Demjanjuk in München: Absurdes Theater

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Für Avner Shalev, den Vorsitzenden der Jerusalemer Holocaustgedenkstätte Jad vaSchem,  ist es von großem moralischen Wert, die Mörder vor Gericht zu stellen. Auch wenn kein Prozess die Opfer wieder zum Leben erwecken kann, liegt die große Bedeutung des Prozesses darin, das internationale Bewusstsein für den Holocaust zu stärken. Man nennt den Demjanjuk-Prozess fälschlicherweise „den letzten Naziprozess“, muss sich aber im Klaren sein, dass dieser Tage weitere Prozesse gegen Naziverbrecher stattfinden und auch in Zukunft stattfinden werden…

Es laufen noch Tausende „Demjanjuks“ frei herum. Denn bisher hat sich Deutschland geweigert, ähnlich verdächtige, die, wie Demajuk, keine Deutschen sind, vor Gericht zu stellen. Somit ist der Demjanjuk-Prozess ein Präzedenzfall.

Ronen Dorfan (Israel haJom) sieht aber den hohen Preis, den dieser Prozess, den er als absurdes Theater bezeichnet, kosten könnte.

Wenn dieser Prozess im Sinne der Gerechtigkeit ein gutes Ergebnis bringen wird, wenn also bewiesen werden kann, dass John Demjanjuk Juden getötet hat und deshalb bis zum Endes seines Lebens im Gefängnis sitzen muss, wird dies keinem anständigen Menschen leid tun. Aber das „Holocaustverständnis“, das uns Juden noch immer sehr, sehr am Herzen liegt, zahlt einen hohen Preis für diese Gerechtigkeit.

Während ein beunruhigender Prozentsatz europäischer Schüler nicht genau weiß, wer Adolf Hitler war und erst recht keine technischen Einzelheiten über den Holocaust kennt, erscheint nun das Bild Demjanjuks auf den Titelseiten der europäischen Presse, mit der Überschrift: „Der Naziverbrecher“. Aus historischer Sicht waren Leute wie er für die Nazis jedoch Untermenschen, die bei der Vernichtung von Menschen halfen, die als noch minderwertiger galten.

Noch schlimmer ist, dass Millionen Europäer jetzt eine Schau mit dem Titel „Deutschland urteilt über die Holocaustverbrecher“ erhalten. Die Ukraine und Polen weigerten sich, Demjanjuk den Amerikanern abzunehmen, aus Gründen, die eine Kombination aus juristischen Formalitäten und der Befürchtung sind, ein solcher Prozess könne Antisemitismus hervorrufen. Deutschland, das Jahrzehntelang nichts gegen die Massen von SS-Leuten auf seinem Staatsgebiet unternommen hat, übernahm die Rolle des Hüters der Gerechtigkeit. Das, nachdem deutsche Gerichte Dutzende SS-Leute freigesprochen haben, die sich freiwillig gemeldet, die Methoden ausgearbeitet, in Gefangenenlagern antisemitische Kollaborateure angeheuert und sie auf die Juden gehetzt haben.

Deutschland hat auch in Sachen Demjanjuk nicht viel getan. Es handelt sich um ein Recycling des juristischen Verfahrens, das in Israel zusammengebrochen ist. Sollte er verurteilt werden, dann wegen der Aussagen einiger „Trawniki-Leute“, die lediglich sagen werden: „Wir alle waren an der Vernichtung beteiligt, und er war einer von uns“. Niemand weiß dabei genau, ob Demjanjuk schlimmer war als jene Zeugen oder umgekehrt, es ihn jedoch nach Cleveland verschlagen hat, während sie den versöhnlichen Schutz der Deutschen genießen konnten.

Vor fast 50 Jahren hätte der Mossad Adolf Eichmann töten können. Er wurde jedoch nach Israel gebracht, damit die israelische Staatsanwaltschaft einen Strafantrag gegen ihn aufsetzt, der einer umfassenden historischen Beschreibung der deutschen Vernichtungsmaschinerie gleichkommt, angefangen von der Planung, über die deutsche Umsetzung, bis hin zur Erschaffung eines Netzes von Kollaborateuren. Wer bei dem absurden Theater in München nun der Welt die Wahrheit über die Nazis erzählen wird, ist der deutsche Anwalt des Angeklagten.

