Herman Van Rompuy: Grau, aber beständig

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„Wunderlich, grau und ohne Charisma, ein katholischer Mystiker“. Das ist nicht die Beschreibung eines Touristen mit Jerusalem-Syndrom, sondern den Berichten europäischer Medien über Herman Van Rompuy entnommen, dem ersten Präsidenten der EU…

Gil Michaeli für Jedioth achronoth

Diese brutale Karikatur ist die Reaktion aller europäischer Medien darauf, dass der Mann, der schon ein Jahr als belgischer Premierminister fungiert, auf ihrem Radar erst wenige Tage vor seiner Wahl in das neue Amt erschienen ist. Die Tatsache, dass bis vor zwei Wochen nur wenige außerhalb Belgiens jemals von ihm gehört hatten, sagt jedoch weit mehr über die Interessenbereiche und Prioritäten der Medien und ihrer Kunden aus, als über die Persönlichkeit und Begabungen von Van Rompuy, der dafür zahlen muss, kein
Promi geworden zu sein.

Die Anonymität und der mangelnde Sex-Appeal des Mannes, der seine Sommerferien ohne Leibwächter auf einem Campingplatz verbracht hat, wird von einem entscheidenden Vorteil ausgeglichen: Van Rompuy ist Belgier, und in der ganzen Welt gibt es keinen politischen Rahmen, der dem vereinten Europa mehr gleicht als Belgien.
Belgien ist das erste Land in Westeuropa, das nach dem 2. Weltkrieg aufhörte, ein Nationalstaat zu sein, und dessen normaler Zustand es seitdem ist, kurz vor einer Auflösung zu stehen.

Der nationale Auflösungsprozess Belgiens wurde von energischer europäischer Politik begleitet. Dieses kleine Land, einer der sechs Gründer der EG, erhielt später einen zentralen Platz in der EU, da die Notwendigkeit, ein Gleichgewicht zwischen Deutschland und Frankreich zu bewahren, Brüssel zu der perfekten Adresse für die europäischen Institutionen machte, wie auch für das Hauptquartier der NATO.

Dank seiner Geschichte und seiner politischen Struktur ist Belgien mehr als das Herz des vereinten Europas. Es ist eine „Mini-EU“. Die lange und reiche politische Karriere des Flamen Rompuy vollzog sich in den föderalen Korridoren Belgiens, die den belgischen Staat trotz der schweren Spannungen zusammenhalten. Im Rahmen seiner zahlreichen Ämter in der christlich-demokratischen Partei, im Parlament und in verschiedenen Regierungen, lernte der neue EU-Präsident, wie man einen Staat führt, dessen Bürger keinen Respekt vor seiner Hymne haben.

Was Europa betrifft, so kann man über Brüssel sagen, was Lisa Minnelli in ihrem Lied über New York singt: „If you can make it there, you’ll make it everywhere“. Van Rompuy muss sich natürlich in seinem neuen und sehr komplizierten Amt beweisen, die belgische Prüfung hat er jedoch bereits bestanden.

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