Der Papst? Was ist das?

3
37

Mitten in Jerusalem ist die Zeit stehen geblieben, irgendwann im 19. Jahrhundert. Die Mädchen tragen lange Zöpfe, die Frauen künstliche Perücken oder Pot-Hüte. Die Männer laufen in knielangen Gehröcken herum, wie sie unter Kaiser Wilhelm II Mode waren. Eine willkürliche Straßenumfrage in Mea Schearim ergibt nicht viele Punkte für den Papst. In Deutsch heißt das Viertel „Hundert Tore“ und erinnert eher an ein polnisches „Stettl“ vor dem Weltkrieg als an den modernen Staat Israel…

Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 11. Mai 2009

„Papst? Was ist das?!?“, fragt ein frommer Bewohner des Viertels, dessen bleiches Gesicht von langen Schläfenlocken umrahmt ist. Er umwickelt sie ständig mit den Fingern, wie Frauen mit elektrischen Lockenwicklern ihre Frisur pflegen. Herr Ratzinger sei ein recht bedeutender Vertreter der Christenheit. Der fromme Mann antwortet trocken: „Ich habe keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen.“ Sein Begleiter spricht nur das mittelhochdeutsche Jiddisch und Englisch. Er komme, „wie alle rechten Juden“, aus Brooklyn und habe deshalb einen weiten Horizont. „Very good!“ Der „heilige Vater“ habe sich entschieden, zu bereuen, was Christus im Holocaust getan hat [sic!]. „Um dagegen zu protestieren, komme der Papst nach Israel. Oder?!“

Ein anderer Bewohner des Viertels mit den von den Nazis in Osteuropa vernichteten Rabbinerhöfen des Rabbi Nachman von Braslaw und anderer Rabbis erklärt: „Das Zentrum der Welt ist Israel. Das Zentrum Israels ist Jerusalem. Das Zentrum von Jerusalem ist Mea Schearim. Und das Zentrum von Mea Schearim, das sind die Stiblach.“

„Stiblach“ sind die traditionellen Lehrstuben, wo fromme Juden ihre ganze Zeit dem Studium heiliger Schriften widmen. Mit dem Oberkörper wippen sie melodisch über hebräischen und aramäischen Texten. Viele tragen eine Brille, weil sie nachhaltig mit dem ständigen Wechsel der Entfernung zum Lesetext ihre Augen verderben. „Solange der Papst nicht mal ein Stiblach besucht und sich in den Talmud vertieft, wird er niemals das Wesen des Judentums verstehen“, sagt ein „Tora-Schüler“.

Ein anderer kann „Nozri“ und „Nazi“ nicht auseinander halten. „Nozri“, also „Nazarener“, heißen auf Hebräisch die Christen. Und so sind es für ihn die „Nozrim“, deren höchster Vertreter jetzt Israel besucht, die Auschwitz verbrochen haben.

Das ist die Welt, die Martin Buber beschrieben hat, und wo Salcia Langmann ihre „jüdischen Witze“ gesammelt hat.

Mea Schearim ist frei von hässlichen Fernsehantennen auf den Dächern, denn das einzige Kommunikationsmittel sind altertümliche Plakate an den Wänden der armseligen Wohnhäuser. Man sagt, dass die zentimeterdicken Schichten aufgeklebter Plakate, „Paschkawilis“, die Häuser vorm Einsturz bewahren. Auf die Frage nach dem Papstbesuch macht einer eine wegwerfende Handbewegung und meint mit Fistelstimme: „Was? – Was gibt’s?? – Wer ist das??? – Niemand! Nichts!!“ Tippelnd rennt er davon, damit ihm der kostbare schwarze Krempelhut nicht vom Kopf fliegt.

Avraham, 1951 aus Rumänien eingewandert und 70 Jahre alt, meint: „Ja, bringt der wenigstens Geld mit? Baruch HaBa, herzlich willkommen, dann soll er halt kommen. Ich habe nichts dagegen. Mich stört er nicht.“

