Machtfrage: Siedlungen in Jerusalem

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Die Siedlungspolitik in Jerusalem ist kompliziert und vielschichtig. Beide, Palästinenser wie Israelis, betreiben eine gezielte Siedlungspolitik mit der ausdrücklichen Absicht, die Anderen auszustechen, zu stoppen oder zu umzingeln…

von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 9. März 2010

„Saladin errichtete Festungen rund um die Stadt, nachdem er die Kreuzfahrer aus dem Land geworfen hat, um Jerusalem zu sichern“, berichtet ein Palästinenser in Silwan, einem Stadtviertel Jerusalems südlich des Tempelbergs um sich im gleichen Atemzug über einen von den Israelis seit 1967 errichteten „Siedlungsring“ rund um Jerusalem mit dem gleichen Ziel zu beschweren.

Das moderne Silwan wurde im neunzehnten Jahrhundert von jemenitischen Juden gegründet. Die wurden bei arabischen Pogromen 1929 vertrieben. Inzwischen ist Silwan ein dicht bebautes arabisches Viertel an einem Abhang gegenüber der „Stadt Davids“, dem Ur-Jerusalem. Kaum ein Haus wurde mit einer Baugenehmigung errichtet. Inzwischen kamen rechtsradikale Israelis, kauften heimlich oder offen Häuser der Araber und errichteten – ebenfalls ohne Baugenehmigung – mitten in Silwan ein siebenstöckiges Hochhaus. An dessen Fassade hängt demonstrativ eine 20 Meter lange Flagge mit dem Davidstern.

Moslems bemalten ebenso demonstrativ ihre Garagentüren mit Abbildungen der Kaaba von Mekka. Während israelische Ankündigungen des Baus neuer Wohnungen im „Siedlungsring“ rund um Jerusalem für palästinensische Verbitterung und internationale Entrüstung sorgen, verbauen die Palästinenser biblische Stätten und unberührte Täler und Hügel bis weit in die judäische Wüste hinein, vermeintlich planlos und doch mit System. Die Palästinenser boykottieren die Stadtverwaltung, weil die israelische Besatzung „völkerrechtlich illegal“ sei, erklärt ein palästinensischer Aktivist in einem „Informationszelt“ nahe Silwan.

Vor einem halben Jahr stand das von den Israelis enteignete Shephards Hotel im „Weingarten des Mufti“ im Mittelpunkt einer internationalen Kontroverse. Das Gebäude gehörte einst Hadsch Amin el Husseini, der als Freund Hitlers in Bosnien eine muslimische SS-Truppe schuf und die Nazis bei der Judenvernichtung unterstützte. „Die Erbin, eine Tochter des Mufti, lebt heute in Saudi Arabien. Sie kann nicht nach Israel reisen, um ihr Eigentum zu reklamieren, weil sie bei ihrer Rückkehr von den Saudis verhaftet würde“, erzählt Salim.
Er raucht eine Zigarette unter einem von den Briten gepflanzten Bitterorangen-Baum im einst romantischen Vorhof des Hotels, seinem früheren Arbeitsplatz. Die Jordanier hätten während ihrer Besatzung Jerusalems zwischen 1949 und 1967 das Grundstück zu „verlassenem jüdischem Eigentum“ erklärt und deshalb zum „Kronland“ deklariert. Jordanien hatte sein Territorium „ethnisch gesäubert“. Als „Staatsland“ ging es 1967 in israelische Verwaltung über.

Wenige Straßen weiter sitzt Nasser al-Ghawi unter einer Zeltbahne auf einem zerschlissenen Sofa auf dem Bürgersteig. Seine in einen langen schwarzen Mantel gehüllte Frau macht Hausaufgaben mit ihren fünf kleinen Kindern, während al-Ghawi sein Leid klagt. Einige Monate zuvor hatte er von einem israelischen Gericht den Räumungsbefehl erhalten. Der „Rat sephardischer Juden“ hatte erfolgreich das Grundstück seines Hauses eingeklagt. Al-Ghawi musste mit seiner Familie auf den gegenüberliegenden Bürgersteig ziehen, während ultraorthodoxe Juden mit vielen Kindern sein Haus bezogen. „Die Jordanier hatten die ganze Straße zum Kronland erklärt und der UNO übergeben, um hier ein Flüchtlingslager zu errichten“, erzählt al-Ghawi. Er bestätigt Samirs Darstellung am Shephards Hotel. Die UNO baute ein billiges Haus und übergab es Anfang der fünfziger Jahre an al-Ghawi. Anstelle einer Miete musste er nur drei Jahre lang die Kosten des Hausbaus abstottern.

