Sag einfach „ne“

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Keine andere Gegend in Europa ist dermaßen militarisiert wie Zypern, und doch scheint alle Welt ausgerechnet hier heiraten zu wollen – aus sehr unterschiedlichen, oft ganz pragmatischen Gründen…

Von Ivo Bozic
Jungle World 42 v. 15. Oktober 2009

DruckenDiese Geschichte müsste eigentlich in Tel Aviv beginnen. Oder in Beirut. Aus diesen beiden Städten kommen Jahr für Jahr über 3 000 Heiratswillige, um in Zypern eine Ehe einzugehen. So wie Jonathan und Yehudit aus Tel Aviv, die sich heute hier in Larnaka eingefunden haben. Eine religiöse Hochzeit sei für die beiden nicht in Frage gekommen, erzählt Jonathan. In Israel gibt es, wenn man heiraten möchte, nur die religiöse Variante, bei der die Prozedur von einem orthodoxen Rabbi vollzogen wird. Wenn man aber eine Zivilehe eingehen möchte, oder wenn ein Paar heiraten will, bei dem einer der Beteiligten nicht jüdisch ist und auch nicht mühsam konvertieren möchte, dann muss man sich den Trauschein eben in einem anderen Land ausstellen lassen. Tschechien, genauer Prag, ist dafür ein beliebtes Reiseziel, noch günstiger sind Bulgarien und Serbien; Zypern hat einen anderen Vorteil: weniger, dass es als »Insel der Liebe« gilt, weil an deren Küste Aphrodite aus dem Meerschaum geboren worden sein soll, sondern dass es quasi vor der Haus­tür liegt. 40 Flugminuten von Tel Aviv. Attraktiv aber ist Zypern auch für junge Leute aus dem ­Libanon, dort ist es ebenfalls nicht möglich, eine Zivilehe abzuschließen.

Zypern ist so zum Heiratseldorado für Israelis und Libanesen geworden, und man verdient auf der Insel inzwischen viel Geld mit dieser Form des Tourismus. Auch mit anderen Hochzeiten. Zwar dient Aphrodite eigentlich nur sehr schlecht als Sinnbild für ewige Liebe und den Ehebund, wurde die Liebesgöttin doch der Mythologie zufolge gegen ihren Willen verheiratet und war zudem alles andere als treu. Dennoch ist die Göttin sehr wichtig für die Tourismuswerbung. Vor allem wenn es darum geht, andere Europäer für eine romantische Liebesheirat inklusive Honeymoon im Mittelmeer zu ködern.

Und dann sind da auch noch jede Menge Frauen und Männer aus Nicht-EU-Ländern, die sich durch eine gekaufte »Scheinehe« einen EU-Pass ergattern. Wie viele das sind, ist unbekannt, aber angeblich sollen ganze Dörfer in Zypern davon leben, solche Hochzeiten zu arrangieren. Das wird – wohl dank reger Inselkorruption – meist geduldet, manchmal aber auch geahndet: Anfang September wurden ein 24jähriger indischer Mann und eine 19jährige bulgarische Frau zu jeweils acht Tagen Haft verurteilt. Im Juli 2008 hatten die beiden geheiratet. Dann machte die Immigrationsbehörde eine Kontrolle. Der Mann sagte bei der Befragung aus, 6 500 Euro an eine Standesbeamtin aus Nikosia gezahlt zu haben, damit sie ihm eine Frau mit EU-Staatsangehörigkeit beschaffte. Die Bulgarin wiederum gab an, 3 000 Euro von der Beamtin erhalten zu haben, damit sie den Inder heiratete. Wo der Rest des Geldes geblieben ist, kann man sich denken. Über den Verbleib der untergetauchten Standesbeamtin hingegen ist nichts bekannt.