5 Kommentare

  1. Hagalil hat den Blick nach Rechts. Alles ist gut, nur nicht die Rechten. Links kann es nicht weit genug gehen. Auf immer und ewig. Aber schon bei der jüdischen ACHSE DES GUTEN sieht es realistischer aus. Und da erfährt man auch Hintergrund, um sich ein besseres Bild zu machen, was ist wichtiger:

    So war der Angeklagte in der stalinistischen Sowjetunion Traktorfahrer und hat also die stalinistische Willkür gegenüber der ländlichen Bevölkerung miterlebt. Dann wurde er Soldat. An der Front hat er mitansehen müssen, wie die Soldaten der Roten Armee verheizt wurden. Als er gefangen genommen wurde, wusste er, dass seine Familie daheim verhaftet und in die Lager deportiert werden würde.
    Nach einem stalinistischen Gesetz war nicht nur der kriegsgefangene Soldat ein Verräter, sondern eben auch seine Familie. Er hat sich dann von den Nazis anwerben lassen und als Aufseher in Vernichtungslagern gearbeitet. Als „Iwan der Schreckliche“ soll er dort unzählige Gräueltaten begangen haben. Die Israelis haben ihn dafür zum Tode verurteilt, nach sieben Jahren Haft wegen Mangel an Beweisen freigelassen. Demjanjuk kehrte nach Amerika zurück. Was bleibt vom Leben, wenn die frühere Existenz von den beiden totalitären Diktaturen so vollständig zerrieben wurde?

    Aber hier immer nur Nazis jagen. Und die Mekkapilger werfen Atombomben. Das macht euch nichts. Hauptsache die Kasse stimmt oder was ist der Grund für eure Blödheit. Wacht endlich auf! Bald sind in Europa die Islamisten an der Macht. Oder habt ihr schon vorgesorgt?
    Lacht nur nicht zu früh!
     

  2. Oben steht:

    „Denn bisher hat sich Deutschland geweigert, ähnlich verdächtige, die, wie Demajuk, keine Deutschen sind, vor Gericht zu stellen.“

    Das ist eine nicht belegbare Unterstellung. Außerdem ist Demjanjuk Deutscher (s.u.).

    „Die Nürenberger henken keinen, es sei, sie hätten ihn denn“.

    Heißt: um jemanden zu verurteilen, muss man ihn zunächst haben. Zwar ergeht u.U. ein Urteil auch in Abwesenheit, ist aber sehr schwierig (ZeugInnen müssen befragt werden, Beweise müssen hieb- und stichfest sein, und dann muss, selbst wenn der vermutete Täter in Deutschland gefasst wird, die Identität bewiesen werden: s. Fall Demjanjuk).

    Soweit es sich um SS-lerInnen (Frauen gabs in der vom Nürnberger Kriegsverbrechertribunal mit Ausnahme der Reiterstaffeln zur Kriminellen Vereinigung erklärten Organisation auch) handelt, sind sie, gleich welcher Geburts-Nationalität, lt. gültigem Himmler-Erlass Deutsche und von der deutschen Justiz anklagbar, wenn ihnen ein ganz bestimmtes Verbrechen, das ist Mord, zur Last gelegt ist.

    Darum hat man sich allerdings bemüht, nur: solange solche Leute hinter dem Eisernen Vorhang saßen, war auf die Gerichtsbarkeit dort zu hoffen. Im Großen und Ganzen „erwischte“ es sehr viele, besonders in der DDR. Andererseits laufen in den Baltischen Staaten noch Angehörige (ebenfalls „Himmler-Deutsche“) jener Kriminellen Vereinigung herum, bei denen zu prüfen wäre, ob sie Alle gecheckt wurden in Bezug auf Mord-Verbrechen. Das müssten in Amtshilfe jene Staaten machen, der Schwarze Peter liegt also nicht bei Deutschland.

