Oberrichter verbieten „Apartheid“ in Israel

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Die Autobahn 443 zwischen Tel Aviv und Jerusalem wird oft als sichtbarster Beweis für Israels „Apartheid-Politik“ herangezogen. Die Lebensader, täglich von 40.000 israelischen Fahrzeugen befahren, ist für Palästinenser gesperrt, obgleich sie auch das Gebiet der 1967 besetzten Westbank kreuzt. Als sie vor Ausbruch der Intifada im Herbst 2000 erweitert wurde, genehmigte das Oberste Gericht die Enteignung palästinensischen Privatlandes, mit der Begründung, die Autobahn werde auch die Verkehrslage für palästinensische Anwohner verbessern…

Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 30. Dezember 2009

Die Straße gibt es schon seit der britischen Mandatszeit vor der Gründung Israels, führte damals jedoch durch arabische Dörfer. In den achtziger Jahren, infolge des ersten palästinensischen Aufstandes, wurde ihre Trasse fern der Dörfer verlegt, um Autofahrer vor Steinwürfen zu schützen.

Jerusalem war lange mit dem Rest Israels nur über eine einzige Straße verbunden. Deshalb wurde beschlossen, die „Straße 443“ zu einer alternativen Autobahn auszubauen. Mit Ausbruch der zweiten Intifada im Herbst 2000 wurde die Benutzung der Autobahn für Palästinenser zunächst eingeschränkt und 2002, nachdem es zahlreiche tödliche Anschläge gegeben hatte, gänzlich verboten. Das Militär blockierte alle Zufahrten von palästinensischen Dörfern zu der Schnellstraße mit Betonklötzen. Über weite Strecken wurden Schallschutzmauern errichtet. Die dienten freilich nicht dazu, die Lebensqualität der arabischen Anwohner zu verbessern, sondern um die Autofahrer vor Schüssen zu schützen. Und wo keine Mauer errichtet wurde, steht ein hoher Zaun, um Palästinenser daran zu hindern, sich den Autofahrern zu nähern. Alle paar Kilometer wurden zudem hohe runde Wachtürme mit Kameras entlang der 14 Kilometer langen Strecke zwischen dem Ofer-Gefängnis bei Ramallah und der israelischen Reissbrettstadt Modiin aufgestellt. Auf dem Höhepunkt der Intifada um 2003 galt die Autobahn als eine lebensgefährliche Todesfalle, doch seit Einrichtung der Sicherheitsmaßnahmen ist die „443“ eine beliebte Alternative zur parallelen „Straße 1“, der kurvenreichen und meist verstopften alten Autobahn zwischen Tel Aviv und Jerusalem.

Wegen des symbolischen Werts dieser Autobahn hatten israelische Menschenrechtsorganisationen zusammen mit palästinensischen Anwohnern gegen die Sperrung der Schnellstraße für Palästinenser beim Obersten Gericht geklagt. Am Mittwoch Nachmittag fiel das Urteil zugunsten der Kläger. Zwei Richter erklärten Bewegungsfreiheit zu einem wichtigen Grundrecht, das nicht eingeschränkt werden dürfe. Die Militärs hätten keine Vollmacht, Palästinenser von der Autobahn auszusperren. Ein dritter Richter widersprach und erklärte als Minderheitsmeinung, dass das Recht auf Leben der höchste Wert sei. Laut Urteil wurde den Militärs eine Frist von fünf Monaten gegeben, geeignete Sicherheitsmaßnehmen zu finden, damit israelische Autofahrer nicht gefährdet werden, sowie die Schnellstraße wieder für Palästinenser freigegeben wird.

Das Urteil löste eine hitzige Diskussion in Israel aus und machte entsprechende Schlagzeilen. Menschenrechtsaktivisten begrüßten den höchstrichterlichen Beschluss, der die „verlorene Ehre Israels“ gerettet habe. Der Bürgermeister von Modiin bezeichnete des Urteil als „Wahnsinn“, weil sich Tausende Mitbürger erneut in Lebensgefahr begeben müssten, beim täglichen Pendeln zur Arbeit nach Jerusalem. Der Likudabgeordnete Jariv Levin aus Modiin klagte: „Das Urteil übergibt Mördern eine Feuerwaffe, nachdem schon viel jüdisches Blut auf dieser Autobahn geflossen ist.“ Der rechtsgerichtete Parlamentarier Uri Ariel will in der Knesset ein Gesetz vorschlagen, um das Urteil zu Fall zu bringen. „Es ist undenkbar, dass das Leben und die Sicherheit israelischer Bürger weniger wert ist als Bequemlichkeit für die Palästinenser.“ Er forderte vom Obersten Gericht, Straßen freizugeben, die wegen Lebensgefahr für Juden gesperrt wurden, weil sie durch arabische Dörfer führen.

Während die meisten Durchgangsstraßen im Westjordanland dank einer allgemeinen Beruhigung der Lage für israelische wie für palästinensische Fahrzeuge freigegeben worden sind, ist es weiterhin jüdischen Israelis strikt verboten, durch palästinensische Städte zu fahren; Fahrzeuge mit palästinensischem Nummernschild dürfen nicht die Straßensperren in Richtung israelisches Territorium passieren.

© Ulrich W. Sahm / haGalil.com