Der Front National bei den französischen Regionalparlamentswahlen

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11,5 Prozent im ersten Wahlgang (zuzüglich Abspaltungen), und 17,81 % in den Stichwahlen…

Von Bernard Schmid, Paris

Beim zweiten Durchgang der französischen Regionalparlamentswahlen – der Stichwahl, bei denen die einfache Mehrheit für die Übernahme der Regionalpräsidentschaft durch den Spitzenkandidaten der stärksten Liste genügt – am Sonntag (21. März) konnte der rechtsextreme Front National (FN) noch in 12 von 22 Regionen antreten. Dabei wird Frankreich ohne die vier Überseeregionen zur Grundlage genommen. Um in die Stichwahl einziehen zu können, sind mindestens zehn Prozent der abgegebenen Stimmen im ersten Wahlgang erforderlich.

Kurze Bilanz des ersten Wahlgangs

In zehn Regionen, die fast ausschließlich in Westfrankreich liegen, war der FN deswegen am Abend des 14. März 10 – nach dem ersten Wahlgang – aus dem Rennen ausgeschieden. Damals hatte die extreme Rechte frankreichweit gut 12,5 Prozent der Stimmen enthalten. Davon entfielen rund 11,5 Prozent auf den Front National. (Die Angaben variieren leicht, zwischen 11,4 % und 11,7 %, doch dürften diese Varianten auf die Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung der französischen Überseegebiete außerhalb Europas im Gesamtergebnis zurückzuführen sein. Das amtliche Endergebnis des Pariser Innenministeriums, das die vier Regionen außerhalb des französischen Staatsgebiets mit berücksichtigt, erkennt dem FN 11,42 % der Stimmen zu.)

Weitere 1,1 Prozent entfielen auf sonstige rechtsextreme Listen, die jedoch nur in rund einem Drittel der französischen Regionen – ohne Übersee – antreten konnten. Zu ihnen zählen eine christlich-fundamentalistische Liste von radikalen Abtreibungsgegnern wie Xavier Dor im Raum Paris (rund 0,9 Prozent), vier Listen des ,Parti de France’ (PdF, „Partei Frankreichs“) unter dem Ex-Generalsekretär des FN Carl Lang mit Ergebnissen zwischen 1,5 % und 3,7 Prozent der Stimmen, und zwei Listen „Nein zu Minaretten“ in Lothringen und im französischen Jura mit 3,0 respektive 2,5 Prozent. Auch die ,Ligue du Sud’ unter Jacques Bompard, dem Bürgermeister von Orange (früher FN), zusammen mit dem ,Bloc identitaire’ gehört hierher. In der südostfranzösischen Region PACA, zwischen Marseille und Nizza, erhielt sie 2,7 Prozent der Stimmen. Jacques Bompard kündigte Ende vergangener Woche an, die ,Ligue du Sud’ als politische Partei aufrecht zu erhalten.

Einzug des FN in die Stichwahlen

Hingegen konnte er in fast allen Regionen östlich einer Linie, die in Nord-Süd-Richtung von Le Havre nach Montpellier gezogen werden kann, (mit Ausnahme des Großraums Paris und Korsikas) an den Stichwahlen vom 21. März teilnehmen. Traditionell ist die extreme Rechte im östlichen Frankreich erheblich stärker als an der Atlantikseite. Ursächlich dafür sind u.a. das stärkere Durchschlagen der industriellen Krise in den traditionellen Industrierevieren, die vorwiegend in diesem Landesteil liegen – der Westen war lange Zeit agrarisch geprägt und erhielt zum Großteil erst ab den 60er Jahre eigene Industrien -, aber auch die stärkere verbliebene Bindewirkung des christlichen Milieus in Westfrankreich. Dessen Abbröckeln in anderen Landesteilen wurde, im Namen der ideologischen „Sinnstiftung“, zum Teil durch die extreme Rechte kompensiert.

In den zwölf Regionen, wo er noch der Stichwahl antreten konnte, gelang es dem FN ausnahmslos, Stimmengewinne zu erzielen. Dort, wo er kandidieren konnte, erzielte der FN im Durchschnitt 17,81 Prozent. Dies ergibt einen nominellen nationalen Stimmenanteil von 9,4 Prozent, wenn für die Regionen, wo er nicht antreten konnte, ein Anteil von null Prozent einberechnet wird.

