Masel tov Hakoah Wien! Ein jüdischer Sportverein wird 100 Jahre alt

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„Die Hakoah ist Meister“, titelte das Wiener Illustrierte Sportblatt am 20. Juni 1925. „Die Hakoah hat damit ihren bespiellosen Aufstieg gekrönt.“ Der in Wien 1909 gegründete S. C. Hakoah trat noch im selben Jahr mit seiner Fußballsektion dem Österreichischen Fußball Verband bei…

Von Jim G. Tobias

Schon in der Saison 1910/11 stürmte das jüdische Team, ohne ein einzige Partie zu verlieren, an die Tabellenspitze und schaffte binnen zwei Jahren den Aufstieg in die 2. Liga. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurden viele Hakoah-Kicker zu den Waffen gerufen und mussten das Trikot gegen den Soldatenrock tauschen; zeitweise ruhte der Ligabetrieb. „Und kaum war der Krieg aus“, schreibt der langjährige Klubpräsident Ignaz H. Körner in seinen Erinnerungen, „da kamen sie alle bis auf die vielen, die auf den Schlachtfeldern zurück geblieben waren, nahmen den Kampf um die Meisterschaft“ erneut auf und belegten zum Abschluss der Zweitliga-Spielzeit 1818/19 den vierten Tabellenplatz. Der Aufstieg ins österreichische Fußballoberhaus wurde ein Jahr später realisiert, und nach nur fünf weiteren Spielzeiten eroberte die Hakoah den ersten Platz.

Erstmals errang eine rein jüdische Elf die nationale Meisterschaft in dieser populären Sportart. Die Nachricht über das fußballerische Wunderteam verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Obwohl der Verein „eigentlich in der allerersten Zeit ein Fußballklub“ war, betrachtete sich die Hakoah als eine Gemeinschaft zur Förderung der Leibeserziehung. Dies war die jüdische Antwort auf die völkischen Bewegungen im Europa des ausgehenden 19. Jahrhunderts und des damit einhergehenden Entstehens des politischen Antisemitismus. Obwohl den Juden wichtige Volkszugehörigkeitsmerkmale wie gemeinsame Sprache und Territorium fehlten, entwickelte sich mit dem Zionismus eine nationale jüdische Bewegung. Die Theoretiker dieser Idee stellten dabei das Wunschbild eines gesunden Volkskörpers in den Mittelpunkt. Dabei spielte die sportliche Betätigung eine wichtige Rolle, wie Max Nordau auf dem zweiten Zionistischen Kongress 1898 forderte: „Wir müssen trachten, wieder ein Muskel-Judentum zu schaffen.“ Damit wurde der einseitigen Ausrichtung auf geistige Werte eine Absage erteilt. „Bei keinem Volksstamme hat das Turnen eine so wichtige erzieherische Aufgabe wie bei uns Juden. Es soll uns körperlich und im Charakter aufrichten. Es soll uns Selbstbewusstsein geben“, forderte Nordau in der Jüdischen Turnzeitung. Bereits im ersten Jahr des 20. Jahrhunderts existierten in Mitteleuropa dreizehn jüdische Turn- und Sportvereine.

Die am 26. September 1909 in der „Lese- und Redehalle jüdischer Hochschüler“ erfolgte Gründung der Hakoah war eine direkte Antwort auf den unübersehbaren Antisemitismus in der österreichischen Hauptstadt, in der mit Karl Lueger schon 1897 ein ausgewiesener Judenhasser zum Bürgermeister gewählt worden war. In der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts lebten etwa 180.000 Juden in Wien, wodurch sich die Hakoah rasch zum größten jüdischen Verein der Welt entwickeln konnte, mit den Abteilungen Boxen, Fechten, Leichtathletik, Hockey, Ringen, Tischtennis, Wasserball/Schwimmen und Fußball.

