Müssen wir uns jede Kritik gefallen lassen?

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Kommentar zum Besuch der ehemaligen deutschen Justizministerin Herta Däubler-Gmelin in Irakisch-Kurdistan…

Von Falah Muradkhin Shakaram, WadiBlog, 01.03.2009

Ich gestehe, ich war überrascht, als ich kürzlich in der Zeitung las, dass eine deutsche parlamentarische Delegation Irakisch-Kurdistan besucht und sich kritisch über die Menschenrechtssituation geäußert hat. Ich war ebenso überrascht, wie und dass unsere Politiker diese Kritik ohne Widerworte akzeptiert haben.

Gerade als jemand, der 1988 die Giftgasangriffe der irakischen Armee auf Halabja überlebt hat und seit nunmehr 11 Jahren für eine deutsche Hilfsorganisation arbeitet, erlaube ich mir deshalb ein paar Anmerkungen zu den Statements von Frau Däubler-Gmelin.

Obwohl ich als Menschenrechtsaktivist fast alle Kritik aus dem Ausland, die sich mit der Lage von Frauen, Gefangenen oder der Medien auseinandersetzt, begrüße und überzeugt bin, dass gerade diese Kritik wichtig war und ist, damit sich unsere Gesellschaft zum Besseren verändert, so sollten wir doch auch wissen, wer uns kritisiert. Sind das Menschen, die uns unterstützen, sich um die Menschenrechtssituation sorgen und Empathie empfinden für die Opfer politischer Verfolgung, sind das also Menschen, die sich auch mit uns über die neue Situation im Irak und den Sturz eines brutalen Diktators gefreut haben?

Der Logik von Frau Däubler-Gmelin zufolge nämlich säße Saddam noch heute wohlbehalten und gesund in einem seiner Paläste in Bagdad, und keinerlei Veränderungen wären in diesem Land möglich gewesen. Diese Frau, die die deutsche Parlamentarierdelegation angeführt hat, ist dieselbe Person, die im September 2002 als damalige deutsche Justizministerin George W. Bush, den späteren Befreier Iraks, scharf angegriffen und ihn sogar mit Hitler verglichen hat. Sie kritisierte ihn, weil er plane, den Irak zu besetzen. Damals haben diese Äußerungen sogar zu einem internationalen Skandal geführt.

All dies geschah zu einer Zeit, als die Baathpartei noch an der Macht war und die irakische Bevölkerung schrecklich unter der Diktatur Saddam Husseins litt – sie aber dachte offenbar in keinem Moment an die Befreiung des Irak von dieser Diktatur. Und nach 2003 waren es diese Leute – sie und so viele andere in Europa – die sich kein bisschen um die Veränderungen und Entwicklungen im Irak kümmerten. Wir hatten auch nicht den Eindruck, dass das Leiden der Irakis unter dem Terror von Al-Qaida ihnen je schlaflose Nächte bereitet hat. Im Gegenteil schienen sie jahrelang all dies nur als Beweis willkommen zu heißen, dass der Sturz Saddam Husseins ein Fehler gewesen sei.

Trotzdem sagen wir diesen Leuten: Willkommen im neuen, demokratischen Irak! Wir freuen uns über jede Änderung Ihrer Ansichten. Aber dafür erwarten wir unsererseits, dass sie sich für Ihre frühere Meinung bei uns entschuldigen. Zumindest hätten wir von Ihnen auch erwartet, dass sie die Stadt Halabja besuchen, so wie auch Colin Powell es 2003 tat.

Da dies nicht der Fall war, müssen wir uns fragen: Woher nehmen Sie das Recht, ohne über die Vergangenheit zu sprechen, die jetzige Lage zu kritisieren? Wir vergessen nicht, dass Deutschland Saddam Hussein beim Bau jener Giftgaswaffen unterstützt hat, die in Halabja und anderswo gegen uns eingesetzt wurden. Seit Jahren fordern kurdische Organisationen deshalb, dass Deutschland sich wenigstens offiziell für dieses Verbrechen entschuldigt. Das ist bisher nicht geschehen.