    Weiterhin steht zu lesen:

    „Deutschland, das Jahrzehntelang nichts gegen die Massen von SS-Leuten auf seinem Staatsgebiet unternommen hat, übernahm die Rolle des Hüters der Gerechtigkeit. Das, nachdem deutsche Gerichte Dutzende SS-Leute freigesprochen haben, die sich freiwillig gemeldet, die Methoden ausgearbeitet, in Gefangenenlagern antisemitische Kollaborateure angeheuert und sie auf die Juden gehetzt haben.“

    „nichts unternommen hat“? Wieder bleibt unbeachtet, dass es „Jahrzehntelang“ zwei Deutschland gab, und davor, nach dem Tag der Befreiung, noch längere Zeit EIN Deurtschland, das keine Justizgewalt hatte: die Alliierten gaben sich größte Mühe, die Hauptschuldigen und nebenher auch Andere zu fassen und abzuurteilen (ließen manche aber auch laufen, wie Wernher von Braun etwa).

    In der BRD verjährt Mord nicht. Alle anderen Verbrechen von „SS-Leuten“, so sie bisher nicht verhandelt wurden, können nicht mehr verfolgt werden. Also auch die Meisten der im Zitat Angesprochenen.

    Der Artikel ist IMO wenig zweckdienlich.

    ego

  3. Während ein beunruhigender Prozentsatz europäischer Schüler nicht genau weiß, wer Adolf Hitler war und…
     
    Wenn es nur die europäischen Schüler wären!
    Im eigenen Lande, in unserm schönen Deutschland, ist es um das diesbezügliche Wissen nicht viel besser bestellt.
     
    Kürzlich weilte ich einige Zeit in einer niedersächsischen Kleinstadt, nicht weit von der Landeshauptstadt Hannover entfernt, um Material für mein neues Buch zusammenzutragen. Zu meiner Unterstützung hatte die Archivleitung zwei erwachsene Mitartbeiter und drei Oberstufengymnasiasten bereitgestellt. Die Schüler konnten in dem Museum ein Praktikum ableisten.
    Als man vertrauter miteinander umging, konnte ich mir erlauben die Frage nach dem, was man unter dem Begriff „Holocaust“ versteht, zu stellen.
     
    Antwort: Schweigen, Schweigen, Schweigen.
     
    Ich erklärte also den Begriff Holocaust.
     
    Dann wagte ich die Frage nach Auschwitz. Zweimal Schweigen und einmal ein „Irgendwas Schlimmes mit Juden, oder so…?“
     
    Die Schülerin fügte noch entschuldigend hinzu, man habe im Geschichtsunterricht sehr ausführlich die „Punischen Kriege“ durchgenommen, aber die deutsche neuere Geschichte eindeutig vernachlässigt.
     
    Wenn dieses Beispiel einmalig gewesen wäre, würde ich es hier gewiss nicht aufführen. Aber bei uns in Niederbayern und in der bayerischen Landeshauptstadt München förderten meine Befragungen von Schülern und Gymnasiasten ein ganz entsprechendes Nicht- oder Sehr-wenig-wissen zu Tage.
     
    Es scheint geradezu, als hätten Geschichtslehrer auf breiter Front den Auftrag erhalten, die positiven Seiten der deutschen Geschichte ‚mehr in den Vordergrund‘ ihres Unterrichts zu rücken und die ‚armen‘ Schüler nicht über Gebühr mit den Lasten der Vergangenheit zu ‚quälen‘.
     
    Tatsache bleibt, es ist auch im gegenwärtigen Deutschland unpopulär die deutsche Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gut zu kennen, darüber zu diskutieren, oder gar zu referieren. Dies hat neben den vordergründigen Ursachen („unschön“, „Schande“ etc.) den weiteren und wahrscheinlichen Hauptgrund, dass die Beschäftigung mit den Wurzeln des deutschen Ãœbels früher oder später zur Sinnfrage des Christentums führen würde. Und ein breites Zweifeln an den christlichen Grundfesten unserer westlichen Kultur könnte sich negativ auf den missionarischen Auftrag des Westens („Demokratie“ und „Menschenrechte“ zu propagieren) auswirken.
     
    Daher auch kein großes Interesse an Demjanjuk und einem erneuten Wiederauflebenlassen seines Falles,  in der westlichen Welt bzw. bei dessen Verbündeten.
     
    RS

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