“

    Das interessiert mich brennend! Gemeint das „kollektive Unbewußte?“ Selbiges ist in und durch die Postmoderne ja auch irgendwie hinterfragt. (Wieder so ein schönes Wort: hinter-fragen). Was ist hinter einem „kollektiven Unbewussten / Bewusstsein“?

    Wenn Sublimierung nicht mit Enthaltsamkeit gleichzusetzen ist. Wenn die libidinöse im Uranfang brodelnde und schwirrende und sich generierende Kraft durch Sublimierung also Richtung bekommt: Ist dann Enthaltsamkeit, gar die Forderung solcher nicht geradewegs das Ticket ins Chaos?
    Chaos als Grenzverlust verstanden, als Ver-Schwimmen in der Suppe und Sippe? Kindesmißbrauch also ein Sublimierungs-Un-Fall?

    So also ein Antwortversuch: es kommt jetzt ans Licht des Bewusstseins, daß die angeblichen „Diener im Weinberg des …“ und andere ihresgleichen, eben nicht dienen (im Sinne der Sublimierung und damit Aufrichtung der Schöpfung), sondern blockieren…
    Warum kommt das jetzt ans Licht? Und ist dieses Licht Licht?

    Fragt (sich, unsicher etwas
    tiqqun

  9. Es war Dialektik, hä-ähm… Ich habe an einer Werbe-Fachschule… öhm… gastiert (ich bin Gast auf dieser Erde – aber der Gast ist doch König?), erstklassige Ausbildung, und habe aber auch in schönster Frühe Zeitungen und dgl. zugestellt, und ein Kollege hat sich diverse Knochen angeknackst, weil er auf dem buntem reklamerikanischem Plunder in einem Hausflur ausgerutscht ist (kein Witz: ich kann mir leider nichts ausdenken), und diesen Widerspruch vermochte ich nicht zu integrieren, ach…

    Und das ist eben Postmoderne! In einer winzigen Episode fokussiert gewissermaßen, ganz unabhängig von meiner Person…

    „Die Dämonen können es nicht leiden, werden sie benannt“ ist grandios (ohne Ironie); ich hatte auch schon vor Jahren den Gedanken, einen Spezialisten für die Austreibung von Dibbuks aufzusuchen, aber das zahlt die Kasse ja wieder nicht; der Kant z. B. hat das gepackt (Immanuel natürlich, nicht Hermann), die „Dämonen“ zu bannen, aber ich bin kein Kant und geb mir stattdessen die Kante…

    Ach. – Kommt drauf an, wie man Sublimierung versteht… Wenn sie als „Ersticken des Feuers“ gemeint ist (das dann natürlich explosiv sich entlädt usw.), dann ist sie Käse („Enthaltsamkeit“ ist nicht Sublimierung, und ich frage mich übrigens schon ’ne Weile, warum gerade jetzt diese ganzen Geschichten von Missbrauch in Schulen und Heimen hoch kommen, das muss im Unbewussten auch was zu bedeuten haben); insgesamt und grundsätzlich scheint sie mir lebensnotwendig, weil ohne sie das Chaos ausbrechen würde.

    Alle möglichen sinnvollen Grüße („herzlich“ will ich nicht schreiben; ich traue meinem Herzen nicht, weder physiologisch noch metaphorisch)

    Herr Koske

  10. Erheiterung auf der anderen Seite wieder!
    Es war vermutlich alles Mögliche zuzustellen und der Füllen schwarzer Kästen mit Sinnentleertem relativ unverbindlich?

    Diese „Leute“, ich denke es sind Ideen, gibt es, lange schon. Die Dämonen können es nicht leiden, werden sie benannt… WRSDD: will uns die Professorin nicht genau davor waren? Die Sublimierung zu unterlassen und damit den Dienst zu quittieren?

    Alle möglichen Grüße, schön sinnvoll
    tiqqun

  11. Und ist denn nunmehr die Erheiterung ganz meinerseits (oder so ähnlich); ich würde das mit dem WRSDD nur nicht so laut schreiben: es gibt nämlich garantiert Leute, die das im vollem Ernst aufgreifen… das nennt man, wie gesagt, wohl Postmoderne… aber ich kenne mich da nicht wirklich aus… ich war nur paar Monate Briefträger…

    Dialektische Grüße!