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Traudl Fuchs-Davidovitsch bei einem Wettkampf im polnischen Bielitz (Mitte der 1930er Jahre)
Foto: privat

Auch wenn die Hakoah nahezu alle Disziplinen des Breiten- und Massensports anbot, und in diesen auch viele Erfolge verbuchen konnte, gehörte neben der Fußball- die Wassersport-Abteilung zu den Aushängeschildern des Vereins. Das Wasserballteam gewann zwischen 1926 und 1929 dreimal die österreichische Meisterschaft und stellte in mehreren internationalen Spielen nahezu die gesamte österreichische Auswahlmannschaft. Am 15. Dezember 1923 schwamm die damals 14-jährige Hedy Bienenfeld bei einem internationalen Wettbewerb erstmals einen österreichischen Rekord. 1925 wurden von neun nationalen Wettbewerben in der Abteilung Wasserball/Schwimmen sieben von Hakoah-Athleten gewonnen, ein Jahr später war das Abschneiden noch besser: Die Schwimmsektion stellte elf Sieger. Beim europäischen Wettbewerb 1927, Hedy Bienenfeld errang eine Bronzemedaille, und bei den Olympischen Spielen 1928 in Amsterdam traten Hakoahner für die Republik Österreich an. Acht Jahre später setzten drei der besten Hakoah-Schwimmerinnen, Judith Deutsch, Ruth Langer und Lucie Goldner, ein deutliches Zeichen gegen den Nationalsozialismus. Sie weigerten sich bei den olympischen Spielen in Berlin 1936 an den Start zu gehen. Daraufhin wurden sie vom Österreichischen Schwimmverband ausgeschlossen.

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Pörtschach am Wörthersee (Kärnten): Hakoah-Trainer Zsigo Wertheimer und seine Weltklasseschwimmerinnen: Ruth Langer, Hedy Bienenfeld, Judith Deutsch und ihre Schwester Hanni (v. l. n. R.).
Foto: privat

Der große Erfolg der Hakoah lag nicht zuletzt daran, dass der Verein schon frühzeitig den professionellen Sport förderte und bei internationalen Wettkämpfen Erfahrungen sammelte. Insbesondere die Fußballmannschaft absolvierte neben Gastspielen im europäischen Ausland auch Tourneen in Übersee. Zweimal, im Winter 1923/24 und ein Jahr später, standen Reisen nach Palästina und Ägypten auf dem Plan. Ein wichtiges Anliegen der Vereinsführung war jedoch der Vergleich mit Teams aus der englischen Liga. Schon 1922 folgte Westham United einer Einladung nach Wien. Vor 40.000 Zuschauern erkämpfte die Hakaoh gegen den haushohen Favoriten ein gerechtes 1:1 Unentschieden. Ein Jahr später wurde das Rückspiel in London ausgetragen. Obwohl die gesamte europäische Fußballwelt von einer deutlichen Niederlage der Hakoah ausging, schafften die Wiener die Sensation und schlugen Westham auf eigenem Platz mit 5:0 Toren. Ausgerechnet einem jüdischen Team war es als erste kontinental-europäische Fußballmannschaft gelungen, die vermeintlich unbesiegbaren Engländer zu schlagen. „Hakoah und ihre Elf haben sich unvergänglichen Ruhm erworben“, schrieb ein britischer Sportreporter anerkennend. Nach ihrer Rückkehr bereiteten die Wiener ihren Helden einen triumphalen Empfang. In der Mariahilfer Straße standen tausende von begeisterten Bürgern Spalier, um die Spieler zu begrüßen.

Aufgrund dieses überwältigenden Erfolgs ließ die Einladung nach Amerika nicht lange auf sich warten. Auch wenn der Fußball in den USA nie eine solche Popularität wie in Europa hatte, erkannten große Industriefirmen oder Investoren die Chancen, mit Fußball Geld zu verdienen. In den 1920er Jahren kauften sich die Bosse Mannschaften wie etwa Bethlehem Steel, New York Giants, Indiana Flooring, J & P Coats oder Brooklyn Wanderers und organisierten einen Profiligaspielbetrieb. Die Vereinseigner waren natürlich auch an Begegnungen mit europäischen Mannschaften interessiert. Das Wunderteam aus Wien stand ganz oben auf ihrer Wunschliste. Am 17. April 1926 erreichte das Hakoah-Team den Hafen von New York. Wenige Tage später zelebrierten die jüdischen Kicker vor 25.000 Zuschauern ihren Ausnahmefußball und fertigten die US-Boys, eine Auswahlmannschaft der New York State Association, mit 4:0 Toren ab.

