Der Übersetzer: Ein Interview mit Peretz Kidron

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Peretz Kidron wurde in Wien als Sohn galizianischer Juden geboren, flüchtete nach dem „Anschluss“ als kleines Kind mit seinen Eltern nach England und immigrierte später nach Israel, wo er heute lebt. Er hat den Großteil seines Lebens als Übersetzer gearbeitet und u.a. die Memoiren des früheren israelischen Staatspräsidenten Ezer Weizmanns und des früheren israelischen Premierministers Yitzhak Rabin (beide inzwischen verstorben) vom Hebräischen ins Englische übersetzt. Außerdem ist er Präsident Emeritus der „Israeli Translators Association“. Auch Deutsch, Jiddisch und Französisch spricht er fließend…

Interview: Benjamin Rosendahl

BR: Herr Kidron, wie wurden Sie Übersetzer?

PK: Das war eine natürliche Entwicklung: Ich wuchs in einer vielsprachigen Familie auf, wo ich von klein an viele Sprachen hörte. Auch musste ich mich mit jedem Umzug auf eine neue Umgebung mit einer unterschiedlichen Kultur und Sprache einstellen.
Als ich schließlich nach Israel emigrierte, lebte ich lange Jahre in einem Kibbutz, wo mein Hebräisch besser war als das der anderen Kibbutzniks und ich ihnen oft Zeitungsartikel übersetzte.

Und so war mir von Anfang an klar, dass ich in diesem Bereich arbeiten wollte. Gleichzeitig war ich an Journalismus interessiert, konnte aber damit kaum um die Runden kommen. Übersetzungen jedoch waren eine viel zuverlässigere und sichere Einkommensquelle.

Im Allgemeinen kann man davon sehr gut und komfortabel leben, hat flexible Arbeitszeiten und liest oft sehr interessantes Material aus den verschiedensten Bereichen.

peretz

BR: Welche Qualifikationen braucht man, um Übersetzer zu werden?

PK: Mehr als alles andere braucht man eine Sensitivität für Sprachen. Es reicht nicht aus, ein paar Sprachen besser schlecht als recht zu sprechen. Nein, ein zukünftiger Übersetzer muss in der Lage sein, in zumindest zwei Sprachen in gutem Stil schreiben zu können.

Am Besten ist es, wenn man auch den kulturellen Kontext sowohl des Landes der Ursprungs- als auch der Zielsprache kennt. Ist dies der Fall, kommt der Rest ganz natürlich. Und diese Sensitivität ist meiner Meinung nach bedeutend wichtiger als ein Universitätsstudium.

Kann ich Ihnen dazu eine kleine Anekdote erzählen?

BR: Ja, bitte!

PK: Eine meiner ersten Übersetzungen war die Autobiographie von Ezer Weizmann, dem Chef der israelischen Luftwaffe, der später auch Präsident wurde. Um den Auftrag zu bekommen, musste ich eine Probe übersetzen, die sich mit Weizmanns jungen Jahren in der Royal Air Force (englische Luftwaffe) beschäftigte.

Da ich lange Jahre in England gelebt hatte, kannte ich den sehr spezifischen Slang der Royal Air Force, Ausdrücke die nur im Zirkel dieser Piloten benutzt wurden. Und aufgrund dieses Wissens bekam ich den Job.

Weizmann war sehr zufrieden mit meiner Übersetzung, und wir sind bis zu seinem Tod 2005 befreundet gewesen.

BR: Passiert das häufig, dass Sie mit den Autoren, die sie übersetzen, in engem Kontakt stehen?

PK: Fast überhaupt nicht. Meistens wird man als Übersetzer vom Herausgeber angesprochen und arbeitet vis-a-vis dem Verlag, nicht dem Autor. Teils musste ich –beispielsweise für die Frankfurter Buchmesse – für den Verlag eine kurze Passage und die Synopsis übersetzen, und der Herausgeber hat dann anhand des Interesses bei der Buchmesse entschieden, ob es sich lohnt, das Buch zu übersetzen. Der Autor hat damit gar nichts mehr zu tun.

Einzige Ausnahme hierbei sind Autoren spezifischer Sachbücher, wie z.B. Kunst- und Kulturkritiker. Hier muss ich mich oft mit dem Autor beraten, wenn es Begriffe und Ideen sind, die den breiten Massen – und mir – nicht bekannt sind.

Dazu noch eine Bemerkung: Ich habe oft Autoren getroffen, die mir ein paar Jahre, nachdem die Übersetzung herausgekommen war, für die sprachliche Leistung gedankt haben. Da Israel ein sehr kleiner Markt ist, leben sie ja hauptsächlich von Übersetzungen und sind sehr froh, wenn diese gelungen sind.

BR: Was war das wohl Aufregendste, was Ihnen als Übersetzer passiert ist?

PK: Die Übersetzung der Autobiographie von früheren Stabschef und zweimaligem Premierminister Yitzhak Rabin. [Anmerkung: Yitzhak Rabin wurde 1995 von einem Rechtsextremen ermordet, B.R.] Zu der Zeit lebte ich in London.