Man kann also sagen, es wird verdammt viel geheiratet auf Zypern. So oder so. Fast kann man von einer »Heiratsindustrie« sprechen. Bei den Zivilehen, die Israelis und Libanesen in Zypern schließen, geht selbstverständlich alles mit rechten Dingen zu. Ums Geld geht es dabei aber auch. Zahlreiche Reisebüros in Zypern, aber auch in Israel haben sich auf Hochzeitsreisen spezialisiert. Für etwa 400 bis 500 Euro pro Person gibt es all inclusive: Flug, Hotel, Heirat und Apostille (siehe oben). Man wird direkt vom Flughafen abgeholt und je nach Angebot zuerst ins Hotel oder auch gleich zum Standesamt chauffiert. Durch ein Eilverfahren, das auf der Grundlage eines 2003 erlassenen Heiratsgesetzes sehr unkompliziert ist, kann man noch am Abend als verheiratetes Paar im Hotel einchecken.

Auch Jonathan und Yehudit haben ein »Komplettpaket« gebucht. Gestern sind sie angekommen, eine Nacht haben sie in einem Hotel in Lar­naka verbracht. Die Zeremonie an diesem Vormittag hat nicht lange gedauert und fand im Civil Marriage Office statt, einem kleinen Gebäude, eine Straßenecke hinter dem Rathaus, das die Gemeinde angemietet hat, wohl weil das Rathaus mit seiner Lage direkt über dem Ken­tucky Fried Chicken zu sehr an Fastfood-Hochzeiten denken ließ. In dem neuen »Office« sieht es aus wie in einem kleinen Museum, es gibt auch ein paar Glasvitrinen mit »antiken« Hochzeitsutensilien. Alles ist in gedeckten Brauntönen gehalten, ein kitschiges Bouquet aus rosa Rosen liegt auf dem glänzenden Holztisch, der enorme Vorhang an der Wand erinnert eher an ein Theater als an ein Büro. Und der Standesbeamte wirkt mehr wie ein Zeremonienmeister als wie ein Stadtrat, der am Fließband den Kommunalhaushalt aufbessert, obwohl er natürlich genau das ist.

Begleitet wird das Paar von den Eltern und einem Freund des Bräutigams, der Freund ist der Trauzeuge. Die drei Begleiter fliegen schon heute wieder zurück nach Tel Aviv, Jonathan und Yehudit aber beginnen morgen ihre Flitterwochen in Italien. »Wir mochten die Idee, in einer Urlaubs­atmosphäre zu heiraten«, erklärt der 30jährige Programmierer einen weiteren Grund für die Hochzeit in Zypern.

So wie den beiden geht es vielen israelischen wedding jetters. »Heute haben wir insgesamt fünf Hochzeiten, drei israelische und zwei libanesische«, sagt Takis Vovides. Er ist Larnakas »Marriage Officer«, und das schon seit 1997, wie er stolz erzählt. Er bindet sich extra noch einmal seine Krawatte und legt seine Goldkette um den Hals, als er für das Foto posiert. 700 bis 800 Hochzeiten finden in Larnaka jährlich statt, sagt Vovides. 80 Prozent davon zwischen Israelis. Es kommen aber auch Paare aus dem Libanon, aus Europa, aus arabischen Ländern, sogar aus Dubai, und er habe auch schon einmal Kunden aus der Mongolei gehabt, erzählt Takis Vovides. Für ihn ist das Verheiraten offenbar eine echte Leidenschaft, er führt spontan noch einmal seinen Part der Zeremonie auf, mit einem langen Vortrag darüber, was denn die Liebe sei (»Love is … «). Es ist die extended version eines billigen Poesiealbumspruchs. Fast kann er ihn auswendig, nur ab und zu muss er in sein Notizbuch blicken. Er selbst ist seit 1965 verheiratet, hat einen Sohn, zwei Töchter und sechs Enkel.

Aber das Heiraten ist für den 1974 aus Famagusta vor den türkischen Truppen geflohenen Vovides bzw. seinen Arbeitgeber, die Stadtverwaltung, auch ein Geschäft – vor allem das. 281,80 Euro kostet eine Schnellheirat. Wer es nicht so eilig hat, kann es auch für 128 Euro haben. Der Gemeinde Larnaka bringt das pro Jahr 200 000 bis 220 000 Euro. Zwischen verschiedenen Gemeinden Zyperns ist ein richtiger Wettbewerb um die Hochzeitstouristen im Gange.

