Messe in Nazareth

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Schon in den Nachtstunden strömten die ersten Messeteilnehmer zu dem neugebauten Amphitheater am „Berg des Absturzes“ bei Nazareth. Rund 8000 Polizisten hatten mit „präzedenzlosem“ Sicherheitsaufwand viele Straßen rund um Nazareth und in der mehrheitlich muslimischen Stadt gesperrt, um Zwischenfälle auszuschließen. Zehntausende bunt gekleidete Menschen füllten das Gelände. Viele trugen Hüte auf den Köpfen oder hielten Zeitungen hoch, um sich vor der brütenden Sonne zu schützen…

Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 14. Mai 2009

Der Name des Ortes, „Berg des Absturzes“ oder auch „Berg des Absprungs“ geht auf eine obskure Geschichte im Neuen Testament zurück. In der Synagoge zitiert Jesus Bibelverse. Seine Zuhörer sind so empört, dass sie Jesus auf der Stelle umbringen wollen. Worin die ungeheuerliche Provokation Jesu bestand verstehen selbst studierte Theologen nicht. Von jenem Berg wollten sie ihn herabstürzen. Doch Jesus „ging durch die Menge“ und verschwand.

Während der Papst-Messe seien dreißig Menschen ohnmächtig geworden, sagte ein Polizeisprecher.

Die unüberschaubare Menge von geschätzten 50.000 Menschen aus Israel und vielen Ländern der Welt jubelte, als der Papst in seinem Papamobil vorgefahren kam. Im gelben Gewand trat Benedikt XVI auf die Bühne und setzte sich hinter dem Altar auf einen riesigen Thron mit eingelassenem Jerusalem-Kreuz. „Viva Baba“ ertönte es aus der fröhlichen und fahnenschwenkenden Menge. Ganz vorne, nahe der Bühne sangen Priester in weißen Gewändern Kirchenlieder. Sie trugen weiße Basketballkappen mit aufgedrucktem Papstwappen und gelbem Schirm.

Nach der Predigt kamen Gläubige aus der Menge zum Papst. Eine junge Sängerin kam laut singend mit Mikrophon in der Hand. Sie beugte sich nieder und küsste dem Papst die Füße. Lauter Applaus in der Menge.

Fahnen wurden geschwenkt, israelische, französische, italienische und sogar ganz große jordanische und eine palästinensische Flagge nahe der Bühne. Begleitet von arabischem Gesang verließ der Papst die Bühne. Mindestens zwanzig Sicherheitsleute in dunklen Anzügen umringten ihn, während ein Spalier von Polizisten dafür sorgte, dass niemand dem Papst zu nahe kommen könne. Genau zweieinhalb Stunden dauerte die Messe.

Am Nachmittag wartete der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu lange Minuten in einem Raum nahe der Verkündungskirche in Nazareth auf das Gespräch mit dem Papst. Der Franziskaner-Kustos Pietrobattista Pizzaballa und der israelische Vatikanbotschafter Motti Lewy befanden sich noch im Raum, als endlich der Papst erschien. Beide schüttelten die Hände und setzten sich auf purpurrot bezogene Stühle. Ein paar Minuten lang ergingen sie sich in „Smalltalk“, bis schließlich die Fotografen den Raum verlassen mussten. Das Gespräch hinter verschlossenen Türen dauert etwa 50 Minuten. Über Inhalte ist bisher nichts bekannt geworden.

Im israelischen Fernsehen redete derweil der ehemalige Vatikanbotschafter Oded Ben Hur über die Beziehungen zwischen Kirche und Israel. Eine Ausweitung der Beziehungen könnte es durch einen gemeinsamen Kampf gegen Antisemitismus und „Antiklerikalismus“ gegeben. Weiter sagte Ben Hur, dass es eine vertiefte Zusammenarbeit beim „Wissensaustausch zum Kampf gegen Terrorismus“ geben könnte. Er erzählte, dass katholische Priester in der ganzen Welt verteilt auch in problematischen Regionen ganz nahe an den Menschen seien. Einmal im Jahr müssten sie Stimmungs-Berichte an den Vatikan abliefern, was bedeute, dass ausgerechnet der Kirchenstaat in vielen Dingen besser informiert sei als so mancher Geheimdienst.

Weiter sagte der Diplomat, der drei Jahre lang im Vatikan gedient hat, dass die Christenheit ein theologisches Problem mit der Existenz des Staates Israel habe. Die Juden berufen sich auf ihren Bund mit dem Gott Abrahams und dessen Landesheißung, um die Errichtung ihres Staates im Gelobten Land zu rechtfertigen. Doch mit der Ankunft Jesu als Messias sei aus katholischer Sicht die Christenheit zum „auserwählten Volk“ geworden. Der alte Bund Gottes mit dem jüdischen Volk sei aufgelöst und durch den neuen Bund mit den Christen ersetzt worden. Zwar stelle die Kirche keine territorialen Ansprüche im Heiligen Land, so der Botschafter, doch tue sich der Vatikan schwer damit, dass heute ausgerechnet Juden einige der wichtigsten christlichen Stätten unter ihrer Kontrolle haben.

Deshalb betreibe der Vatikan bis heute das Ziel, Jerusalem und Bethlehem unter internationale Kontrolle zu stellen. Im Teilungsplan von 1947, der internationalen Legitimierung für die Errichtung eines „jüdischen Staates“, und in späteren UNO-Resolutionen wird empfohlen, dass Jerusalem dem UNO-Sicherheitsrat unterstellt werden sollte. Dort haben letztlich „christliche“ Staaten eine Mehrheit. Die Juden wie auch die muslimischen Palästinenser müssten auf Jerusalem als ihre jeweilige Hauptstadt verzichten. Weder Israel noch die Palästinenser können das heute mehr akzeptieren.

© Ulrich W. Sahm / haGalil.com

1 Kommentar

  1. Der pauschalisierenden Behauptung, dass die „Christenheit“ generell ein „theologisches“ Problem mit der Existenz des jüdischen Staates Israels haben soll, kann ich xxx nicht zustimmen, sorry! Es ist auch nicht richtig, dass Christen generell der Ãœberzeugung sind, dass durch Jesus, dem Christus,  Gott einen neuen Bund mit den Menschen geschlossen hätte, der den alten abgelöst, bzw. ungültig hat werden lassen. Der alte Bund, den Gott mit Noah und später mit Abraham für alle Menschen geschlossen hat, ist durch Jesus erneuert und gefestigt, keineswegs jedoch aufgekündigt worden. Aufgeklärte Christen gehen auch nicht mehr von der „Erwählung eines bestimmten Volkes“ als „auserwähltes“  Volk Gottes aus -weder Juden noch Christen – sondern glauben, dass durch den Stammvater Abraham alle Menschen / Völker, die an den einen Gott glauben, zum Volk Gottes gehören und unter seinem Segen stehen.  Mir ist auch nicht bekannt, dass Christen generell aufgrund des Neuen Testaments einen Anspruch auf das „Heilige Land“ oder Jerusalem erheben oder es dem Staat Israel streitig machen wollen. Ich bin wie viele „aufgeklärte“ Menschen der Ãœberzeugung, dass Israel – insbesondere nach der Shoah – ein Existenzrecht und das Recht auf einen eigenen Staat im Land der Bibel hat, mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen,  z.B. der Selbstverteidigung.

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