Ich bekam einen Telefonanruf von Dov Goldstein, der Rabin beim Schreiben der Biographie half: Ich solle folgende Paragraphen in folgenden Kapiteln nicht übersetzen. Vor allem handelte es sich um die Absätze, die sich mit der Vertreibung der palästinensichen Bevölkerung in Lydda (heutiges Lod) und Ramle während des Krieges von 1948 beschäftigten, und mit Rabins Rolle hierbei.

Als guter Übersetzer und der Wahrheit verpflichteter Mensch habe ich diesen Ratschlag natürlich nicht eingehalten und diese Absätze übersetzt – sie wurden sogar in der New York Times veröffentlicht.

Als ich von England wieder zurück nach Israel zog, überkam mich die Panik: Hatte ich die Verordnungen der damals (1979) herrschenden Militärzensur überschritten? Würde ich gar als Verräter noch am Flughafen mit Handschellen abgeführt und den Rest meines Lebens in Einzelhaft verbringen?

BR: Wie ist diese Geschichte ausgegangen?

PK: Schweißüberstömt und vor Panik zitternd rief ich am Vortag des Fluges Amnon Zikhroni, einen sehr renommierten Anwalt für Bürgerrechte, an. Der teilte mir mit, dass mein Fall in eine Lücke der Gesetzgebung hineinpasste: Denn, wie sich herausstellte, hatte die Militärzensur diese Absätze genehmigt, und es war die neue rechtsgerichtete Likudregierung, die sie zensieren wollte. Das Recht jedoch stellte nur Überschreitungen der Militärzensur unter Strafe.

Ich konnte also nach Israel zurück und dort weiter als Übersetzer arbeiten. Seit dem ist mir glücklicherweise nichts dergleichen passiert.

BR: Es gibt ja verschiedene Schulen der Übersetzungstheorie. Können Sie die Unterschiede kurz erklären?

PK: Ja. Grundsätzlich gibt es zwei Ansätze:

Der traditionelle Ansatz besagt, dass ein Übersetzer loyal zur Quelle sein muss. Er muss alles so wiedergeben, wie der Autor es im Original sagt.

Der Aktivist-Ansatz hingegen besagt, dass der Übersetzer sein Augenmerk auf das Zielpublikum, den Leser in der anderen Sprache, lenken muss: Wie hätte der Autor das Buch geschrieben, wenn seine Muttersprache eine andere gewesen wäre?

Ich persönlich bin überzeugter Anhänger der zweiten Schule. Meiner Meinung nach ist es absolut sinnlos, Eigenheiten der Kultur des Originaltexts, die keiner in der Kultur des Zieltextes kennt, zu übersetzen, wie z.B. Analogien aus dem Cricketspiel. Da macht es doch viel mehr Sinn, diese durch andere Analogien, z.B. aus dem Fußball zu ersetzen.

Nebenbei bemerkt ist das diesselbe Debatte, die auch das Oberste Gericht in den USA hat: Rechtskonservisten vs. „Activist Judges.“

BR: Was ist spezifisch für den Beruf des Übersetzers, und wie unterscheidet er sich von anderen Berufen?

PK: Der Beruf hat eine gewisse Mystik, ein ungewisses Etwas. Ähnlich wie beim Zahnarzt, wo keiner weiß, was genau er in seinem Mund macht, weiß der Autor auch nicht genau, was der Übersetzer mit seinem Text macht. Beide haben gemeinsam, dass sie oft von der Hand in den Mund leben.

Eine weitere Besonderheit sind die freien Arbeitszeiten. Ich beispielsweise habe oft nachts gearbeitet: Von Mitternacht bis drei Uhr früh haben nie die Telefone geklingelt, keiner hat mich gestört und auch die Straßen waren ruhig. Da habe ich in den drei Stunden mehr geschafft als während des Tages in sechs Stunden.

Schließlich gibt es das Dilemma des Tarifs: Soll ein Übersetzer am Verkauf des übersetzten Buches beteiligt werden? Und wieviel soll man per Wort/ Seite etc. verlangen? Da Übersetzer alleine arbeiten, ergibt sich hier das Problem, dass sie gegeneinander ausgespielt werden: Der Verleger sagt dann, dass er bereits jemanden hat, der es für die Hälfte macht.

BR: Wie geht man mit diesem Dilemma um?

PK: Als Präsident der „Israeli Translators Association“ habe ich – leider erfolglos – versucht, ein gesetzlich festgelegtes Preisminimum durchzusetzen. Leider ist das daran gescheitert, dass es immer Neulinge gibt, die sich im Beruf etablieren wollen. Der Weg dazu ist es, Übersetzungen zu niedrigeren Preisen als die Konkurrenz anzubieten. Dies wiederum führt zu Schleuderpreisen.

Aus diesem Teufelskreis gibt es aber einen Ausweg, der sich mit einem Satz zusammen fassen läßt: Qualität hat ihren Preis. Eine Übersetzung kann man zu jedem Preis haben. Eine GUTE Übersetzung jedoch nur ab einem bestimmten Preis.

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BR: Was ist eine gute Übersetzung?

PK: Diese Frage hat unendlich viele Antworten. Ich kann Ihnen aber sagen, was Poesie ist: Poesie ist das, was in der Übersetzung verloren geht.

BR: Herr Kidron, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Fotos: (c) B. Rosendahl
Das Interview erschien zuerst bei ZeitJung, 04.06.2009