    R. K. (innerlich gekündigt)

  12. Klischees sind ja auch Bestandteil der Herrschaft, nicht wahr?
    Ich habe da eine Idee für ein neues Syndrom:
    „Work Refusal Social Disintegration Disorder (WRSDD)“
    Und Wehe Dir, Du rupfest am Sabbath keine Ähren!
    So wie ich es heute anstelle, wobei es sich doch eher um ein Säen handelt. Um die Dialektik nicht aus dem Spiel zu lassen…

  13. Das habe ich auch gedacht (ich pflege gelegentlich zu denken: es ist ein Greuel, oder neuerdings Gräuel, was auch schon wieder ein Greuel ist, aber ich will das nicht weiter vertiefen), dass man sich so von Wortgruppe zu Wortgruppe hangelt und sonstwo „raus kommt“, thematisch; nur kieken mitte Oogen und lesen und bedenklich mit dem Kopf wackeln ist auf jeden Fall unverbindlicher

    Das stimmt (das Letztere – Achtung, Klischee-Alarm! – mein Herr und Doktor): alle paar Jahre gibt es ein neues Syndrom und einen neuen Industriezweig für Präparate dagegen: ich bin so froh, dass ich an dieser unserer Postmoderne teilhaben darf, ach!

    Frohes Fest! – Ich bin doch recht belichtet in der Annahme, dass gerade Pessach ist, bin ich nicht?!

    Mit vorzüglicher Zerknirschung

    Herr Koske

  14. Wo einen das Leben in seiner Gegensätzlichkeit eben so hinbegleitet.
    Kann man an unserem kleinen Gedankenaustausch auch ganz erfrischend ablesen. Von der „Sex Machine“ und Kritik an der Kritik an der Kritik zur heiteren Entlarvung und zum Flügelschlagen dialektisch-dialogisch Entwirrter und zum Weiterspinnen zurück. Scheint’s hier ist alles auf-gehoben.
    Vielerorts wird im schaukelnden Kinde ja kein Goi mehr entlarvt. Geschweige denn ein Israelit erkannt. Vielmehr gibt es ein Pillchen sie zu knechten und ruhig in die Schulbank zu drücken. Die Herrschaft will es so.

    In diesem Sinne, momentan ein wenig gefaßter, nicht weniger freudvoll aber
    tiqqun

  15. … die Erheiterung scheint anzuhalten…

    (… als typischer Kleinbürger zucke ich hier schon wieder vor meinem minimal eruptiertem Quentchen Zivilcourage zurück, sich manifestierend dergestalt, dass ich hier das Wort ergriffen und es gar eine kleine Weile fest gehalten habe…)

    Um mal wieder was Konstruktives zu sagen (chch): ich kieke hier schon seit Längerem immer einmal wieder rein („Kommen Sie aus Berlin?“), und von Anfang an fand ich auch oder gerade das „Outfit“, das Design, das Handwerklich-Erscheinungsbildliche voll cool, auch unabhängig vom Inhalt: ist das eigentlich schon latenter Anti-Semitismus? – Ich sollte das mit Anna Lyse durch arbeiten…

    Wenn ich auf die dialektischen Wortspiele eingehe („Entlarvt“ usw.), artet das wirklich (Achtung: Klischee-Alarm!!!), in talmudistische Dispute über zwei, drei Wochen aus…

    Mir ist nämlich itzt jüngst eingefallen, wann ich zum ersten Mal auf das Judentum „aufmerksam gemacht wurde“; als Vorschul-Knabe, als ich noch keine Hoffnungsvolle Zukunft hinter mir hatte, habe ich über Jahre hinweg jeden Tag Stunden lang „geschaukelt“, im Sessel, im Sitzen, immer vor-zurück mit dem Oberkörper (ist viel besser als Kiffen und man wird viel mehr high), und mein Vater (das Große Energiefeld verdonnere ihn zu drei Monaten Küchendienst!) hat mich immer damit aufgezogen, ob ich denn in der Talmud-Schule wäre…

    Eine etwas ungewöhnliche Art, einen Vierkäsehoch an ein Thema heran zu führen, nicht wahr?

    Ich wünsche ein frühlingsfrisch friedliches… Wochenende… äh… einen eben solchen Wochenbeginn… – Nichtzutreffendes löschen…

    R. K.

  16. Lebenslang, nicht lebenslänglich! Das ist das Wunder und Schöne und Lustvolle.
    Sie hat es wohl so gemeint. Aber der philosophische Konstruktivismus gestattet mir in Aneignung, den Menschen auch mal als Maschine zu denken. Ist wieder ’ne Dialektik drin.
    Überhaupt: Dialektisches ist lebenslang und damit auch im (höchst zeitlosen) fortgeschrittenen Alter noch erheiternd, wenn diese Antithese gestattet ist.
    Ernsthaft lachen. Das mit der Grübel-Kugel gefällt mir sehr. Menschen graben ja auch Gruben in die große Kugel auf der Suche nach Bodenschätzen. So finde jeder sein VON in sich, auch wenn es den Adligen entlarvt. Ent-Larvt. Wieder so ein Wort…

