So ganz spontan? Ein eigener palästinensischer Staat…

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Die Zweistaatenlösung gilt heute als Zauberwort zur Lösung aller anstehenden Probleme in Nahost. Die Israelis wollen die Palästinenser abstoßen. Die Palästinenser wollen die israelischen Besatzer abschütteln. Die Amerikaner, Europäer und die Araber glauben daran, dass den Palästinensern völlige Unabhängigkeit im Rahmen des „Selbstbestimmungsrecht“ der Völker zustehe…

Die derzeit kursierende Idee einer palästinensischen Staatsverkündung klingt bestechend. Auf einen Schlag würde Frieden einkehren. Aber so einfach ist das leider nicht.

Ein Kommentar von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 16. November 2009

Eine einseitige Staatsverkündung käme einem Bruch aller bestehenden Verträge mit Israel gleich. Die heutige Autonomiebehörde mitsamt Präsident und Parlament ist letztlich nur eine Selbstverwaltung von Israels Gnaden. Die Osloer Verträge garantieren den Palästinensern eine festgelegte Lieferung von Strom und Wasser, Reisen ins Ausland über die von Israel kontrollierten Außengrenzen, Export von Waren und Überweisung von Zöllen und Mehrwertsteuer bei Importen durch israelische Häfen. Noch ist der Schekel die offizielle Währung in der Autonomie und sogar in dem von der Hamas beherrschten Gazastreifen. Es wäre lächerlich zu glauben, dass Israel 300.000 Siedler abziehen und Ostjerusalem mitsamt Klagemauer und anderen Heiligen Stätten räumen würde, nur weil die Palästinenser einen Rückzug Israels hinter die alte Waffenstillstandslinie zwischen Israel und Jordanien von 1949 fordern.

Eine einseitige Staatsausrufung ohne vertragliche Abstimmung könnte katastrophale Folgen haben. Israel könnte die Autonomie auflösen und müsste erneut die palästinensischen Städte verwalten. Sowie sich „Palästina“ zum Staat erklärt, käme eine einzige Rakete aus dem Gazastreifen einer Kriegserklärung gleich. Hinzu kommt, dass EU und USA intensiv bemüht sind, überhaupt erst die Voraussetzungen für einen Staat zu schaffen, nämlich den Aufbau ziviler Institutionen, ohne die ein Staat gar nicht funktioniert. Ein eigener Staat bringt nicht nur Rechte mit sich, sondern auch Verpflichtungen.

© Ulrich W. Sahm, haGalil.com 2009

9 Kommentare

  1. ‚Dreißig Jahre später sagte der israelische Stabschef Mordechai Gur: Seit 1948 „kämpfen wir gegen eine Bevölkerung, die in Dörfern und Städten lebt“. Der prominenteste israelische Militäranalyst, Zeev Schiff, fasste Gurs Aussagen so zusammen: „Die Israelische Armee hat stets zivile Populationen angegriffen, absichtlich und bewusst… die Armee, sagte er (Gur), hat nie zwischen zivilen (und militärischen) Zielen unterschieden, (sondern) zivile Ziele bewusst angegriffen“. Die Begründung lieferte einst der distinguierte Staatsmann Abba Eban: „Es bestand eine vernünftige Aussicht, die sich letztlich auch erfüllt hat, dass eine angegriffene Bevölkerung Druck ausüben wird, damit die Feindseligkeiten enden“, mit dem Effekt – das erkannte Eban sehr wohl –, dass Israel seine Programme der illegalen Expansion und harschen Repression würde ungestört umsetzen können. Eban kommentierte eine Erörterung des ehemaligen Premierministers Menachem Begin über die Angriffspolitik von Regierungen der israelischen Arbeitspartei gegenüber Zivilisten. Begin habe das Bild „eines Israel“ präsentiert, so Eban, „das zivile Bevölkerungen willkürlich und in jedem nur denkbaren Ausmaß dem Tod und der Angst preisgibt und dies in einer Stimmung, die an Regime erinnert, die weder Mr. Begin noch ich wagen würde, zu benennen“. Eban bestritt keineswegs die von Begin erörterten Fakten. Er kritisierte Begin, weil dieser sie veröffentlichte. Auch scherte es weder Eban noch seine Bewunderer, dass auch Ebans Eintreten für einen massiven Staatsterrorismus an Regime erinnerte, die er nicht gewagt hätte, zu benennen.