Im schmuddeligen Gemüsemarkt sitzt seit jeher Mustafa, ein Moslem aus der Altstadt Jerusalems. Araber und ultraorthodoxe Juden in Mea Schearim kommen gut miteinander aus. Beide verabscheuen den „weltlich zionistischen Staat Israel“. Die Extremisten von „Neturei Carta“ können sich einen jüdischen Staat erst nach der Ankunft des Messias vorstellen. Dann wird Gott den alten salomonischen Tempel vom Himmel an seine ursprüngliche Stelle herabsenken, wo jetzt freilich muslimische Heiligtümer stehen. Rabbi Hirsch war im Kabinett Jassir Arafats als „Minister für jüdische Angelegenheiten“ beauftragt, die Zerstörung Israels zu betreiben. Andere Mitglieder der Sekte werfen sich dem iranischen Präsidenten Ahmadinidschad an die Brust und hoffen, er möge ihr Ziel erfüllen. „Ich habe keine Ahnung“, sagt zunächst der Araber. „Wer ist das, der Papst? Der kommt und geht wieder…Der kommt nur wegen der Politik…“ Plötzlich besitzt der Araber doch politisches Fachwissen: „Ich habe keine Ahnung – aber stell Dir vor, was das alles kostet: 80.000 Polizisten sollen auf ihn aufpassen! Wenn das keine Geldverschwendung ist, was dann?“

Der 25 Jahre alte Nissim erweist sich als echter Kenner: „Ich habe gehört, dass sie für den Papst die ‚Kotel’ (Klagemauer) schließen. Stell Dir vor, zwölf Stunden lang dürfen wir dort nicht beten! Würden die etwa den Vatikan für zwölf Stunden schließen, wenn unser Oberrabbi kommt?!“

„Weißt Du, dass die Geräte vom Tempel im Keller des Vatikans liegen?“ meint ein ultraorthodoxe Talmudschüler: „Rabbi Lau hat das gesagt.“ Israel Meir Lau war Oberrabbiner Israels. „Der weiß, was Sache ist. Und außerdem sieht auf dem Titus-Bogen in Rom, wie die Römer die Menorah (siebenarmiger Leuchter) dorthin gebracht haben.“

„Was bringt der Papst Gutes für Israel?“, fragt Israel, der Schreibwarenhändler, ein abgegriffenes Gebetbuch in der Hand. „Du weißt doch, wie die Christen sind, was sie uns die ganzen Jahre über angetan haben, all die Gewalt, Lüge und Betrug. Dafür steht der Papst. So ist sein Wesen. Was haben wir mit den Christen zu tun? Ich habe keinen Kontakt mit ihnen, weiß nicht wer oder was sie sind.“

© Ulrich W. Sahm / haGalil.com

3 Kommentare

  1. Marc,
    was ist für ein Unsinn! Es geht nicht um das Stadtviertel, sondern um die religiöse Einstellung der dort lebenden Juden.
    Ist der Papst bei den messianischen Juden gewesen, oder bei den arabischen Christen.
    Diese Gemeinden werden immer größer und sind doch Glaubensgeschwister.
    Der Papst wäre in der Pflicht, diese Gemeinden zu stärken, so wie Petrus und Paulus es taten. Die schwierige Situation dieser Gemeinden hätte der Papst ansprechen MÜSSEN und für ihr weiterleben hätte er Vorsorge treffen müssen, dieses erfordert sein Hirtenamt.
    Wie schon gesagt wurde: „Was ist mit den gestohlenen Kultgeräten die Titus 70 n. Chr. nach Rom brachte“.
    Ãœbrigens sollte die Welt sich darüber Gedanken machen: „Wieso ist es den Völkern so wichtig,  jüdische Kultgeräte und Schriften zu stehlen oder zu vernichten“. Seit Jahren zerstören die Oberhäupter des Felsendom und der anderen Moscheen Weltkulturgüter indem sie auf dem Platz wo der Tempel Salomons und Davids stand ausschachten und die Erde auf eine Mülldeponie schütten. Forscher aus aller Welt versuchen einiges zu retten. Die Fachleute sind entsetzt, aber die Welt schweigt wiedermal. Sogar islamische Kulturgüter haben diese mutigen Leute aus dem Müll geborgen.

  2. Was haben wir mit den Christen zu tun?

    Nur soviel,  daß Mea Schearim von einem Württemberger Missionar entworfen wurde !

  3. „Was bringt der Papst Gutes für Israel?“, fragt Israel, der Schreibwarenhändler, ein abgegriffenes Gebetbuch in der Hand. „Du weißt doch, wie die Christen sind, was sie uns die ganzen Jahre über angetan haben, all die Gewalt, Lüge und Betrug. Dafür steht der Papst. So ist sein Wesen.“

    Man sollte öfters zu den Frommen gehen und mit ihnen reden. So naiv sie klingen mögen, so viel ehrliche Weisheit spricht aus ihren Worten.

Kommentarfunktion ist geschlossen.