Jerusalemer Tempel vom Himmel herabgesenkt

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„Möge der Tempel in Eile wiederrichtet werden“ sagte Rabbi Hillel Weinberg, Direktor des „Aisch Hatora“ Zentrums für jüdische Kultur im jüdischen Viertel der Altstadt Jerusalems. Orthodoxe Juden antworteten „Amen“, als am Mittwoch mit Hilfe eines Krans ein steinernes Modell des salomonischen Tempels auf das Dach des Zentrums herabgelassen wurde…

von Ulrich W. Sahm, Jerusalem

Im Hintergrund leuchtete die goldene Kuppel des muslimischen Felsendoms, der sich heute über dem Gründungsfelsen erhebt. Dort befand sich einst das Allerheiligste im jüdischen Tempel, wo laut Bibel „Gott auf Erden Wohnung bezog“.

Das Modell aus Jerusalemstein, Marmor und echtem Gold wurde jenem Tempel nachgebildet, wie ihn König Herodes im Jahr 20 vor Chr. ausgebaut hat und der im Jahr 70 von den Römern zerstört worden ist. Das Modell im Maßstab 1:60 wiege 1,2 Tonnen und wurde von dem aus Russland stammenden Modellbau-Spezialisten Michael Osanis in zweijähriger Arbeit geschaffen. Es ist 1,3 Meter breit und 3 Meter lang.

Unter den Organisatoren entstand Verwirrung, als ein Reporter darauf hinwies, dass das Tempelmodell „verkehrt herum“, nämlich nach Westen gerichtet, anstatt nach Osten, aufgestellt worden sei. Doch der Erbauer des Modells habe es so gewünscht, damit die erwarteten 300.000 jährlichen Besucher des Zentrums nach dessen offizieller Eröffnung am 1. Dezember einen besseren Einblick in den Tempel haben könnten und auf die nachgebildeten Opferbühnen, wo einst die Priester die Schlachtopfer verbrannten. Mit Hydraulik werde künftig das Tempelgebäude angehoben werden können, damit die Besucher die darin versteckte goldene Menora (siebenarmiger Leuchter) und die Bundeslade sehen könnten, erklärte Efraim Shore, Leiter des Zentrums.

Gemäß jüdischen Legenden werde am Ende der Tage mit der Ankunft des Messias der fertige Tempel von Gott an seine ursprüngliche Stelle vom Himmel herabgesenkt werden. Juden ist aus religiösen Gründen verboten, den Tempelberg zu besteigen und den zerstörten Tempel eigenhändig wieder zu errichten.

Als das vorgefertigte Modell des alten Tempels mit Stricken gesichert zu jener Dachterrasse gehievt wurde und in der Luft schwebte, sah es für einen Augenblick aus, als würde der Tempel des Herodes auf dem alten Tempelberg gleich neben dem einige hundert Meter entfernt liegenden Felsendom herabsinken. Es war nur eine optische Täuschung, die sich mit der Kamera leicht festhalten ließ. Die anwesenden orthodoxen Juden und die Organisatoren von „Aisch HaTora“ waren sich der symbolischen Bedeutung des medienwirksamen Aufstellens des Modells in nächster Nähe zum Tempelplatz voll bewusst. „In unserem Zentrum wollen wir jüdischen Besuchern die Beziehung zu Jerusalem und die Sehnsucht nach dem Tempel vertiefen“, sagte Rabbi Weinberg über diesen „aufregenden Augenblick“. Efraim Shore fügte hinzu, dass Aisch Hatora vorführen wolle, wie das Judentum mit Lehren wie universelle Bildung, Nächstenliebe und Gerechtigkeit die Welt verändert habe.

Die demonstrative Aufstellung des Tempelmodells in greifbarer Nähe des Tempelbergs birgt auch politische Brisanz in sich. Seit 1920 hat es mehrere arabische Aufstände gegeben, darunter die „El Aksa Intifada“ ab 2000 mit Tausenden Toten. Die Moslems befürchteten, dass die Juden ihnen den seit 1400 Jahren unter muslimischer Kontrolle stehenden Tempelberg wegnehmen könnten, um ihren salomonischen Tempel an Stelle der Moscheen wieder zu errichten.

05.08.2009 © Ulrich W. Sahm, haGalil.com

3 Kommentare

  1. Ähem… Im zweiten Tempel stand meines Wissens die Bundeslade nicht. Wenn die das wirklich so aufbauen wollen, dann verdummen sie sich selbst und ihre Besucher. Ich hoffe, das war jetzt nur ein Missverständnis.

  2. In den Nachrichten (aus JTA Org): „Umfrage: Die meisten Israelis wissen, dass der Tempel während Tischa beAv zerstört wurde” – Siebenundneunzig Prozent der befragten Erwachsenen in Israel kennen das jüdische Datum der Zerstörung des Heiligen Tempels, berichtet eine Umfrage… Ungefähr 64 Prozent der befragten Erwachsenen in Israel, einschließlich von ungefähr 47 Prozent säkularer Israelis, sagten, sie würden es gerne sehen, wenn der Tempel in Jerusalem wieder aufgebaut würde.

    Mein Kommentar: Das ist richtig. Sie „warten” und erwarten jemand anderen, der den Tempel für sie baut. Außerdem denken sie, dass der Tempel ein Gebäude ist, in dem bestimmte Rituale durchgeführt werden und ein Platz, der den Menschen neue Jobs geben könnte. Sie sehen es als Bestätigung ihres Erbes (und ihrer selbst), als Touristenattraktion und als ein Instrument der Politik.

    Keiner erkennt jedoch, dass „der Bau des Tempels” bedeutet, dass jeder Bürger im Innern die Eigenschaft der Liebe und des Gebens erschaffen wird. Oder mit anderen Worten, dass es die Umwandlung eines Menschen ist, von einem Egoisten zu einem, der jedermann liebt.

    Es ist nicht dieser Tempel, um den sie trauern, sondern ihre eigenen egoistischen Bestrebungen. Es steht geschrieben, dass der Tempel wegen des unbegründeten Hasses der Menschen untereinander zerstört wurde. Es steht ebenfalls geschrieben, dass für jeden Tag, den der Tempel nicht wiederaufgebaut wird, er zerstört ist. Das bedeutet, dass, solange die Menschen sich selbst nicht korrigieren, ihre „Liebe für andere, wie für sich selbst” (die sie während der Zeit des Tempels hatten) zerstört bleibt.

    Irgendwie scheint niemand über die Tatsache besorgt zu sein, dass diese liebende Beziehung unter den Bürgen der israelischen Gesellschaft fehlt. Und das Erziehungssystem – ob säkular oder orthodox – erweckt keine echte Sehnsucht nach dem Tempel.

    Deshalb sind die Prozentzahlen der obigen Umfrage falsch: Die Menschen verstehen nicht das wahre Wesen des Tempels.

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