Nazis in Dresden: Keinen Meter gelaufen

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Es sollte die größte europäische Neonazi-Demonstration werden, doch der rechtsextreme „Trauermarsch“ in Dresden kam nicht von der Stelle. Das jährliche Rechtsaußen-Spektakel musste sich auf eine Standkundgebung vor dem Bahnhof Dresden-Neustadt beschränken. Zudem waren deutlich weniger Rechtsextreme als zuletzt befürchtet in die sächsische Landeshauptstadt gekommen. Gegen deren Propagandaaktion wehrten sich weit über 10.000 Bürger und Nazigegner…

Von Albrecht Kolthoff / Olaf Meyer, redok v. 13.02.2010

Die rechtsextreme Demonstration sollte um 12 Uhr beginnen. Doch am Mittag waren gerade ein paar Hunderte am Neustädter Bahnhof eingetroffen, darunter NPD-Chef Udo Voigt, der Parteibarde Frank Rennicke und der DVU-Vorsitzende Matthias Faust. Erst zwei Tage zuvor hatte das Oberverwaltungsgericht entschieden, dass die Rechtsextremen in Dresden demonstrieren dürfen. Ausgerechnet vor dem Bahnhof wollten sie sich versammeln, von dem aus während der Herrschaft des Nationalsozialismus Juden deportiert wurden. Dort hatten die Nazis im Oktober 1938 vor aller Augen über 700 Dresdner Juden nach Polen abgeschoben. Zwischen 1942 und 1944 war der Güterbahnhof Ausgangspunkt oder Zwischenstation für zahlreiche Deportationen in die Ghettos Riga und Theresienstadt sowie in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.

Gegendemonstrationen waren am diesjährigen 13. Februar eigentlich nur jenseits der Elbe in der Altstadt erlaubt, in der Dresdner Neustadt waren sie nicht zugelassen. Dennoch versammelten sich Tausende dort, wo die Neonazis sich treffen wollten. Nach Angaben von Aktivisten hatten sich trotz Demonstrationsverbot an mindestens vier verschiedenen Orten um die 10.000 Menschen zusammengefunden, um den Neonazi-Aufmarsch zu blockieren. Polizei und Nachrichtenagenturen gaben sich zurückhaltender und sprachen von etwa 2.000 Blockierern, die den Aufrufen von linksgerichteten Organisationen und Bündnissen gefolgt waren.

Menschenkette in der Altstadt

In der Altstadt hatten sich Bürger aus verschiedenen politischen Richtungen versammelt. Erstmals sprach mit Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) eine hochrangige Vertreterin der Stadt zu Anti-Nazi-Demonstranten, und selbst Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) nahm an der Kundgebung teil. Später wurde eine Menschenkette als geschlossener Ring um die Altstadt gebildet, zu der sich erheblich mehr Teilnehmer fanden als erwartet. Zehntausend bildeten die Kette, hieß es von der Stadt; die Sächsische Zeitung berichtete sogar von 15.000.
Während dessen marschierten die Nazis in der Neustadt keinen Meter weit. Bis zum späteren Nachmittag waren es wohl an die 5.000, die der Monate langen Propaganda von rechtsextremen Parteien und Gruppen aller Schattierungen Folge geleistet hatten beziehungsweise zum Aufmarschort durchgekommen waren. Die Polizeidirektion Dresden bezifferte die Stand-Demonstrierer auf 6.400 Personen. Eigentlich war für diesen Tag bis zuletzt mit 8.000 Rechtsextremen gerechnet worden.

Die Blockaden der Nazigegner in der Neustadt hielten offenbar. Die Polizei hatte zunächst vereinzelt versucht, Sitzblockaden aufzulösen. Doch schon bald gestand Einsatzleiter Ludwig-Gerhard Danzl ein: „Die Polizei sieht sich außerstande, die Blockade zu räumen“. Nach Beendigung der Menschenkette in der Altstadt kamen noch viele von dort in die Neustadt und verstärkten die Blockaden. Zeitweilig schränkte die Polizei ohne ersichtlichen Grund die Arbeitsmöglichkeiten von Journalisten am Schlesischen Platz ein, mit der einzigen Erklärung: „Das ist jetzt eben mal so“.