Während al-Ghawi abwechselnd in schlechtem Englisch und gutem Hebräisch seine Geschichte erzählte, kam eine „Solidaritätsdelegation“ norwegischer Gewerkschaftler vorbei. Nach einem kurzen Anblick der „schrecklichen israelischen Verbrechen an Palästinensern“ wurden sie von ihren palästinensischen Begleitern im Minibus zum nächsten Ortstermin gefahren. Al-Ghawi gab sich Mühe, die Ungerechtigkeit der Israelis darzustellen, bis er sich schließlich „verplapperte“. Am Ende erzählte er, dass tatsächlich vor 120 Jahren ein arabischer Olivenbauer 18 Hektar Land rund um das Grabmal von „Simon dem Gerechten“ dem „Rat der sephardischen Juden“ verkauft habe. Dieser bis heute existierende Rat konnte mit alten Dokumente das Gericht von seinen Ansprüchen überzeugen, während al-Ghawi, als Bewohner eines von der UNO auf beschlagnahmten jordanischen Kronland errichteten Wohnhauses, keine Ansprüche auf das Grundstück vorweisen konnte.

Seit einigen Wochen nun versammeln sich an jedem Wochenende linksgerichtete Israelis wie der Schriftsteller David Grossmann, Friedensaktivisten und Palästinenser vor jenem inzwischen von national-religiösen Juden bezogenen Haus al-Ghawis, um gegen den „ungerechten Gerichtsbeschluss“, gegen den Rauswurf der arabischen Familie und vor Allem, gegen die „Provokation rechtsradikaler Siedler“ zu protestieren, mitten in einem „rein arabischen Viertel“ im „illegal besetzten Ostjerusalem“ Wohnung bezogen zu haben. Im Rahmen der „freien Meinungsäußerung“ genehmigen Gerichte die Demonstrationen, während sich die Polizei sich zunehmend schwer tut, Gewaltausbrüche unter Kontrolle zu halten. Für die Hintergründe des Grundstückstreits interessiert sich niemand mehr.

© Ulrich W. Sahm, haGalil.com

12 Kommentare

  1. Eigentlich kann man als aufgeklärter Westler und Demokrat gar nicht genug hoffen, dass Israel weiter baut und expandiert und ein Bollwerk gegen Demokratiefeindlichkeit und Islamofaschismus errichtet. Auch die paar wenigen „aufgeklärten“ Palästinenser dürfte dies eher freuen als verärgern. Auch sie leben lieber in einem demokratischen Judenstaat als in einem palästinensischen Scharia-Gottesstaat.

    So lange Fatah, Hamas, Hisbollah und all die anderen Dumpfbacken die Vernichtung Israels in ihrem politischen Programm festgeschrieben haben und nicht akzeptieren, dass Israel existiert und ebenso ein Existenzrecht hat wie alle anderen Staaten dieser Erde, gibt es nichts zu verhandeln. So lange bin ich dafür, dass Israel seine Stellung weiter ausbaut. Keine faulen Kompromisse, kein einseitiges Entgegenkommen, kein zweites Oslo mehr!

    Also, liebe Israelis: WEITERBAUEN!

  2. „Es gibt hier zwei Völker die beide berechtigten Anspruch auf ein und dasselbe Land erheben.“

    Völker und ihre angeblichen Rechte interessieren zumindest mich nicht die Bohne. Mich interessieren nur Menschen und ihre Rechte. Und das ist der grundlegende Unterschied zu den Israel-Hurrapatrioten hier (und zu der Jews-go-home-Fraktion auf der anderen Seite, aber die lassen sich hier nicht blicken), welche in einem Stammesdenken verhaftet sind, in dem ein abstraktes Konzept wie ein ‚Volk‘ auf irgend etwas ‚Anspruch‘ hat.

  3. @Panayotis

    Nachdem die arabisch-palästinensische Seite etwa 70% des aufzuteilenden Gebietes zugesprochen bekam, streiten sich immer noch „zwei Völker die beide berechtigten Anspruch auf ein und dasselbe Land erheben“ !?

    Mit anderen Worten, egal wie klein Israel auch sein mag, für Manche wird es immer zu groß sein?

  4. Sie meinen die Trennung der Transjordan-Gebiete? Ãœber deren Ursache man so und so spekulieren kann? Aus dem Jahre 1923?