Es wäre deshalb die Pflicht unserer Politiker, darauf zu bestehen, dass man sich an all die Opfer von Giftgasangriffen in Halabja, Balisan, Goptapa, Saussanan und den anderen Orten erinnert, an alle, die die in den Anfal-Kampagnen verschwundenen sind, an die Gefolterten und die Ermordeten. Aber stattdessen akzeptieren sie, dass Menschen wie Frau Däubler-Gmelin in unser Land kommen, ohne ihre erste Rede in Halabja halten zu müssen.

Ich bin überzeugt, wäre Frau Däubler-Gmelin in einer ähnlichen Situation nach Israel gereist, man hätte sie, bevor sie ihre Kritik hätte äußern können, nach Yad Vashem geführt, um dort den Opfern und der deutschen Verbrechen zu gedenken. In diesem Punkt können wir von den Israelis lernen: Wir sollten lernen, unsere Opfer ebenfalls zu respektieren. Stattdessen verkaufen unsere Politiker sie sogar zu einem extrem niedrigen Preis.

Deshalb möchte ich die Menschen in Irakisch-Kurdistan darauf hinweisen, dass die Äußerungen dieser Deutschen keineswegs eine Kritik war, sondern nur wie die letzte Giftspritze von Leuten wirkte, die sich offenbar noch immer nicht mit der neuen Lage im Irak abgefunden haben.

Aber unsere Kritik gilt nicht vor allem dieser Frau, sondern unseren Politikern, die ihr erlaubt haben, sich hier so zu benehmen, nur weil sie sich davon ein paar Vorteile versprochen haben, etwa die Eröffnung eines deutschen Konsulates – und dabei ebenso wenig Respekt vor den Opfern gezeigt haben, wie vor den hart erkämpften Fortschritten und Entwicklungen.

Falah Muradkhin Shakaram ist Projektkoordinator von Wadi im Irak. Der Artikel wird in der nächsten Ausgabe der kurdischen Zeitschrift Hawlati veröffentlicht.
Übersetzung: Thomas von der Osten-Sacken

Interview mit Falah Muradkin aus dem letzten Jahr

2 Kommentare

  1. @ Cora
    Was erwarten sie denn überhaupt von solchen Akteuren?Wollen sie uns glauben machen,dass sie „die Weisheit mit Löffeln…gefre….. “ haben?Wodurch wird die ganze Menschheitsgeschichte seit der „Vertreibung aus dem Paradies“ bestimmt?Liebe ,Anteilnahme und Gerechtigkeit?Mitnichten!Mord und Totschlag betimmen unsere Geschichte,ist Tagesgeschäft der Politik!Ich befürchte,das wird sich so schnell auch nicht ändern.Warum sollten wir auch dazulernen?Es besteht absolut kein Handlungsbedarf!Oder denken sie wirklich,dass Menschen in Lage wären friedlich zusammmen zu leben?Wir bejahen immer und immer die Unterschiede,verneinen jeweils unsere Gemeinsamkeiten!Ich wünschte mir,ich irre mich.

  2. Leider ist Deutschland – und Europa – von der Erfahrung des letzten Weltkrieges immer noch derart gelähmt, dass es J.S. Mills Worte über den Krieg völlig aus dem Gedächtnis gestrichen hat: „Der Krieg ist eine hässliche Sache, aber nicht die allerhässlichste. Schlimmer ist die Verkommenheit der moralischen Gefühle, wonach nichts einen Krieg wert sei, (z.B.) ein Krieg, der andere menschlichen Wesen vor tyrannischem Unrecht schützt.“
    Als ich, noch während des Irakkriegses, es wagte, diese Worte zu zitieren und darauf hinwies, dass Saddam wohl einen Krieg „wert“ sei, wurde ich fast gesteinigt und als „Bushist“ beschimpft.
    Die, die jetzt über die Menschenrechtverletzungen im Irak jammern, sagen aber zu den Menschenrechtsverletzungen der Taliban, Mullahs oder in Dafour herzlich wenig, über die in Zimbabwe garnichts und über den Nahen Osten nur etwas, wenn sie die Israelis oder Amerikaner in die Pfanne hauen können.

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