Vor allem Larnaka und der Vorort Aradippou werben um die Israelis und Libanesen, sie haben sich auf »Day-trip-wedding« spezialisert. Die romantischere Variante wird in Limassol, dem Ferienort Agia Napa und vor allem in Paphos, dem mythologischen Geburtsort der Aphrodite, geboten. Da gibt es auf Wunsch die Hochzeit auch ganz pompös, zum Beispiel mit Kutsche oder einer Tour auf der Yacht.

Oft wird bemängelt, dass in Israel keine standesamtliche Eheschließung vorgesehen ist – vor allem in Israel selbst wird das seit Anbeginn kritisiert –, doch wird dabei gern übersehen, was das eigentliche Problem ist: Sofern man sich für eine Heirat aus religiösen oder romantischen Erwägungen entschließt, bedarf es ja keiner standesamtlichen Trauung. Wenn es aber um finanzielle, steuer- oder erbrechtliche Fragen, um Aufenthaltstitel bzw. das Adoptionsrecht geht, müsste doch vielmehr die Frage gestellt werden, weshalb unverheirateten Paaren abgesprochen wird, dieselben Rechte zu haben wie verheirateten. Und was die Gleichstellung unverheirateter Lebensgemeinschaften, auch homosexueller, angeht, ist Israel in vielerlei Hinsicht weiter als viele säkularere Staaten in Europa.

Dennoch kommen aus Israel immer mehr Heiratswillige nach Zypern, darunter mehr und mehr russische Immigranten. Viele der Russen, die in den vergangenen Jahren nach Israel gezogen sind, haben von dem »Rückkehrrecht« Gebrauch gemacht, welches es allen Juden auf der Welt, die nach den Nürnberger Rassegesetzen als Juden angesehen würden, erlaubt, die israelische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Wer jüdisch genug ist, um von Nazis vergast zu werden, so der Hintergrund dieses Gesetzes, ist auch jüdisch genug, um im jüdischen Staat Schutz vor Antisemitismus zu finden. Jüdisch genug, um von einem orthodoxen Rabbi getraut zu werden, ist man damit noch nicht unbedingt. Bei vielen der russischen Einwanderer ist nur der Großvater Jude, nach jüdischem Recht aber muss es die Mutter sein. Und da in Israel immer mehr Bürger aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion leben, inzwischen fast anderthalb Millionen, das sind 20 Prozent der Bevölkerung, ist ein wachsender Teil der Israelis unverheiratet. Zugleich steigt auch die Nachfrage nach Trau­ungen im Ausland. Gut für Zypern, dass die Beziehungen zu Russland traditionell gut sind. Schlecht wäre es für die Zyprer hingegen, wenn in Israel eines Tages doch die Zivilehe eingeführt würde, wovon angesichts des wachsenden russischen Einflusses auszugehen ist.

Doch es gibt ja auch andere Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Wie der Fall der Aphrodite zeigt, verläuft nicht jede Ehe harmonisch und ungetrübt und endet erst mit dem Tod, so wie man es sich in einer Kirche, Synagoge, Moschee oder auf dem Standesamt feierlich versprochen hat. Nicht selten endet sie vorher, und dann werden weder Kutscher noch Musiker und Fotografen gebraucht, sondern Anwälte. Noch hat Zypern den Wink nicht verstanden, aber hier entsteht der nächste Wirtschaftszweig: die Scheidungsindustrie. Es ist wie mit dem Automobil­markt. Je mehr Neuwagen verkauft werden, desto mehr werden verschrottet. Wer weiß, vielleicht würde Herr Vovides auch aus einer Scheidung eine kleine Zeremonie machen. Warum auch nicht? Ihm jedenfalls wäre es zuzutrauen.

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