    Damals wurde der Mandatsraum für die Errichtung eines jüdischen Staates, der vorher ein größeres Gebiete umfasste, auf ein Gebiet, das dem eigentlichen, historisch-biblischen Palästina eher entsprach, begrenzt.

    Was soll also dein Einwurf, Nebelkerze, Stinkbombe?

  5. @Panayotis

    „Es ist vielmehr so wie Leopold sagt: Es gibt hier zwei Völker die beide berechtigten Anspruch auf ein und dasselbe Land erheben.“

    Ihnen ist aber schon bekannt, daß es irgendwann mal eine Teilung der britischen Mandatsgebietes (die Sache mit dem Völkerbundmandat) gab, wobei die arabisch-palästinensische Seite etwa 70% des aufzuteilenden Gebietes zugesprochen bekam? Wird gern vergessen…

  6. Ich denke genau mit solchen dummen Propagandatricks erweist man Israel keinen guten Dienst.

    Es ist vielmehr so wie Leopold sagt: Es gibt hier zwei Völker die beide berechtigten Anspruch auf ein und dasselbe Land erheben.

  7. Ich finde, der Artikel beschreibt die Problematik sehr gut.

    Der zitierte Al-Ghawi fühlt sich selbstverständlich ungerecht behandelt, wenn er aus einem Haus, das er nach seinen Begriffen rechtmäßig gekauft und 50 Jahre lang besessen und bewohnt hat, plötzlich hinausgeworfen wird. Ich glaube nicht, daß in seiner Situation irgendjemand sagen würde: „Tut mir leid, ich wußte nicht daß mein Haus auf eurem Acker steht, nehmt es bitte und verzeiht mir. Darf ich für die letzten 50 Jahre Pacht nachzahlen?“

    Auf der anderen Seite sehen sich die Nachfolger der Käufer wohl auch ungerecht behandelt. Sie haben einen nachweisbaren Anspruch nach vielen Jahrzehnten endlich gerichtlich durchsetzen können, aber anstatt daß man sie für das Unrecht der letzten Jahrzehnte entschädigt, müssen sie sich Beschimpfungen und Schmähungen durch Gerechtigkeitstouristen und andere Gutmenschen anhören.

    Beide Seiten haben subjektiv, und einzeln betrachtet sogar objektiv, recht. Keine guten Voraussetzungen für einen Kompromiß.

  8. Der Vergleich mit der Oder-Neisse Linie ist eine unverschämte Relativierung der deutschen Verbrechen, letztendlich des millionenfachen Massenmords an den Juden.
    Wie tief kann man sinken.

  9. „Ari Ben Kanaan“, ich lach mich schlapp. Ausgerechnet in der sozialistischen Kanaanbewegung willst du jetzt die Annektionspläne der nationalistisch bis fundamentalistischen israelischen Regierung unterjubeln.
    Von Faktenwissen bist du wenig beleckt, was?

    Tipp: Den Krieg 1967 in dessen Zuge der Teil Jerusalems, um den es hier geht, hat Israel begonnen. Völkerrechtlich. Aber das ist ja sowas von unbedeutend.

  10. Liebe Mitbürger der friedichen Welt, die USA und ihre Führer kritisieren Israel wegen ihres Wohnngsbaus in Jerusalem. Die Führer der USA sollten sich um ihre Politik der Ausrottung der Ureinwohner ihres Landes kümmern. Jerusalem gehört Israel seit dem die arabischen Staaten in einem feigen Angriffskrieg dieses Gebiet verloren haben. Das ist nun mal das Ergebnis eines Krieges. Der Sieger verwaltet und bewirtschaftet das Land welches er nach einem Krieg dem Feind abringt!!! Kein Mensch würde auf die Idee kommen das Gebiet östlich der Oder/ Neiße – Grenze den Polen den Wohnungsbau zu untersagen. Oder Herr Obahma???

  11. Schon im zweiten Satz völliger Unsinn. Palästinenser betreiben in Ostjerusalem natürlich keine Siedlungspolitik, oder sonst irgendwelche Politik, was den einfachen Grund hat, daß man dazu politische Machtmittel bräuchte, und die hat in Jerusalem nur und ausschließlich der israelische Staat.

    Naja, und was davon zu halten ist, wenn man als Journalist die freie Meinungsäußerung in zweifelnde Gänsefüßchen setzt… traurig.

  12. Lieber Herr Sahm,

    bitte vergleichen Sie nicht Israelische Siedlungspolitik mit der Palästinensischen. Die Welt hielte das für Unsinn, da bin ich sicher.

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