Kein Marsch in der Neustadt

Den Neonazis blieb nichts Anderes, als vor dem Bahnhof Dresden-Neustadt zu verharren und dort eine Standkundgebung abzuhalten. Immer deutlicher zeichnete sich ab, dass sie keinen Meter ihrer vorgesehenen Demonstrationsroute laufen würden. Aber auch die Standkundgebung begann eigentlich nie so richtig, weil erheblich verspätet immer noch Demo-Teilnehmer eintrafen. Eine Gruppe von rund 100 Rechtsextremen beispielsweise erreichte den Versammlungsort quasi kurz vor Beendigung der Veranstaltung. Die bis dahin gehaltenen, fast endlos scheinenden Redebeiträge sowie die Sangesdarbietungen von Frank Rennicke waren ob der Akustik und zudem fast ständig über dem Platz kreisender Hubschrauber kaum weiter als bis zum inneren Rand des Schlesischen Platzes vernehmbar. Da ging es aber eigentlich auch schon nur noch darum, die rechte Menge ohne größere Zwischenfälle zurück zu ihren weiteren Abreisemöglichkeiten zu bringen.

Bereits früher am Nachmittag hatte offenbar eine Gruppe von Neonazis in der Neustadt das alternative Kulturzentrum Conni angegriffen; dabei soll es mehrere Verletzte gegeben haben. Auf rechtsextremen Internetseiten war vorab kaum verbrämt zur Gewalt gegen das Zentrum aufgerufen worden: „Kleiner Tipp an Dresdner: Das Conni liegt cirka 300 Meter rechts von der Hechtstraße, parallel in der Rudolf-Leonhard-Straße“, war durchgegeben worden.

Wurfgeschosse und Todes-Gerüchte

Gegen 16.30 Uhr wurden die Rechtsextremen auf dem Schlesischen Platz zunehmend aggressiver. Aus der Menge heraus flogen vereinzelt Wurfgeschosse und Böller in Richtung Polizei und Journalisten. Nach Angaben der Polizeidirektion Dresden erlitten dabei sechs Beamte leichte Verletzungen. Skandiert wurde unter anderem „Straße frei für deutsche Jugend“ und „Wir sind das Volk“. Es gab kurzzeitig einige Rangeleien der vorderen Reihen der Demo-Teilnehmer mit der Polizei. Über die Lautsprecher-Anlage wurde die Bundesrepublik Deutschland als „faschistisches System, wie es uns in der Schule gelehrt wurde“ tituliert, anwesende Polizeibeamte zum Wechseln auf die „richtige Seite“ aufgefordert. Das Absingen aller Strophen der deutschen Nationalhymne war eher kläglich. Die Lautsprecher-Verlautbarung der Demo-Leitung – mit dem gleichzeitigen Beschwichtigungsversuch „Bleibt ruhig!“ – es habe im Umfeld der Blockaden neben mehreren schwerverletzten Kameraden vielleicht „sogar durch die Polizei zu bestätigende zwei Tote“ gegeben, reihte sich nahtlos an.

Die Veranstalter des Nazi-Spektakels wollten eigentlich bis Mitternacht demonstrieren, doch die Veranstaltungsbehörde hatte den „Trauermarsch“ bis 17 Uhr begrenzt. Zu diesem Zeitpunkt erklärte die Polizei über Lautsprecher die Versammlung als beendet. Die Rechtsextremen aus ganz Deutschland und einigen anderen europäischen Ländern wurden aufgefordert, in Züge zu steigen. Laut Polizei bestand für die Rechtsextremen „zur eigenen Sicherheit“ die einzig mögliche Fortbewegungsmöglichkeit per Bahn nach Dresden-Kotzsche, wo ein Großteil der Busse zur weiteren Abfahrt bereit gestellt wurde. Erfahrungsgemäß war während der Abreisebewegungen der Rechtsextremen noch mit verschiedenen Spontan-Aktionen zu rechnen. Tatsächlich wurde am Abend beispielsweise noch berichtet, dass mehrere Hunderte Rechtsextreme durch Pirna gezogen seien und das dortige Bürgerbüro der SPD-Landtagsabgeordneten Dagmar Neukirch militant attackiert hätten.