Erstmals wurde beobachtet, dass die rechtsextreme Partei ihren Stimmenanteil im Zeitraum zwischen dem ersten und dem zweiten Wahlgang nicht nur stabilisieren, sondern noch erheblich steigern konnte. In der Regel gewann der FN zwischen zwei und vier Prozent der Stimmen hinzu. Der höchste Stimmenzuwachs wurde unterdessen im Languedoc-Roussillon, der südfranzösischen Region rund um Montpellier, verzeichnet: von 12,67 auf 19,38 Prozent.

Der FN konnte seine beiden unterschiedlichen Wählerschaften wieder an sich binden

Der niedrigste Stimmenanteil für den FN in einer Region liegt bei 13,5 Prozent in der, ländlich geprägten, Region „Zentrum“ rund um Orléans. Die höchsten Stimmenanteile liegen in der südostfranzösischen Region PACA (Provence-Alpes-Côte d’Azur), wo Jean-Marie Le Pen die Liste anführte, mit 22,87 Prozent und für die Liste unter Marine Le Pen im früheren Bergbaurevier Nord-Pas de Calais nahe der belgischen Grenze mit 22,20 Prozent. Die soziale Zusammensetzung der Wählerschaft ist dabei unterschiedlich. In Südostfrankreich zwischen Marseille und Nizza, wo der FN schon seit den achtziger Jahren traditionell stark verankert ist, wählen traditionell eher wohlhabende Rentner, die sich im französischen „Sonnengürtel“ niederließen, die Partei. Hinzu kommen frühere Algeriensiedler (Pieds Noirs) – die nach der Entkolonialisierung in Nordafrika 1962 Algerien verließen und in den französischen Mittelmeerregionen ein teilweise von Revanchismus geprägtes „Vertriebenen“milieu bilden. Hingegen weist der FN im Nord-Pas de Calais, wo ihm erst seit den neunziger Jahren schrittweise der Durchbruch glückte und ihm noch in den letzten Jahren Zuwächse gelangen, eine ausgesprochene Arbeiterwählerschaft auf.

Dem FN ist es also gelungen, die beiden auseinanderstrebenden Pole seiner früheren Wählerschaft, die er vor den Präsidentschaftswahlen im April 2007 aufwies, wieder zusammenzubringen. In den Jahren 2007/08 war es der konservativen Rechten unter Nicolas Sarkozy zeitweilig gelungen, den stärker „bürgerlichen“ Teil der FN-Wählerschaft – unter ihm auch das postkolonial geprägte Pieds Noirs-Milieu – abzuwerben. Die massivsten Verluste hatte die extreme Rechte damals in PACA und in Elsass hinnehmen müssen. Damals war dem FN, der vorübergehend bis auf 4,3 Prozent der Stimmen (bei den Parlamentswahlen im Juni 2007) abstürzte, vor allem der aus den Unterklassen stammende Teil seiner Anhängerschaft etwa im Nord-Pas de Calais verblieben. Nunmehr ist die Krise des FN zumindest als Wahlpartei überwunden, auch wenn es auf der Mitgliederebene (vor der ersten größeren Parteispaltung 1998: 42.000 eingeschriebene Mitglieder, derzeit zwischen 5.000 und 10.000) noch Spuren zurückliegender Krisen zu verzeichnen gibt.

In Südostfrankreich (PACA) konnte der FN in etwa sein Regionalwahlergebnis von 2004 wiederholen. Damals hatte er 22,95 Prozent im ersten Wahlgang, aber noch 21 Prozent in der Stichwahl erhalten. Diesmal erzielte er, im Gegenteil, ein höheres Ergebnis im zweiten Durchgang als im ersten (plus 2,48 %). Hingegen konnte er im industriellen Krisenrevier des Nord-Pas de Calais erhebliche Zuwächse gegenüber 2004 verzeichnen; damals erhielt er dort 19,73 Prozent in der Stichwahl, das waren mehr als im ersten Wahlgang.

Auch in der Picardie, einer anderen Region, in welcher der FN unter anderem von der industriellen und sozialen Krise profitiert, bleibt sein Ergebnis – wenn auch bei leichten Verlusten – auf hoher Ebene. 2004 erhielt er dort 22,94 % im ersten Durchgang, und weniger im zweiten. Dieses Mal steigert er sich zwischen beiden Wahlgängen von 15,81 auf 19,30 Prozent. Insgesamt ist die FN-Wählerschaft in der Picardie jedoch eine Gemengelage aus Angehörigen der sozialen Unterklassen (eher im Norden der Region) einerseits, und früheren Algeriensiedlern sowie in Nordafrika dienenden Militärs (eher im Süden der Region, im Département Oise) auf der anderen Seite. Überwiegend mit der Krise und der Arbeitslosigkeit zusammenzuhängen scheint das Stimmenergebnis des in der ostfranzösischen Region Lothringen, die einen starken Niedergang ihrer früher charakteristischen Industrien erlebt hat. Dort wuchs der FN-Anteil von 14,87 % im ersten auf 18,44 Prozent im zweiten Durchgang (zum Vergleich 2004: 17,59 Prozent für den höheren Anteil). In dieser Region wurde im ersten Wahlgang ein Spitzenergebnis für die extreme Rechte von 61 Prozent im Dorf Roppeviller verzeichnet, davon entfielen 51 Prozent auf den Front National und 10,2 Prozent auf die von rechtsextremen Splittergruppen – drei Abspaltungen des FN – gebildete Liste „Nein zu Minaretten“.