    Ebans Rechtfertigung von Staatsterrorismus klingt in den Ohren respektierter Autoritäten überzeugend. Während die jüngste amerikanisch-israelische Attacke wütete, erläuterte der Kolumnist der New York Times, Thomas Friedman, Israels Taktik – sowohl bei der aktuellen Attacke als auch bei der Libanoninvasion 2006. Sie basiere auf dem gesunden Prinzip, „zu versuchen, die Hamas ‚zu belehren‘, indem man den Militanten der Hamas hohe Verluste zufügt und der Bevölkerung Gazas große Schmerzen“. In pragmatischer Hinsicht ergab das eine Sinn – auch im Libanon, wo „die einzige langfristige Möglichlichkeit der Abschreckung“, so Friedman, „darin bestand, den Zivilisten – den Familien und Arbeitgebern der Militanten – ausreichend Schmerzen zuzufügen, um die Hisbollah künftig abzuschrecken“. Es ist dieselbe Logik, mit der Ossama bin Laden versuchte, die Amerikaner am 11. September ‚zu belehren‘. Wirklich, eine äußerst „lobenswerte“ Logik – siehe die Nazi-Angriffe auf Lidice und Oradour, Putins Zerstörung von Grosny und andere Versuche der „Belehrung“.‘ Noam Chomsky

    http://zmag.de/artikel/gaza-2009-1

    Auch ein Staat kann sich kriminell verhalten – Staatlichkeit alleine ist kein Schutzschild und kein Freibrief für die Loslösung von jeglichen moralischen Standards und sollte nicht auch noch belohnt werden.

    Diese Logik führt dazu, dass alles was Israelis tun, angeblich rechtens sein soll (was einfach Unsinn ist) und jeder Widerstand der palsätinensischen Bevölkerung Terrorismus und nicht Widerstand genannt wird. Kein Wunder, dass Israel alles daran setzt einen palsästinensischen Staat zu verhindern.

  2. ‘Lasst sie ihren eigenen Staat ausrufen. Die halten es da eh nicht lange aus, Raketen werden wieder Richtung Isreal fliegen. Israel kann offiziel den Krieg erklären, damit wäre das PA-Problem ein für alle Mal gelöst. Aus. Ende. Viva Israel.’

    ‚Das kürzlich veröffentliche Tagebuch von Moshe Sharett (Yoman Ishi, Tel Aviv, 1979) trägt einen wesentlichen Teil zur Entmystifizierung von Israels Sicherheitsmythos und Israels Sicherheitspolitik bei. Zwischen 1933 und 1948 leitete Moshe Sharett die Auslandsbeziehungen der zionistischen Bewegung. Er war Leiter der politischen Abteilung der Jewish Agency und Außenminister Israels von 1948 bis 1956. 1954 und 1955 war er sogar Premierminister.

    Der Gebrauch von Terror und Gewalt mit dem Ziel, arabische Gegengewalt zu erzeugen, die dann als die arabische Bedrohung für die Existenz Israels hingestellt wurde, wurde von der damaligen „Nummer 2“ des zionistischen Staates folgendermaßen erklärt:

    „Ich habe lange nachgedacht über die vielen künstlichen Aktionen und Gewalttaten, die wir uns ausgedacht haben und über die vielen Zusammenstöße, die wir provoziert haben und die uns so viel Blut gekostet haben, und über die Verletzungen von Recht und Gesetz durch unsere Leute, all das hat zu schwerwiegenden Katastrophen geführt, hat den gesamten Lauf der Ereignisse bestimmt und zu unserer Sicherheitskrise beigetragen.“

    Eine Woche vorher erklärte Moshe Dayan, damals Stabschef, warum Israel jegliche Grenzsicherungen, die von den benachbarten arabischen Staaten oder von der UNO vorgeschlagen wurden, wie auch Vorschläge der USA hinsichtlich formeller Sicherheitsgarantien, ablehnen mußte. Solche Garantien, so sagte er voraus, könnten „die Hände Israels binden.“ Vermutlich wären damit all die Angriffe und Einmärsche in das Gebiet jenseits der Waffenstillstandlinie, die in den 50er Jahren unter dem euphemistischen Namen Wiedergewinnungsmaßnahmen getätigt wurden, nicht mehr zu rechtfertigen gewesen oder gar unmöglich gemacht worden. Diese Maßnahmen, so Dayan,

