Jerusalem und Tel Aviv: Zum Hundertsten

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Keine zwei Städte ergänzen sich besser als Tel Aviv und Jerusalem. Doch die Bewohner von Israels politischer und spiritueller Hauptstadt betrachten ihre Landsleute 60 Kilometer die Straße hinunter oft so, als kämen sie von einem anderen Planeten. Was für die Tel Aviver okay ist, die ihre Küstenstadt, die wirtschaftliche und kulturelle Hauptstadt des Landes, als das wirkliche Israel ansehen…

Leitartikel der Jerusalem Post

Die Jerusalemer, deren Stadt zwischen Judäa und Samaria eingekeilt ist, sind manchmal außer sich, wenn selbstgefällige Tel Aviver so tun, als wäre die Grüne Linie 1800 Kilometer entfernt und nicht lediglich 18.

Diejenigen, die Tel Aviv schnell als bloße Imitation von Miami abtun und sein schwüles Sommerklima bemängeln, seien jedoch dazu eingeladen, einen zweiten Blick zu wagen. Tel Aviv ist eine absolute Wonne im Frühling und im Herbst, was jeder, der an der Küstenpromenade entlang spaziert, sofort bestätigen würde.

Dies ist sicherlich die kultivierteste und toleranteste Stadt Israels. Was macht es schon, dass die Atmosphäre am Shabbat anders ist als in Jerusalem? Die Schönheit Israels im 21. Jahrhundert liegt darin, dass es beide Atmosphären bietet. Dabei wird die Stadt zu pauschal als Heimat der „Hebräisch sprechenden Nichtjuden“ abgetan, obwohl das Interessen am Judentum dort doch noch nie größer gewesen ist.

Also haben alle Israelis – arrogante Jerusalemer eingeschlossen – Grund dazu, den 100. Jahrestag der Gründung Tel Avivs zu feiern, einen Neuanfang in einem von Geschichte durchtränkten Land.

Es beeinträchtigt die Heiligkeit Jerusalems nicht, Tel Avivs Strände, Museen, Parks, Bauhäuser und die in die Höhe schießenden Azrieli Towers zu würdigen. Das ist der Grund, weswegen die diesjährigen Feiern zum Unabhängigkeitstag unter dem Motto „100 Jahre der ersten hebräischen Stadt – Tel Aviv-Yafo“ stehen werden. Die Feierlichkeiten beginnen am Samstagabend auf dem Rabin-Platz, mit einer Klang- und Lichtschau, begleitet von den Israelischen Philharmonikern unter der Leitung von Zubin Mehta.

Tel Aviv-Yafo ist der Kern einer Metropolis, die sich von Rehovot im Süden bis nach Herzliya im Norden erstreckt. Das heutige Tel Aviv mit seinen Wolkenkratzern, seiner urbanen Ausbreitung und seinen aufgewerteten Wohngegenden war als Gartenvorstadt der Hafenstadt Yafo geplant worden, in dem sich 1820 erstmals ein jüdischer Reisender aus Konstantinopel niederließ.

Über die Jahre wurde Yafo die Heimat von erst sephardischen, dann auch ashkenasischen Juden. Mit Geldern des Jüdischen Nationalfonds und gegen die Widerstände der osmanischen Behörden, begannen Juden auch jenseits der Stadtmauern Land zu erwerben.

Am 11. April 1909 trafen sich die Gründer Tel Avivs am Strand, um die Grundstücke für die neue Nachbarschaft namens Ahuzat Beit zu verteilen. Der Name „Tel Aviv“ wurde am 21. Mai 1910 geprägt und war der Titel von Nachum Sokolovs Übersetzung von Theodor Herzls Roman „Altneuland“; man findet ihn auch in Hesekiel 3, 15.

Während die osmanischen Herrscher die Juden im Ersten Weltkrieg vertrieben, breitete Tel Aviv-Yafo sich über 100 Quadratkilometer außerhalb der Mauern des alten Yafo aus. Die Einwohner empfingen die britische Mandatsmacht mit offenen Armen.

Während der arabischen Ausschreitungen des Jahres 1921 flohen die meisten Juden Yafos nach Tel Aviv.

In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg war Tel Aviv das Zentrum der „illegalen Einwanderung“ auf dem Seeweg. Als der Unabhängigkeitskrieg ausbrach, wurde die Stadt von arabischen Stellungen in Yafo aus beschossen. Als die Hagana Yafo eroberte, flohen die meisten seiner 100.000 arabischen Einwohner.

Am Tag der Unabhängigkeit hatte Tel Aviv 210.000 Einwohner. 1949 wurde es mit Yafo vereinigt und einigen arabischen Dörfern, die verlassen worden waren. Heute beherbergt Tel Aviv eine Bevölkerung von 400.000 Einwohnern.

Der Iran bezieht sich auf Tel Aviv als Hauptstadt des „zionistischen Regimes“. Und in der Tat sind alle ausländischen Botschaften hier angesiedelt. Vielleicht ist es leichter für Ausländer, die israelische Verbindung zu einer Stadt „ohne Geschichte“ zu akzeptieren als die zu einer Stadt, die jüdische Assoziationen von Jahrtausenden auf sich zieht.

Aber Tel Aviv stellt die erste jüdische Stadt dar, die „kein Ghetto“ war, wie es Marcus Ehrenpreis 1927 in „Soul of the East“ ausgedrückt hat.