Konnte der erste Auftritt der Österreicher schon mit einem Rekordbesuch aufwarten, wurde diese Bestmarke nochmals um mehr als 20.000 Zuschauer übertroffen. Zu diesem legendären Spiel im Polo Ground, der Heimstätte der New York Giants, strömten 46.000 Besucher, eine Zahl, die zuvor noch nie in der Geschichte des amerikanischen Fußballs erreicht und ein halbes Jahrhundert nicht überboten wurde. Das amerikanische Team, eine Auswahl von Spielern der beiden Mannschaften New York Giants und Indiana Flooring Company, besiegte die Europäer jedoch deutlich mit 3:0 Toren und zeigte ihnen ihre Grenzen auf. „Die Hauptursache dieser Abfuhr war darin begründet, dass die Hakoahner die harte Spielweise, wie sie amerikanischen Berufsspielern eigen ist, nicht behagte“, versuchte das österreichische Illustrierte Sportblatt die Niederlage zu erklären. „So räumte die Hintermannschaft bei den Amerikanern mit der feinen, technisch sehr hochstehenden Kombinationsmaschine der Wiener gründlich auf. Schwere Arbeit zu verrichten gab es auch für die Verteidigung der Blau-Weißen.“

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Hakoah Wien im Stadion Polo Ground, New York, Mai 1926
Stehend: Fabian, Eisenhoffer, Schwarz, Neufeld, Hess, Drucker, Häusler, Grünwald; davor: Wegner, Pollak, Wortmann, Gold.
Foto: privat

Bereits am nächsten Tag stand ein Spiel gegen die Mannschaft von Providence im US-Bundesstaat Rhode Island auf dem Programm. Die Teams trennten sich 2:2 Unentschieden. Nach dieser Paarung machte sich die Hakoah auf den Weg in den White Soxs Park von Chicago. Dort besann sich die jüdische Elf wieder ihrer Stärken und zeigte dem örtlichen Sparta Club, wie Fußball in Europa gespielt wird. Vor 15.000 Zuschauern musste Chicago eine klare 1:6 Niederlage einstecken. Nach einem kurzen Abstecher an den Mississippi, wo ein Spiel gegen eine Stadtauswahl von Saint Louis mit 4:2 Toren gewonnen wurde, kehrte Hakoah nach Chicago zurück. Nur sieben Tage nach der souveränen Vorstellung gegen Sparta Chicago sollte diese tadellose Leistung nun gegen ein „Allstar Team of the Major League“ wiederholt werden. Die 19.000 Fans wurden jedoch Zeugen einer knappen 2:3 Niederlage der Hakoah. Nun ging es zurück an die Ostküste, wo am 22. Mai auf dem Ebbets Field in New York und einen Tag später im West Side Baseball Park jenseits des Hudsons, in New Jersey, Paarungen terminiert waren. „Am ersten Tag blieben die Wiener mit 6:4 siegreich, wobei der Kampf wieder sehr hart geführt wurde. Am Sonntag endete das Spiel 3:3 Unentschieden“, informierte das Illustrierte Sportblatt die Fans in Österreich und erklärte das magere Ergebnis mit Ausfällen von wichtigen Spielern.

In den letzten beiden Begegnungen gab es wieder Siege zu vermelden. Die Revanche gegen die New York Giants glückte mit einem 2:1 Sieg und die Abschlusspartie in Philadelphia wurde überlegen mit 3:0 gewonnen. Insgesamt war die USA-Reise ein voller sportlicher Erfolg für die Wiener Mannschaft. Die Bilanz lautete: Sechs Siege, zwei Unentschieden und zwei Niederlagen. Die Sturmreihen der Hakoah erzielten 32 Treffer, wobei die Abwehr allerdings 19 Gegentore hinnehmen musste.

Die mitreißende Art und Weise des Spiels und die Technik der Hakoah-Kicker hatten den US-Vereinen stets volle Stadien und gute Einnahmen beschert; die Klubbesitzer erkannten die Gunst der Stunde: Insgesamt neun Hakoah-Spieler erlagen den Lockungen der harten Dollars und spielten fortan in der American Soccer League.

Ein Jahr später tourte die Hakoah erneut durch nordamerikanische Stadien. Wiederum wurden wichtige Spieler abgeworben. Das bedeutete für den Wiener Klub den unaufhaltsamen Niedergang im österreichischen Fußballoberhaus, sodass er in der Saison 1927/28 aus der ersten Liga absteigen musste.