Nicht weit vom Versammlungsort der Rechtsextremen hatten die meisten Blockierer auch auf dem Albertplatz ausgeharrt. Dort begann gegen 18 Uhr eine Abschlusskundgebung, mit der die erfolgreiche Verhinderung des Neonazi-Marsches gefeiert wurde.

Erstmals ist es 2010 gelungen, den jährlichen Marsch der Rechstextremen durch die sächsische Landeshauptstadt letztendlich so zu blockieren, dass er nicht einmal auch nur ansatzweise möglich wurde. Und erstmals seit Jahren hat die Zahl der sich zum 13. Februar in Dresden versammelnden rechtsextremen Demonstranten abgenommen.

© redok

4 Kommentare

  1. Natürlich ist es ein schöner Erfolg für die Anständigen in diesem Lande, dass die geplante Großdemo zu einem kleinen ‚Standkonzert‘ reduziert werden konnte.

    Nur, trägt dies keineswegs dazu bei, das rechte Übel wirksam zu bekämpfen. Im Gegenteil, der Hass auf die Gesellschaft nimmt bei dieser Gruppe nur weiter zu und entlädt sich das nächste Mal womöglich tödlich gegenüber wehrlosen Einzelpersonen, Angehörigen von Minderheiten oder Andersdenkenden.

    Die christlich-demokratische Landesregierung Sachsens, ebenso wie die christlich-demokratische Stadtverwaltung Dresdens, sie beide sind aufgerufen das Christliche in ihrem Parteinamen endlich ernst zu nehmen und effektiv neue Arbeitsplätze zu schaffen!

    Denn:

    Wer in Lohn und Brot steht, kommt nicht auf dumme Gedanken.
    Wer Arbeit hat, fügt sich leichter ins Leben der Gemeinschaft ein.
    Wer einem Job nachgeht, fühlt sich anerkannt und nützlich.

    Es ist ein Armutszeugnis, wenn die christlich-demokratische sächsische Regierung behauptet, sie hätte „genug“ getan, um neue Arbeitsplätze zu schaffen.
    Einen Pfeifendeckel hat sie getan.
    Für Prunk und Repräsentation ist Geld da im „unserm schönen Sachsen“, nicht so für den ‚Rand der Gesellschaft‘, den man sich selbst überlässt, mit allen seinen unschönen, dem deutschen Gesamtbild abträglichen, Begleiterscheinungen.

    CDUniks, spukt endlich in die Hände, verbessert die Bedingungen für Existenzgründer weiter (Man könnte noch wesentlich mehr tun! Nehmt Euch mal ein Beispiel an einigen westpolnischen Städten!), schafft, wenn’s nicht anders geht, auf Staatskosten (mit persönlichem Merkelzuschuss!) Werkstätten, Dienstleistungsunternehmen, Verkaufsstätten, Recyclinganlagen etc. – aber nehmt endlich die Leute von der Straße!

    Wenn Ihr weiterhin nur Alles aussitzen wollt, die Hände in den Schoß legt und unbeteiligt wegguckt, tragt Ihr Euer Attribut „christlich“ widerrechtlich. Dann solltet Ihr es lieber abgeben.

    Neonazis im Lande zu haben ist nicht nur eine Schande, es ist eine Verpflichtung. Eine Verpflichtung, Bedingungen zu schaffen, die die Existenz von Neonazis unmöglich macht.
    Unsere Geschichte zwingt uns zum Handeln. Wenn wir nur ein Fünkchen Ehrgefühl besitzen, müssen wir etwas ändern.

    RS

  2. hm, alo bei youtube kann man sehr wohl nazis demonstrieren sehen. ich war nicht in dresden, kann mir kein echtes urteil erlauben, aber dieser bericht scheint mir etwas euphorisch ausgefallen zu sein…

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