Im Elsass wiederum bleibt der FN auf einem, im Vergleich zu früheren Ergebnissen, relativ bescheidenen Niveau mit 13,49 Prozent im ersten und 14,57 Prozent im zweiten Wahlgang (2004 waren es noch 22 Prozent). Dies dürfte allerdings auch mit der Besonderheit zusammenhängen, dass die bürgerliche Rechte in dieser Region als einer von wenigen überhaupt noch Chancen hatte, sich in der Stichwahl um die Regionalpräsidentschaft zu behaupten – tatsächlich bleibt das Elsass nach diesem Sonntag als einzige Region (abgesehen von Überseeregionen) konservativ regiert. Im ersten Wahlgang hatte neben dem FN auch eine rechtsextrem-regionalistische Liste unter dem Namen ,Alsace d’abord’ (Elsass zuerst) kandidiert. Sie erhielt 4,98 Prozent. Auch 2004 war sie angetreten und hatte damals sogar 9,42 Prozent erzielt, was jedoch nicht für eine Vertretung im Regionalparlament ausreichte, die sie knapp verfehlt hatte.

Laut ersten Auswertungen gelang es dem FN insbesondere, einen erheblichen Teil der gestiegenen Stimmenthaltung zwischen beiden Wahlgängen zu seinen Gunsten umzulenken. Die Wahlenthaltung hatte frankreichweit im Durchschnitt 53,6 Prozent im ersten Wahlgang, aber „nur“ noch 49 Prozent im zweiten betragen.

Rivalisierende rechtsextreme Listen riefen nicht zur Wahl des FN auf

Die übrigen rechtsextremen Listen, die meistens aus „Dissidenten“ und Abspaltungen des FN bestandne, hatten in aller Regel nicht zu dessen Gunsten für die Stichwahl aufgerufen. Im Nord-Pas de Calais, wo Marine Le Pen antrat, erhielt eine Liste von FN-„Dissidenten“ unter François Dubout im ersten Durchgang drei Prozent. Doch ihre Anführer riefen zur Stichwahl zur Stimmabgabe für die konservative Regierungspartei UMP auf. In Lothringen lancierte die Liste „Nein zu Minaretten“ (die aus den drei rechtsextremen Kleinparteien MNR, PdF und NDP bestand) zur Stichwahl einen Aufruf zum Stimmboykott, da der Front National nicht entschieden genug gegen das „Vordringen des Islam“ und gegen den Minarettbau eintrete.

Erste Ausblicke

Am Wahlabend sprach Marine Le Pen von einem „Frühling des FN“. Die Partei werde sich nun entschlossen auf die kommende Präsidentschaftswahl im Jahr 2012 vorbereiten. Bis dahin möchte sie ihren alternden Vater Jean-Marie Le Pen – er wird im Juni dieses Jahres 82 – abgelöst haben. Auch ließ sie im Vorfeld der jüngsten Regionalparlamentswahlen durchblicken, nach dessen Ablösung an der Spitze könne über eine Änderung des Parteinamens diskutiert werden. Für den Herbst 2010, kommenden Winter oder Anfang 2011 wird ein Parteikongress erwartet, auf dem die Änderung an der Spitze abgesegnet werden könnte. Doch Jean-Marie Le Pen fiel am Sonntag Abend JournalistInnen ins Wort, die von seinem „letzten Wahlkampf“ gesprochen hatte, und verneinte dies ausdrücklich: „Das hätten Sie gerne so, denn es stört Sie, was ich sage. Und sei es nur, um es Ihnen nicht Recht zu machen, könnte ich weitermachen.“ Er wies darauf hin, dass die frühere Gesundheitsministerin Simone Veil, die soeben als Mitglied in der altehrwürdigen Académie française ernannt wurde, „im selben Alter“ sei wie er selbst.

Eine wesentlich ausführlichere Auswertung der Ursachen, der Einzelergebnisse und der Reaktionen folgt demnächst noch…

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