    Erheitert,
    tiqqun

  17. … die letzte Frage ist mir zu dialektisch… demzufolge zu anstrengend… man hat es doch im Alter gern behaglich… sorry…

    (…tiqqun ist wohl auch ein lebenslanger Prozess… ich meine ja nur… ich habe Tante Wiki gefragt…)

    Und seit Monaten geht mir Helga Königsdorf nicht aus dem Kopf, die mal geschrieben hat (die konnte so was: die war ’ne richtig gute Schriftstellerin), dass sie lange Zeit gebraucht hätte heraus zu finden, dass es eine Kunst wäre, Leute zum Lachen zu bringen; dagegen steht allerdings wieder das Verlangen, „ernst“ und „tief“ usw. zu sein, von dem selbst Obermeister wie Mr. Allen gebeutelt werden, der auch immer einmal gern wieder Bergman wäre… Usw.

    Ich meine ja nur…

    (…ich rede zuviel… hat Dr. R. schon 1984 gesagt… der musste es ja wissen…)

    Das mit dem Konstruktivismus scheine ich immer noch nicht so rüber gebracht zu haben (chch); mich deuchte, die Frau Professorin hätte das Wort „einfach“ als Synonym etwa für „Mechanizismus“, „Mensch als Maschine“ usw. gemeint, während es (immer das Wort) doch eben eine philosophische Richtung bezeichnet.

    (… wahrscheinlich würden sich gewisse Frauen schon wieder köstlich amüsieren, wie sich Männer abstrakt an Begriffen ab arbeiten, während es da oben um Sex ging… na ja…)

    Egal! – Und ich habe von Glasersfeld, von Förster (die sind alle „von“: das muss was zu bedeuten haben, „im Unbewussten“, sorry) extra nicht erwähnt, weil mir das schon wieder nach Angeberei roch, da ich die Herren (oder vielmehr ihre Bücher) nur so überflogen habe…

    Es ist kein mentaler Masochismus, wenn ich von meinem beschränktem Wissen rede; ich habe zweimal in einer hohen Stätte des Wissens… äh… hospitiert… einmal gar nur zwei Wochen (bei den Jesuiten in der Kaulbachstraße, ha, sehr interessant), und es ist alles zusammen gestümpert aus Bruchstücken, was da durch meine Grübel-Kugel wabert; zudem ist der berühmte Spruch mehr als nur Klischee, dass man mit zunehmendem Wissen auch zunehmend der Lücken in seiner Bildungslandschaft gewahr würde. Oder so ähnlich.

    Mit vorzüglicher Zerknirschung

    R. K.

  18. @ Ronald Koske

    Ein Lachen auf mein Gesicht gezaubert! Die Natur, ja, konstruiert sich NEU!
    Tötend, genau so ists gemeint.
    Der Konstruktivismus wird von der Autorin vermutlich deshalb abgelehnt, weil er absolute Wahrheitsansprüche angreift.
    Ist also eine Ideologiekritik der Konstruktivismus und damit schon recht praktisch, so als philosophische Tat.
    „Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners“ sagte Heinz von Foerster, ein ganz besonders amüsanter unter den Konstruktivisten. Mich erinnert das irgendwie an Ihre Behauptung, Ihr Wissen sei beschränkt! Warum?
    Und wie viel Wissen ergeben ein beschränktes und ein beschränktes?

    Herzlich
    tiqqun

  19. @tiqqun

    Boah! Da antwortet sogar jemand (sorry: Selbstgespräch: ich bin 48 usw.).

    Dichotomie scheint mir immer irgendwie was Mechanisches (und damit „Tötendes“)…

    Ich meinte eigentlich, dass meines Wissens (das ist sehr beschränkt, dieses Wissen) Konstruktivismus eine „philosophische Richtung“ oder so was ist und eben ganz anders gemeint, als die Autorin oben den Begriff gemeint zu haben scheint.

    Hm.

    Das ist übrigens schon wieder so ein Zufall: den gleichfalls oben erwähnten (Kriminalpsychologen) Dr. Müller habe ich erst jüngst im Net „gefunden“: ein Video, in dem er ganz erstaunliche Gedanken äußerte…

    Es wird Frühling (ich wollte mal was Konstruktives sagen!)!