    „sind unsere zentrale Blutbahn. Sie …helfen uns dabei, innerhalb unserer Bevölkerung und unserer Armee eine Spannung zu erhalten, damit wir immer junge Männer zu unserer Verfügung haben, die bereit sind, in den Negev zu gehen, wenn wir schreien, dass der Negev in Gefahr ist.“ (26. Mai 1955) ‚

    Auszüge der Rockhach Studie

  3. ‚Lasst sie ihren eigenen Staat ausrufen. Die halten es da eh nicht lange aus, Raketen werden wieder Richtung Isreal fliegen. Israel kann offiziel den Krieg erklären, damit wäre das PA-Problem ein für alle Mal gelöst. Aus. Ende. Viva Israel.‘

    Ja das ist ja so ziemlich die Taktik, die Israel tatsächlich unausgesprochen anwendet, seit zig Jahren.

    Man lässt den Siedlern, den IDF-Soldaten ‚freie Hand‘, belästigt sie nicht mit Fragen der Menschenrechte und des Völkerrechts, sperrt möglichst Journalisten etc. aus, damit sie nicht mitkriegen, schaut zu, wenn Siedler Palästinenser malträtieren, die keinerlei Schutz genießen und wenn sie sich wehren, dann schlagen die Israelis zu und so gehts immer weiter – zwischendurch hält man schöne Reden von einer angeblich anvisierten ‚Zwei-Staatenlösung‘ etc. und tut gleichzeitig alles, damit sie niemals Realität wird und weil bei so einem Verhalten der Widerstand nicht auf sich warten lässt, kriegt man wieder einmal Gelegenheit seine dicken Militärarsenale zu verballern.

    ‚ Bei einem Treffen mit hochrangigen israelischen Armeeoffizieren im Mai 2001, kurz nach Ariel Scharons Wahlsieg, ließ Mofas militärische Anstandsregeln außen vor und verlangte, dass „jeden Tag in jedem Sektor zehn Palästinenser getötet“ würden. Wie die beiden erfahrenen Journalisten Ofer Schelah und Raviv Drucker in ihrem Buch beschreiben (Boomerang, Hebräisch, Jerusalem, 2005), wurde dem General des Zentralkommandos Yitzhak Eitan, der verantwortlich war für das Westjordanland, von einem seiner Offiziere zugeflüstert, dass er gut daran täte, einen schriftlichen Befehl diesbezüglich auszustellen.

    Am nächsten Tag wurden die Anweisungen des Stabschefs von einem anderen Offizier ausgeführt. Er erteilte seinen Soldaten den Befehl, palästinensische Polizeibeamte anzugreifen, die zu diesem Zeitpunkt an keinerlei feindlichen Aktivitäten beteiligt waren. Ein Polizist wurde getötet und mehrere verwundet. Als man den Offizier fragte, ob er den Verstand verloren habe, sagte er, „das hat der Stabschef doch verlangt“.

    Frankfurter Rundschau 16.3.10 Akivar Eldar

    … „Unsere Väter haben die Grenzen erreicht, die im Teilungsplan von 1947 anerkannt wurden. Unsere Generation erreichte die Grenze von 1949. Aber die Sechs Tage Generation war in der Lage, Suez, den Jordan und die Golanhöhen in Syrien zu erreichen. … Dies ist nicht das Ende; denn nach den augenblicklichen Waffenstillstandslinien wird es neue Linien geben. Aber diese werden über den Jordan hinausreichen, vielleicht in den Libanon, vielleicht nach Zentralasien…“ (Moshe Dayan, Times 25.6.1969)

    „Die These, dass die Gefahr des Genozids im Juni 1967 über uns gehangen habe und Israel für sein physisches Überleben gekämpft habe, ist reiner Bluff. Sie wurde erst nach dem Krieg erfunden.

    Israeli General Matityahu Peled, Ha’aretz, 19 March 1972.

  4. ‚Hinzu kommt, dass EU und USA intensiv bemüht sind, überhaupt erst die Voraussetzungen für einen Staat zu schaffen‘

    und hinzu kommt, dass Israel seit über vierzig Jahren bemüht ist, den selbigen zu verhindern und das auch weiterhin zu tun gedenkt.

    ‚Die Situation in Gaza zeigt, wie man sich einen Palästinenserstaat vorstellen darf‘

    Ein von Israel kontrolliertes Freiluftgefängnis.

    Die Menschen in den besetzten Gebieten haben alles Recht der Welt frei von israelischer Herrschaft zu leben.