Zuvor hatten einige Hakoah-Spieler den USA den Rücken gekehrt und waren nach Österreich zurückgegangen. Unter ihnen befand sich Egon Pollak, der nach einer Spielzeit bei den New York Giants die Fußballschuhe vorübergehend an den Nagel hängte und sich in Wien als Sportjournalist niederließ, bis er 1935 nach Palästina auswanderte. Dort startete er zunächst eine Karriere als Fußball-Coach bei Maccabi Tel Aviv. Später betreute Pollak die Auswahlmannschaft der „Palestine Football Association“ in den Qualifikationsspielen zur Fußballweltmeisterschaft 1938. Nach Staatsgründung übernahm er das israelische Nationalteam. Während der Judenstaat ums Überleben kämpfte, absolvierte die Elf am 26. September 1948 vor 40.000 Zuschauern im New Yorker Polo Ground ihr erstes Länderspiel gegen die US-Olympiauswahl. Das Match endete mit einer deutlichen 1:3 Niederlage für Pollaks Team. Doch politisch und moralisch war es ein unbezahlbarer Sieg für Israel.

Nach dem sogenannten Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich war die Hakoah 1938 zwangsaufgelöst und ihr Eigentum arisiert worden. Schon am 13. März erwähnte das Sport-Tagblatt die Hakoah zum letzten Mal in der aktuellen Tabelle. „Dann wurde der Name aus dem österreichischen Sport ausgemerzt“, wie Arthur Baar verbittert notierte: „Viele Sportfunktionäre gaben jetzt ihr wahres Gesicht zu erkennen und standen hinter den übrigen Radau-Antisemiten nicht zurück.“ Glücklicherweise gelang vielen Hakoahnern die Flucht nach Palästina, England, Australien oder in die USA.

Schon kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges gründeten Rückkehrer und Überlebende die Hakoah neu. Trotz des schier unausrottbaren Antisemitismus, der sich vor allem bei Fußballspielen entlud, wurden weitere Sektionen wie etwa Schwimmen, Boxen, Basketball, Judo, Karate, Tennis und Ringen wieder aufgebaut. Der österreichische Fußballverband teilte die Hakoah-Elf 1945 in die 2. Liga ein, der sie zuletzt im Jahre 1938 angehört hatte. Anfänglich war die Mannschaft relativ erfolgreich, insbesondere bei verschiedenen Turnieren in Prag, Karlsbad, Brüssel und Antwerpen. Infolge von Spielerabwanderungen musste das Team jedoch schon bald in die 3. Liga und kurz darauf sogar in die 4. Liga absteigen. Dieser Absturz führte dazu, dass die „Fußballsektion“ 1950 vorübergehend aufgelöst wurde. Die Schwimmabteilung konnte jedoch an die großen Erfolge der Vorkriegszeit anknüpfen. Traudl Fuchs-Davidovitsch wurde 1947 in die österreichische Olympiamannschaft berufen und siegte 1948 und 1949 sowohl bei den nationalen als auch bei den Wiener Meisterschaften im 100- und 400-Meter Kraulschwimmen.

Hakoah1946
Die Elf von Hakoah Wien in der Nachkriegszeit. Bei den Spielen der jüdischen Mannschaft waren antisemitische Ausschreitungen an der Tagesordnung. „Ins Gas mit Ihnen“ skandierten z. B. mehrere Zuschauer bei einer Partie im Frühjahr 1946 gegen ein Auswahlteam der Wiener Polizei.
Foto: privat

Die Restitution der von den Nazis beschlagnahmten Immobilien ließ lange auf sich warten: Sie erfolgte erst im Jahre 2005 und ermöglichte den Neubau des S. C. HAKOAH Karl Haber Sport- und Freizeitzentrums. Ein würdiger Platz, an dem der Verein am 26. September 2009 seinen 100sten Geburtstag feiern kann.

Pünktlich zum Jubiläum der Hakoah wird auf den Internet-Seiten des Nürnberger Instituts für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts HakoahCoverWiendas Essay „Als der Flügelstürmer Alex Neufeld aus Österreich so berühmt war wie der amerikanische Baseballspieler Babe Ruth“ online gestellt. Zudem werden biografische Erinnerungen ehemaliger Hakoahner, illustriert mit historischen und aktuellen Fotos, nachzulesen sein.

Ab Ende September ist die reich bebilderte Dokumentation „… mehr als ein Sportverein“– 100 Jahre Hakoah Wien 1909–2009“ im Buchhandel erhältlich, in der Historiker, Soziologen und Politologen die wechselvolle und komplexe 100-jährige Geschichte des einzigartigen jüdischen Wiener Traditionsvereins umfassend dokumentieren.

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