Der Dichter Chaim Nachman Bialik schrieb, er liebe Tel Aviv, da „wir es mit unseren eigenen Händen aufgebaut haben“, da man sich niemandem für seine guten Seiten verpflichtet fühlen oder für seine schlechten Seiten rechtfertigen müsse. „Ist es nicht das ganze Ziel unserer Erlösung… die Eigentümer unseres Körpers und unserer Seele zu sein, die Herren unseres Geistes und unserer Schöpfungen?“ In der Tat.

(The Jerusalem Post, 01.04.09)

Altneuland hieß Theodor Herzls utopischer Roman zum Zionismus, die hebräische Übersetzung wurde unter dem Titel „Tel Aviv“ veröffentlicht.

TEL AVIV IM BILD

Aus dem Schaum einer Welle:
Die weisse Stadt am Meer
DiaShow – Tel Aviv…

Günther Förgs Fotografien:
Bauhaus Tel Aviv – Jerusalem

In Tel Aviv entstanden im Verlauf der 30er- und 40er-Jahre rund 1.500 Bauten, die sich an den sozialen, technischen und ästhetischen Vorstellungen der Bauhausbewegung orientierten…

Tel Aviv:
Straßen am Markt /
Schuk haKarmel
Pictures, Tmunoth, Fotos…

Boris Carmi:
Bilder aus Tel Aviv

Boris Carmi (geb. 1914 in Moskau – gest. 2002 in Tel Aviv) gilt als Pionier der israelischen Presse- und Dokumentationsfotografie. 1930 verließ er Moskau, sein Weg führte ihn über Warschau, Saalfeld/Deutschland und Italien nach Paris, bis er 1939 an Bord eines Zitrus-Frachters nach Palästina einwandern konnte…

Tel Aviv:
Ein Spaziergang am Schabath

Über den Rothschild Boulevard…

Rückblick:
Tsalmania in Tel Aviv

Rudi Weissenstein kam 1936 nach Israel. Anfang der 40er eröffnete er das „Pri-Or Studio“ in der Allenby Straße, wo das Geschäft und das daran angeschlossene Archiv auch heute noch sind. Miriam Weissenstein, Rudis Witwe, ist dort auch heute noch anzutreffen…

Schomrim al haChiuch:
Purim in Tel Aviv

Bilder aus der Dizengoff-Straße…Tel Aviv:
Stadt mit einem Traum
100 Jahre nach seiner Gründung stellt Tel Aviv ein Dilemma dar: Ist es das Modell, dem das ganze Land folgen sollte, oder wird es immer ein Staat im Staat bleiben, der sich entsprechend seiner eigenen Gesetze verhält?…

Eretz Israel:
Tel Aviv, den 29. 3. 1936
Man kommt ja immer in die Gegend, in die man unter keinen Umständen will. In Berlin behauptete ich immer, nie nach Tel Aviv . . . Und die erste, Arbeit, die mir angeboten wird, ist in Tel Aviv. Und ich finde es lange nicht so schlimm, wie ich glaubte…

Nachdenkliches:
Die Schönheit Tel Avivs
Die Metropole Israels – die extreme Antithese zur armen und immer religiöser werdenden Hauptstadt Jerusalem, die zu einer Großstadt ähnlich den meisten Großstädten der westlichen Welt geworden ist, leidet an zwei hervorstechenden Mangelerscheinungen: einem schwachen öffentlichen Nahverkehr und Schmutz…

Tel Aviv wird 100:
Auf Strand gebaut
Tel Aviv ist eine Stadt voller Leichtigkeit und Israels Brückenkopf zum Westen. Jetzt wird die Metropole 100 Jahre alt. Wer hier lebt, weiß ihre Toleranz zu schätzen und genießt es, dass man im Rauschen des Meeres manchmal die Härte der Gegenwart vergessen kann…

Tel Aviv:
Um den Migdal Schalom

Zwischen Okzident und Orient, Israel als Integrations- und Einwanderungsgesellschaft…

Beim ersten Kiosk am Rothschild:
Kulturerbe Tel Aviv

Tel Aviv, die quirlige Metropole an Israels Mittelmeerküste, wurde von der UNESCO offiziell als Weltkulturerbe eingestuft…

Masal tow:
Tel Aviv wird 100
Israels kulturelle und wirtschaftliche Metropole wird in dieser Woche hundert Jahre alt. Als offizielles Gründungsdatum Tel Avivs gilt der 20. Nissan 5570, der dieses Jahr auf den 11. April fällt. Tatsächlich wurde die Stadt bereits drei Jahre zuvor, im Juli 1906, bei einem Treffen von Juden aus Yafo gegründet, die den schwierigen und unsicheren Lebensbedingungen dort zu entkommen suchten…

Special im ORF:
Tel Aviv
100 Jahre Tel Aviv – die pulsierende Mittelmeer-Metropole feiert sich mit einem opulenten Fest: Acht Millionen Euro sind für Spektakel, Lasershow und einem Konzert der Israelischen Philharmonie unter der Leitung Zubin Mehtas veranschlagt…

1 Kommentar

  1. Habe vor Kurzem eine ARTE-Doku über das Kulturleben in Tel Aviv gesehen.
    Dort ist was los! Die Musikszene ist scheinbar weniger anglo-amerikanisch geprägt als bei uns.  Juden und Araber musizieren gemeinsam. Das sollten sich die Leute ansehen, die Israelis als Rassisten bezeichnen.

    Über die Doku habe ich auch Habanot Nechama für mich entdeckt und bin seither ein Fan. Die drei Mädels sind für mich die Barry-Sisters des einundzwanzigsten Jahrhunderts! Lihiot (so far) gehört für mich zu den besten Songs des letzten Jahres.

    Wer heute Gruder & Dorfmeister gemeinsam auf einer Bühne sehen möchte, der muss ebenfalls nach Tel Aviv.

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