    Israel reicht nur bis zur Grünen Linie und da dürfen die Israelis auch machen was sie wollen, dass sie es auch jenseits der Grünen Linie macht und sich nach und nach mehr und mehr palästinensisches Land und Ressourcen unter den Nagel reißt und niemand sie aufhält, macht diese Politik noch lange nicht rechtens.

    Hierüber besteht international und lt. internationaler Rechtsgutachten Konsens. So lange das nicht aufhört, ist Widerstand der palsätinensischen Bevölkerung durchaus nicht notwendigerweise gleichzusetzen mit Terrorismus.

  5. Mal gaaaanz davon abgesehen, daß es schon langelange einen palästinensischen Staat gibt (Jordanien…)  -  soll der zu proklamierende Staat nur aus Samaria, Judäa und Ostjerusalem (!)  bestehen, oder wird er auch den Gazastreifen enthalten!? Neben den von Herrn Sahm geschilderten Problemen stelle ich mir die Zusammenarbeit von Fatah und Hamas als überaus förderlich für den Aufbau staatlicher Strukturen vor…

  6. Lasst sie ihren eigenen Staat ausrufen. Die halten es da eh nicht lange aus, Raketen werden wieder Richtung Isreal fliegen. Israel kann offiziel den Krieg erklären, damit wäre das PA-Problem ein für alle Mal gelöst. Aus. Ende. Viva Israel.
    „Das ewige Scheitern der Araber in der Westbank sollte aufhören die Weltöffentlichkeit zu beschäftigen. Es gibt andere Probleme! “ sehe ich genauso.

  7. Sahm reiht sich hier nahtlos ein in die Phalanx derjenigen, die zwar immer ganz genau wissen was sie nicht wollen und was sie für unmöglich und für undenkbar halten, die aber gleichwohl niemals den Mut finden, das zu sagen, was sie statt dessen für praktikabel, machbar und erstrebenswert halten.

    Eine Zwei-Staatenlösung hält er also für ausgeschlossen, die 500.000 jüdischen Siedler kann Israel nicht mehr zurückholen ohne Bürgerkrieg. Da ist ja auch was dran. Aber heisst das jetzt, dass er statt dessen die binationale Ein-Staatenlösung favorisiert und für plausibel und wahrscheinlich hält? Wohl kaum, denn das würde den „jüdischen Charakter“ seines heiss geliebten Israel doch etwas eintrüben.

    Also, welche Alternativen ergeben sich für Sahm denn jetzt aus der (von ihm angenommenen) Unmöglichkeit einer Zwei-Staatenlösung – Vielleicht die ewige Fortsetzung der jetzigen Politik der Besatzung und Besiedelung und Enteignung und Unterdrückung? Oder etwa eine Politik der Vertreibung, ethnische Säuberung  bzw. „Transfer“ genannt in Neu-Israelisch? Oder ein konstitutionelles System der Apartheid? Oder das Eingreifen eines Gottes? Oder am Ende doch nur einen gewaltigen Krieg der dann so oder so eine Endlösung des ganzen Konfliktes bringt?

    Aber Sahm würde sich da, wie die meisten in Israel, wohl eher die Zunge abbeissen, bevor er auch nur ein einziges Wort verliert über die logischen und unausweichlichen Konsequenzen der israelischen Kolonisierungspolitik.
    Und das ist ja das eigentlich Faszinierende an Israel: Kein Staat auf der Welt macht sich so viele Sorgen um seine zukünftige Existenz wie Israel, und gleichzeitig betreibt kein Staat auf der Welt so wenig langfristig voraussehende Planung seiner zukünftigen Existenz wie Israel.

  8. Zuvorderst müssten die sog. Palästinenser die ideellen Voraussetzungen für einen Staat schaffen. Was erwarten sie von sich selbst? Was sind ihre Vorstellungen für den eigenen Staat? 
    Die Situation in Gaza zeigt, wie man sich einen Palästinenserstaat vorstellen darf.
    Es wäre mit Sicherheit besser die Trennung des ursprünglichen „Palästina“ zu akzeptieren und Jordanien endlich als das zu bezeichnen was es eigentlich ist – der ‚palästinensische Staat‘. Damit sollte man die platte Forderung nach einem weiteren ‚Palästina‘ zurückweisen. Es scheint ohnehin niemanden zu interessieren, was nach einer möglichen Staatsgründung passiert: Es ginge alles so weiter wie bisher.
    Das ewige Scheitern der Araber in der Westbank sollte aufhören die Weltöffentlichkeit zu beschäftigen. Es gibt andere Probleme!

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