Zeit zum Handeln

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Interview mit dem israelischen Iranexperten Dr. Eldad Pardo …

Mediendienst des Zentralrats der Juden in Deutschland, 24. Juni 2009, 2. Tammus 5769

Auf Teherans Straßen wird trotz Polizeigew altweiter protestiert. Wie geht der weniger sichtbare, aber nicht minder wichtige Machtkampf zwischen den Reformern um den unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Mir Hossein Mussawi und dem radikalen Lager von Staatslenker Ali Chamanei und Präsident Mahmud Ahmadinedschad weiter?

Bei dem Kräftemessen zwischen den Reformisten und den Hardlinern im Iran geht es nicht nur um das Wahlergebnis, sondern um den politischen Kurs des Landes. Zwar bejahen sowohl Ahmadinedschad als auch Mussawi die Islamische Republik, doch setzt sich Ahmadinedschad tatkräftig für den weltweiten Export der islamischen Revolution und ist innenpolitisch ein Hardliner. Dagegen setzt sich Mussawi für mehr Rechtsstaatlichkeit, wohlgemerkt im Rahmen der islamischen Grundordnung, und für eine moderatere Außenpolitik ein.

Liegt die wirkliche Macht nicht beim „obersten Führer“, Ajatollah Ali Chamanei, der auch künftig für einen harten Kurs sorgen will?

Chamaneis Macht ist zweifelsohne groß, aber nicht unbegrenzt. Weite Teile der Bevölkerung lehnen Ahmadinedschads Politik als zu radikal ab und haben Angst vor ihren Konsequenzen. Ob Chamanei diese Stimmung ignorieren kann, muss sich zeigen. Erst recht, nachdem bei den Demonstrationen Blut geflossen ist.

Und wie geht der Richtungskampf zwischen den beiden Lagern aus?

Das ist offen. Die brutale Wahlfälschung und die gewalttätige Unterdrückung der Proteste waren eine gewollte Machtdemonstration Chamaneis zur Einschüchterung der politischen Gegner. Allerdings sehen sich gemäßigte Teile der regierenden Klasse durch den recht massiven Widerstand ermutigt. Sie werden Änderungen weiterhin anmahnen – wohl auch dann, wenn die Straßenproteste unterdrückt werden.

Es steht aber nicht nur für die Iraner, sondern auch für die freie Welt viel auf dem Spiel. Chamanei, Ahmadinedschad und ihre Anhänger glauben – das wird im Westen oft unterschätzt – tatsächlich, einen Heiligen Krieg um die Islamisierung der Welt führen zu müssen. Ihre Taktik passt sich an die äußeren Gegebenheiten an, ohne dass sie ihr Ziel aus den Augen verlören. So etwa wirbt der schiitische Iran um die mit dem Schia-Islam traditionell verfeindeten Sunnis, und zwar nicht ohne Erfolg. Im Nahen Osten setzt der Iran auf Unterwanderung und Gewalt, wobei letztere über Verbündete wie die libanesische Hisbollah, die palästinensische Hamas und Stellvertreterorganisationen im Irak ausgeübt wird. Dagegen versucht die iranische Führung in Europa jedenfalls in diesem Stadium, durch Imagepolitik an Gewicht zu gewinnen. Wie auch immer, eine Stärkung des iranischen Einflusses in Europa würde natürlich die weltpolitische Position der Vereinigten Staaten schwächen.

Ist der Iran für solche globalen Machtspiele stark genug?

Man sollte Teherans Fähigkeit, weltweit Unruhe zu stiften, nicht unterschätzen. Die globale Stärke des Regimes wird künftig auch von den Kernwaffen abhängen, nach deren Besitz es strebt. Die in Entwicklung befindlichen Trägersysteme werden die Beförderung von atomaren Gefechtssprengköpfen über Tausende von Kilometern möglich machen. Das bedroht nicht nur Israel – dieses liegt jetzt schon in iranischer Reichweite -, sondern vor allem auch Europa. Nicht von ungefähr wehrt sich der Iran gegen die Aufstellung amerikanischer Raketenabehrsysteme, die Europa vor etwaigen Raketenangriffen schützen sollten. Dieser Widerstand sollte den Europäern zu denken geben. Das bedeutet nicht, dass Teheran einen atomaren Erstschlag gegen den Westen führen würde, allein schon aus Angst vor Vergeltung. Allerdings würden sich westliche Demokratien schwer tun, dem Hegemonialstreben eines atomar aufgerüsteten Irans entgegenzutreten.

Im Nahen Osten wäre eine iranische Machtübernahme in den Ölländern der Arabischen Halbinsel ein nahe liegendes Ziel der iranischen Hardliner. Dann sähe sich der Westen einem an Energievorkommen und Geld reichen islamistischen Imperium gegenüber, das ihm einen Tribut abverlangt. Europa wäre wahrscheinlich die Zielscheibe iranischer Forderungen nach wirtschaftlichen Zugeständnissen, einer Abkehr von der Allianz mit den USA und einem Abbruch der Beziehungen zu Israel gegenüber. Man darfauch nicht vergessen, dass diejenigen Teile Europas, die einstmals von Moslems regiert wurden – darunter ganz Spanien und die südliche Hälfte Frankreichs -, ohnehin als islamischer Boden gelten, der befreit werden muss.

Würden denn die iranischen Reformisten das atomare Rüstungsprogramm aufgeben?

Mussawi und andere haben sich ausdrücklich zum atomaren Programm ihres Landes bekannt. Allerdings wollen die meisten Reformer die Fähigkeit zum Atomwaffenbau entwickeln, aber keine einsatzfähigen Kernwaffen bauen. Sie fürchten, dass der Besitz von Atomwaffen irgendwann zu deren Einsatz und damit zu atomarer Vergeltung gegen den Iran führen wird. Zudem glaube ich, dass sich ein reformistischer Iran eher um seine nationalen Interessen als um die weltweite Verbreitung des Islam kümmern würde. Die Rhetorik wäre zwar die gleiche wie heute, nicht aber die konkrete Politik. Das gilt übrigens auch für das Verhältnis zu Israel. Auf ideologischer Ebene bekennen sich auch die Reformer zu Israels Vernichtung als obersten Ziel, dürften aber weniger verbissen sein.

Wie kann der Westen die Entwicklung im Iran in seinem Sinne beeinflussen?

Durch verstärkten Druck. Nur das kann die iranische Führung von der Notwendigkeit einer innen- wie außenpolitischen Mäßigung überzeugen. Dabei sind keine diplomatischen Noten, sondern wirksame Schritte gefragt. Etwa die Drohung mit einem vollen Abbruch wirtschaftlicher Beziehungen. Ob sich die freie Welt zu solchen Schritten durchringen kann, ist eine andere Frage. Die US-Regierung scheint durch die Ereignisse im Iran in einen Schockzustand verfallen zu sein. Der Wahlbetrug und die Gewalt haben die Pläne von Präsident Barack Obama, einen friedlichen Dialog mit Teheran zu führen, durchkreuzt. Die Europäer fahren gegenüber dem Iran traditionell einen weichen Kurs. Wir können daher nur hoffen, dass die freie Welt bald aus ihrer Starre erwacht.

Dr. Eldad Pardo ist Iran-Forscher am Harry-S.-Truman-Institut für die Förderung des Friedens an der Hebräischen Universität in Jerusalem.

Der Mediendienst des Zentralrats der Juden in Deutschland bietet Informationen zum Judentum und zum jüdischen Leben in Deutschland sowie Materialien zu aktuellen politischen Fragen.