    MfG

    R. K.

    (… ich muss jetzt gucken, was „tiqqun“ is’…)

  20. @Ronald Koske

    Danke.
    Weil erstens: auch und gerade im Konstruktivismus gibt es Vertreter, die den Menschen als nicht-trivial ansehen.
    Weil zweitens: diese Sache von der“ Selbstvervollkommnung durch Kühle“ mit der Dialektik der Aufklärung zerbricht, die Kühle in ihr Gegenteil umschlägt, wo sogenannte Vernunft HERRSCHEN will.
    Eine Dichotomie – völlig unkonstruktivistisch trivial übrigens – hat noch nie weitergeholfen, allenfalls der Ideologie.

  21. Werte Frau Professor,

    (Frau Professorin? – da geht es ja schon wieder los), ich finde es toll, dass von professionell-professoraler Seite (oder so ähnlich) Männer als lernfähig angesehen werden; das macht mich etwas entspannt (der ich mich, nebenbei bemerkt, eher selbst zu „verbrennen“ pflege; Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel); ich erlaube mir aber als verquetschte Stimme aus der Unterschicht die Anmerkung, dass „Konstruktivismus“ irgend wie anders gemeint sein könnte… vor allem von Watzlawick… deucht mich… – ich meine ja nur…

    „Alles, was heiß macht, ist quasi höllisch“ gilt auch über das Sexuelle hinaus (und hier liegt der Hase im Pfeffer: im Sexuellen findet dieser, ha, Mechanismus, „nur“ seine Zuspitzung), und diese Angst vor heftigen Gefühlen und tiefen Gedanken kommt aber auch nicht von ungefähr, es scheint mir historisch bedingt, dass „alle cool“ sind…

    Ich meine ja nur…

  22. Es könnte auch sein, daß eine Sexualmoral, wie sie hierarchische religiöse Systeme, ob groß (Kirche), ob klein (Wachturm-Gesellschaft), propagieren, der Sündenzuschreibung und Projektion dient, um ein infames System tatsächlicher sexueller Perversion zu verschleiern.
    Schon von sogenannten primitven Kulturen sind unsägliche sexualisierte Demütigungsrituale in Zusammenhang mit der Knaben- und auch Mädcheninitiation bekannt.
    Es ist doch eigentlich klar, daß Sexualität oder besser erotische Lust als die Lebensenergie an sich, immer dann, wenn einzelne, mehrere oder Kollektive an autoritäter Einflußnahme auf Welt und Mensch interessiert sind, genau diese Kraft instrumentalisieren. Eine freie Sexualität ist nicht beschränkt auf den Geschlechtsakt, Geschlechtsakte einer freien wie reifen Sexualität aber beschränkt auf im vollen Sinn des Wortes gereifte Personen. Dies überhaupt noch zu erwarten, von einer Kirche, die über zwei Jahrtausende Mißbrauch und Demütigung betreibt, ist nahezu affirmativ. Sexueller Mißbrauch ist kein Problem der Kirchen oder Religionen allein, sondern ein kulturgeschichtliches Phänomen, das überall auftritt, wo Menschen zu Herrschaftszwecken gebrochen werden sollen. Das widerwärtige Vergehen an kleinen und ohnmächtigen Menschen steht in Zusammenhang mit Sexismus und Herrschaftsausübung jeder Art. Die Frau als teuflische Verführerin, der Mann im Zölibat, die Katakomben des Vatikans und die dort praktizierte Prostitution. Die aktuelle Diskussion hat eine affirmative Tendenz, wohl vorangetrieben von der allzumächtigen Kirche: nicht die Sexualität ist das Problem, nicht der richtige oder falsche Umgang mit Sexualität, sondern das Problem der Herrschaft.

  23. Könnte es nicht sein, dass nahezu alle (Staats-) Religionen stets die Dampfkessel bewusst angeheizt haben, um dann die Ausbrüche (Explosionen) zu machtpolitischen Zielen (z.B. in Kriegen) zu instrumentalisieren? Hat sich das wirklich bis heute geändert oder nur dem Anschein nach? Und sind dann die immer wieder im gesellschaftlichen Alltag auftretenden, individuellen Katastrophen, vielleicht nur Nebeneffekte der übergreifenden Ideologien? Weniger gut getarnt und daher leicht zu kritisieren in z.B. der muslimischen Welt, raffinierter, versteckter, getarnter, doch nicht weniger gefährlich, in der „Schönen Neuen Welt“ der westlichen bzw. globalen Kapital- und Mediengesellschaft? Jahrtausendealte, tradierte und ins Unbewusste verlagerte Verfahren sind nicht leicht einer effektiven Aufklärung zu unterwerfen, tauchen sie doch, trickreich, in immer neuem Gewand und neuer Ausdrucksform unerkannt und unbemerkt wieder auf. Kurz – da ist noch sehr viel an aufklärerischer Arbeit zu leisten!

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